Stadt. Diskurs




Gotham City und die Zukunft des öffentlichen Raumes
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Die Stadt als Alptraum

Gotham city is everywhere

von Frank Oliver Sobich

So sieht sie aus, die Stadt der Zukunft: Gigantische Hochhausschluchten, in deren Tiefen nie ein Lichtstrahl dringt. Im wabernden Smog tobt die Halbwelt der Verrückten, der Verbrecher und des Lasters. Die normalen Menschen - das sind die, die weder Roboter, noch Pinguine/Katzen/Fledermäuse sind - huschen durch die Straßen, vereinzelt, verängstigt, ohnmächtig. Sicherheit ist nirgendwo.

Die Kräfte der Ordnung versagen regelmäßig: Das liberale Establishment ist hilflos - und während sich die Oberschicht exaltierten Vergnügungen hingibt, wird die Polizei von technisch überlegenen Gangstern lahmgelegt. Auf den dreckübersäten Straßen triumphiert das fast schon quasi-staatlich organisierte Verbrechen, dem die städtischen Massen zujubeln, obwohl es ihnen Verderben bringt.

Ibi sunt plura pecata (1)

Seit dem Siegeszug der Stadt im Spätmittelalter gilt: Die Stadt ist die Bedrohung der sozialen Ordnung, das nicht-gebändigte Chaos. Die städtischen Massen, der Pöbel, neigt zu Aufständen, explosiv ist das Nebeneinander von Armut und Reichtum, die Anonymität, die Möglichkeit der Subkultur und des Untertauchens - eben, daß Stadtluft frei macht. Während aber im Feudalismus das Nebeneinander von bürgerlicher Wohlanständigkeit und den "Geheimnisse[n] von Paris" den Zorn von geistlicher und weltlicher Obrigkeit auf sich zog, ändert sich im Kapitalismus die Bedrohung: Sie wird generell. Das anständig-geregelte Leben wird unmöglich:

"Es ist in den großen Städten, daß das Laster seine Versuchungen, die Wollust ihre Netze ausbreiten, daß die Schuld durch die Hoffnung der Straflosigkeit und die Trägheit durch häufiges Beispiel angespornt wird. Hie[r]her zu diesen großen Stapelplätzen menschlicher Verdorbenheit fliehen die Schlechten und Liederlichen ..."(2)

Statt des aseptischen, ethnisch reinen "France-Ville"(3) malte die Kulturkritik die nationalistische Negativ-Utopie des "Rassenbabylon"(4) Wien, das Hitler als eine einzige Brutstätte von Syphilis, Prostitution, Zügellosigkeit und Armut, Judentum, Egoismus und Marxismus, kurz: "Zersetzung", vorführt. Kanalisation, Dreck, Enge, Ratten, Unterwelt - das Bild der deutschen Rechten von der Stadt.

Dafür steht die Chiffre "Metropolis": Das Unbehagen an Moderne, Zivilisation, Individualität, Konkurrenz, 'Bindungslosigkeit' und 'Entwurzelung', soziale Konflikte, permanente Revolutionierung der Lebensumstände. Der Siegeszug des Lore-Romans und der volkstümlichen Musik, mit ihrer verlogenen Idyllisierung von Wald, Wiese und Tal und der heilen Welt der zufriedenen, ländlichen Armut, beginnt, als sie kaum noch eine Entsprechung in der Wirklichkeit hatten.

Vom gehobenen Provinzkonservatismus des Rheinischen Merkur bis zum Biologie-Schulbuch (Aggression aufgrund mangelnder Territorialisierung) hält es sich: Die Stadt ist Gefahr. Und wenn auch die Grünen auf den urbanen Citoyen setzen - manche ÖkologInnen sehnen sich nach Bahros Landkommune und der negativen 'Aufhebung des Gegensatzes von Stadt und Land' (Marx): Der Rückkehr zum 'Idiotismus des Landlebens'(auch Marx).

Die Zukunft der Stadt

Es darf als bekannt vorausgesetzt werden: Weder Los Angeles, noch Hongkong, weder London, noch New York, noch Tokyo sind so, wie in den Nightmare Cities der Kulturindustrie beschrieben. Aber das von Blade Runner über Batman I-III bis hin zum Fanatasy-Roman ähnliche Bilder der Stadt gemalt werden, deutet auf kollektive Phantasien hin: Der Riot lauert überall, "amerikanische Zustände" kommen, das Sozialhilfe-Ghetto und seine BewohnerInnen drohen die glitzernden Einkaufspassagen zu überfluten.

Nicht die Reprivatisierung des öffentlichen Raumes ist das Problem, sondern die Re-Repressivierung : Wer Handel und Wandel stört, und sei es nur durch unkonventionelles Aussehen oder Verhalten, wird weggesäubert, damit Vergnügen und Geschäft im Rahmen des Erlaubten ungestört vorangehen können.

Räume müssen definiert werden - die unsichtbaren Mauern sind zu schwach: "Zwischen den ,gentryfizierten' Wohn- und Arbeitsräumen der manageriellen, technischen und politischen Eliten, den Resten traditioneller Arbeiterquartiere und neuen Immigrantnnenghettos liegen oft nur wenige Meter, aber sozialen Welten"(5) Diese sozialen Welten auseinander zu halten, die allgegenwärtige Gefahr zu bändigen ist das Versprechen der neuen Stadtpolitik. Sie arbeitet zielbewußt mit den kollektiven Phantasien über Gotham City. Und verspricht Übersichtlichkeit, Sicherheit, Ordnung, Sauberkeit - und zwar durch öffentliche Gewalt.

Anmerkungen

  1. Dort gibt es viele Sünden von Humbert Romans (+1277) für die Stadtmission, zit. Nach Legoff, Jacques: Die Stadt als Kulturträger 1200-1500, In: Cipolta/Borchardt; Europäische Wirtschaftsgeschichte, Stuttgart, G. Fischer 1978, S.50
  2. Alison, Archibald, The Principles of Population and their connection with Human happiness, London, zit. nach. Engels, Fr., MEW 2, S. 248
  3. In seinem Roman "Die 500 Millionen der Begum" schildert Jules Verne eine von einem französischen Mediziner gegründete Musterstadt der Volksgesundheit "France-Ville"
  4. Hitler, Adolf, Mein Kampf. München, Fr. Eher nachf. 1938, Band 1, S. 132. Aäußerungen über die Stadt auf den S. 34-36, 143/44, 223/4, 244/5, 252, 262