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Texte, Beiträge und Diskussionen zum Thema: Chiapas und die Linke

Einigkeit um jeden Preis

Das Europäische Vorbereitungstreffen in Berlin für den I. Intergalaktischen Kongreß gegen den Neoliberalismus und für die Menschlichkeit

Berlin im Mai 1996. Nach VeranstalerInnenangaben treffen sich über 1.000 Menschen aus ganz Europa zum ersten europäischen Vorbereitungstreffen für das interkontinentale Treffen "Gegen Neoliberalismus und für die Menschlichkeit" im Sommer in Chiapas/Mexiko. Seit langem der erste Kongreß wo das ganze Spektrum der Internationalismus und Solidaritätsszene sich zusammenfand und gemeinsam diskutierte. Die früher so aktiven Grünen oder Teile der PDS waren (glücklicherweise ?) nicht auf dem Kongreß präsent, so daß die außerparlamentarische Linke den Kongreß für sich nutzen konnte. Der AStA der Freien Universität trug durch seine finanzielle Unterstützung der Kongreßveranstalter, v.a. der Mexiko-Gruppe des FDCL und durch die Übernahme eines Teils der Kosten für die Übersetzungsanlage nicht nur ideell zu diesem Vorbereitungstreffen bei, sondern auch persönlich. Beispielsweise hatten wir versucht, eine Veranstaltung zu der Situation der Linken in Lateinamerikas zu organisieren.

Über das Ergebnisse des Kongresses läßt sich freilich streiten, daß tun auch wir. Mit lauter Kritik tat sich zum Beispiel die junge Welt hervor (Vgl. "La Realidad, Berlin: Weshalb die Zapatisten besser nicht in Europa tagen", junge Welt vom 10.9.96), der das ganze zu sehr ein diffuses Gebrabbel über Neoliberalismus war, ohne viel über Kapitatlismus nachzudenken.

Die Solidaritätsbewegung ist tot, es lebe die Solidaritätsbewegung!

Die aufständigen ZapatistInnen hatten zu diesem Treffen aufgerufen, um Perspektiven gegen die neu erkorenen Erzfeinde "Neoliberalismus" und "Globablisierung" weltweit zu entwerfen. Neue Impulse erhoffte sich mensch allerdings von diesem Treffen vergeblich. Wer geglaubt hatte, die bedingungslose Solidaritätsbewegung innerhalb der radikalen und weniger radikalen Linken hätte spätestens seit dem Ende der sogennannten Systemkonkurrenz abgedankt, sah sich schwer enttäuscht. Vielerorts wurde der "gemeinsame Kampf" als die Grundlage jeder Solidarität ausgemacht; von Inhalten keine Spur. Denn die - so zumindest ein Teilnehmer einer Diskussion unter dem Titel: "Chiapas in den Metropolen" - "entstehen dann ja im gemeinsamen Kampf." Mit wem die wackeren europäischen GenossInnen dann kämpfen ist ziemlich egal, da kann es sich ruhig um eine antisemitische, sexistische und nationale Befreiungsbewegung handeln, die im Extremfall dafür kämpft, daß das eigene "Volk" (sic!) in Zukunft nicht mehr von fremden ImperialistInnen, sondern wenigstens von den eigenen Landsleuten ausgebeutet wird. Jede Kritik an solch unkritscher Einschätzung von "Befreiungsbewegungen" wird von vorneherein als "Neue Ideologie" weit weg gewiesen. Denn: Wer in Deutschland von Blut und Boden redet, kriegt natürlich ein paar auf's Maul, aber in Lateinamerika oder der Türkei ist das natürlich was ganz anderes." Häh, wie meinen?

Einigkeit um jeden Preis

Seltsame Übereinstimmung aber herrschte in Berlin, daß Kritik und Differenzen ohnehin tabu waren. Viel leichter fiel es den Anwesenden, die Gemeinsamkeiten hervorzukehren und ein möglichst harmonisches Wochenende zu verleben. In dieses Konzept paßte der Wunsch nach "ganzheitlicher Erfahrung" einer Arbeitgruppe hervorragend. Überhaupt boten Esoterik und die Suche nach einer neuen"Identität" einen willkommenen Ersatz für die fehlenden Inhalte. Obwohl gerade die Zapatistas (zumindest anfangs) den üblichen Personenkult umgehen wollten und auch die anwesenden GenossInnen immer wieder beteuerten, daß die Bewegung und nicht Subcommandante Marcos im Vordergrund stünde, hörte mensch doch allenthalben, was für ein Vorbild der Sub doch sei, und daß er den suchenden europäischen Linken wieder eine neue Identität gegeben habe.

Idealisierung von KämpferInnen

Die internationale Solidaritätsbewegung, längst totgeglaubt, hat sich mittlerweile selbst überlebt. Die kritische Auseinandersetzung mit GenossInnen und Bewegungen überall auf der Welt - die zeigt, daß mensch sich ernstnimmt und aufeinander bezieht - ist Ersatzreligiösität und unkritischer Harmoniesucht gewichen. Das beweist wie wenig die europäischen InternationalistInnen aus ihrer Geschichte gelernt haben. Seit den Anfängen einer internationalistischen Bewegung in Vietnam, später Lateinamerika und Südafrika hat sie es nicht geschafft, die Zerreißprobe zwischen dem Kampf der unterschiedlichen, größtenteils nationalen Befreiungsbewegungen, und dem Leben hier in Europa und den westlichen Metropolen zu bestehen. Die internationale Bewegung stand und fiel mit den Aufständen und Bewegungen in den drei Kontinenten. Dabei entstand eine Solidaritätsbewegung, die sich danach sehnte eine größtmögliche Identifikation mit dem Kampf in beispielsweise Kuba oder Nicaragua zu erreichen. Inhalte und Debatten entlang der europäischen und vor allem der deutschen Wirklichkeit, also z.B. mit Blick auf Nationalismus und Faschismus blieben dadurch auf der Strecke, b.z.w. wurden vom Kampf der GenossInnen am anderen Ende der Welt getrennt. Bedingungs- und kritiklose Solidarität waren die Folge. Genauso wie die Orientierung der Politik an den Befreiungskämpfen der Welt. Dies führte zu einer Überschätzung und Idealisierung der kämpfenden GenossInnen durch das (inhaltslere) Bestreben der westlichen GenossInnen, den Kampf in theoretische Muster zu zwängen und so faßbar" zu machen.

Kampf in den Metropolen

Die zweite praktizierte Variante war, den Kämpfen in den drei Kontinenten eine analogen Kampf in den Metropolen" gegenüberzustellen. Dieser Kampf hatte nicht das Ziel, eine Gegenbewegung in den westlichen Metropolen zu initizieren. Es handelte sich statt dessen um eine simple Übertragung des Kämpfe, z.B. in Vietnam auf europäische Verhältnisse. Dabei geht es sich weder um eine Auseinandersetzung mit Befreiungsbewegungen und ihren Inhalten, noch um die Bestimmung von Politik in Europa oder den Metropolen. Vielmehr geht es um eine Solidarität, die keine verbindenen Inhalte benötigt, sondern deren Gemeinsamkeiten sich im Kampf gegen eine Regierung, ein System oder einen Staat erschöpfen. Nicht, daß dies ein durchaus lohnenswertes Streben ist, aber ohne inhaltliche Ausrichtung wird solche Solidarität zu einem sinnloses und kontraproduktives Unterfangen..

Natürlich kann es sinnvoll sein, Waffen für Marcos zu fordern (obwohl der Sub ja davon ausgeht, daß sich jedeR Copaner@ seine/ihre Waffe selbst verdienen muß [sic!]), wie auch Waffen für El Salvador gefordert wurden. Aber das ist keine internationale Politik. Internationale Politik muß sich ernsthaft und auch durchaus kritisch, mit den Inhalten scheinbar emanzipatorischer Bewegungen auseinandersetzen und Perspektiven für die eigene Arbeit in den Metropolen entwickeln, ohne in ihren Grenzen gefangen zu bleiben. Dazu gehört dann beispielsweise auch die Auseinandersetzung über die von Marcos favorisierte umstrittene Zivilgesellschaft".

Individualisierung von Politik

Die Abkehr von Inhalten und zu diskutierenden Differenzen wird unter dem Deckmantel der Ideologiekritik aber in die falsche Richtung führen. Die Folge wird eine weitere Individualisierung von Politik als Bauwagenwiderstand" und Subsistenzverliebtheit, und die Förderung von Ersatzpolitik in Form von neureligiösen und spirituellen Ausprägungen mit all seinen Identitäten und Naturvorstellungen sein. Eine internationale Bewegung, die sich nicht nur von gerade aktuellen, nationalen Befreiungskämpfen ableitet, muß es schaffen, Neoliberalismus und Globalisierung in einen direkten Zusammenhang mit dem Kapitalismus zu bringen, wie es in Berlin nur selten geschah, und Inhalte und Perspektiven, einer Individualisierung und neuen kollektiven Identitäten gegenüberstellen.

Der Aktikel erschien bereits im Neuen Dahlem, Zeitung des AStA FU, und ist eine überarbeitete Version, die Tobias Ebbrecht für die Zeitung Schlagloch im Juni 1996 geschrieben hat.

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