Nach dem Kongreß

Betr.: Nachbereitung

Date sent: Tue, 3 Jun 1997 00:35:54 +0200 (MET DST) From: Angelika Goedde

Im folgenden möchte ich mich auf die Kritik am Kongreß und der Vorbereitung(sgruppe) stützen, die von verschiedener Seite kam und sie durch meine Kritik ergänzen.

Diese Nachbereitung, zu der die trend-redaktion aufgerufen hat - und wahrscheinlich auch durch die Zeitschrift "Kalaschnikow" geleistet werden muß, sollte dazu dienen, nicht noch einmal den gleichen Fehler zu machen, wie ihn die Vorbereitungsgruppe gemacht hat. Ferner möchte ich an dieser Stelle auch darstellen, warum ich mich nicht weiter an den Vorbereitungen beteiligt habe, obwohl ich es Stefan zugesichert hatte und in meiner Anfangseuphorie auch Heide Berndt (die sich dann aber auch wieder rausgezogen hat) gewinnen konnte und bestimmt noch mehr interessante Menschen hätte gewinnen können.

  1. mir konnten die Organisatoren nicht darstellen, was sie mit den Kongreß für ein Ziel verfolgten. Ich gab Stefan Pribnow von anfang an zu bedenken, daß es gegenwärtig wichtiger wäre, die Student/innen gegen die weitere Deregulierung/Tendenzen zur Elite-Universität etc. zu mobilisieren, als solch einen Kongreß zu planen. In der Anfangsphase - und zu Beginn des neuen Semesters (März/April 97) war ich jedoch optimistisch, daß sich ggbf. unter den Studies und Restaktionsräten vom letzten Frühjahr noch etwas entwickeln könne, was in Bewegung und außerdem noch in kritischen Diskurs mit den "Kämpfern von einst" tritt...- was jedoch leider nicht zustande kam. Ich selbst war außerdem relativ lahmgelegt durch das Mobbing im StuPa der ASFH...vielleicht hat(te) das ja auch den Zweck, mich von best. Aktivitäten abzuhalten? Bezogen auf soziale Bewegung/Student/innen-Proteste kam der Kongreß ein Jahr zu spät. Er hätte im letzten Frühjahr stattfinden müssen, als die Student/innen und viele Menschen gegen die Sparbarei auf die Straße gingen... Aber spießige Traditionalist/innen halten sich nunmal gern an runden Jahreszahlen fest...
  2. hatte ich bei der Kongreß-Vorbereitung sehr schnell den Eindruck, daß die kleinbürgerliche Profilneurose und auf theoretischem Gebiet der Eklektizismus überwog, der eine tiefergreifende Aufarbeitung der '68er Geschichte verunmöglicht. Ich hatte vorgeschlagen, an den Anfang ein kritisches Resümée zu stellen, wie z.B. "Glanz und Elend des Antiautoritarismus von R.Kurz und der Gruppe "Kritik und Krise" (jetzt Krisis), also mit dem Blick der heutigen Distanz und des Scheiterns der Revolte an den Kongreß zu gehen. Als ich vorschlug, einen Bekannten zur Dokumentierung der theoretisch-wissenschaftlichen Arbeitsgruppen mit H.J. Krahl einzuladen, wurde ich gleich danach gefragt, wer das sei und was dieser Mensch heute so macht. Da er keine bürgerliche Karriere gemacht hat, sondern lediglich als wissenschaftlicher Techniker im Software-Bereich arbeitet und sich weigert, in der kleinbürgerlichen Linken mitzuarbeiten (um sich ggbf. dadurch einen "politischen" Bekanntheitsgrad zu sichern) wurde gleich (insbesondere von Morus Markard) die "Nase gerümpft"... und eine Einladung schon gar nicht mehr in Erwägung gezogen. Auch dies zeigt exemplarisch den Persönlichkeitsfetisch der Vorbereitungsgruppe auf. Auf den Vorbereitungsveranstaltungen wurden Menschen, die neu hinzukamen, wie z.B. Heide Berndt nur als "lästig" empfunden, da sie die Amtsbürokratie durch erneute Grundsatzfragen durcheinanderbrachten.Insbesondere die Geld-Frage nahm einen solch immensen Raum ein, daß ich dachte, daß entweder nun der endgültige Schlußverkauf der '68er Bewegung ansteht (wie er sich auch schon auf der diesjährigen Volksuni andeutete) oder daß ein neues Geschäft aufgemacht werden sollte... Mein politischer Instinkt, basierend auf politischen Erfahrungen seit 1972 sagte mir mal wieder: "Wenn die Finanzierung so im Vordergrund steht, dann werden die Inhalte mies" hat mir- so scheint es - recht gegeben. Ich bin zwar auch schon 1972 gegen den Vietnam-Krieg auf die Straße gegangen und habe mit 15 Jahren mein erstes Haus besetzt, fing aber erst 1977/78 an theoretisch zu arbeiten, als viele der sog. Linken nach dem "Herbst 77" sich ganz von ihrer Geschichte zu lösen begannen und mir ihre Bibliotheken schenkten. Nach dem Motto: "wir können jetzt nicht mehr - mach Du mal weiter....(verschaffte mir die Ehre, kostenlos an einige gesammelte Werke zu kommen)...-die ich sogar anfing zu studieren...
  3. Als ich dann auch noch mitbekam, daß der AStA der TU dem Kongreß wegen R. Wolff und K. Rutschky die Räume nicht geben wollte und Stefan bereit war, sie von der Liste zu streichen, hatte ich endgültig die Schnauze voll. Ich hätte das nämlich nicht gemacht, sondern wäre damit an die Öffentlichkeit gegangen und hätte den AStA der TU kritisiert. Nicht nur das: anhand dieses Erpressungsversuches hätte man sehr gut den nachweislich demagogisch-irrationalen Charakter heutiger Studentenpolitik aufzeigen können. Und da - das muß man ehrlich sagen, waren die '68 - wesentlich weiter und fortschrittlicher als der heutige AStA der TU -. Sie kritisierten immerhin die miefige Spießbürgerlichkeit, während der AStA der TU sie anscheinend wieder installieren will. Vielleicht äußern sich die maßgeblichen Leute des AStA der TU ja mal dazu?

Daß der Herr Pribnow mit dem Kongreß auf die Nase gefallen, lockt in mir eine gewisse Schadenfreude hervor. Denn wer erst die Universität/die Professoren und die Student/innen mit situationistisch-subversiver Kritik geisselt, wie in: "Schmetterlinge des Sozialismus" und dann 2 Jährchen später dem verstaubten heutigen und deutschtümelndem Akademikertum und bürgerlichen Politikern ein Podium zur Profilierung anbietet, hat nichts besseres verdient als auf die Schnauze zu fallen...

Aber vielleicht verhilft ihm der Herr Rabehl ja doch noch zu akademischer Reputierlichkeit für all die Mühen, die er auf sich genommen hat, damit er mal wieder vor einem großen Kreis von Zuhörer/innen sprechen darf - kostenloser Medienrummel noch dazu...???

Mir tut es allerdings leid um all jene, die aus aufrichtigem Interesse an einem Neuansatz linker/revolutionärer Politik nach Berlin gekommen sind und nun resigniert einem fortschrittlichen Politikansatz den Rücken zuwenden.

Genau deshalb halte ich es für wichtig, daß solche Stimmen, wie von Doris sich Gehör verschaffen und ernst genommen werden. Ich bin aber auch daran interessiert, mehr über die einzelnen Arbeitsgruppen zu erfahren und daß sich noch mehr menschen, die jenseits der Parteien stehen, zu Wort melden...

Und: Laßt uns einen wirklichen Neubeginn wagen, basierend auf der Poesie der Zukunft und der Potentialität der heutigen Produktivkräfte! Insbesondere habe ich Lust, über den Artikel "Verfall und Aufhebung der Arbeit" (Kalaschnikow 7. Ausgabe; S. 66 f.) zu diskutieren. Kritik daran ist jederzeit erwünscht. In etwas ausführlicherer Form auch unter: http://uhura.asfh-berlin.de/~goedde/arbeit.htm zu finden.

angelika