Der Ausbau des Repressionsapparates in den 70er Jahren

Eine Übersicht

aus : 70/20 Jahre Rote Hilfe

Gegen die starke revolutionäre Linke und die Guerilla wird ab Beginn der 70er Jahre ein gigantischer Repressionsapparat ausgebaut. Eine ganze Reihe von Gesetzesverschärfungen und Verstärkungen des Repressionsapparates werden beschlossen :

1971 treten das 11. und 12. Strafrechtsänderungsgesetz in Kraft, mit denen die Strafen für Flugzeugent führung und Geiselnahme verschärft werden.

Im Januar 1972 wird gegen die kommunistischen Organisationen der "Extremistenbeschluß" gefaßt, der Grundlage für Berufsverbote kommunistischer Lehrer und sonstigen Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist. In den folgenden Jahren werden Tausende von dieser Maßnahme betroffen.

Gleichfalls 1972 wird mit dem "Schwerpunktprogramm Innere Sicherheit" der Ausbau des BKAs und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die Aufstockung der Bereitschaftspolizeien der Länder und des Bundesgrenzschutzes beschlossen.

Im Juni 1972 verabschiedet der Bundestag das Verfassungsschutzgesetz, das die Überwachungsmöglichkeiten für den Verfassungschutz ausdehnt und die wechselseitige Amtshilfe zwischen Gerichten und Behörden und dem Bundesverfassungsschutz einführt. Mit dem Bundesgrenzschutzgesetz erhält der BGS um fassendere polizeiliche Befugnisse für das Landesinnere. Im September 1972 wird die GSG 9 gegründet.

Mitte bis Ende der 70er Jahre ist die Zeit der großen "Terroristen"verfolgung: Der Repressionsapparat wird vor allem auf die Verfolgung der RAF, ihrer wirklichen oder vermeintlichen Sympathisantlnnen und Unterstützerlnnen und auf die Unterdrückung der Gefangenen aus der RAF im Knast und im Gerichtssaal ausgerichtet. Diese Maßnahmen betreffen die gesamte bundesdeutsche Linke.

Im Februar 1974 beschließt die Innenministerkonferenz die Erweiterung des "Programms für die Innere Sicherheit der BRD". Es beinhaltet die Koordinierung der Verfassungsschutzbehörden und deren Zusammenwirken mit anderen Nachrichtendiensten und der Polizei, die Zusammenarbeit im EG-Bereich, das einheitliche Vorgehen der Polizei bei Demonstrationen und anderen Ereignissen mit politischem Charakter sowie die Einsatzbereitschaft der Mobilen Einsatzkommandos.

Im November 1974 findet auf Beschluß der Innenministerkonferenz eine groß angelegte Fahndungsaktion gegen die RAF, die "Aktion Winterreise" statt. In einer unangekündigten Gemeinschaftsaktion sämtlicher Polizei und Grenzschutzeinheiten werden in der gesamten BRD Straßensperren errichtet und von schwerbewaffneter Polizei scharfe Kontrollen durchgeführt. Als links geltende Anwaltskanzleien, Büros, Druckereien und Wohngemeinschaften werden durchsucht.

Im Dezember 1974 wird mit dem "Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts" die Höchstzahl der Wahlverteidiger begrenzt, das Verbot der Mehrfachverteidigung eingeführt, Verteidigerausschlüsse ermöglicht und eine Handhabe eingerichtet, die Hauptverhandlung ohne Angeklagte bei "verschuldeter Verhandlungsunfähigkeit" durchzuführen.

Im April 1975 beschließt die Innenministerkonferenz eine weitere Zentralisierung der Fahndungskompetenzen beim BKA. Das BKA erhält eine Abteilung "T" (Terrorismus).

1975 wird begonnen, das Vorgehen gegen den "Terrorismus" international zu koordinieren. Die Justizminister der 18 Mitgliedsländer des Europarates beschließen, "Terroristen" kein politisches Asyl mehr zu gewähren, Interpol soll weiter ausgebaut werden. Die "polizeiliche Zusammenarbeit" zwischen dem BKA und den politischen Polizeien von zunächst acht, später elf EG-Staaten wird organisiert.

Im Mai 1976 tritt das 14. Strafrechtsänderungesetz in Kraft. Es stellt die "verfassungsfeindliche Befürwortung" von Gewalttaten und die "Anleitung" dazu unter Strafe [u.a. §§ 88a, 130a).

Am Morgen des 9. Mai 1976 wird Ulrike Meinhof tot in ihrer Zelle aufgefunden. Die offizielle Version lautet sofort auf Selbstmord. Wie in Zukunft bei solchen "Selbstmorden" noch häufiger, wird die Obdukion so durchgeführt, daß die Aufklärung der Todesumstände unmöglich gemacht wurde.

Im Juni 1976 beschließt die Innenministerkonferenz einen Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz, das u.a. den polizeilichen Todesschuß legalisiert.

Ebenfalls im Juni 1976 wird das "Anti-Terror-Gesetz" verabschiedet. Das Gesetzespaket schafft zahlreiche neue Bestimmungen, insbesondere den Straftatbestand "Bíldung einer terroristisehen Vereinigung" (§ 129a) und die Möglichkeit, den Schriftverkehr zwischen Verteidigern und politischen Gefangenen zu überwachen.

Der § 129a StGB bietet vielfältige Möglichkeiten zur Kriminalisierung, neben der Bildung z.B. die Unterstützung, die Werbung' und "Beihilfe zur Unterstützung" einer "terroristischen Vereinigung" weiterhin bietet er die Möglichkeit zur breiten Ausforschung und Denunziation politischer Zusammenhänge Seitdem bildete er Grundlage zahlreicher Ermittlungen gegen linke Gruppen und Publikationen.

Eine Europäische Konferenz zur Inneren Sicherheit beschließt im Juni 1976, Expertengruppen zu bilden, die Lösungsvorschläge für eine engere Zusammenarbeit u.a. in den Gebieten Terrorismusbekämpfung, Technik, Ausrüstung und Aufrüstung der Polizei sowie Austausch von Polizeibeamten erarbeiten sollen - der Start der TREVI Gruppe.

Im Januar 1977 wird das "Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus" ("Anti-Terror-Konvention") von 17 Staaten unterzeichnet. Die Staaten vereinbaren eine enge Zusammenarbeit. In Zukunft können diese Staaten eine Auslieferung in die BRD nicht mehr verweigern.

Am 6. September 1977 wird über alle Gefangenen, die nach § 129 verfolgt werden, eine Kontaktsperre verhängt, die jeglichen Kontakt untereinander und zur Außenwelt, ausgenommen den staatlichen Behörden, abschneidet. Da es für diese Maßnahme keine gesetzliche Grundlage gibt, beruft sich die Bundesregierung auf den "übergesetzlichen Notstand". Am 2.10. wird dieser Zustand mit dem "Kontaktsperregesetz" legalisiert.

Am Morgen des 19.10.1977 werden die seit dem 6.9.1977 unter Kontaktsperre stehenden Gefangenen aus der RAF Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe tot in ihrer Zelle aufgefunden. Irmgard Möller überlebt schwerverletzt. Auch hier lautet die staatliche Version sofort auf Selbstmord. Obwohl Irmgard Möller als einzige Überlebende bestreitet, daß die Gefangenen Selbstmord begangen haben und es zahlreiche Ungereimtheiten gibt, wird die Version aufrechterhalten. Jahrelang werden alle, die sagen: "das war Mord", verfolgt.

Quellen: Dokumente der Zeitgeschichte, BRD/RAF, GNN-Verlag, Köln, 1987, Schwarze Texte, Politische Zensur in der BRD 1968 bis heute, Amsterdam, 1989