Die Urteilsgründe

Zur Anwendbarkeit und Auslegung des Art. 21 II GG
Auszüge aus:
Mayer, U., Stuby G. (Hrsg.)
Das lädierte Grundgesetz
Köln 1977, Seite 49ff

...Der erste Abschnitt der Urteilsgründe beschäftigt sich mit der Geschichte der KPD sowie mit einigen verfahrensmäßigen Fragen, insbesondere den Einwendungen, die gegen die Durchführung des Verfahrens erhoben worden waren. Als deren wichtigste wird die Problematik der Anwendbarkeit des Parteienverbots nach Art. 21 II GG auf die KPD gelten können....

....Die Prozeßvertretung der KPD hatte geltend gemacht, daß sie als demokratische Partei i.S.d. Potsdamer Abkommens von den Besatzungsmächten vor Inkrafttreten des Grundgesetzes lizenziert worden sei und daß sie daher begrifflich den Tatbestand des Art. 21 II GG nicht erfüllen könne.

Das BVerfG hat sich gegen diese Auffassung gewandt und Art. 21 II GG auf die KPD für anwendbar erklärt. Das vom Potsdamer Abkommen aufgestellte Prinzip der Zulassung aller demokratischen Parteien in Deutschland sei für die Auslegung des Art. 21 II GG nicht von entscheidender Bedeutung. Dies finde seinen Grund darin, daß der Demokratiebegriff des Potsdamer Abkommens sich von demjenigen des Grundgesetzes unterscheide. Wegen ihrer verschiedenartigen sozialen Vorstellungen hätten sich die Alliierten nicht positiv über die konkrete Ordnung des künftigen deutschen Staates einigen können. Den Begriff "Demokratie" hätten sie nur im Sinne einer "Kompromißformel" gebraucht, die im wesentlichen dazu dienen sollte, die neuzuerrichtende Ordnung deutlich vom eben beseitigten nationalsozialistischen System abzuheben. Im Potsdamer Abkommen sei daher "demokratisch" nur als negative Abgrenzung i.S.v. "antifaschistisch" gemeint. Hiervon unterscheide sich der Demokratiebegriff des Grundgesetzes. "In notwendiger Ergänzung und Weiterführung des im PA (= Potsdamer Abkommen) nur teilweise bestimmten Demokratiebegriffs hat das Grundgesetz eine mit positivem Inhalt erfüllte demokratische Staatsordnung eingeführt, die dem PA entspricht, indem sie seine Forderungen an die Demokratie voll in sich aufnimmt, die darüber hinaus aber noch weitere Prinzipien aufstellt, deren Gesamtheit im Grundgesetz als <freiheitliche demokratische Grundordnung> bezeichnet wird. Es wäre eine Überdehnung der Begriffe <Demokratie> und <demokratisch> im PA, wenn man mit der KPD aus ihnen folgern wollte, das Grundgesetz sei nicht berechtigt, diese neue demokratische Ordnung vor dem Angriff feindlicher Kräfte zu schützen, nur weil diese Kräfte sich mit ihm in der Ablehnung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft einig wissen, also ebenfalls <demokratisch> in dem oben beschriebenen negativ-polemischen Sinn des PA sind". Und weiter führt das BVerfG aus: "Es (das Grundgesetz) kann diese staatliche Ordnung auch gegen Parteien verteidigen, die den negativen Teilinhalt des Begriffs <demokratisch> im Sinne des PA entsprechen mögen, die darüber hinausgehenden, das Wesen der freiheitlichen demokratischen Ordnung darstellenden Prinzipien bekämpfen."....

....Im letzten Teil des ersten Abschnitts der Urteilgründe geht das BVerfG auf Fragen der Auslegung des Art. 21 II GG ein. Es führt aus, daß eine Partei nicht schon verfassungswidrig sei, wenn sie einzelne Bestimmungen oder Institutionen des GG ablehne. "Sie muß vielmehr die obersten Werte der Verfassungsordnung verwerfen, die elementaren Verfassungsgrundsätze, die die Verfassungsordnung zu einer freiheitlichen demokratischen machen ....". Hinzukommen müsse eine "aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung". Das Gericht wendet sich sodann gegen die Auffassung der KPD, daß Art. 21 II ein verfassungswidriges Tätigwerden der Partei erfordere, und gelangt zu der Ansicht, daß mit der Formulierung "darauf ausgehen" in Art. 21 II GG die verfassungwidrige Absicht gemeint sei; ein konkretes Unternehmen i. S.d.§ 81 StGB sei zur Erfüllung dieses Tatbestands nicht erforderlich. Abzustellen sei bei der Ermittlung der Absicht auf die Ziele der Partei. Zu den "Zielen" wird bemerkt: "Eine Dokumentation der Zielsetzung in dem Sinne, daß alle Ziele schriftlich niedergelegt oder sonstwie fixiert sein müßten, verlangt Art. 21 II nicht.... Daher sind auch geheime Zielsetzungen rechtserheblich, sofern sie nachweisbar sind . . . . Ohne weiteres leuchtet es ein, daß Ziele, aus denen sich die Verfassungswidrigkeit einer Partei ergeben könnte, niernals offen verkündet werden"....

....Im folgenden nimmt das BVerf G zur Frage Stellung, ob der Marxismus-Leninismus als "Ziel" i.S.d. Art. 21 II GG in Betracht kommt. Nach seiner Ansicht kann die Theorie des Marxismus-Leninismus als solche niemals gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen, diese Lehre sei nicht Gegenstand des Verfahrens. Aber: "Die eindeutig bestimmbare Grenze zwischen wissenschaftlicher Theorie und politischem Ziel liegt dort, wo die betrachtend gewonnenen Erkenntnisse von einer politischen Partei . . . in ihren Willen aufgenommen, zu Bestimmungsgründen ihres politischen Handelns gemacht werden". - Durch diese Spaltung des Marxismus-Leninismus in die Theorie "als solche" und in die Theorie als Anleitung für die Praxis wird es dem BVerfG möglich, die Lehre des Marxismus-Leninismus trotz gegenteiliger Behauptung zur Beurteilung der Verfassungswidrigkeit der KPD heranzuziehen.....

...Der Rückgriff des BVerfG auf die Theorie des Marxismus-Leninismus, um hieraus eine verfassungsfeindliche Zielsetzung der KPD abzuleiten, wird angesichts der Tatsache verständlich, daß dem Gericht "kein einziger tatsächlicher Nachweis konkreter Fakten einer umstürzlerischen Tätigkeit (gelang), durch die die KPD die <freiheitliche demokratische Ordnung> angegriffen oder auch nur versucht hätte, anzugreifen, durch die sie ihren angeblichen Willen bekundet hätte, die Bundesrepublik zu stürzen oder die Verfassung zu beseitigen."....