Nach dem Kongreß

Beautiful Losers, oder Warum wir es lieben, zu verlieren

(Sonntag, 1.6.97, nach dem finalen Rettungsschuss in die Brust des Benno-Ohnsesorg-Kongresses in der TU Berlin)

Benno Ohnseorg, so heisst es, sei kein besonders politischer Mensch gewesen. Ein willkuerlicher Schuss aus der Pistole eines aufgehetzten Polizisten habe ihn zum ersten Maertyrer der Neuen Linken werden lassen, ein toedlicher Zufall gewissermassen.

Jetzt, noch halb benommen vom und halb wuetend ueber das ruhmlose Ende des 30 Jahre nach jenem folgenschweren Schuss veranstalteten Kongresses frage ich mich, ob es nicht ein schlechtes Omen war, einer politischen Veranstaltung, die doch erklaertermassen nicht der x-ten Rueckschau auf Vergangenes, sondern dessen Verarbeitung zugunsten einer systemkritischen Arbeit heute und morgen dienen sollte, diesen Namen aufzukleben. Denn all die Elemente aus dem Fall Ohnesorg waren praesent: oberflaechlich politische Neugier (mal sehen was laeuft), Willkuer (die Rolle des durchgedrehten Bullen Kurras spielten die inkompetenten Moderatoren), Aufgehetztheit, Zufaelle, Zufaelle, Zufaelle... Aber den Begriff "Omen" halten wohl schon die Esoteriker besetzt, die ueber die kongresssprengende Wirkung ihres verquasten Schwachsinns am meisten erstaunt gewesen sein duerften. Lassen wir es also dahingestellt, ob die Veranstalter es uns teils von fernher in die alte und neue Metropole des Reichs gereisten Teilnehmern mit der Namenswahl schon signalisieren wollten oder sich erst spaeter darueber klar wurden: "Der Sinn des Kongresses ist sein Scheitern" lautete das inoffizielle, von Stefan Pribnow anlaesslich des Abbruchs der zweiten Generaldebatte schliesslich auch oeffentlich verkuendete Motto.

Das war von ihm zwar nicht ganz so ernst gemeint, wie es sich anhoerte, doch traf er in seiner Muedigkeit und seinem Frust den Kern der Sache: DIE ANTIAUTORITAERE LINKE WAR UND IST INS SCHEITERN VERLIEBT. Das kann auch gar nicht anders sein, denn nur das Scheitern gestattet den Antiautoritaeren, so richtig schoen antiautoritaer bleiben zu duerfen. Wer wuerde schon einen im Job als Zentralbankpraesident Kubas ergrauten Che, seine Kinder und Enkel um ihn geschart, auf dem T-Shirt spazierentragen wollen? Erfolg zu haben, sich durchzusetzen mit seinen Anliegen, das hiesse ja, sich festlegen zu muessen, zu etwas stehen zu muessen, das Moegliche zu verwirklichen und die Unzulaenglichkeit des Verwirklichten ertragen zu muessen.

Der Verlierer dagegen kann sich immer am Glanz seiner Vision troesten: So schoen wars, was wir vorhatten, aber leider gings nicht.Trotzdem ist es nur schwer nachvollziehbar, warum sich die Veranstalter des Kongresses all die Muehe gemacht und die sicher erheblichen Kosten nicht gescheut haben, wenn es ihnen nur um den Nachweis ging, dass wir eben nichts auf die Reihe bringen und nie bringen werden und uns daher bis zum Abschnappen mit der Kapitalherrschaft abfinden muessen. Ich kann nicht begreifen, warum die Moderatoren nicht den Mut und die Energie aufbrachten, das Interesse der Mehrheit unter den Kongressteilnehmern an einem fruchtbaren Austausch unter verschiedenen linken Standpunkten durchzusetzen (und in Teufels Namen eben auch mit Abstimmungen zur Geschaeftsordnung - was ist eigentlich so schlimm daran, wenn die Mehrheit der Versammelten beschliesst, zum Beispiel eine nur wenige interessierende Streiterei zu beenden?).

Ich werde lange nicht den Ausdruck von Ohnmacht und Resignation vergessen, mit dem sich nach Abbruch der dritten Generaldebatte durch die gewalttaetigen Hahnenkaempfe destruktiver Politprofis Hunderte von linken Kongressbesuchern von ihren Plaetzen erhoben, sich zoegernd nach draussen schoben, noch unwillig zu glauben, dass es das schon wieder mal gewesen sein koennte.

Ich vermute, dass die Veranstalter sich nicht vorstellen koennen, wie traurig dieses Debakel gerade fuer isoliert in der Provinz arbeitende unabhaengige Linke ist, die nicht alle Tage die Chance haben, mit vielen Leuten aehnlicher Ueberzeugung in Austausch zu treten. In diesem Zusammenhang finde ich es auch beschaemend, dass nicht einmal der Versuch gemacht wurde, ein linkes Abend- bzw. Kulturprogramm vorzubereiten. Schliesslich gibt es ja unter Linken viele kreative Menschen - sicher haetten sich auf dieser Ebene manche Kontakte ergeben, die im Plenum nicht moeglich gewesen sind.

Aber vielleicht bilde ich mir das nur ein, und im Grunde sind alle (oder fast alle) jetzt doch auf eine perverse Weise zufrieden, weil sies ja gleich gewusst haben, dass das nichts werden kann.

Schliesslich, was drehte sich auf den Plattentellern der 68er? "Street Fighting Man" Mick Jagger wollte im schlaefrigen London doch lieber fuer eine Band singen (und, naja, ein bisschen Kohle machen), und wie nannte Anti-Establishment-Barde Leonard Cohen seinen Roman? Richtig, "Beautiful Losers!" Glueckwunsch, ihr Vatis aller Laender!

Doris