Nach dem Kongreß

Schlußerklärung zum Benno-Ohnesorg-Kongreß der trend-Redaktion


Ist der Kongreß gescheitert?
Oder warum diese Frage keinen Sinn macht.

Schon in den Ankündigungen hatten die Veranstalter des Benno-Ohnesorg-Kongresses um die Zeitschrift Kalaschnikow deutlich gemacht, daß es sich nicht in erster Linie um ein Laboratorium für die Entfaltung einer zeitgenössischen radikalen, emanzipatorischen und antikapitalistischen Kritik handeln sollte, sondern um ein Diskursprojekt aus Erinnern und Verarbeiten, festgemacht an den Ereignissen rund um den 2. Juni 1967. Zentral war daher für dieses Anliegen, eine möglichst große Zahl sogenannter 68er Promis aufzubieten, die als Zeitzeugen Geschichte entlang ihres heutigen Erkenntnisinteresses am Gegenstand vermitteln sollten. Dies wiederum ergab ein diffuses - rein additives - und letztlich formales Konzept.

Kalaschnikow und Co, die dafür die ASten der TUB, FUB und HUB als Mitveranstalter/Unterstützer gewinnen wollten, stießen bei diesen deswegen auf wenig Gegenliebe. Obgleich Delegierte der ASten mit "Beobachterstatus" an den regelmäßig seit Februar 1997 wöchentlich stattfindenden Vorbereitungstreffen teilnahmen, begriffen die sich aber nie als Teil dieses Vorhabens. Im Rahmen ihrer Jahreshaushalte in Millionenhöhe reichten sie zwar dem Veranstalter einige tausend Mark als "Kredit" zur zweckgebundenen Anschubfinanzierung rüber, stellten sogar den Raumantrag (TUB-AStA), verabschiedeten sich dann aber inhaltlich in eine "Gegenverstaltung" über Verhältnis/Wechselbeziehung von linker Bewegung und Stadtguerilla am Beispiel der Bewegung 2. Juni, die zeitgleich im Mehringhof angeboten wurde. Unbeschadet dessen verlangten sie vom Veranstalter die Vorlage eines Konzeptes und erhoben den Anspruch, die Auswahl der ReferentInnen nach ihren eigenen politischen Kriterien zu bestimmen. Schließlich erpreßten sie den Veranstalter mit dem Raumantrag, was diesen veranlaßte, um Kohle und Raum doch zu bekommen, den Eindruck zu erwecken, als habe er Langhans, Rutschky, Staadt, Wolff u.a., die sich auf der Giftliste der ASten befanden, wieder ausgeladen. Und zu guter letzt drohte der RefRat der HUB mit Rechtsmitteln, wenn der Veranstalter weiterhin das "Siegel" der HUB auf seinen Werbematerialien verwenden würde. Diese Macht- und Ränkespielchen wurden zudem überlagert von Differenzen einiger 68er Promis mit dem Veranstalter, die dazu führten, daß diese ausstiegen und andere zu beeinflussen versuchten, sich ihrerseits aus dem Projekt zurückzuziehen.

Die trend-redaktion hatte im April 1967 mit dem Aufbau eines virtuellen Textarchivs zur Geschichte der 68er Bewegung begonnen. Es war geplant, diese Internet-"Bibliothek" als Grundlage für Veranstaltungen zu nehmen, die für den Winter 1997/98 projektiert wurden. Auf unserer monatlichen Redaktionssitzung Ende April nahm eine Vertreterin des RefRats der HUB als Gast teil und berichtete von dem geplanten Benno-Ohnesorg-Kongreß. Auf dieser Sitzung kritisierten wir spontan das unausgegorene Konzept und baten die RefRat-Frau um Vermittlung eines Kontaktes zu den Kongreß-Veranstaltern. Diese vermittelte den Kontakt und stellte schriftlich "hinter unserem Rücken" namens des RefRats an den Veranstalter die Bedingung, daß die Vergabe der RefRat-Gelder auch von unserer Teilnahme abhängig sei.

Zwei Wochen vor dem Kongreßtermin kam es zu einer ersten gemeinsamen Gesprächsrunde zwischen "Kalaschnikow" und "trend". Hier kritisierten wir an dem Veranstaltungskonzept das Ausblenden zweier relevanter Themen: 1) Tendenzen der Revolte und des Aufruhrs in den sozialen Milieus jenseits der Uni und 2) Die Darstellung von Aufruhr und Revolte in den anderen Metropolen und deren gemeinsame Bezugnahme auf die Befreiungsbewegungen (kulminierend in der BRD im Vietnamkongreß). Desweiteren vermißten wir in den sogenannten Generaldebatten die Einbindung von relevanten Gruppen aus dem heutigen aktiven linken & radikalen Spektrum. Wider Erwarten wurde uns sofort die Möglichkeit eröffnet, entsprechende AG`s auf dem Kongreß einzurichten und die Moderation der Abschlußdebatte zu übernehmen und dafür noch Leute aus heutigen linken&radikalen Zusammenhängen zu gewinnen. Im Gegenzug übernahmen wir die Kongreß-Ankündigung im Internet.

Zu diesem Zeitpunkt wußten wir nichts von den oben beschriebenen Macht- und Ränkespielchen zwischen den im studentischen Milieu miteinander konkurrierenden politischen Strömungen und unserer Funktionalisierung für die dubiosen Zwecke des HUB-RefRat.

Auf der dem Kongreß vorangehenden letzten Vorbereitungssitzung brachten wir im Sinne unseres trend-Internetprojektes, welches sich als strömungs- und fraktionsübergreifende Veröffentlichungsplattform im linken&radikalen Kontext versteht, um damit die gestörte Dialogfähigkeit der BRD-Linken zu überwinden, folgende Punkte ein, über die unter den anwesenden ReferentInnen, UnterstützerInnen und dem Veranstalter Konsens erzielt wurde:

  1. Es wird kein "Zeitzeuge" von den Kongreß-Foren ausgeschlossen (Dies deckte sich übrigens mit dem Raumvertrag des TUB-AStA mit dem Präsidialamt.).
  2. Die erste Generaldebatte orientiert inhaltlich auf die AG´s, deren Ziel es sein soll, Arbeitsergebnisse so aufzubereiten, daß sie die zweite Generaldebatte inhaltlich strukturieren.
  3. Die dritte Generaldebatte ist so zu führen, daß sie die Ergebnisse der zweiten aufnimmt und sicherstellt, daß Leute aus heutigen linken&radikalen Zusammenhängen die Debatte bestimmen.
  4. Dies ist durch die Besetzung des Podiums der dritten Generaldebatte mit entsprechenden ReferentInnen sicherzustellen.

Dies waren klare Richtlinien, die , wie sich auf dem Kongreß später zeigen sollte, weder vom Veranstalter noch von den ASten eingehalten wurden. Der Veranstalter - die Gruppe Kalaschnikow - machte hier lediglich aufgrund seiner Inhaltslosigkeit gegenüber dem Kongreßgegenstand einen weiteren opportunistischen Kniefall vor der "normativen Kraft des Faktischen". Dagegen haben sich die Gründe für das doppelbödige Verhalten, speziell des HUB-RefRats, der eigens eine Moderatorin für die dritte Generaldebatte "abgesandt" hatte, für uns bis heute nicht erschlossen.

Als sich am Freitagabend gegen 19.00 laut Presse das AudiMax mit rund 800 Leuten angefüllt hatte, fehlten sämtliche ReferentInnen für den 1.Teil der Podiumsdiskussion, für den zweiten Durchgang standen nur Bernd Rabehl und Morus Markard zur Verfügung. Daraufhin entschied der Veranstalter beide Debattenteile zusammenzulegen und das Podium mit Rainer Langhans und Karl-Heinz Schubert (trend) zu komplettieren. Schließlich wurde noch Heide Berndt auf das Podium geholt, die im Vorfeld des Kongresses vieles unternommen hatte, den Kongreß scheitern zu lassen. Anstatt nun in der Anmoderation diesen Umbau zu erläutern und in das dadurch veränderte Thema einzuführen und mit dem verabredeten Kongreßverlauf zu vermitteln, schwieg sich der Moderator und Veranstalter, Stefan Pribnow, aus. So kam es, wie es kommen mußte, die ReferentInnen versuchten sich selber in ein Gespräch zu verwickeln, ohne zu wissen / wissen zu wollen, welcher Gegenstand von gemeinsamen Erkenntnisinteresse war. Ein Highlight an Destruktivität setzte in diesem Unterfangen Bernd Rabehl, der mit cholerischen Ausbrüchen "junge Leute" niedermachte, als sie Fragen nach den revolutionären Ansprüchen der 68er stellten. Diese verließen dann in Scharen den Saal. Unter solchen Bedingungen schien es gänzlich unmöglich, die inhaltlichen Beiträge der trend-Redaktion so einzubringen, wie es beabsichtigt war, nämlich einen "roten Faden" an Erkenntnisinteresse zu formulieren, der sich in die AG`s verlängern sollte.

Kurz vor Beginn der 2. Generaldebatte am Sonnabend bat Stefan Pribnow die trend-Redakteure, Günter Langer und Karl-Heinz Schubert, für ihn die Moderation zu übernehmen, weil er sich weder physisch noch psychisch dazu in der Lage sah. Am Podium angekommen, wurden sie von Jutta Ditfurth, die als einzige Referentin am Tisch saß, sofort angebrüllt: "Der Langhans muß hier raus oder ich geh vom Podium." Zwischen diesem Ereignis und dem tätlichen Angriff ihres Lebensgefährten auf den trend-Redakteur Günter Langer am nächsten Tag, der ja bekanntlich zum vorzeitigen Abbruch des Kongresses führte, spannte sich ein Bogen von Handlungen und Auftritten seitens der Ökolinx-Leute, die Bommi Baumann danach veranlaßten, die Ökolinx-Leute mit dem Begriff "Ratzingers junge Garde" zu etikettieren. Zu diesen skandalösen Vorgängen ist bereits an anderer Stelle genug geschrieben worden.

Wer auf diesem Kongreß auschließlich nur an den Generaldebatten teilnahm, wo sogenannte 68er-Promis über sich monologisierten, andere Gesinnungspolizei spielten und ein positionsloser Veranstalter angesichts der sich aufhäufenden Eklats opportunistisch schwieg, mußte natürlich den Eindruck mitnehmen, den Jürgen Gottschlich in der taz v.2.6.97 mit dem Satz: "Unter Sektierern läßt sich einfach nicht diskutieren." trefflich umschrieb. Unter diesen Bedingungen erscheint auch das gerüchteweise umlaufende Statement von Moderator und Organisator Stefan Pribnow "Der Sinn des Kongresses ist sein Scheitern", plausibel. Nur, wer nach dem Scheitern fragt, stellt die falsche Frage. Sie macht keinen Sinn.

Der Benno-Ohnesorg-Kongreß war eben nicht nur von gesinnungspolizeilichen Auftritten und den Befindlichkeiten "oller 68er" geprägt, sondern fand dafür seinen Resonanzboden vor allem in den Generaldebatten in einem Publikum, welches kein besonderes Erkentnisinteresse mitbrachte, sondern sich nur als links&radikal spüren und unterhalten lassen wollte. Dafür reichte es aus, sich je nach ideologischer Vorprägung atavistisch auf die eine oder andere Ikone zu beziehen, die im Gegenzug ihr Klientel mit den dafür notwendigen Worthülsen munitionierte. Damit entsprach die TeilnehmerInnenschaft im Durchschnitt (leider) dem Zustand der Gesamtlinken in der BRD. Hier scheiterte nichts, sondern hier focussierte sich nur die allgemeine Crux. Nämlich daß der überwiegende Teil aus dem linksradikalen und autonomen Spektrum versucht, vermutete Gemeinsamkeiten über die Bündnispolitik "Antifaschismus" zu finden und zu definieren. Tiefere theoretische Einsichten oder gar umfassende Analysen zum Zwecke der Aufhebung der Ware-Geld-Beziehungen und des Kommandos des Kapitals über fremde Arbeit sind nicht gefragt. So reichte es fürs Linkssein auf diesem Kongreß aus, wie es allweil üblich ist, mit radikaler Attitude das "neue Deutschland" (mit seinen wirklich abstoßenden Erscheinungsformen) zu kritisieren. Bestürzend an dieser Art von Radikalismus ist aber der Preis, der dafür verlangt wurde und den ein nicht geringer Teil der TeilnehmerInnen und der Veranstalter bereit waren zu zahlen: Der Bruch bürgerlicher Freiheitsrechte in Gestalt von Redefreiheit und dem Recht auf Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen.

In dem nach dem Kongreß am 9.6.1997 stattfindenden gemeinsamen Treffen von "Kalaschnikow" und "trend" zum Zwecke der Kongreßauswertung mußten wir zu unserem Bedauern feststellen, daß es auf Seiten der Kalaschnikow-Leute keinerlei Problembewußtsein über diesen Komplex gab. Statt dessen wurden wir wieder mit dem gleichen inhaltsleeren Opportunismus konfrontiert, der sich darin gefällt, eine öffentliche Inszenierung ausschließlich deshalb zu preisen, weil sie sich irgendwie medial vermitteln konnte, um damit die nächste Inszenierung (Rudi-Dutschke-Konvent) zu begründen.

Die Vertreterin des RefRats, die als Gast auf unserer Redaktionssitzung am 11.6.1997 teilnahm, versperrte sich nicht nur unserer Kritik, sondern rechtfertigte zudem ihre verleumderische und rufschädigende, nachweislich wahrheitswidrige Darstellung der Versuche der trend-Redaktion, die Standards bürgerlicher Freiheitsrechte auf diesem Kongreß zu retten, mit der Zweckdienlichkeit für einen sich durch die politische Praxis in Bewegungen irgendwie links definierenden Antifaschismus.

Die trend-Redaktion hat angesichts dieser Erfahrungen beschlossen:

  1. Mit Personen, Gruppen, Strömungen, die für sich im linken&radikalen Spektrum ein Definitionsmonopol in Anspruch nehmen, um andere auszugrenzen, lehnen wir Planung und Durchführung gemeinsamer Veranstaltungen ab. Zur Klarstellung: Es geht uns nicht darum, solche Gruppierungen aus öffentlichen Foren auszugrenzen, wenn sie zu einer inhaltlichen Debatte willens sind.
  2. Wir werden uns an der Organisierung öffentlicher Veranstaltungen nur beteiligen, wenn uns die Veranstalter zusichern und ihrerseits dafür eintreten, daß dort "free speech" möglich ist. Wir können und wollen nicht hinter Vermittlungsformen, in denen wir publizistisch arbeiten, zurückfallen.
  3. Falls die "HUCH" - Internet-Zeitung und der RefRat der HUB ihre verleumderische und rufschädigende, nachweislich wahrheitswidrige Darstellung der Versuche der trend-Redaktion, die Standards bürgerlicher Freiheitsrechte auf dem B-O-Kongreß zu retten, auf ihrer Webseite verbreiten, verlangen wir, unsere Richtigstellung an der selben Stelle zu veröffentlichen und/ oder solange einen Link auf unsere dafür eingerichtete Webseite zu legen, wie sie ihre Berichterstattung im Netz halten.
  4. Wir fordern die "Kalaschnikow" auf, unsere Schlußerklärung in die Kongreßdokumenation aufzunehmen, die im Herbst erscheinen soll.
  5. Da uns zwischenzeitlich Anfragen auf "Wiederholung" des ausgefallenen Themas der dritten Generaldebatte "Radikale Opposition heute?" erreichten, erklären wir hiermit unsere grundsätzliche Bereitschaft zur Beteiligung daran - allerdings unter den Bedingungen der Punkte 1) und 2). Jedoch halten wir "Großveranstaltungen", die nach dem Prinzip des Frontalunterrichts organisiert sind, ebenso für ungeeignet, wie solche, die ohne eine vorher gemeinsam erarbeitete inhaltliche Veranstaltungskonzeption durchgeführt werden.
  6. Unbeschadet dessen halten wir an unserem Plan fest, im Winter 1997/98 Veranstaltungen durchzuführen, die sich auf die Geschichte der 68er Bewegung beziehen und dabei der Frage der Aufhebung der kapitalistisch-warenproduzierenden Gesellschaft nachgehen.

Berlin, den 12. Juni 1997

trend-Redaktion

Verteiler: Newsgruppen, Zeitungsredaktionen, Kalaschnikow, StudentInnenvertretungen der FUB, TUB, HUB, HUCH-Internet-Zeitung, ReferentInnen und Gäste unserer AG´s auf dem Benno-Ohnesorg-Kongreß