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Cajo Brendel

Rezension aus: Jahrbuch Arbeiterbewegung 1981; Politischer Streik
zu
Walther L. Bernecker, Anarchismus und Bürgerkrieg. Zur Geschichte der sozialen Revolution in Spanien 1936-1939, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1978, 372 S., DM68-Walther L. Bernecker (Hrsg.), Kollektivismus und Freiheit. Quellen zur Geschichte der sozialen Revolution in Spanien 1936-1939, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1980, 502 S., DM 13.80

Im Gegensatz zu jener für das 19. Jahrhundert zutreffenden Feststellung, daß die Menschen in Epochen revolutionärer Krise die Vergangenheit zu parodieren versuchen, neigen sie namentlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wenn sie damit beschäftigt sind, anderswo längst vollzogene Umwälzungen nachzuholen, dazu, die Geister der Zukunft zu ihren Diensten heraufzubeschwören. Im Begriff, die vorgefundenen, zurückgebliebenen Umstände der modernen, d.h. der kapitalistischen Tagesordnung anzupassen, bilden sie sich deshalb ein, die Wegbereiter einer anderen, einer die Schranken dieser Ordnung überschreitenden Revolution zu sein, weil sie die Aufgabe ihrer Zeit nur in radikalster Weise lösen können. Ein einleuchtendes Beispiel: die russische Revolution; ein anderes: Jene Kollektivierungen, welche während des spanischen Bürgerkrieges gleich zu Anfang vorgenommen wurden. Es wurden dabei Privateigentum und Privateigentümer, aber weder die Lohnarbeit noch das Kapitalverhältnis beseitigt.

Gewiß handelte es sich dabei in Teilen des republikanischen Gebiets um eine Revolution, die insofern sozial war, als sie die existierende Gesellschaft auflöste. Aber was da zerstört wurde, waren die Reste der herkömmlichen Produktionsverhältnisse, deren Aufhebung seit dem Ausbruch der Revolution 1931 Gebot der Stunde gewesen war. Als die spanische Bourgeoisie und ihre Politiker sich mit dem Sturz der Monarchie zufriedenstellten und weiter alles auf sich beruhen ließen, da rührten sich schließlich die proletarischen Massen. Was für Illusionen das auch hervorrief, faktisch ging es nur darum, jene Arbeit zu vollenden, bei welcher die Bourgeoisie halbwegs stehengeblieben war. Sie taten es aber auf ihre Weise. Womit man es ab 1936 in Spanien zu tun hatte, war eine bürgerliche Revolution ohne Bourgeoisie, eine bürgerliche Revolution von unten. Die Tatsache genügte, um fast allen Parteien, auf die sich die republikanische Volksfrontregierung stützte, einen tödlichen Schrecken einzujagen. Ihre Anstrengungen richteten sich darauf, die Arbeiter wieder ins Joch zu spannen. Auf der historischen Bühne spielte sich sodann eine Tragödie ab. In jedem Akt handelte es sich um eine weitere Niederlage der Revolution. Zwar standen auf Seiten der Arbeiter, außer den geringen Kräften von POUM, die millionenstarken anarcho-syndikalistischen Organisationen, welche die Ereignisse so interpretieren, als seien sie ein erster Schritt auf dem Wege zur Verwirklichung ihrer Ideale. Als sich aber auf diesem Wege immer mehr Schwierigkeiten häuften, als die Beschränktheit der reellen Möglichkeiten hervortrat, da rückten sie aus opportunistischen Gründen von ihren Idealen ab, da machten sie eine Wandlung durch, die sie Schritt für Schritt den für ihre eigenen Interessen kämpfenden Arbeitern entfremdete und in jenes andere Lager - des Staates und der Politik - führte, dem sie ursprünglich feindlich gegenüberstanden. Dort eingefangen, mußten sie erdulden, daß die Republik die Revolution bewältigte, obwohl ihre Existenz gerade deren Weiterführung voraussetzte.

Genau diese Tragödie bildet den Gegenstand der beiden Bücher, das erste eine historische Untersuchung, das andere eine Auswahl von erläuterten Quellen und Dokumenten. In beiden Schriften kann man den Verlauf des historischen Dramas anhand einer überwältigenden Menge kaum bekannter Tatsachen bis in Einzelheiten verfolgen. Die eben gegebene Charakteristik des dreijährigen Zeitabschnitts 1936-1939 findet man freilich beim Autor bzw. Herausgeber weder in dieser noch in einer anderen Form. Für Bernecker ist die soziale Revolution in Spanien »der Versuch [...] während des Bürgerkrieges eine kollektivistische und rätedemokratische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu errichten« . Zwar geht überall aus seinen ausführlichen und fesselnden Darstellungen der Kollektivierungsmaßnahmen eindeutig der Fortbestand des Geldes, des Handels, des Marktmechanismus, des Bank- und Kreditwesens, des Verkaufs der Arbeitskraft in der Warenproduktion hervor, aber trotzdem: Mit der Frage, inwiefern das, was in der Landwirtschaft, in der Industrie und im Dienstistungssektor entweder spontan von den Arbeitern oder nachher von der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft tatsächlich unternommen wurde, mit Recht als Versuch zur Errichtung einer nicht-kapitaliischen Ordnung gekennzeichnet werden könnte, mit der Frage also, wieweit das, was getan wurde, mit den üblichen Einbildungen darüber übereinstimmt, beschäftigt er sich nicht. Darin liegt seine Schwäche, zu der sich noch jene gesellt, daß er das Schicksal der spanischen Anarcho-Syndikalisten bald auf deren »Fehler«, bald auf deren politische »Naivität« oder »Einfältigkeit« in bezug auf wirtschaftliche Probleme zurückführt, d.h. es mit Dingen erklärt haben will, die gar eine Erklärung sind, weil sie eben selbst einer Erklärung bedürfen. Aber man vergibt ihm diese Schwächen um so leichter, als er trotzdem eine glänzende Arbeit geleistet hat. Berneckers Beitrag zur Geschichte der spanischen Revolutionstragödie ist einer der besten und aufschlußreichsten, die zu diesem Thema in westeuropäischer Sprache veröffentlicht worden sind. Der Verf. ist auch kompetent. Er hat nicht nur in Spanien seine Schulzeit verbracht, sondern studierte später in Erlangen außer Geschichte und Germanistik noch Hispanistik. Infolge seiner Kenntnis der katalanischen sowie der spanischen Sprache standen ihm reichlich Originalquellen zur Verfügung, von dein sinnvoller Benutzung sein Werk fast auf jeder Seite Zeugnis ablegt. Mag er hinsichtlich des gesellschaftlichen Gehalts der behandeltenn Revolutionsperiode eine allgemein verbreitete Legende aufrechterhalten, etwa ein halbes Dutzend andere werden schonungslos von im entlarvt.

Biernecker läßt keinen Zweifel darüber bestehen, daß und weshalb er nicht nur bürgerliche Republikaner wie Companys oder Azana, oder Sozialdemokraten wie Largo Caballero oder Negrin, sondern auch - und zwar an erster Stelle - die Stalinisten als Gegner der Revolution betrachtet. War Franco der äußere Feind, so verkörperte die CP Spaniens, Vertreterin der Mittelschichten, nicht der Werktätigen, die Konterrevolution im Innern. Auf ihr Konto geht, so zeigt der Autor anhand seines Tatsachenmaterials, die Sabotage jeglicher Revolutionsarbeit, die (manchmal gewaltsame) Rückgängigmachung der Kollektivierungen, die bedächtige Untergrabung der von der Arbeiterklasse eroberten Machtpositionen, deren verschiedene Phasen minuziös von ihm aufgedeckt werden. Er erörtert außerdem, daß alle Gruppierungen der damaligen republikanischen Gesellschaft, Anarcho-Syndikalisten eingeschlossen, vom Handeln der Arbeiter überrascht wurden, die Kollektivierung somit ein spontaner Akt und licht von irgendeiner Seite initiiert war. Die Besonderheit der Studie besteht darin, daß dieselben Gegenstände mindestens zweimal, mitunter auch drei- oder viermal unter verschiedenen Gesichtspunkten behandelt werden, da Bernecker seinen Stoff so gegliedert hat, daß die politischen Situationen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse bezogen werden. Jedesmal wird das Verhalten der Parteien, Politiker, Gewerkschaften usw. der analysierten Entwicklung gegenübergestellt. Ebenso geht er in einer allgemeinen Schlußbetrachtung vor, in der er die »Chancen und Versäumnisse" der Revolution aufzählt und abermals die Volksfrontparteien als die Urheber ihres eigenen Untergangs benennt. Mit seiner vorzüglichen Auswahl von Texten und Dokumenten - die sich der Erläuterungen wegen auch selbständig lesen lassen - werden seine Darlegungen erhellt, seine Schlußfolgerungen unterstrichen. Abkürzungsverzeichnisse, biographische Hinweise, Bibliographien, Zeittafel, Chronologien, Verzeichnisse der Kabinette und kenntnisreiche Annotationen machen die beiden Schriften zu einer Fundgrube für jeden, der am vernachlässigten Studium der spanischen Revolution interessiert ist.

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