Die FDGO
das höhere wesen

von Karl Müller

Mit dem KPD-verbotsurteil schuf sich das politische personal der BRD einen ableitungszusammenhang, worin in gleichsam hegelianischer manier konstruiert wurde, daß die "freiheitlich demokratische grundordnung" (FDGO) eine dem grundgesetz vorausgesetzte, historisch wirkende, höhere idee sei, die im selbigen materielle gestalt annähme. Gemäß diesem, dem grundgesetz vorausgesetzten gedankenkonstrukts von einem höheren wesen (ideengut) mußte sich die KPD logischerweise im gegensatz zur verfassung bewegen; denn nun konnte seitens des bundesverfassungsgerichts ein antagonismus zwischen den weltanschaulichen grundlagen der KPD (marxismus-leninismus) und denen des grundgesetzes behauptet werden. So wurde durch diese rechtsphilosophische konstruktion jeder beweis eines verfassungsbruchs im rechtspositivistischen sinne eigentlich überflüssig. Wo er denn versucht wurde, hatte er lediglich eine für diese transzendenten überlegungen nachgeschobene, quasi illustrierende und legitimierende funktion.

In den folgenden jahrzehnten konnten nun einzelpersonen, gruppen, projekte und parteien als verfassungsfeindlich eingestuft werden, ohne daß eine verletzung der verfassung selber mehr zu beweisen war. Es reichte die rein theoretisch hergeleitete behauptung eines verstoßes gegen die FDGO aus. Die rechtslücken, die freilich zwischen dem konstrukt FDGO und den zu kriminalisierenden handlungen auftraten, mußten allerdings aus legitimationsgründen geschlossen werden. Dies geschah im laufe der zeit durch einen wust von gesetzesreformen, die aber alle unterhalb der verfassung selber angesiedelt waren (wir werden dies in einer der nächsten folgen genauer darstellen).

Leseauszug

Die unvereinbarkeit des staats- und gesellschaftsbildes der diktatur des proletariats mit der freiheitlichen demokratischen grundordnung
Quelle: KPD-verbotsurteil vom 17.8.1956, in: entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 5, Tübingen 1956, Teil A, Abschnitt V (S.195 - 207)

Auszüge (fettdruck von uns):

.....Die Demokratie, die in der Diktatur des Proletariats bestehen soll, ist jedenfalls nicht die der Prinzipien des Grundgesetzes. Bei einem Vergleich der beiden Staatsordnungen genügt es, das aus der marxistisch-leninistischen Theorie gewonnene "idealtypische" Bild der Diktatur des Proletariats zugrunde zu legen; es bedarf nicht der Heranziehung konkreter Beispiele aus Staaten, in denen die Diktatur des Proletariats verwirklicht ist. Auf der anderen Seite kann der Maßstab nur die freïheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes sein, d. h. das Bild der freiheitlichen Demokratie, das dem Grundgesetzgeber als Leitbild vorgeschwebt und das er im Normenkomplex des Grundgesetzes zu realisieren versucht hat. Das ist die für das Bundesverfassungsgericht maßgebliche Rechtsgrundlage. Ob die Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik sich mit diesem Bild allenthalben deckt, ist also hier ohne Bedeutung. Das ergibt sich aus dem Inhalt des Art. 21 Abs. 2 GG, der selbst wiederum in der der freiheitlichen Demokratie zugrunde liegenden Denkweise wurzelt., Dieser Denkweise entspricht es gerade nicht, eine Übereinstimmung von Ideal und Wirklichkeit zu behaupten. Sie ält eine solche Übereinstimmung sogar für unerreichbar, für utopisch....

...In der freiheitlichen Demokratie ist die Würde des Menschen der oberste Wert. Sie ist unantastbar, vom Staate zu achten und zu schützen. Der Mensch ist danach eine mit der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung begabte "Persönlichkeit". Sein Verhalten und sein Denken können daher durch seine Klassenlage nicht eindeutig determiniert sein. Er wird vielmehr als fähig angesehen, und es wird ihm demgemäß abgefordert, seine Interessen und Ideen mit denen der anderen auszugleichen. Um seiner Würde willen muß ihm eine möglichst weitgehende Entfaltung seiner.Persönlichkeit gesichert werden. Für den politisch-sozialen Bereich bedeutet das, daß es nicht genügt, wenn Grundordnung dem Gedanken der Würde und Freiheit des Menschen die Aufgabe, auch im Verhältnis der Bürger untereinander für Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu sorgen. Dazu gehört,daß eine Ausnutzung des einen durch den anderen verhindert wird. Allerdings lehnt die freiheitliche Demokratie es ab, den wirtschaftlichen Tatbestand der Lohnarbeit im Dienste privater Unternehmer als solchen allgemein als Ausbeutung zu kennzeichnen....

..Die freiheitliche Demokratie ist von der Auffassung durchdrungen, daß es gelingen könne, Freiheit und Gleichheit der Bürger trotz der nicht zu übersehenden Spannuizgen zwischen diesen beiden Werten allmählich zu immer größerer Wirksamkeit zu entfalten und bis zum überhaupt erreichbaren Optimum zu steigern. Dies erscheint ihr erstrebenswerter als die Verfolgung eines utopischen, d. h. rational nicht beweisbaren und durch die Erfahrung der Geschichte nicht gestützten Staatsideals, das die volle Verwirkliehung beider Ideale in einer nicht absehbaren Zukunft verspricht, dafür aber das Opfer von Generationen verlangt, denen weder Freiheit noch Gleichheit gewährt werden kann....