Stadt. Land. Fluß




Gotham City und die Zukunft des öffentlichen Raumes
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Wuppertal - Revolte vor der Rathausgalerie

von Ulrike Granitzki

Unter dem Motto "Heraus zur Steckrübenschlacht!" protestierten Ende Februar in Wuppertal ca. 100 Menschen gegen Ausgrenzung und Vertreibung in den Innenstädten. Der Name "Steckrübenschlacht" sollte daran erinnern, daß am 27. Februar 1917, also genau 80 Jahre vorher, über 10.000 Wuppertaler Arbeiterinnen und Arbeiter militant gegen ihre immer größer werdende Armut (symbolisiert durch den Steckrübeneintopf) und die damalige Kriegspolitik demonstrierten, indem sie durch die Stadt stürmten, das Rathaus demolierten und Lebensmittelgeschäfte plünderten.

Heute, 80 Jahre später, gibt es hier auch wieder mehr und mehr Armut, die deutlich sichtbarste Form davon sind Obdachlose und Bettler. Sie müssen ihr Leben auf der Straße bzw. in der Fußgängerzone, auf jeden Fall in der Öffentlichkeit, verbringen. Durch diese Öffentlichmachung des Elends (wohlgemerkt: nicht durch das Elend an sich!) jedoch fühlen sich in den letzten Jahren immer mehr EinzelhändlerInnen sowie Dienstleistungs­ und Finanzkonzerne gestört bzw. werden in der Durchsetzung ihrer Interessen behindert. Diese Interessen sind u.a. schlicht und einfach, den BürgerInnen möglichst ungestörten Konsum zu sichern. Dabei sind sogenannte Randgruppen (die natürlich erst einmal ausgegrenzt und an den Rand gedrängt werden müssen, um "Randgruppen" zu werden) wie Junkies, DrogendealerInnen, illegalisierte MigrantInnen und eben Bettler und Obdachlose nicht nur ein Dorn im Auge, denn sie stören das öffentliche Bild von "Ordnung und Sauberkeit".

Es werden sterile Einkaufspassagen gebaut, in Wuppertal z.B. die Rathausgalerie, in denen dann private Sicherheitsdienste eingesetzt werden, um Nichtkonsumenten abzuschrecken bzw. zu vertreiben, wenn sie sich nicht abschrecken lassen.

Auch die DemonstrantInnen, die hier am 27. 2. 97 gegen die neue Innenstadtpolitik mit all ihren Ausgrenzungsstrategien protestierten, waren nicht zum Einkaufen gekommen. Deshalb wurden sie auch nach zehn Minuten vom Sicherheitsdienst massiv zum Verlassen der Rathausgalerie genötigt. Diese zehn Minuten jedoch nutzten sie für eine super­lustige Aktion: Als Bonzen/Geschäftsleute verkleidet (teilweise sehr stilecht mit Anzug, Hemd und Krawatte bzw. Stöckelschuhen, auch die Aktentaschen fehlten nicht) kamen sie durch die Tiefgarage (geschickt, geschickt...) in das Einkaufszentrum, um dort nach amerikanischem Vorbild zu demonstrieren, was nichts anderes heißt, als mit Pappschildern im Kreis zu gehen (wahlweise auch durch Sprechchöre begleitet). Auf die Pappschilder hatten sie vorher Sprüche wie "Eure Armut kotzt mich an", "Leistung lohnt sich wieder", "Gott schütze unsere Stadt" oder einfach "Gegen Ausgrenzung und Vertreibung". So gingen sie denn eine Weile lustig im Kreis umher, was natürlich nicht nur für Erheiterung sorgte. Schöne Grüße an die Männer vom privaten Sicherheitsdienst...

Vorm Eingang der Rathausgalerie wurde jedoch nicht aufgegeben: Mit der Gitarre "bewaffnet" setzten sich die DemonstrantInnen auf dem Boden ausgebreitete Decken und machten so klangvoll auf sich und ihr Anliegen aufmerksam. Was das nun eigentlich war, konnten die Passanten auf den zahlreich verteilten Flugblättern lesen, in denen die Problematik der Innenstadtpolitik beschrieben wurde. Dabei konnten sie Steckrübeneintopf schlürfen, den die OrganisatorInnen (übrigens zum größten Teil Autonome und Umfeld aus Wuppertal) gekocht hatten.

Alles in allem war die Aktion ziemlich witzig und insofern "erfolgreich", als daß viele Leute auf Prozesse wie die architektonische Umstrukturierung weg von klassischen öffentlichen Kommunikationsorten (Plätze, Parks, etc.) und hin zu Einkaufszentren , sogenannten 'Malls' und Erlebnisparks, einhergehend mit einer politischen und sozialen Umstrukturierung aufmerksam gemacht wurden. Letztere bezieht sich auf all die Maßnahmen, durch welche die im Zuge von Sozialklau und weltweiter Umverteilung an den Rand gedrängten und ausgegrenzten Gruppen aus dem öffentlichen Raum vertrieben werden sollen.

Alle Register von viertelstündlichen Kontrollen über willkürliche Festnahmen bis hin zu regelrechten Hetzjagden werden auch gezogen, wenn es um Drogenszenen in der Innenstadt geht. In den Wuppertaler Junkies und DealerInnen (hier sind nur die gemeint, die auch öffentlich als solche agieren) z.B. haben anscheinend Polizeistaat und EinzelhändlerInnen einen gemeinsamen Feind gefunden. Die "Szene" hatte sich nämlich immer am Döppersberg getroffen, da, wo mensch zuerst langgeht, wenn er den Hauptbahnhof in Richtung Elberfelder Innenstadt verläßt. In den Augen vieler Kommunalpolitiker jedoch wurde so das öffentliche Ansehen der Stadt gestört. Auch aus diversen Leserbriefen zu dieser Diskussion wurde die Position deutlich, hier präsentiere Wuppertal seine "schmutzigste und dunkelste Seite" (ist wirklich O­Ton; DrogengebraucherInnen und ­verkäuferInnen verkörpern dabei "das Böse" an sich, von dem es die Stadt (und nicht nur die) zu säubern gilt bzw. das zumindest versteckt werden muß). So würden potentielle KundInnen aus anderen Stadtteilen sowie aus der näheren Umgebung Wuppertals abgeschreckt und gingen dann wohl lieber in Remscheid oder Düsseldorf einkaufen.

U.a. dieser Konkurrenzdruck muß Elberfelder Geschäftsinhaber dazu bewogen haben, die Einrichtung einer neuen Polizeiwache am Döppersberg zu initiieren und mitzufinanzieren. Die neue Polizeiwache steht dort nun seit 1995, und die "Szene" ist lediglich dreißig Meter weitergerückt (worden!). Jedoch sind die ihr zugerechneten Personen heftigen Repressionspraxen ausgesetzt: So finden alle Viertelstunden Rundgänge mit Ausweiskontrollen statt, bei denen auch die Menschen erkennungsdienstlich behandelt werden.

Der Artikel ist bereits in Schlagloch, Zeitung der JungdemokratInnen - Junge Linke NRW erschienen.