From: IMI@GAIA.de
(Informationsstelle Militarisierung e.V.) Liebe Freundinnen und Freunde!
Claudia Haydt ist eine (sehr aktive) Beirätin der Informationsstelle Militarisierung
(IMI) e.V.. Von ihr stammte z.B. die erste Erklärung von IMI zum Angriffskrieg der NATO
gegen Jugoslawien [IMI 0046]. Claudia Haydt ist am Wochenende aus ihrer (bisherigen)
Partei "Bündnis 90 / Die Grünen" ausgetreten. Sie hat dazu eine Begründung
geschrieben, die wir
im folgenden dokumentieren.
Der Parteiaustritt wurde von einer Reihe von Medien aufgegriffen (dpa: verschiedene
Meldungen, die bundesweit von vielen Zeitungen übernommen wurden, Südwestrundfunk (SWR):
Radio-Meldung, Studio-Gespräch, Fernsehmeldung, Schwäbisches Tagblatt u.a. Eine der
dpa-Meldungen sowie einen der Berichte im SWR und den Bericht im Schwäbischen Tagblatt
dokumentieren wir hier im Anschluß an die Begründung von Claudia Haydt.
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Claudia Haydt
Burgholzweg 116/1
72070 Tübingen
Tel. 07071/42367
Stadträtin und Fraktionsvorsitzende der Alternativen und Grünen Liste Tübingen
Hiermit teile ich meinen Austritt aus der Partei Bündnis 90 / Die Grünen mit.
Eine weiteres Verbleiben in dieser Partei ist für mich weder vertret- noch verantwortbar,
denn
1. Bündnis 90 / Die Grünen hat sich nun vollständig von einer pazifistischen Partei zu
einer Kriegstreiberpartei entwickelt,
2. durch ehemals pazifistische Identifikationsfiguren wurde die Kriegsrhetorik hoffähig
gemacht, und
3. durch die Befürwortung dieses verfassungswidrigen Krieges wird ein weiterer Beitrag
dazu geleistet, daß Völkerrecht durch Faustrecht ersetzt wird.
Es ist fahrlässig die komplexe Krise im Kosovo auf die Entscheidung zwischen
"tatenlos zusehen" oder "Kriegführen" zu reduzieren. Nun wird von
Menschen, die es eigentlich besser wissen, gebetsmühlenhaft betont, man habe ja nicht
länger zusehen können und müsse jetzt mit Bomben Frieden bringen. Durch Bomben läßt
sich kein Frieden schaffen! Das Gegenteil ist der Fall, Gewalt gebiert Gegengewalt. Warum
jetzt hunderte von Menschen durch NATO-Bomben sterben müssen, um das Morden im Kosovo
"endgültig" zu beenden, leuchtet schon ohne pazifistische Grundhaltung nicht
ein. Gleichzeitig sorgen die Bomben für eine Destabilisierung der gesamten Region und die
Auswirkung auf die Ost-West-Beziehungen insgesamt sind alles andere als der direkte Weg
zum Weltfrieden.
Die Grünen sind in die argumentative Falle getreten, vor der sie selbst immer gewarnt
haben. Noch 1994 warnte selbst Joschka Fischer davor, daß "humanitäre"
Begründungen, zum Türöffner für die weltweite Interventionsfähigkeit der Bundeswehr
werden könnten (1).
Grüne Politiker/innen haben dafür gesorgt, daß Alternativen zum Krieg gar nicht mehr
ernsthaft erwogen werden konnten. Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, darauf hinzuweisen, daß
bisher für friedliche und wirklich humanitäre Alternativen nur ein Bruchteil der
Ressourcen zur Verfügung standen, die jetzt für den Krieg zur Verfügung stehen. Statt
dessen haben grüne Politiker/innen die Existenz von Alternativen geleugnet. So haben sie
alternative Lösungen erst totgeredet und nun sorgen sie mit dafür, daß die schwachen
Ansätze von Ausgleich, Kompromiß und Hoffnung auf politische Lösungen vollends
totgebombt werden.
Grüne Identifikationsfiguren haben durch ihr noch vorhandenes moralisches Gewicht dazu
beigetragen, daß Krieg zur "humanitären Aktion" erklärt werden konnte. Sie
waren neben den Medien ein ganz zentraler Faktor für die breite Akzeptanz des
NATO-Krieges. Da "nicht einmal mehr die Grünen" gegen den Einsatz waren,
entstand in der deutschen
Öffentlichkeit der Eindruck, daß der Krieg unausweichlich und gerechtfertigt sei.
Die Gewinner dieses Krieges sind die Hardliner und Kriegstreiber auf allen Seiten, sowie
die Kriegswaffenindustrie. Verlierer sind die kritischen demokratischen Kräfte in allen
Lagern, besonders in Serbien, im Kosovo, in Rußland. Schaden nimmt auch die UNO und das
Völkerrecht, das nun nach der Bombardierung des Irak zum zweiten Mal innerhalb kurzer
Zeit ausgehebelt wurde und das so immer mehr zur Bedeutungslosigkeit verdammt ist.
Unsensibel und ohne historisches Bewußtsein führt deutsches Militär nun seinen ersten
Kriegseinsatz nach dem 2. Weltkrieg ausgerechnet gegen Serbien. In diesem Land haben
deutsche Truppen schon während des Dritten Reiches mit äußerster Brutalität gewütet.
Die Erinnerung daran ist in der serbischen Bevölkerung noch heute lebendig. Und wieder
fallen
deutsche Bomben auf Belgrad! Es ist mehr als beschämend, an welche Tradition Deutschland
hier anknüpft.
Eine Partei, die mit Orwellschem Vokabular arbeitet, die Völkerrecht bricht und die
mithilft, deutsches Militär wieder in allen Regionen der Welt einsetzbar zu machen, eine
solche Partei kann nicht mehr meine Partei sein.
Mit etwas wehmütigen und dennoch friedlichen Grüßen
Claudia Haydt
(1) "Für die Zukunft sehe ich die erhebliche Gefahr, daß die Bundesregierung,
Koalition und Generalität nach den Gesetzen der Salamitaktik Anlässe suchen und Anlässe
schaffen werden, um die Barrieren abzuräumen, die es gegenüber der Außenpolitik des
vereinigten
Deutschlands noch gibt. Als Vehikel dienen dabei die Menschenrechts- und´
Humanitätsfragen." (30.12.1994, Die Woche)
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dpa-Meldung 1:
Kosovo-Konflikt - Tübinger Grüne verläßt Partei
Tübingen. Wegen des Kosovokonfliktes hat Claudia Haydt, Fraktionsvorsitzende der
Grünen im Tübinger Gemeinderat ihrer Partei den Rücken gekehrt. "Bündnis 90 / Die
Grünen hat sich nun vollständig von einer pazifistischen Partei zu einer
Kriegstreiberpartei entwickelt", begründete die Religionssoziologin gestern ihren
Austritt. Nach Haydts
Auffassung wurde "durch ehemals pazifistische Identifikationsfiguren die
Kriegsrhetorik hoffähig gemacht". Durch Bomben lasse sich aber kein Frieden
schaffen. Grüne Politiker hätten mit dafür gesorgt, "daß Alternativen zum Krieg
gar nicht mehr ernsthaft erwogen werden konnten".
(...)
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SWR-Meldung 1:
Tübingen. Die grüne Fraktionsvorsitzende im Tübinger Gemeinderat, Claudia Haydt, ist
wegen des Kosovokonflikts aus der Partei Bündnis 90/ Die Grünen ausgetreten. Die
Bündnisgrünen hätten sich vollständig zu einer Kriegstreiberpartei entwickelt, so
Claudia Haydt. Grüne Politiker hätten dafür gesorgt, daß Alternativen zum Krieg im
Kosovo nicht
ersthaft erwogen werden konnten. Claudia Haydt will trotz des Austritts vorerst
Fraktionsvorsitzende der Alternativen und Grünen Liste im Tübinger Gemeinderat bleiben.
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Schwäbisches Tagblatt Meldung:
Tübingen (mi). Die grüne Basis bröckelt: Claudia Haydt, die Vorsitzende der AL-Fraktion
im Tübinger Gemeinderat, ist am Samstag aus der Partei ausgetreten. Ihre Begründung: Die
Grünen hätten sich "zu einer Kriegstreiberpartei entwickelt." "Durch
Bomben läßt sich kein Frieden schaffen", schreibt die frühere grüne Kreisrätin
und jetzige Stadträtin in einer Pressemitteilung. Mit ihrere Zustimmung zu den
Bombenflügen der Bundeswehr hätten grüne Spitzenpolitiker "die Kriegsrhetorik
hoffähig gemacht." Haydt, die auch im Beirat der Tübinger Informationsstelle
Militarisierung (IMI) sitzt: Es wäre Aufgabe der Grünen gewesen, darauf hinzuweisen,
daß bisher für friedliche und wirklich humanitäre Alternativen nur ein Bruchteil der
Ressourcen zur Verfügung standen, die jetzt für den Krieg zur Verfügung stehen."
Mit ihrer Befürwortung "dieses verfassungswidrigen Krieges" trügen die Grünen
dazu bei, "daß Völkerrecht durch Faustrecht ersetzt wird." Besonders bitter
für die
langjährige (seit 1988) Grüne: "unsensibel und ohne historisches Bewußtsein führt
deutsches Militär nur seinen ersten Kriegseinsatz nach dem zweiten Weltkrieg ausgerechnet
gegen Serbien. In diesem Land haben deutsche Truppen schon während des Dritten Reiches
mit äußerster Brutalität gewütet."
(...)
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