|
Mit dem KPD-verbotsurteil schuf sich das politische personal der BRD einen
ableitungszusammenhang, worin in gleichsam hegelianischer manier konstruiert
wurde, daß die "freiheitlich demokratische grundordnung" (FDGO)
eine dem grundgesetz vorausgesetzte, historisch wirkende, höhere idee sei,
die im selbigen materielle gestalt annähme. Gemäß diesem, dem
grundgesetz vorausgesetzten gedankenkonstrukts von einem höheren wesen
(ideengut) mußte sich die KPD logischerweise im gegensatz zur verfassung
bewegen; denn nun konnte seitens des bundesverfassungsgerichts ein antagonismus
zwischen den weltanschaulichen grundlagen der KPD (marxismus-leninismus) und
denen des grundgesetzes behauptet werden. So wurde durch diese
rechtsphilosophische konstruktion jeder beweis eines verfassungsbruchs im
rechtspositivistischen sinne eigentlich überflüssig. Wo er denn
versucht wurde, hatte er lediglich eine für diese transzendenten überlegungen
nachgeschobene, quasi illustrierende und legitimierende funktion.
In den folgenden jahrzehnten konnten nun einzelpersonen, gruppen, projekte
und parteien als verfassungsfeindlich eingestuft werden, ohne daß eine
verletzung der verfassung selber mehr zu beweisen war. Es reichte die rein
theoretisch hergeleitete behauptung eines verstoßes gegen die FDGO aus.
Die rechtslücken, die freilich zwischen dem konstrukt FDGO und den zu
kriminalisierenden handlungen auftraten, mußten allerdings aus
legitimationsgründen geschlossen werden. Dies geschah im laufe der zeit
durch einen wust von gesetzesreformen, die aber alle unterhalb der verfassung
selber angesiedelt waren (wir werden dies in einer der nächsten folgen
genauer darstellen).
Leseauszug
Die unvereinbarkeit des staats- und gesellschaftsbildes der diktatur des
proletariats mit der freiheitlichen demokratischen grundordnung
Quelle: KPD-verbotsurteil vom 17.8.1956, in: entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts, Band 5, Tübingen 1956, Teil A, Abschnitt V
(S.195 - 207)
Auszüge (fettdruck von uns):
.....Die Demokratie, die in der Diktatur des Proletariats bestehen soll, ist
jedenfalls nicht die der Prinzipien des Grundgesetzes. Bei einem Vergleich der
beiden Staatsordnungen genügt es, das aus der marxistisch-leninistischen
Theorie gewonnene "idealtypische" Bild der Diktatur des Proletariats
zugrunde zu legen; es bedarf nicht der Heranziehung konkreter Beispiele
aus Staaten, in denen die Diktatur des Proletariats verwirklicht ist. Auf der
anderen Seite kann der Maßstab nur die freïheitliche demokratische
Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes sein, d. h. das Bild der
freiheitlichen Demokratie, das dem Grundgesetzgeber als Leitbild vorgeschwebt
und das er im Normenkomplex des Grundgesetzes zu realisieren versucht hat.
Das ist die für das Bundesverfassungsgericht maßgebliche
Rechtsgrundlage. Ob die Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik
sich mit diesem Bild allenthalben deckt, ist also hier ohne Bedeutung. Das
ergibt sich aus dem Inhalt des Art. 21 Abs. 2 GG, der selbst wiederum in der der
freiheitlichen Demokratie zugrunde liegenden Denkweise wurzelt., Dieser
Denkweise entspricht es gerade nicht, eine Übereinstimmung von Ideal und
Wirklichkeit zu behaupten. Sie ält eine solche Übereinstimmung sogar für
unerreichbar, für utopisch....
...In der freiheitlichen Demokratie ist die Würde des Menschen der
oberste Wert. Sie ist unantastbar, vom Staate zu achten und zu schützen.
Der Mensch ist danach eine mit der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher
Lebensgestaltung begabte "Persönlichkeit". Sein Verhalten und
sein Denken können daher durch seine Klassenlage nicht eindeutig
determiniert sein. Er wird vielmehr als fähig angesehen, und es
wird ihm demgemäß abgefordert, seine Interessen und Ideen mit denen
der anderen auszugleichen. Um seiner Würde willen muß ihm eine möglichst
weitgehende Entfaltung seiner.Persönlichkeit gesichert werden. Für den
politisch-sozialen Bereich bedeutet das, daß es nicht genügt, wenn
Grundordnung dem Gedanken der Würde und Freiheit des Menschen die Aufgabe,
auch im Verhältnis der Bürger untereinander für Gerechtigkeit und
Menschlichkeit zu sorgen. Dazu gehört,daß eine Ausnutzung des einen
durch den anderen verhindert wird. Allerdings lehnt die freiheitliche
Demokratie es ab, den wirtschaftlichen Tatbestand der Lohnarbeit im Dienste
privater Unternehmer als solchen allgemein als Ausbeutung zu kennzeichnen....
..Die freiheitliche Demokratie ist von der Auffassung durchdrungen,
daß es gelingen könne, Freiheit und Gleichheit der Bürger
trotz der nicht zu übersehenden Spannuizgen zwischen diesen beiden Werten
allmählich
zu immer größerer Wirksamkeit zu entfalten und bis zum überhaupt
erreichbaren Optimum zu steigern. Dies erscheint ihr erstrebenswerter
als die Verfolgung eines utopischen, d. h. rational nicht beweisbaren und durch
die Erfahrung der Geschichte nicht gestützten Staatsideals, das die
volle Verwirkliehung beider Ideale in einer nicht absehbaren Zukunft verspricht,
dafür aber das Opfer von Generationen verlangt, denen weder Freiheit noch
Gleichheit gewährt werden kann....
|