Stadt. Diskurs




Gotham City und die Zukunft des öffentlichen Raumes
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Grafiterror

von Markus Halbe

Neueste Kriminalisierungsopfer in bundesdeutschen Städten sind nach der Hatz auf Junkies, Drogendealer, Obdachlose und ausländisch aussehende Menschen jetzt junge Leute, die mit Filzstiften und Farbdosen bewaffnet, Hauswände, Bahnwaggons oder Laternenmasten ihrer Tristesse entreißen. Gekonnt wird über die Medien vermittelt, die Graffiti zerstörten nicht nur die bauliche Substanz der Wände, nein, sie beeinträchtigten das "subjektive Sicherheitsgefühl" der Leute, denn da wo Graffiti ist, ist Armut, Schmutz und damit Gefahr.

Die Graffiti schadeten dem Standortansehen und daher müssen sie und am besten auch ihre Erzeuger weg. Zum Erreichen dieses Zieles begehen unsere Stadtväter und - mütter kuriose Wege. Nachdem der seit Jahren geführte Kampf gegen die Übeltäter mit gezielt operierenden und extra geschulten Einsatzgruppen der Polizei offensichtlich gescheitert ist und die Graffitisten sich dem eher pädagogisierenden Mittel der von den Kommunen bereitgestellten Graffitiwände hartnäckig verwehren und doch lieber über den Rand hinaus malen, versucht man heute über Schleichwege das Ziel zu erreichen.

In Berlin wird seit neuestem eine Verordnung diskutiert, die Hausbesitzer unter Androhung von Ordnungsgeldern bei Nichtbeachtung dazu verpflichtet, ihre Außenwände gefälligst frei von solcherart Schmierereien zu halten. Eine neu eingerichtete 70 Mann starke Truppe von ABM-Kräften achtet darauf, daß frische Writings innerhalb von 24 Stunden wieder von den Hauswänden verschwinden. Welch Niedertracht sagen die einen, da es sich ja um Privatbesitz handelt, der da angetastet wird, und das sei doch immer noch Sache der Bezitzer. Ich sage wow! Ist das doch in Wirklichkeit eine echte Enteignung und zudem auch noch durch einen CDU-Senat!

Soweit wollen die liberalen Frankfurter nicht gehen und so gründete der CDU-Ordnungsdezernent einen Fonds, in dem sich die wirklichen Wohltäter und Standortsicherer der Stadt scharen und einen freiwilligen Beitrag spenden können, der dann darauf verwendet wird, die Schandmale der Stadt zu entfernen (schon jetzt in x-Millionenhöhe!). Weil aber Frankfurt eine wirklich liberale Stadt ist, kann es nicht darum gehen unterschiedslos alle Graffiti zu entfernen. Nein, und das war auf den Leserbriefseiten der lokalen Presse dutzendweise nachzulesen, man müsse unterscheiden zwischen den "künstlerisch wertvollen" und den "häßlichen Graffiti. Bei einigen der ersten müsse wohlfeil erwogen werden, ob sie nicht eventuell doch ... und das gehöre ja irgendwie auch zur ... Urbanität. Andere empören sich darüber, daß es der Stadt gelänge, zur Beseitigung der Sprayings und Tags Millionenbeträge aufzutreiben, auf der anderen Seite aber ein Jugendhaus nach dem anderen zu schließen, dabei könne durch deren Erhaltung doch schon im Vorfeld Schaden vermieden werden, säßen alle potentiellen Täter bei einem guten Schluck Punica am Tische und bastelten Girlanden fürs nächste Grillfest - die SPD-Grüne Präventionsvariante.

Symbole und Herrschaft

"Es genügen tausend mit Markers und Farbsprühdosen bewaffnete Jugendliche, um die urbane Signalektik durcheinander zu bringen, um die Ordnung der Zeichen zu stören. Denn die Graffiti verdecken sämtliche U-Bahnpläne New Yorks - so wie die Tschechen die Straßennamen Prags veränderten, um die Russen in die Irre zu führen: ein und dieselbe Guerilla." (1)

Hier liegt der Hund begraben: Folgt man nämlich Jean Baudrillards Ausführungen in dem Aufsatz "Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen", geht es beim Kampf gegen die Graffiti um weit mehr als nur Ästhetik oder Standort. Die Stadt hatte bis in die 60er Jahre hinein noch Orte und Stadtviertel, die zwar nicht frei von Herrschaft waren, zumindest aber die autonome Fomierung und Artikulation von Widerstand und das Ausleben eines "anderen" Lebensstils ermöglichten. Im Stadtbild waren das die Arbeiterviertel, oder die "klassischen" Ghettos.

Zeitgleich mit dem Auseinanderbrechen der fordistischen Gesellschaftsformation wandelte sich das Bild der Stadt. Weil Zeichen und Codes der neue Ausdruck der Herrschaft wurden, und durch ihre Verbreitung via Medien, Werbung, Architektur usw. in absolut jeden Winkel der Stadt vordrangen, ist die ganze Stadt ein homogenes Gebilde aus eben diesen Zeichen und Codes. Daß die Stadt homogen geworden ist, bedeutet zwar nicht, daß das traditionelle Ghetto oder die Fabrik automatisch verschwinden aus dem Stadtbild, aber sie verschwinden potentiell, sie können an jeder Stelle sein. So wird die ganze Stadt zum Ghetto. Lauter Eingeschlossene. Eingeschlossen in Herrschaft und System der Zeichen und Codes.(2)

Die Flucht aus diesem System gestaltet sich schwierig. Die Sendemacht bleibt schließlich total, die Empfänger sind völlig reduziert auf ihre Funktion als Empfänger. Dadurch kommt es zum kollektiven Verstummen.

Indem sie mit ihren Bildern und Kritzeleien eine völlig neue "Sprache" erfanden, die sich eben nicht mehr explizit politisch oder ponographisch äußerte, sondern ein Großteil der Tags an den Wänden auch noch lediglich Namen sind, die sich die Writer geben, konnten sie eben aus dem herrschenden Sender-Empfänger-Modell ausbrechen. Und sie schufen eine Kommunikationsform, die sich parallel zur herrschenden befindet und von dieser nicht verstanden wird. So müssen sie zwangsläufig als Gefahr begriffen werden.

"Man verändert 'ne Sache vom ästhetischen Äußeren her. Aber es ist ja keine Beschädigung, denn der Zug z.B. kann ja weiterfahren. Aber es kommt eben kaum einer mit der Ästhetik klar. Weil das in ihren Augen Krickel-Krackel ist, das sie nicht mehr verstehen, wofür sie keinen Bezug haben, und deshalb lehnen sie es ab. Dabei ist Sprayen ja auch ein Hilfeschrei. Hallo, hier bin ich. Denn wer hört mir sonst zu? Man nimmt sich ein Stück von der Stadt." bringt es Adrian(3), ein Berliner Szenekenner auf den Punkt. Da werden alle Sanktionen und Repressionen nichts helfen: Diese Widerstandsform, und ich begreife Graffiti als solche, zumindest solange die herrschenden Codes und Zeichen sie nicht brauchen können und

bekämpfen und auch wenn sie sich nicht wie ein politischer Jugendverband artikuliert, wird wohl nicht kleinzukriegen sein. Ich hoffe bald schon beschriftete Automobile zu sehen.

Anmerkungen

  1. Jean Baudrillard: Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen. Berlin 1978.
  2. Nun mag eingewendet werden, daß die Stadt (und nicht nur die) ein hochgradig fragmentiertes Gebilde ist, mit hunderten von unterschiedlichen Interessenlagen und somit von Homogenisierung nicht die Rede sein kann. Das ist zwar richtig, doch spielen sich alle dieser Fragmente innerhalb des Systems ab, sie sind entweder in die herrschende Symbolik integriert oder können mühelos absorbiert werden. Die Gefahr der Absorption und Integration besteht freilich für die Graffiti-Szene auch. Die Frage ist daher, was deren Kommunikation, die quasi parallel zur herrschenden existiert, ausrichtet, wenn z.B. alle U-Bahn-Wagen zur Bemalung freigegeben würden. Findet man dann in dieser Szene eine neue soziale Bewegung, die sich explizit politisiert ohne ihr Sprechen aufzugeben, ihren Ausgangspunkt? Muß sie wohl, wenn wir sie als Widerstandsform akzeptieren wollen. Oder um es mit Joachim Hirsch zu sagen: "Wenn die praktische Umgestaltung von sozialen Beziehungen und Lebensverhältnissen das Ziel ist, muß dies in autonomen, gegen die herrschenden Vergesellschaftsstrukturen und ihre Zwangsmechanismen gerichtete Formen geschehen." Und "Sozialrevolutionäre Politik zielt zweitens notwendig auf eine tiefgreifende Umwälzung der gesellschaftlichen Strukturen insgesamt, kann sich also nicht mit partiellen Veränderungen abfinden." (In: links. Sozialistische Zeitung, Januar/Februar 1997, Nr. 320/321.)
  3. ZAG, Zeitung antirassitischer Gruppen, Februar 1997, 1. Quartal, Nr. 22