Schwarze texte


Karl - Heinz Rogoll

§130a StGB
Gesinnungsrecht im Vormarsch

aus: Schwarze Texte, Politische Zensur 1968 bis heute, Hrsg.: ID-Archiv im IISG, 1989


Am 1.1.1987 ist der neue § 130 a Strafgesetzbuch (StGB) in Kraft getreten. Obwohl es sich bei § 130a StGB um eine neue Vorschrift handelt, knüpft er an zwei Vorschriften an, die 1976 von der damaligen SPD/FDP-Koalition eingeführt, von dieser 1981 aber wieder aufgehoben wurden: die §§88a (Befürwortung von Straftaten) und 130a alter Fassung (Anleitung zu Straftaten). Beide Vorschriften erlangten nur eine geringe praktische Bedeutung, jedenfalls soweit auf die Anzahl der danach erfolgten Verurteilungen abgestellt wird. Anders dürfte es dagegen aussehen, wenn man auf den Umfang der auf diese Vorschriften gestützten Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaften abstellt. Zwar gibt es hierüber keine gesicherten Zahlen, jedoch lassen eine Reihe bekanntgewordener Fälle darauf schließen, daß hierin der eigentliche Aufgabenschwerpunkt dieser Vorschriften gelegen hat: die Sicherstellung weitestgehender Ermittlungsmöglichkeiten des Staates.

Von dieser Vorgabe wird erkennbar auch der neue § 130a StGB getragen. Er teilt diese Zielsetzung mit dem gleichzeitig in Kraft getretenen erweiterten § 129 a. Zunächst zu den Besonderheiten des §130a. Wie sein Vorgänger (bis 1981 ) ist auch der neue § 130a mit "Anleitung zu Straftaten" überschrieben. Sein Regelungsgehalt geht jedoch nach dem Willen seiner Verfasser weit über den seines Vorgängers hinaus. Nach der neuen Vorschrift ist nicht erst eine Bestrafung vorgesehen, wenn eine Schrift "die Anleitung zu einer in §126Abs.1 Nr.1 bis 6genannten rechtswidrigen Tat enthält..." (so die alte Fassung), sondern bereits dann, wenn eine Schrift "geeignet ist, als Anleitung zu einer in § 126 Abs.1 genannten rechtswidrigen Tat zu dienen, und nach ihrem Inhalt bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen,..."

§ 126 StGB enthält einen Katalog, der von Delikten wie zum Beispiel Mord, Totschlag und räuberischer Erpressung bis hin zur Störung öffentlicher Betriebe, Störung von Fernmeldeanlagen und Beschädigung wichtiger Anlagen reicht.

Für Nichtjuristen erscheint schwer verständlich, worin denn der Unterschied der alten und der neuen Fassung des §130a liegen soll.

Dieser Unterschied wird am deutlichsten durch die Betrachtung der Kommentierungen , wie sie den Tatbestand des alten § 130 a umrissen und durch einen Vergleich mit der in der Begründung des Gesetzgebers zu der neuen Vorschrift zum Ausdruck kommenden Intention.

Für § 130 a alte Fassung war erforderlich, daß mehr oder weniger vollständige und in ihrem Sinn eindeutige Beschreibungen gegeben werden mußten, wie man eine Katalogtat plant, vorbereitet, erfolgreich durchführt oder möglichst unerkannt entkommt (vgl. Dreher/Tröndle StGB-Kommentar, 40. Auflage §130a/Rdnr. 5). Im praktischen Vordergrund sollten dabei technische Anleitungen zu Sprengstoffdelikten stehen. Ob die Anleitung brauchbar ist oder nicht, sollte an sich ohne Bedeutung sein, doch sollten bewußt irreführende Angaben ausscheiden, da es dann an der Bestimmtheit fehle (vgl. Dreher/Trödler a.a.0.). Im Rahmen des alten §130a durfte also nur bestraft werden, was schwarz auf weiß gedruckt zu lesen war und seinem objektiven Inhalt nach eindeutig aus der Schrift hervorging. Alleiniger Gegenstand für die Bestimmung der Strafbarkeit war die Schrift selbst, ohne Hinzuziehung weiterer Anhaltspunkte.

Das hat sich nun bei der neuen Version des § 130 a grundlegend geändert. Der tatsächliche Inhalt einer Publikation tritt in den Hintergrund. Hauptanknüpfungspunkt für die Aufnahme staatlicher Ermittlungstätigkeit ist nicht mehr das geschriebene Wort selbst, dessen Verfasser es sodann zu ermitteln gilt, sondern es wird umgekehrt vorgegangen, indem man sich die "suspekten" Verfasser und Publikationen ansehen und die Beiträge daraufhin untersuchen wird, ob sich nicht irgend etwas davon unter Berücksichtigung der Person und des politischen Standortes ihres Verfassers als strafanleitend interpretieren läßt.

Entscheidend ist dabei das "geistige Umfeld", in dem man den/die Verfasser/in ansiedelt, dieses entscheidet über den "wahren" Gehalt des geschriebenen Wortes. Eigentlich Unverfängliches kann so zur Erfüllung eines Straftatbestandes emporstilisiert werden.

Dementsprechend wirken Äußerungen über die dem neuen § 130a intendierte Tragweite, wie sie aus dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages bekannt geworden sind, sprachlich und inhaltlich geradezu gespenstisch:

"Erstens gibt es die Befürwortung in Form der indirekten Aufforderung, zweitens Befürwortung in Form scheinbarer Distanzierung, drittens die Beschreibungen strafbarer Handlungen mit Nachahmungstendenz, viertens Befürwortung in Form der Billigung eines historischen Ereignisses in der Absicht, es als nachahmenswertes Vorbild hinzustellen, ..."

Atemberaubend, wenn man sich strafrechtliche sowie verfassungsrechtliche Grundsätze vor Augen hält, die bisher als unverrückbar gegolten haben.

Mit Recht stellen die Strafverteidiger-Initiativen dazu fest: "Nach der Vorschrift werden nicht konkrete Taten unter Strafe gestellt, sondern es geht um die Kriminalisierung der Veröffentlichung von Texten, deren Wirkung auf den Leser nicht feststellbar ist. Strafrechtlich sanktioniert werden sollen lediglich vermutete Auswirkungen von Veröffentlichungen und vermeintliche Absichten der Verfasser und Publikatoren. Diese Vorverlagerung des Strafrechts in den Bereich von Absichten bietet die Möglichkeit der rechtsförmigen Ausgrenzung von zu Staatsfeinden erklärten politischen Gegnern und eröffnet damit einer Gesinnungsjustiz Tür und Tor." (abgedruckt zum Beispiel in: "Generaldirektion Innere Sicherheit", Göttinger AK 1987)

Nun ist es beileibe nicht so, daß die "vermuteten" Auswirkungen von Veröffentlichungen und die "vermeintlichen" Absichten ihrer Verfasser nach uneingeschränkt objektiven Kriterien ermittelt würden. Die Ausfüllung dieser Begriffe wird vielmehr der Staatsanwaltschaft überlassen, die sich zwar gerne als "objektivste Behörde der Welt" bezeichnen läßt, wie die Erfahrung lehrt, aber gerade das Gegenteil davon verkörpert, so daß beim Gebrauch dieses Superlativs eher an eine Form der Neusprache im Orwell'schen Sinne gedacht werden muß.

Zur Rolle der Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Aktivierung des § 130 a stellen die Strafverteidiger fest:

"Im übrigen liegt die Definitionsmacht darüber, wann ein Text 'geeignet' und 'bestimmt' ist, als Anleitung zu Straftaten zu dienen und die Bereitschaft anderer zu wecken oder zu fördern, Straftaten zu begehen und welche 'Absichten' derjenige hat, der einen solchen Text veröffentlicht, zunächst bei der Staatsanwaltschaft. Die amtliche Begründung, nach der es Zweck der Vorschrift ist, 'der Gefährdung der Allgemeinheit durch das Entstehen eines psychischen Klimas, in dem schwere, sozialschädliche Gewalttaten gedeihen können, entgegenzuwirken', stellt die gewünschte weite Auslegung durch die Staatsanwaltschaft sicher." (Strafverteidiger-Initiative a.a.0.)

Danach kommt es für die Staatsanwälte nur noch darauf an, ihre Auslegung durch alle möglichen Erkenntnisse zu untermauern. Dazu werden sie das gesamte System elektronischer Erfassung zu Hilfe nehmen, dieses mit sämtlichen verfügbaren Daten über die als "Zielobjekte" ihrer Ermittlungstätigkeit ins Auge gefaßten politisch unliebsamen Personen füttern und alles von solchen Personen Publizierte in einen komplexen Zusammenhang bringen, um damit Argumente, Meinungen und Darstellungen, auch wenn sie historisch oder sachlich in keinem Zusammenhang stehen sollten, miteinander zu verknüpfen.

Auf der Basis der vom neuen § 130 a ermöglichten weiten Auslegung und in Ausnutzung dieser geschilderten Vorgehensweise wird es ein leichtes sein, Straftäter in nahezu beliebiger Zahl und insbesondere zu nahezu jedem beliebigen Zeitpunkt zu produzieren. Schriftsteller, Journalisten, Buchhändler, Flugblattverfasser und -verteiler - nur um die Hauptbetroffenen der neuen Strafvorschrift zu nennen - werden alle die ausufernde Reichweite des § 130a zu spüren bekommen, vorausgesetzt, sie werden (von den staatlichen Ermittlungsbehörden) dem entsprechenden politischen Umfeld zugerechnet. Damit ist klar, daß beispielsweise die Darstellung eines bestimmten Geschehens strafrechtlich unterschiedlich bewertet werden wird, je nachdem, ob diese in einem Chemie-/Physikbuch, im Spiegel oder etwa in der Zeitschrift "Radi Aktiv" abgedruckt wird oder ob diese aus der Feder eines Journalisten stammt, der ohnehin auf der Abschußliste der Ermittlungsbehörden steht oder aber eines solchen, dem man nichts anhaben will oder an den sich die Ermittlungsbehörden - etwa aus Gründen politischer Opportunität - nicht herantrauen.

Die Redakteure der zuvor zitierten Zeitschrift "Radi Aktiv" bekamen bereits einen Vorgeschmack dieser "Erosion des Rechtsstaates" (und hierin ist eine solche zu sehen - nicht aber in dem von Strauß, Zimmermann &Co. gemeinten Sinne) zu spüren. In dem gegen sie vor dem Amtsgericht Nürnberg geführten Verfahren schreckten Staatsanwalt und Gericht noch nicht einmal davor zurück, die ihnen jetzt aus der neuen verschärften Fassung des § 130 a an die Hand gegebenen Grundsätze gleich auf andere Vorschriften, in diesem Fall § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten), zu übertragen (vgl. Bericht "Feuertaufe für Sicherheitsparagraph 130a" in der taz vom 3.3.1987). Und dies, obwohl § 130a StGB zum Zeitpunkt des Verfahrensbeginns (geschweige denn zum Zeitpunkt der Herausgabe der Zeitschrift als dem behaupteten Deliktsbeginn) noch gar nicht rechtsgültig war und weiter, obwohl selbst der Bundesgerichtshof (BGH) den § 111 StGB sehr eng ausgelegt wissen will. Allerdings handelt es sich bei dem Urteil des BGH (vom 14.3.1984, BGHSt 32, Nr. 53) um ein Verfahren gegen Rechtsradikale, die Parolen wie "Tod Wehner und Brandt", "Hängt Brandt" an Wände gesprüht hatten. Kaum verwunderlich, daß ein deutsches Gericht einmal austestet, inwieweit sich unter bestimmten Umständen - konkret also dann, wenn es etwa gegen ein links-oppositionelles Umfeld geht, welches dem Gericht politisch ferner steht - nicht doch andere Maßstäbe anlegen lassen. Daß dabei verschiedene Grundrechtsbestimmungen (zum Beispiel Art.103 Abs. 2 GG) und daraus abgeleitete unverrückbare strafrechtliche Grundsätze (§2 Abs. 2 StGB) auf der Strecke bleiben scheint für die bayerische Justiz mittlerweile selbstverständlich zu werden; von der Mißachtung der elementarsten Grundrechte auf Meinungs- und Pressefreiheit erst gar nicht zu reden.

Es bedarf kaum noch der Erwähnung, daß der Urteilsspruch in dem "Radi Aktiv"-Verfahren, bei dem es vor allem um die nebenstehend abgebildete Titelseite und verschiedene unter anderem in diesem Heft enthaltene Passagen ging, nur durch die unhaltbare Konstruktion eines "Gesamtzusammenhanges" zustande kam (vgl. "Der Spiegel" 11 /1987, S. 69). Der Strafverfolger legte eine Vielzahl verschiedenster Textstellen aus früheren "Radi Aktiv"-Ausgaben vor, die zueinander in keinem konkreten Kontext standen und bastelte auf diese Weise den Tatvorwurf zusammen . Zu diesem Zweck mußten über 20 Textseiten herangezogen und verlesen werden. In Konsequenz dieser Konstruktion stufte der Staatsanwalt die Verfasser kurzerhand als "militante WAA-Gegner" ein, die "den Boden für den Terrorismus" bereitet hätten. § 130 a hat auf diese Weise seine "Feuertaufe" erfahren (taz, a.a.0.) und seinen "Testlauf" absolviert ("Der Spiegel", a.a.0.).

Ziel solchen Vorgehens ist "die Vernichtung einer Zeitschrift und Abschreckung sowie innere Zensur für andere" (Uwe Maeffert in seinem taz-Interview vom 3.3.1987) "Die Androhung derartiger staatlicher Repressionen wird die gewünschte Wirkung erzielen, ohne daß es noch eines Gerichtsverfahrens bedürfte: 'Angst vor dem eigenen Wort` und damit 'Zensur von der schlimmsten Art` sind die Folgen" (Erkl. der Strafverteidiger-Initiativen, a.a.0.).

Weitere Folgen werden Haus- und Buchladendurchsuchungen und die Beschlagnahme von Druckwerken bis hin zur gesamten Auflage sein. Daß dadurch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und speziell auf Pressefreiheit in seinem Kern torpediert wird, stört die staatlichen Ermittler in diesem Zusammenhang wenig. Mit dem Schlagwort von der "terroristischen Bedrohung" läßt sich im derzeitigen politischen Klima der Bundesrepublik nahezu alles begründen.

Kein Wunder also, daß die Einführung des § 130a als Bestandteil des "Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus" überschriebenen Strafrecht-Änderungsgesetzes erfolgte. "Terrorismus" in einem Atemzug mit Demonstrationen, Aktionen zivilen Ungehorsams oder bloßen Sachbeschädigungen oder ganz allgemein in Bezug auf politisch Andersdenkende gebraucht, soll ein Klima schaffen, das geeignet ist, staatlichen Aktivitäten gegen die dabei handelnden Personen in unbegrenztem Ausmaß den Stempel der Rechtmäßigkeit aufzudrücken. Dabei werden die Anforderungen für die Feststellung der Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns immer niedriger angesetzt. Wo staatliche Maßnahmen sich nicht im Einklang mit geltendem Recht befinden, muß dann entweder der Mantel des Schweigens helfen oder es werden - wenn es gar nicht anders geht - gegenüber der Öffentlichkeit die Fakten so gedreht, daß deren Zustimmung sicher ist. Kein Wunder auch, daß der Souffleur der Bundesregierung in Sachen politischen Strafrechts, Generalbundesanwalt Rebmann, bereits dazu übergeht, den Keil weiter zu treiben, indem er - für diesen Bereich völlig inkompetent - für Aufrufe zum Boykott der Volkszählung geradezu blindwütig die Verhängung der höchstmöglichen Bußgelder fordert. Nur ein kleiner Schritt noch, bis er jenen Personen, die insoweit noch zivilcouragiert handeln, ebenfalls den Stempel des "Terroristischen" aufdrückt?

Unsere Antwort darauf kann nur heißen, uns nicht beirren zu lassen und nicht davon abzulassen, von unseren Grundrechten auf Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit Gebrauch zu machen. Möglich, daß in diesem Postulat demnächst bereits ebenfalls eine Anleitung zu Straftaten gesehen werden wird...