Stadt. Diskurs




Gotham City und die Zukunft des öffentlichen Raumes
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Mythos Öffentlicher Raum - oder warum der Kampf um die Innenstadt wichtig ist

von Dominik Veith und Jens Sambale

Die Linke hat sich unter dem Begriff "Umstrukturierung" lange Zeit vor allem mit Veränderungsprozessen in den Wohnquatieren befaßt, nun gerät Innenstadt, genauer gesagt, die "City", wieder in die Diskussion. Wir möchten hier der Frage nachgehen, warum das so ist und wieso wir die Auseinandersetzung um die Innenstädte für die Entwicklung linker Theorie und Praxis wichtig finden.

Dabei kommt es unserer Auffassung nach allerdings darauf an, einen Begriff des "öffentlichen Raums" zu entwickeln, der die bürgerliche Vorstellung von Öffentlichen Orten als Räumen der fruchtbaren Begegnung überwindet; eine Sichtweise, die unserer Beobachtung nach, auch von vielen kritischen Positionen implizit transportiert wird. Wir möchten dieser Sichtweise ein Konzept entgegenstellen, welches die zentrale Bedeutung dieser Räume für gesamtgesellschaftliche Prozesse hervorhebt. Der öffentliche Raum wäre demnach nicht so sehr ein "neutraler" Ort, an dem sich Menschen begegnen, sondern eine Art Medium, über das Identitäten und Machtverhältnisse (re-) produziert werden.
Da außerdem der öffentliche Raum nicht einfach gegeben, sondern das Ergebnis von sozialem Handeln ist, verändern sich Kämpfe um Aufenthaltsrecht und Nutzungen dieser Orte ständig, weisen aber noch über sie hinaus. Die City ist weder eine fröhliche Begegnungsstädte, noch ist sie eine monofunktionale Konsummeile, die getrost Geschäftsleuten, Wachschutzunternehmen und shoppenden Besserverdienenden überlassen werden darf.

Verschärfung der Auseinandersetzungen in der City

Daß die City wieder ins Blickfeld der Auseinandersetzungen geraten ist, verdanken wir nicht unwesentlich Neu- und Umverteilungen von herrschender Seite. Banken, Versicherungsfonds und Konzerne legen große Teile ihres (Investitions- und Risiko-) Kapitals in Immobilienbesitz an. Der Bodenmarkt bringt höhere Rendite als Investitionen in der lokalen Produktion. Die Stadtregierungen begreifen "ihre" Innenstädte immer mehr als "Visitenkarten", mittels derer sie sich als attraktiver Standort zu profilieren versuchen. Vor dem gesellschaftlichen Hintergrund sozialer Polarisierungsprozesse bedeutet das, daß private Profitinteressen zunehmend als allgemeines Sicherheitsinteresse dargestellt werden.
Bestimmte Gruppen, die die Innenstadt nutzen, aber als KonsumentInnen uninteressant sind, geraten nicht nur in das Visier von ansässigen Geschäftsleuten und ihren privaten Wachschutzdiensten, sondern auch von Politik und Polizei, die in groß angelegten Kampagnen demonstrativ hart gegen "organisierte Kriminalität" oder "Dealer-Banden" vorgehen.
Diese herrschende Praxis vollzieht sich aber nicht widerstandslos. Zum einen wird sie mit den unmittelbar von den Verdrängungsprozessen Betroffenen konfrontiert. Sie sind auf die innerstädtischen Räume als Lebens- und Arbeitsorte angewiesen und widersetzen sich durch mehr oder weniger organisiertes Beharrungsvermögen. Zum anderen regt sich eine kritische Teilöffentlichkeit, deren Protest sich (im weiteren Sinne) gegen die Zerstörung des öffentlichen Raumes richtet.

Ideologie des öffentlichen Raums

So begrüßenswert der letztgenannte Protest auch ist, er operiert in der Regel mit einem sehr reduzierten (und damit folgenreichen) Begriff von öffentlichem Raum. Letzterer wird, meist implizit, als Arena begriffen, in der sich Menschen begegnen können, die ansonsten nicht aufeinandertreffen würden.
Diese Konfrontation mit "dem Fremden" wird im Sinne der bürgerlichen Auffassung von Subjekt und Identitätsbildung grundsätzlich als etwas Positives aufgefaßt. Es wird unterstellt, daß bei diesen Begegnungen Vorurteile herausgefordert, Kommunikationsprozesse - zumindest potentiell - ermöglicht und Lernprozesse in Gang gesetzt werden. Aus dieser Perspektive ist es dann nur folgerichtig, sich für einen möglichst freien Zugang u öffentlichen Räumen für alle einzusetzen. Dabei wird (zurecht) davon ausgegangen, daß sich die Konflikte in den Innenstädten verschärft haben, allerdings gerät die Argumentation leicht ins Fahrwasser einer rückwärtsgewandten Utopie, die auf der nachträglich romantisierenden Vorstellung von dem, was "der" öffentliche Raum früher einmal gewesen sein soll, ruht.

Der öffentliche Raum als Medium

Der öffentliche Raum, so wie er üblicherweise verstanden wird, war allerdings soch immer durch den spezifischen Ausschluß bestimmter Gruppen geprägt. Daß in der bürgerlichen Vorstellung von (Straßen-) Öffentlichkeit die Frau nicht vorgesehen war (außer als Prostituierte), ist kein Schönheitsfehler. Vielmehr ist der konkrete Ausschluß der Frauen, der Verweis auf ihre Zuständigkeit für die private Sphäre als Gegenüberstellung zum öffentlichen Bereich Grundlage, sowohl für die Konstitution von Privatheit, als auch von Öffentlichkeit. Der öffentliche Raum boldet also keineswegs die "Hülle" für soziale Prozesse. Er bleibt den Personen, die sich in ihm aufhalten und ihn nutzen, nicht äußerlich, sondern prägt deren soziale Identitäten. Der Umstand, daß Öffentlichkeit primär als Sphäre der Männer begriffen wurde, bedeutet(e) mehr, als daß Frauen höhere Zugangsbarrieren zum öffentlichen Raum überwinden müssen. Vielmehr wird durch ihren Auftritt (oder eben ihre Abwesenheit) im öffentliche Raum ganz wesentlich definiert, was es bedeutet, Frau oder Mann zu sein. In der oben skizzierten emphatischen Vorstellung des öffentlichen Raums wird zwar kritisch anerkannt, daß Machtverhältnisse die Begegnungen prägen, doch wird die Bedeutung des Raumes als Medium (im Gegensatz zur Arena) nicht gesehen. Eine mehr oder weniger zufällige Begegnung im öffentlichen Raum prägt sowohl das Bild der fremden, als auch der eigenen Identität. Wenn der Mann beispielsweise auf eine sich allein im öffentlichen Raum bewegende Frau trifft, so kann er sie als bedroht und hilflos ansehen (das alte Bild der Großstadt als Bedrohung für die Tugend der Frauen) oder als selbstbewußte Bedrohung (die noch ältere Vorstellung, daß Frauen aufgrund der ihnen zugesprochenen Irrationalität und Emotionalität besser nicht in die öffentliche Sphäre gelassen werden sollten). In beiden Fällen bestimmt die Begegnung nicht nur sein Bild der Frau(en), sondern auch das von sich selbst: Als patriarchaler Beschützer, als Jäger auf Beutezug, als in seiner Männlichkeit angegriffenes Opfer mit dem Recht auf angemessene "Gegenwehr" etc.

Alltagsbegegnungen

Es läßt sich also bezweifeln, ob die Alltagsbegegnung im öffentlichen Raum tatsächlich im eingangs angedeuteten Sinne unbedingt positive Effekte zeigt. MigrantInnen (meist Männer), die sich - womöglich noch in Gruppen - in der Innenstadt aufhalten, werden mittlerweile als Bedrohung an sich begriffen. Auch hier ist zu beobachten, wie über alltägliche Begegnungen das Andere und (darüber auch) das Eigene redefiniert werden. Klaus Ronneberger hat gezeigt, wie der rassitische Ausschließungsdiskurs gegen MigrantInnen wesentlich über die Produktion von Bildern der Großstadt transportiert wird. Der Konstruktion des "ausländischen Dealers" entspricht auf der anderen Seite die Selbstwahrnehmung als (nationales) Opferkollektiv, das sich gegen die - von außerhalb stammende - Bedrohung zur Wehr zu setzen habe. Die Gruppen, die am Berliner Breitscheidplatz die Aktionen gegen die rassistische örtliche Praxis der Polizei durchführen, berichten des öfteren von Reaktionen der PassantInnen, die die Härte des polizeilichen Vorgehens als Indiz dafür nehmen, daß es sich bei den in Handschellen am Boden liegenden Geprügelten wohl tatsächlich um gefährliche Straftäter handeln müsse, ansonsten würde die Saatsmacht ja nicht so hart vorgehen.

Raum ist nicht nur lokal

Während öffentlicher Raum üblicherweise lokal verstanden wird, weist er tatsächlich über die örtlichen Grenzen hinaus, wie im Zusammenhang mit Bildern und Praxen der Ausgrenzung von MigrantInnen demonstriert.
Diese Räume können also zur Bildung von lokalen, regionalen, nationalen oder auch transnationalen Identitäten beitragen. Die neuen innerstädtischen Konsumzonen stehen für den international an den Metropolen sehr ähnlichen Mythos der "sauberen" Dienstleistungsgesellschaft, ohne Armut, Elend, Umweltzerstörung und Bedrohung. Dieser Mythos wird von einer Klasse reproduziert, die sich als erfolgreich, individualistisch, weltoffen und weiß präsentiert. Das politische Programm, mit dem dieser Mythos aufrechterhalten wird, ist die Vertreibungspolitik gegen Arme in den Innenstädten, sowie Abgrenzung nach außen gegen Migration. Die symbolische und materielle Bedeutungsebene solcher Räume kann sich verändern, wie unschwer an Berlin zu beobachten, wo General Schönbom die ehemals recht abseitige Insel Berlin auf Hauptstadt-Kurs für Deutschland zu bringen versucht und betont, daß die Stadt nicht mehr nur für sich selbst da sei, sondern auch die Nation in der Weltöffentlichkeit repräsentiere.

Kampf um Plätze und Bedeutungen

Öffentlicher Raum war bzw. ist nicht einfach vorhanden und wird jetzt plötzlich privatisiert, kommerzialisiert und überwacht. Vielmehr wird dieser Raum durch soziale Praxen immer wieder und ständig hergestelt. Üblicherweise wird Raum (im Gegensatz zur [dynamischen] Zeit) als statisch begriffen, statt dessen wäre es unserer Auffassung nach hilfreicher, ihn - im wechselseitigen Verhältnis von Struktur und Handlung - dynamisch zu fassen. Die emphatische Vorstellung eines öffentlichen Raums als Ort der Begegnung und Auseinandersetzung übersieht, daß es den neutralen öffentlichen Raum nicht gibt, sondern daß verschiedene öffentliche Räume durch die Mannigfaltigkeit konkurrierender und potentieller Symboliken und Nutzungen hergestellt werden. Anders formuliert, sind die Kämpfe um die Innenstädte nicht nur Kämpfe um die Nutzung der Räume, sondern auch Kämpfe um die Kontrolle der Bilder und Bedeutungen. Weder der Breitscheidplatz, noch der Zoo oder der Alex sind allein Orte des bereinigten Konsumvergnügens. Mit ihrer Präsenz erstreiten sich die unerwünschten Gruppen nicht nur ihr Aufenthaltsrecht, sondern sie nehmen auch eine symbolische Umwertung der "Visitenkarten der Stadt" vor. Daß so viele Demonstrationen am Breitscheidplatz vorbeiziehen, ist eine solche, in diesem Fall bewußt vollzogene Umwertung des öffentlichen Raums.
Wir geraten bei unserer Analyse der Herschaftspraxen leicht in Gefahr, die hegemoniale Sichtweise zu reproduzieren und den Blick auf die City als informellen Arbeitsplatz, Lebensraum oder Aufenthaltsraum aus dem Auge zu verlieren. Wer die Marginalisierten lediglich als Opfer betrachtet, macht aus ihnen tatsächlich Objekte privater und staatlicher Ausschließungsprozesse. Deswegen greift die humanistische Forderung, auch Marginalisierten den Zugang zur Innenstadt nicht zu verwehren, zu kurz: Sie untersucht nicht die Prozesse, wie bestimmte Gruppen überhaupt zu Marginalisierten gemacht worden sind und werden. In einem zweiten Schritt ginge es dann darum, ihre zahlreichen Versuche und kleinen Erfolge zu identifizieren, die verordneten Bedeutungen dieser Räume für den eigenen Gebrauch handhabbar zu machen, sie subversiv zu unterlaufen oder zu verändern. Der Kampf um die Innenstadt ist der Kampf gegen die territoriale Ausdehnung des Mythos nicht für die Ausgegrenzen, sondern möglichst mit ihnen.

Der Artikel ist bereits in der Zeitung ARRANCA! 12 erschienen

Literatur:

MASSEY, DOREEN 1992: Space, place and gender
RUDDIK, SUSAN 1991: Soziale Räume der Stadt in DISKURS 4/91
RUDDIK, SUSAN 1996B: Young and Homeless in Hollywood. Mapping the social Imaginary. London: Routledge.
RONNEBERGER, KLAUS 1997: Unternehmen Stadt. Öffentlicher Raum und Sicherheit in den 90er Jahren, in ZEITUNG DER DEMOKRATISCHEN LINKEN LISTE, Januar '97