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Am 1.1.1987 ist der neue § 130 a Strafgesetzbuch (StGB) in Kraft
getreten. Obwohl es sich bei § 130a StGB um eine neue Vorschrift handelt,
knüpft er an zwei Vorschriften an, die 1976 von der damaligen
SPD/FDP-Koalition eingeführt, von dieser 1981 aber wieder aufgehoben
wurden: die §§88a (Befürwortung von Straftaten) und 130a alter
Fassung (Anleitung zu Straftaten). Beide Vorschriften erlangten nur eine geringe
praktische Bedeutung, jedenfalls soweit auf die Anzahl der danach erfolgten
Verurteilungen abgestellt wird. Anders dürfte es dagegen aussehen, wenn man
auf den Umfang der auf diese Vorschriften gestützten Ermittlungstätigkeit
der Staatsanwaltschaften abstellt. Zwar gibt es hierüber keine gesicherten
Zahlen, jedoch lassen eine Reihe bekanntgewordener Fälle darauf schließen,
daß hierin der eigentliche Aufgabenschwerpunkt dieser Vorschriften gelegen
hat: die Sicherstellung weitestgehender Ermittlungsmöglichkeiten des
Staates.
Von dieser Vorgabe wird erkennbar auch der neue § 130a StGB getragen.
Er teilt diese Zielsetzung mit dem gleichzeitig in Kraft getretenen erweiterten
§ 129 a. Zunächst zu den Besonderheiten des §130a. Wie sein Vorgänger
(bis 1981 ) ist auch der neue § 130a mit "Anleitung zu Straftaten"
überschrieben. Sein Regelungsgehalt geht jedoch nach dem Willen seiner
Verfasser weit über den seines Vorgängers hinaus. Nach der neuen
Vorschrift ist nicht erst eine Bestrafung vorgesehen, wenn eine Schrift "die
Anleitung zu einer in §126Abs.1 Nr.1 bis 6genannten rechtswidrigen Tat enthält..."
(so die alte Fassung), sondern bereits dann, wenn eine Schrift "geeignet
ist, als Anleitung zu einer in § 126 Abs.1 genannten rechtswidrigen Tat zu
dienen, und nach ihrem Inhalt bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu fördern
oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen,..."
§ 126 StGB enthält einen Katalog, der von Delikten wie zum
Beispiel Mord, Totschlag und räuberischer Erpressung bis hin zur Störung
öffentlicher Betriebe, Störung von Fernmeldeanlagen und Beschädigung
wichtiger Anlagen reicht.
Für Nichtjuristen erscheint schwer verständlich, worin denn der
Unterschied der alten und der neuen Fassung des §130a liegen soll.
Dieser Unterschied wird am deutlichsten durch die Betrachtung der
Kommentierungen , wie sie den Tatbestand des alten § 130 a umrissen und
durch einen Vergleich mit der in der Begründung des Gesetzgebers zu der
neuen Vorschrift zum Ausdruck kommenden Intention.
Für § 130 a alte Fassung war erforderlich, daß mehr oder
weniger vollständige und in ihrem Sinn eindeutige Beschreibungen gegeben
werden mußten, wie man eine Katalogtat plant, vorbereitet, erfolgreich
durchführt oder möglichst unerkannt entkommt (vgl. Dreher/Tröndle
StGB-Kommentar, 40. Auflage §130a/Rdnr. 5). Im praktischen Vordergrund
sollten dabei technische Anleitungen zu Sprengstoffdelikten stehen. Ob die
Anleitung brauchbar ist oder nicht, sollte an sich ohne Bedeutung sein, doch
sollten bewußt irreführende Angaben ausscheiden, da es dann an der
Bestimmtheit fehle (vgl. Dreher/Trödler a.a.0.). Im Rahmen des alten §130a
durfte also nur bestraft werden, was schwarz auf weiß gedruckt zu lesen
war und seinem objektiven Inhalt nach eindeutig aus der Schrift hervorging.
Alleiniger Gegenstand für die Bestimmung der Strafbarkeit war die Schrift
selbst, ohne Hinzuziehung weiterer Anhaltspunkte.
Das hat sich nun bei der neuen Version des § 130 a grundlegend geändert.
Der tatsächliche Inhalt einer Publikation tritt in den Hintergrund.
Hauptanknüpfungspunkt für die Aufnahme staatlicher Ermittlungstätigkeit
ist nicht mehr das geschriebene Wort selbst, dessen Verfasser es sodann zu
ermitteln gilt, sondern es wird umgekehrt vorgegangen, indem man sich die "suspekten"
Verfasser und Publikationen ansehen und die Beiträge daraufhin untersuchen
wird, ob sich nicht irgend etwas davon unter Berücksichtigung der Person
und des politischen Standortes ihres Verfassers als strafanleitend
interpretieren läßt.
Entscheidend ist dabei das "geistige Umfeld", in dem man den/die
Verfasser/in ansiedelt, dieses entscheidet über den "wahren"
Gehalt des geschriebenen Wortes. Eigentlich Unverfängliches kann so zur Erfüllung
eines Straftatbestandes emporstilisiert werden.
Dementsprechend wirken Äußerungen über die dem neuen §
130a intendierte Tragweite, wie sie aus dem Rechtsausschuß des Deutschen
Bundestages bekannt geworden sind, sprachlich und inhaltlich geradezu
gespenstisch:
"Erstens gibt es die Befürwortung in Form der indirekten
Aufforderung, zweitens Befürwortung in Form scheinbarer Distanzierung,
drittens die Beschreibungen strafbarer Handlungen mit Nachahmungstendenz,
viertens Befürwortung in Form der Billigung eines historischen Ereignisses
in der Absicht, es als nachahmenswertes Vorbild hinzustellen, ..."
Atemberaubend, wenn man sich strafrechtliche sowie verfassungsrechtliche
Grundsätze vor Augen hält, die bisher als unverrückbar gegolten
haben.
Mit Recht stellen die Strafverteidiger-Initiativen dazu fest: "Nach der
Vorschrift werden nicht konkrete Taten unter Strafe gestellt, sondern es geht um
die Kriminalisierung der Veröffentlichung von Texten, deren Wirkung auf den
Leser nicht feststellbar ist. Strafrechtlich sanktioniert werden sollen
lediglich vermutete Auswirkungen von Veröffentlichungen und vermeintliche
Absichten der Verfasser und Publikatoren. Diese Vorverlagerung des Strafrechts
in den Bereich von Absichten bietet die Möglichkeit der rechtsförmigen
Ausgrenzung von zu Staatsfeinden erklärten politischen Gegnern und eröffnet
damit einer Gesinnungsjustiz Tür und Tor." (abgedruckt zum Beispiel
in: "Generaldirektion Innere Sicherheit", Göttinger AK 1987)
Nun ist es beileibe nicht so, daß die "vermuteten"
Auswirkungen von Veröffentlichungen und die "vermeintlichen"
Absichten ihrer Verfasser nach uneingeschränkt objektiven Kriterien
ermittelt würden. Die Ausfüllung dieser Begriffe wird vielmehr der
Staatsanwaltschaft überlassen, die sich zwar gerne als "objektivste
Behörde der Welt" bezeichnen läßt, wie die Erfahrung lehrt,
aber gerade das Gegenteil davon verkörpert, so daß beim Gebrauch
dieses Superlativs eher an eine Form der Neusprache im Orwell'schen Sinne
gedacht werden muß.
Zur Rolle der Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Aktivierung des § 130
a stellen die Strafverteidiger fest:
"Im übrigen liegt die Definitionsmacht darüber, wann ein Text
'geeignet' und 'bestimmt' ist, als Anleitung zu Straftaten zu dienen und die
Bereitschaft anderer zu wecken oder zu fördern, Straftaten zu begehen und
welche 'Absichten' derjenige hat, der einen solchen Text veröffentlicht,
zunächst bei der Staatsanwaltschaft. Die amtliche Begründung, nach der
es Zweck der Vorschrift ist, 'der Gefährdung der Allgemeinheit durch das
Entstehen eines psychischen Klimas, in dem schwere, sozialschädliche
Gewalttaten gedeihen können, entgegenzuwirken', stellt die gewünschte
weite Auslegung durch die Staatsanwaltschaft sicher."
(Strafverteidiger-Initiative a.a.0.)
Danach kommt es für die Staatsanwälte nur noch darauf an, ihre
Auslegung durch alle möglichen Erkenntnisse zu untermauern. Dazu werden sie
das gesamte System elektronischer Erfassung zu Hilfe nehmen, dieses mit sämtlichen
verfügbaren Daten über die als "Zielobjekte" ihrer
Ermittlungstätigkeit ins Auge gefaßten politisch unliebsamen Personen
füttern und alles von solchen Personen Publizierte in einen komplexen
Zusammenhang bringen, um damit Argumente, Meinungen und Darstellungen, auch wenn
sie historisch oder sachlich in keinem Zusammenhang stehen sollten, miteinander
zu verknüpfen.
Auf der Basis der vom neuen § 130 a ermöglichten weiten Auslegung
und in Ausnutzung dieser geschilderten Vorgehensweise wird es ein leichtes sein,
Straftäter in nahezu beliebiger Zahl und insbesondere zu nahezu jedem
beliebigen Zeitpunkt zu produzieren. Schriftsteller, Journalisten, Buchhändler,
Flugblattverfasser und -verteiler - nur um die Hauptbetroffenen der neuen
Strafvorschrift zu nennen - werden alle die ausufernde Reichweite des §
130a zu spüren bekommen, vorausgesetzt, sie werden (von den staatlichen
Ermittlungsbehörden) dem entsprechenden politischen Umfeld zugerechnet.
Damit ist klar, daß beispielsweise die Darstellung eines bestimmten
Geschehens strafrechtlich unterschiedlich bewertet werden wird, je nachdem, ob
diese in einem Chemie-/Physikbuch, im Spiegel oder etwa in der Zeitschrift "Radi
Aktiv" abgedruckt wird oder ob diese aus der Feder eines Journalisten
stammt, der ohnehin auf der Abschußliste der Ermittlungsbehörden
steht oder aber eines solchen, dem man nichts anhaben will oder an den sich die
Ermittlungsbehörden - etwa aus Gründen politischer Opportunität -
nicht herantrauen.
Die Redakteure der zuvor zitierten Zeitschrift "Radi Aktiv"
bekamen bereits einen Vorgeschmack dieser "Erosion des Rechtsstaates"
(und hierin ist eine solche zu sehen - nicht aber in dem von Strauß,
Zimmermann &Co. gemeinten Sinne) zu spüren. In dem gegen sie vor dem
Amtsgericht Nürnberg geführten Verfahren schreckten Staatsanwalt und
Gericht noch nicht einmal davor zurück, die ihnen jetzt aus der neuen
verschärften Fassung des § 130 a an die Hand gegebenen Grundsätze
gleich auf andere Vorschriften, in diesem Fall § 111 StGB (Öffentliche
Aufforderung zu Straftaten), zu übertragen (vgl. Bericht "Feuertaufe für
Sicherheitsparagraph 130a" in der taz vom 3.3.1987). Und dies, obwohl §
130a StGB zum Zeitpunkt des Verfahrensbeginns (geschweige denn zum Zeitpunkt der
Herausgabe der Zeitschrift als dem behaupteten Deliktsbeginn) noch gar nicht
rechtsgültig war und weiter, obwohl selbst der Bundesgerichtshof (BGH) den §
111 StGB sehr eng ausgelegt wissen will. Allerdings handelt es sich bei dem
Urteil des BGH (vom 14.3.1984, BGHSt 32, Nr. 53) um ein Verfahren gegen
Rechtsradikale, die Parolen wie "Tod Wehner und Brandt", "Hängt
Brandt" an Wände gesprüht hatten. Kaum verwunderlich, daß
ein deutsches Gericht einmal austestet, inwieweit sich unter bestimmten Umständen
- konkret also dann, wenn es etwa gegen ein links-oppositionelles Umfeld geht,
welches dem Gericht politisch ferner steht - nicht doch andere Maßstäbe
anlegen lassen. Daß dabei verschiedene Grundrechtsbestimmungen (zum
Beispiel Art.103 Abs. 2 GG) und daraus abgeleitete unverrückbare
strafrechtliche Grundsätze (§2 Abs. 2 StGB) auf der Strecke bleiben
scheint für die bayerische Justiz mittlerweile selbstverständlich zu
werden; von der Mißachtung der elementarsten Grundrechte auf Meinungs- und
Pressefreiheit erst gar nicht zu reden.
Es bedarf kaum noch der Erwähnung, daß der Urteilsspruch in dem "Radi
Aktiv"-Verfahren, bei dem es vor allem um die nebenstehend abgebildete
Titelseite und verschiedene unter anderem in diesem Heft enthaltene Passagen
ging, nur durch die unhaltbare Konstruktion eines "Gesamtzusammenhanges"
zustande kam (vgl. "Der Spiegel" 11 /1987, S. 69). Der Strafverfolger
legte eine Vielzahl verschiedenster Textstellen aus früheren "Radi
Aktiv"-Ausgaben vor, die zueinander in keinem konkreten Kontext standen und
bastelte auf diese Weise den Tatvorwurf zusammen . Zu diesem Zweck mußten über
20 Textseiten herangezogen und verlesen werden. In Konsequenz dieser
Konstruktion stufte der Staatsanwalt die Verfasser kurzerhand als "militante
WAA-Gegner" ein, die "den Boden für den Terrorismus"
bereitet hätten. § 130 a hat auf diese Weise seine "Feuertaufe"
erfahren (taz, a.a.0.) und seinen "Testlauf" absolviert ("Der
Spiegel", a.a.0.).
Ziel solchen Vorgehens ist "die Vernichtung einer Zeitschrift und
Abschreckung sowie innere Zensur für andere" (Uwe Maeffert in seinem
taz-Interview vom 3.3.1987) "Die Androhung derartiger staatlicher
Repressionen wird die gewünschte Wirkung erzielen, ohne daß es noch
eines Gerichtsverfahrens bedürfte: 'Angst vor dem eigenen Wort` und damit
'Zensur von der schlimmsten Art` sind die Folgen" (Erkl. der
Strafverteidiger-Initiativen, a.a.0.).
Weitere Folgen werden Haus- und Buchladendurchsuchungen und die
Beschlagnahme von Druckwerken bis hin zur gesamten Auflage sein. Daß
dadurch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und speziell auf Pressefreiheit in
seinem Kern torpediert wird, stört die staatlichen Ermittler in diesem
Zusammenhang wenig. Mit dem Schlagwort von der "terroristischen Bedrohung"
läßt sich im derzeitigen politischen Klima der Bundesrepublik nahezu
alles begründen.
Kein Wunder also, daß die Einführung des § 130a als
Bestandteil des "Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus" überschriebenen
Strafrecht-Änderungsgesetzes erfolgte. "Terrorismus" in einem
Atemzug mit Demonstrationen, Aktionen zivilen Ungehorsams oder bloßen
Sachbeschädigungen oder ganz allgemein in Bezug auf politisch
Andersdenkende gebraucht, soll ein Klima schaffen, das geeignet ist, staatlichen
Aktivitäten gegen die dabei handelnden Personen in unbegrenztem Ausmaß
den Stempel der Rechtmäßigkeit aufzudrücken. Dabei werden die
Anforderungen für die Feststellung der Rechtmäßigkeit
staatlichen Handelns immer niedriger angesetzt. Wo staatliche Maßnahmen
sich nicht im Einklang mit geltendem Recht befinden, muß dann entweder der
Mantel des Schweigens helfen oder es werden - wenn es gar nicht anders geht -
gegenüber der Öffentlichkeit die Fakten so gedreht, daß deren
Zustimmung sicher ist. Kein Wunder auch, daß der Souffleur der
Bundesregierung in Sachen politischen Strafrechts, Generalbundesanwalt Rebmann,
bereits dazu übergeht, den Keil weiter zu treiben, indem er - für
diesen Bereich völlig inkompetent - für Aufrufe zum Boykott der Volkszählung
geradezu blindwütig die Verhängung der höchstmöglichen Bußgelder
fordert. Nur ein kleiner Schritt noch, bis er jenen Personen, die insoweit noch
zivilcouragiert handeln, ebenfalls den Stempel des "Terroristischen"
aufdrückt?
Unsere Antwort darauf kann nur heißen, uns nicht beirren zu lassen und
nicht davon abzulassen, von unseren Grundrechten auf Meinungs-, Presse- und
Informationsfreiheit Gebrauch zu machen. Möglich, daß in diesem
Postulat demnächst bereits ebenfalls eine Anleitung zu Straftaten gesehen
werden wird...
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