CAJO BRENDEL Amersfoort
(Holland)
ZUR KRITIK DER "VEREINIGTEN LINKEN"
Im vergangenen Monat Januar hat "Die Aktion" eine Anzahl Dokumente der
Initiative "vereinigte Linke" veröffentlicht. Sie sollten den Versuch der
Selbstklärung und Sammlung der radikalen sozialistischen Kräfte in der DDR
widerspiegeln. Mit Recht hat der Herausgeber der genannten Zeitschrift dar auf
hingewiesen, daß die unumgängliche Pluralität der Meinungen und Ausrichtungen bislang
eine endgültige Ausformung dieser Initiative nicht er kennen lassen und daß dies des
sich im Gange befindenden gesellschaftlichen Umbruch in der DDR selbst entspricht. Das
aber soll einem gar nicht von einer kritischen Betrachtung und Untersuchung abhalten. Das
um so weniger, als gerade eine Diskussion einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung des
betreffenden Gedankengutes bilden könnte. Hat nicht vor langer Zeit schon die Rosa
Luxemburg nachdrücklich betont, daß rücksichtslose Kritik "Lebensluft und
Lebenslicht der proletarischen Bewegung" sei. Aus dieser Sicht sollen die
nachstehende Zeilen gewertet und verstanden sein.
Deren Verfasser möchte voraussetzen, daß er [selbstverständlich] die seitens der
ehemaligen SED erhobene Beschuldigung, "die Vereinigte Linke strebe die Vernichtung
des Sozialismus in der DDR an" für eine glatte Lüge hält. Es ist ihn völlig klar,
daß die "Vereinigte Linke" für den Aufbau des Sozialismus eintritt. Wenn es da
in den Dokumenten zu lesen gibt, daß dieser mal "endlich" geschehen soll und
nur wenige Zeilen weiter unverblümt verkündet wird, der sogenannte
"Sozialismus" der DDR verdiene dieser Name nicht, so hat er kaum etwas dagegen
einzuwenden. Als gleichfalls völlig richtig betrachtet er auch Jene Formulierung, aus der
hervorgeht daß die "Vereinigte Linke" sich allen Versuchen in die DDR ein
parlamentarisches System einzuführen äußerst kritisch gegenüber verhält und ein
solches keinesweg als die sozialistische Demokratie betrachtet die ihr vorschwebt.
Gewiß, die "Vereinigte Linke" sträubt sich dagegen, daß politische Parteien
oder übereinkünftige politische Gruppen sich an die Spitze stellen und das
gesellschaftliche Leben lenken. Sie befürwortet eine "direkte Demokratie" und
meint damit die Bildung von Arbeiterräten und Räten von Viertelbewohnern. Sie wünscht
eine "radikale Umwälzung des politischen Systems und der Wirtschaft in der DDR"
und bekündet sich weiter als ein entschiedener Gegner davon, "die bürokratische
Unterdrückung des Politbüros durch eine kapitalistische Ausbeutung zu ersetzen".
Das alles erscheint auf dem ersten Blick als Auffassungen und Standpunkte welche sich den
meinigen, wenn sie auch nicht ganz ähnlich sind, so doch sehr dicht nähern. Auch in
diesem Fall aber trügt der Schein.
Die "Vereinigte Linke" ist die Zusammenfassung verschiedener linken Gruppen und
Strömungen die Anfang September des vergangenen Jahres sich in Böhlen getroffen und eine
gemeinsame Plattform erarbeitet haben. Gerade ein erforderlicher Mininalkonsens hat das,
was hier bis jetzt aus den Dokumenten angeführt worden ist, beträchtlich geschwächt.
Diese Schwächung führt mich zu der Schlußfolgerung, daß der von der "Vereinigten
Linke" hantierte Begriff eines "durch Freiheit und Demokratie gekennzeichneten
Sozialismus" ziemlich verschwommen tat und daß außerdem, trotz ihrer positiven
Einstellung den Arbeiterräten gegenüber, die "Vereinigte Linke" über das, was
der Sozialismus ist, ganz andere Auffassungen hegt als ich.
Über den Sozialismus will ich zuerst sprechen. Das was die "Vereinigte Linke"
darunter versteht, besser gesagt, was sie darunter nicht versteht, bestimmt genau ihre
Stellung und alles was daraus erfolgt.
Für die "Vereinigte Linke" ist die sozialistische Demokratie der "Ausdruck
der Volkssouveränität infolge die Macht des Volkes..." Nach meiner Meinung aber
soll sie betrachtet werden als der Ausdruck der wirtschaftlichen Tatsache, daß Lohnarbeit
und Ausbeutung aufgehoben sind. Anders als die "Vereinigte Linke" nach den
Zeugnis der Böhlener Plattform anzunehmen "scheint, basiert die sozialistische
Demokratie nach meiner Ansicht nicht auf bestimmte Rechtsverhältnisse, sondern auf
gesellschaftliche Verhältnisse, das heißt auf andere Produktionsverhältnisse.
Aus der Böhlener Plattform geht hervor, daß die "Vereinigte Linke" trotz ihrer
Kritik an der parlamentarischen Demokratie und trotz ihrer Verteidigung der Arbeiterräten
und der Rätebildung, ein Programm von Forderungen akzeptiert hat, das diese Kritik und
diese Verteidigung schädigt. Dort nämlich spricht die "Vereinigte Linke" sich
aus für "die Existenz mehrerer Parteien, welche von der Verfassung garantiert werden
soll", für "Verhältniswahlrecht", für "Anwendung des
Leistungsprinzips bei der Verteilung der Einkommen", für "kollektive Kontrolle
der Arbeitenden über der Produktionsprozeß" und [unter anderem] für "freie
Entfaltung von Genossenschaften und Privateigentum auf der Grundlage eigener Arbeit".
Dazu verkündet sie "das Recht auf Arbeit", das wiederum Zeugnis ablegt von der
falschen Auffassung, daß gesellschaftliche Verhältnisse auf dem Recht beruhen, anstatt
der richtigen Einsicht, daß das jeweilige Recht auf gesellschaftlichen Verhältnissen
fußt.
Zu diesen Bemerkungen die folgenden Erläuterungen:
1.Der Unterschied zwischen bürokratische Unterdrückung und sozialistische Demokratie
besteht nicht daraus daß das Monopol einer bestimmten politischen Partei von den
Nebeneinander verschiedener politischen Parteien ersetzt worden ist, sondern es besteht
daraus, daß die Partei als typische bürgerliche, bisweilen ihrer Ursprung nach
jakobinische, Organisationsform für die proletarische Organisationsform der Räte den
Platz geräumt hat. 2.Die Forderung des Verhältniswahlrecht hat keinen Sinn wenn da nicht
gleich hinzugefügt wird für was [Parteien oder Räte] gewählt werden soll. Die bereits
kritisierte Forderung der Existenz mehrerer Parteien kann nur darauf hinweisen, daß es
sich bei dem geforderten Verhältniswahlrecht um eine» aus den Charakter der
"Vereinigten Linke." erklärliche, Konzession an bürgerliche 'Ideale' handelt.
3.Die im Kapitalismus bestehende Einkommensunterschiede beruhen auf dem Wertgesetz. Der
Lohn bewegt sich um den Wert der Arbeitskraft herum. Aufhebung der Lohnarbeit heißt, daß
nicht länger die Arbeitskraft an irgend einem Privatkapitalist oder an irgend einem
kapitalistischen Staat [ was faktisch heißt an einer neuen herrschenden Klasse] verkauft
wird, sondern daß die Produzenten nicht auf Grund des Wertes ihrer Ware Arbeitskraft
entlohnt werden, sondern das die Arbeitszeit ihre Beteiligung an der Produktion und somit
ihr Anteil bei der Distribution bestimmt. Man kann das meinetwegen als ein walten des
'Leistungsprinzips' definieren, aber das Wort ist irreführend wenn man sich dessen ohne
weiteres bedient, es nicht als ein schroffer Gegensatz zum kapitalistischen
Leistungsprinzip beschreibt. 4.Die kollektive Kontrolle der Arbeitenden über den
Produktionsprozeß ist nichts anders als die alte Lösung der Arbeiterkontrolle über die
Produktion. Die entscheidende Frage läutet natürlich: wenn die Arbeitenden kontrolieren,
welche werden da denn eigentlich kontrolliert? Jene die da eigentlich die Produktion
regeln und bestimmen? Wenn 'ja', dann mögen sie Privatkapitalisten oder leninistische
oder sonstige Bürokraten sein, aber von Sozialismus ist dann keine Rede. Von Kontrolle
über die Produktion zu reden hat erst dann einen Sinn, wenn das Wort 'Kontrolle' eben
nicht als 'Ausübung einer Kontrollfunktion' gemeint ist. Aber so ein Wortgebrauch trägt
wenig oder gar nichts zur notwendigen Klarheit bei. 5.Genossenschaften und
Privatunternehmen auf der Grundlage eigener Arbeit sind bloß als Vorstufen der
kapitalistischen Produktionsweise zu betrachten. Die betreffende Forderung kann unmöglich
als eine sozialistische Forderung aufgefaßt werden.
Im Zusammenhang mit dem letzten Punkt (nr. 5) muß hier das geforderte Verbot
kapitalistischer Lohnarbeit erwähnt werden. Davon abgesehen, daß es natürlich durchaus
Überflüssig ist, die Lohnarbeit als kapitalistisch zu betonen, scheint mir bei dieser
Forderung der hinterliegende Gedanke, daß bei so einen Verbot, die eben erwähnte
'Vorstufen der kapitalistischen Produktionsweise' nicht zu charakteristischen
Erscheinungsformen des Kapitalismus sich entwickeln können. Hier scheint die
"Vereinigte Linke" zu glauben, daß gesellschaftliche Entwicklungen durch
Verbote ein Halt gemacht werden kann anstatt durch das Verhältnis gesellschaftlicher
Kräfte! Die gleiche Bemerkung trifft auf die merkwürdige Forderung eines Verbotes der
Ausbeutung und der Aneignung fremder Arbeit zu. Nicht Verbote entscheiden hier, sondern
der Klassenkampf und die von ihm herbeigeführte Umwälzung der Gesellschaft.
Die Ungleichheit der Klassen soll überwunden werden, schreibt die "Vereinigte
Linke", zugunsten der Verschiedenheit der Individuen. Aber nicht die Ungleichheit der
Klassen soll verschwinden, sondern die Klassen als solche, besser gesagt: ihre
Verschwindung ist das unaufhaltbare Resultat jener gesellschaftlichen Umwälzung die aus
dem Kampf der Arbeiterklasse hervorgeht. Es muß hier noch hinzugefügt werden, daß
Klassen ohne Ungleichheit eine reine Unmöglichkeit bilden, eben weil die Ungleichheit ein
Klassenmerkmal ist.
Die "Vereinigte Linke" befürwortet "eine radikale Umwälzung in der
DDR". Wie man das verstehen soll ist, mit Rücksicht auf die Verwirrung bezüglich
der Lohnarbeit, UH nur eines zu erwähnen, völlig unklar. Gewiß, die "Vereinigte
Linke" wollte von Anfang an, viel weiter gehen als zum Beispiel Neues Forum. Sie
wollte keine "neue Selbstherrscher an Stelle der al ten". Dann, so die
Dokumente, "sind wir keinen Schritt weiter". Was denn?, könnte man fragen. Die
"Vereinigte Linke" forderte die Einberufung eines "landesweiten
Delegiertenkongresses der Werktätigen.... Die Wahl unabhängiger Betriebsräte der
Werktätigen wäre der zweite Schritt..." Wie sollen, fragen wir, die Delegierten
für den landesweiten Kongress alsdann gewählt werden? Sie werden offenbar nicht von den
Räten abgesandt, denn diese tre ten erst später (der zweite Schritt) in Erscheinung. Das
heißt daß wir so einen Kongress der nicht von den Räten Abgesandten nur mit großem
Mißtrauen beobachten können.
Irgendwo spricht die "Vereinigte Linke" über die wirtschaftliche Grundlage der
DDR. Sie wird scharf kritisiert. Aber die Einsicht fehlt, daß mit der "Aufhebung des
kapitalistischen Privateigentums" noch keineswegs der Kapitalismus als solches
aufgehoben wird, weil bei dem was an seiner Stelle kam, Lohnarbeit und somit
Mehrwertproduktion und Ausbeutung weiter bestehen blieb. Die "Vereinigte Linke"
hebt die politische Unterdrückung hervor, als könnte man sie abgetrennt von der
wirtschaftlichen Unterdrückung betrachten. Die "Vereinigte Linke" fordert
politische Demokratie. Nach unserer Meinung aber handelt es sich darum, daß über die
politische, das heißt über die bürgerliche Demokratie hinaus gegangen wird und daß die
Arbeiterdemokratie verwirklicht wird. Deren Verwirklichung kann nur durch den Klassenkampf
herbeigeführt werden. Vom Klassenkampf aber ist in den Texten der "Vereinigten
Linke" kaum die Rede.
Hiermit bin ich zu den gekommen, worin die "Vereingte Linke" sich - ab gesehen
von ihren Auffassungen und Standpunkten - sehr deutlich von den von mir gehegten
rätekommunistischen Ansichten unterscheidet. Die "Vereinigte Linke" halte ich
nämlich für voluntaristisch. Sie sagt den Werktätigen was sie tun sollen, wie sie
handeln sollen und was geschehen soll. Die "Vereinigte Linke" bietet eine
Alternative, hat ein Programm, dessen Verwirklichung angestrebt werden soll. Demzufolge
betrachte ich die "Vereinigte Linke" - trotz ihrer sympathischen Bescheidenheit
und trotz ihrer Beteuerung, daß die Werktätigen selber die Formen für den Aufbau einer
demokratisch sozialistische Gesellschaft entwickeln müssen - nichtdestoweniger als eine
sich als Vorhut anmeldende Grupierung.
Ist die von ihr dargebotene "Alternative" eine Perspektive für die DDR? Nach
meiner Meinung hängt die Zukunft jeder Gesellschaft, die Frage welche Reformen in ihr
stattfinden werden und wie 'radikal' diese wohl sein werden, vom Auftritt und
Kampfeswillen der Arbeiterklasse ab. Wenn die wirtschaftliche Grundlage der Gesellschaft
nicht in Frage gestellt wird, nicht umgewälzt wird, wird es keinen Sozialismus geben,
auch dann nicht wenn "Freiheit" und "Demokratie" errungen werden.
Die "Vereinigte Linke" hat sich kräftig gegen einen "Ausverkauf der DDR an
die Bundesrepublik" gekehrt. Sie geht daran vorbei, daß es bislang in der DDR auch
die Herrschaft des Kapitals gab, sei es eine andere Form dieser Kapitalsherrschaft als im
Westen. Aus ihren Dokumenten geht hervor, daß die "Vereinigte Linke" die
Gesellschaft der DDR für eine ohne Kapitalismus, jedoch mit politischer Unterwerfung der
Werktätigen durch den Staat ansieht. Daß letztere gerade aus der besonderen Form des
Kapitalismus im Osten hervorgeht, entgeht ihr ganz und gar.
Schließlich hat die "Vereinigte Linke" sich selbstverständlich mit ihrer
Beteiligung an den Wahlen, das heißt mit ihrer Beteiligung an der
"Stimmzetteldemokratie" im Widerspruch mit verschiedenen Stellen ihrer Plattform
befunden. Für die Verwirklichung des Sozialismus ist ihr geringer Wahlerfolg
bedeutungslos. Ein großer Erfolg wäre genau so beteutungslos gewesen. Denn der
Kapitalismus wird nicht mit dem Stimmzettel gestürzt!
CAJO BRENDEL Amersfoort (Holland)
. |