Stadt. Diskurs




Gotham City und die Zukunft des öffentlichen Raumes
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Wozu Architektur

von Oliver Elser

Ist "städtischer Raum" mit all seinen ideologischen Überformungen so etwas wie das Weichbild, die "Software" der Stadt und ständigen Umwertungen unterworfen, so zählt die Architektur zur "Hardware" und ist in aller Regel der Öffentlichkeit weitgehend entzogen. Das war nicht immer so. Einige Beobachtungen zum Wandel der Stadtpolitik in den letzten 25 Jahren.

"Alles wird zugebaut", im Großen wie im Kleinen: Die letzten Brachen der Innenstädte, auf denen manchmal Unkraut sproß und Autos friedlich parkten, verschwinden und Bürohäusern Platz machen, während dort, wo schon Bürohäuser standen, jetzt noch höhere gebaut werden. "Exklusive Apartments" zum Preis von zig hunderttausend Mark machen sich in den traditionellen Mietwohngegenden der Innenstädte breit und rütteln am bestehenden Sozialgefüge. Verlotterte Fußgängerzonen, in denen an dösigen Samstagnachmittagen höchstens Skater und Sprayer ihre Bahnen zogen, werden durch Marmorfliesen, neue Lampen und viel Kunst (und die neuen Ladenschlußzeiten) zu "Erlebnisboulevards" intensiviert, bewacht nun von einem Trupp Sicherheitsleute, die sich, wie in Frankfurt am Main, gut sichtbar in einen Glaspavillon setzen, um auch selbst den Überblick zu haben, daß sich auch ja kein Gesindel mehr blicken läßt. Jeder Eingriff ein Rückschlag. Architektur verhält sich in diesen Beispielen zum "städtischen Raum" als Gegenspielerin und permanente Bedrohung: Wo immer etwas entsteht, wird vorhandenes verdrängt, weil es nicht mehr profitabel ist und Zutritt erhalten in Zukunft nur noch die, die es sich leisten können. Die Verbotene Stadt - bald nicht nur in Peking, sondern auch in Hamburg, Berlin, Frankfurt und anderswo. Verboten für Huren, Penner, Junkies, Demonstranten, Dealer und natürlich alle, die in den Augen der Ordnungshüter auch nur entfernt danach aussehen.

Friede den Hütten, Krieg den Palästen - Häuser besetzen?

Wem gehört die Stadt? - Darauf eine Antwort zu bekommen, war in den siebziger Jahren noch auf ganz andere Weise möglich, als heute. Zwar mußte, wer Häuser besetzte und entschied, von nun an gehören sie "denen, die drin wohnen", auch damals schon mit der ganzen Härte staatlicher Gewalt rechnen, zugleich aber kündigte sich ein Akzeptanzwandel an: Die Stadt wurde wieder als Wohnort entdeckt, die Trabantensiedlungen stellten sich als gigantische Fehlplanungen heraus, und so durfte das eine oder andere Grüppchen schließlich "instandbesetzen" und sich häuslich niederlassen, wo es die Polizei vorher regelmäßig verscheuchen wollte. Die Qualität der innerstädtischen Wohngebiete, die in den Siebzigern noch verfallen und dann abgerissen werden sollten, um Geschäftshäusern oder Stadtautobahnen Platz zu machen, wurde in den achtziger Jahren - um im Jargon der Neunziger zu sprechen - zum "Standortfaktor". Wer Häuser besetzt, der verdient nach wie vor Unterstützung, doch die Aussichten auf Erfolg sind nunmehr gleich null. Nicht in erster Linie, weil das Klima seither repressiver wurde, sondern weil der stellenweise Erfolg der Hausbesetzerbewegung mit einem Aufschwung der Innenstädte einher ging, der folgenden Besetzergenerationen die Argumente entzog: Applaus aus bürgerlichen Kreisen gab es nie für die Forderung, Bodeneigentum und Mietwucher abzuschaffen, sondern nur für den Einsatz gegen die Zerstörung der gründerzeitlich-großväterlichen Stadt.

Strategie heute: Macht Kunst! Macht Platz

In Ost-Berlin vollzog sich diese Entrwicklung nach 1989 im Schnelldurchlauf. Besetzungen der ersten Stunde wurden unter bürgerkriegsmäßigem Aufgebot ebenso erbittert geräumt, wie sich stille Übernahme und eigenhändige Sanierung ereigneten, je nach Gemütslage von Eigentümern und Innensenator. Eines der bislang resistentesten besetzten Häuser ist die Ruine einer wilhelminischen Einkaufspassage in prominenter Lage: Das "Tacheles", das sich nur deswegen so lange halten konnte, weil die Besetzer von Beginn an behaupteten, sie machten dort Kunst, was dann von der Stadt schnell als Publikumsmagnet erkannt und deswegen gefördert wurde. Jedoch ist auch künstlerisch ambitionierte Okkupation nicht grenzenlos tragbar, denn die Zukunft des "Tacheles" hängt nun davon ab, ob seine Betreiber sich in ein Investorenprojekt integrieren lassen, bei dem das "Kunsthaus" zwar erhalten bliebe, nicht allerdings die dahinterliegende Freifläche, auf der sich zur Zeit noch Schrottskulpturen begegnen und manch laue Sommernacht verbracht werden konnte. Der Investor plant an dieser Stelle einen gepflasterten Platz mit Straßencafés und erwartet "spannende Urbanität", während die Tacheles-Leute fürchten, sich in einem Streichelzoo wiederzufinden. Das schrecklich kitschige und im Grunde reaktionär anti-städtische "unterm Pflaster liegt der Strand" der Siebziger entwickelt dort unerwarteten Charme: Denn der Konflikt an dieser Stelle macht deutlich, wann Subversivität sich einnistet. Nicht ein durchgeknalltes "Kunsthaus" macht Schwierigkeiten, sondern eine gänzlich undefinierte Schlammfläche, auf der seltsame Menschen merkwürdiges Zeug aufstellen und eingraben, direkt neben der Flaniermeile Friedrichstraße. Dort, wo Zuweisungen zu verschwinden drohen, wo erstmal unklar ist, wer hier zu Werke ging, entsteht Verwirrung und droht die angestrebte Koexistenz von "Kunst und Kommerz" zu scheitern.

Architektur ist...

Der Konflikt um die Städte hat sich von den Häusern auf die Flächen dazwischen verlagert. Dort entscheidet sich heute, wem die Stadt gehört - wer in ihr noch eine Chance auf Öffentlichkeit oder einen Schlafplatz bekommt und wer nicht. Von welcher Architektur diese Stadträume begrenzt werden, ist weitgehend egal, denn die spannende Frage ist nicht, wie ein Gebäude aussieht, sondern wie es sich zum umgebenden Raum verhält. Ob Freiräume bleiben, die unreglementierten Zugang versprechen, der zu verteidigen lohnend ist, oder ob die Architektur jede Grenze zwischen Innen und Außen verwischt und im Extremfall die ganze Stadt zum Innenraum und damit zum Privatgelände macht.

... nicht ganz egal

Doch aus den Städten wird nicht nur Kapital geschlagen, nicht nur Sicherheitshysterie erhält dort Nahrung, auch hochsymbolische politische Handlungen finden dort statt. Erreichte die politische Zeichensprache der Ära Kohl in den Achtzigern auf einem Friedhof ihren Höhepunkt (wo, 1985 zum Kapitualtionsjahrestag über SS-Gräbern in Bitburg die Nachkriegszeit schon Jahre vor dem Mauerfall für beendet erklärt wurde), so nimmt diesen Spitzenplatz nach 1989 eindeutig die Christosche Reichstagsverhüllung ein. Architektur ist als Bedeutungsträger nicht zu unterschätzen. Bevor der Bundestag ins Reichstagsgebäude einzieht, muß erstmal bewiesen werden, wie lustig, heiter und unverkrampft das neue Deutschland sein kann. Und auch der "städtische Raum" wird nach Kräften wieder zur Bühne der Politik. Während die 40-Jahr-Feier der Bundesrepublik volksfestmäßig in der Bonner Rheinaue stattfand, zieht es in Berlin niemanden zum Jubeln in den Tiergarten (dort grillen "die Türken"), sondern im Gleichschritt auf die preußische Via Triumphalis "Unter den Linden". Der gespenstige Zapfenstreich der Bundeswehr vor dem Brandenburger Tor und die Rekrutenvereidigung am Charlottenburger Schloß lassen noch einiges erwarten.