Karl Müller´s Homepage
Texte zur Kritik  

Vorarbeiten zu "Ästhetisierung des Politischen", erschienen in: Spezial 103, 1996, Hannover

Theoriefragmente für eine Zustandsbeschreibung
[1995]

Über das Geschlechterverhältnis

Die Frauenbewegung, die sich als selbständig und eben nicht als Teil der sogenannten neuen sozialen Bewegungen begriff und sich als eigenständige neben die Klassenbewegungen setzte, holte die patriacharchlische Gewalt aus dem privaten Bereich und machte sie als strukturelle quer durch alle anderen sozialen Verhältnisse sichtbar. Sie deckte den Zusammenhang von Sexualität und Herrschaft auf und kritisierte die männlich verfügten Dichotomien von Öffentlichem und Privatem, Körper und Geist, Natur und Mensch. Sie enthüllte den Menschheitsbegriff der Aufklärung als männliche Abstraktion und griff die gesamte Philosophie inklusive der linken Denker als auf patriarchalen Prämissen beruhend an. Entlang der Diskussion um die Bedeutung der Hausfrauenarbeit und der Subsistenzproduktion im Trikont wurde der aus der Kritik der politischen Ökonomie abgeleitete Arbeitsbegriffs problematisiert und als unzureichend zurückgewiesen. Schließlich wurde herausgearbeitet, daß trotz aller Klassen- und "Rassen"-Hierarchien das Geschlechterverhältnis zwar auch ein Ausdruck wertvermittelter Sozialbeziehungen an der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft ist, aber dennoch nicht in diesen Verhältnissen aufgeht.

Durch zahllose Partizipationskämpfe (Kita, § 218, Quotierung) und durch direkte Angriffe auf patriarchalische Strukturen (Sexismus, Pornografie, Gentechnologie) entstanden politisch-kulturelle Zusammenhänge, die sich der Definitionsmacht der Männer entzogen und den eigenen frauenspezifischen Wertstrukturen Ausdruck verliehen. Mit dem Beharren auf einer Politik der ersten Person erfolgte die Entkoppelung von den kollektiv-hierarchischen Politikkonzepten der in der Männerlogik gefesselten bürgerlichen und marxistischen Parteien. So bewirkten Theorie und Praxis der Frauenbewegung eine Infragestellung des Monopolanspruchs auf gesellschaftliche Emanzipation, wie er von den kommunistischen uns sozialistischen Parteien - gestützt auf ihre eigentümliche Interpretation der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie - erhoben wurde. Eine zeitgenössische Rekontruktion der Marxschen Theorie kommt daher an dieser Infragestellung nicht vorbei. Untauglich erweist sich hier der von werttheoretischer Seite unternommene Versuch, diese Kritik mihilfe der Kategorien von Ware, Wert und Gebrauchswert aufzufangen, um letztlich nur dem universalistischen Erklärungsanspruch einer hegelianischen Interpretation der Marxschen Werttheorie zu genügen. Naheliegender wäre es, ein zentrales erkentnistheoretisches Problem der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zur Kenntnis zu nehmen, das darin besteht, daß das wissenschaftlich erkennende Subjekt in der bürgerlichen Gesellschaft als Realsubjekt das Objektive immer auch geschlechtspezifisch wahrnimmt.

Der wertheoretische abgeleitete Klassenbegriff schafft zwar einen erklärenden Zugriff auf die Wirklichkeit sozialer Verhältnisse, aber die Werttheorie entfaltet ihre Begrifflichkeiten unter Absehung von historischen Voraussetzungen und vom konkreten Wirken der sozialen Beziehungen. Auf dieser erkenntnistheoretischen Ebene erscheint das Kapitalverhältnis tatsächlich geschlechtsneutral. Dies motivierte die feministische Kritikt zu behaupten, daß die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie letztlich nur ein sich in Männersprache ausdrückendes Theorem sei, das sich zur Aufrechterhaltung von Männerherschaft geschlechtslos larvieren muß.

Die Dualität von wertvermittelter Klassenstruktur und Patriarchat, wie es historisch aus der naturalwirtschaftlichen Produktionweise hervorgegangen ist, verschränkt sich in der bürgerlichen Gesellschaft durch Rollenzuweisungen zwischen den Geschlechtern, die die Wahrnehmung der Realsubjekte in der Art eines stummen Zwangs der Verhältnisse formt. In diesem Sinne sind wahrgenommene objektive Verhältnisse immer subjektiv verarbeitete oder bearbeitete, d.h. sie sind der männlichen Definitionsmacht unterworfen, wie sie sich wiederum auch auf der Grundlage der vom Kapitalverhältnis strukturierten Sozialbeziehungen vermittelt.

Der zentrale soziale Ort für die Verschränkungen zwischen Klassenstruktur und Patriarchat ist nach wie vor in der bürgerlichen Gesellschaft der familiale Zusammenhang. Während das Subjekt seine klassenspezifische Identität aus der Warenlogik ableitet, werden in der Familie diese Verdinglichungen kompensiert und infolgedessenSelbstaffirmation weiblicher Identität und Männermacht perpetuiert. Diese Strukturen, die die Asymmetrie der Geschlechter bewirken sind sowohl klassenübergreifend als auch kompatibel zu den Machtverhältnissen in der bürgerlichen Klassengesellschaft. Der Staat als männerdominierte Machtagentur des Klassenverhältnisses sanktioniert und kontrolliert die Familie als sozialen Ort für Konstruktion und Reproduktion von Geschlechteridentität. Diese Normierungen wirken von dort aus in die Gesellschaft zurück und stützen die Ideologie von den biologistischen Bestimmungsgründen geschlechtspezifischer Arbeitsteilung und männlich geformten Herrschaftstrukturen. In dieses bürgerliche Deutungsmuster geht aber noch ein weiteres ein, das sich über die Wertvergesellschaftung vermittelt, nämlich daß die familiale Geschlechterbeziehung eine freie Verbindung von rechtsgleichen Willenssubjekten ist. Die inhaltliche Bezüge zwischen beiden Deutungsmustern werden jedoch sukzessive brüchig. Zum einen dünnt das empirische Material zur Begründung biologistisch bestimmter Sozialcharaktere aus, zum andern depersonalisieren sich die ökonomischen Verhältnisse hin zu sogenannten personenunabhängigen Sachzwängen. Die an der Bestimmung des Geschlechterverhältnisses immer noch haftenden naturalistischen Relikte beginnen dadurch als Besonderung innerhalb dieser gesamtgesellschaftlichen Tendenz zu erscheinen und motivieren die Realsubjekte zur Aufhebung. Die Integration von feministischer Gesellschaftkritik und der Kritik der politischen Ökonomie wird daher nicht erster Linie durch die theoretische Debatte befördert werden, sondern die praktischen Verhältnisse werden dies als Notwendigkeit hervortreiben.