Arbeitsgruppe

Aufbruch zum Proletariat

Stand: 25. Mai 1997

2.Juni 67, Springerkampagne, Kritische Universität, Vietnamkongreß, Stadtguerilla, Kinderläden und Frauenrevolte - so in etwa könnte die Themenliste ausfallen, wenn auf den zentralen Strategieforen des diesjährigen "Benno-Ohnesorg-Kongreß" die Bedeutung der Jugend- und Studentenbewegung reflektiert wird. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Bewegung jedoch - nämlich ihre ArbeiterInnenbezogenheit - scheint dagegen ausgeblendet. Die trend-Redaktion kritisiert diese Reduktion und bietet daher ein Forum an, wo anhand der Geschichte der westberliner Basisgruppen die Hinwendung zum Proletariat vermittelt und auf ihre aktuelle Relevanz hin diskutiert werden soll. Um dem Anspruch des Kongresses auf eine nach vorn gerichtete strategische Orientierung zu genügen, hat die trend-Redaktion versucht, "Zeitzeugen" und Aktive aus heutigen Zusammenhängen in einer AG zusammenzubringen. Geschuldet der Kürze der Zeit (seit 12.5. stehen wir dazu in der Vorbereitung) legen wir zur Schlußredaktion (19.5.) des Veranstaltungsbuches, eine erste TeilnehmerInnenliste vor, an deren Erweiterung wir aktiv arbeiten.

Die inhaltliche Orientung dieser AG auf die Basisgruppen resultiert aus der Tatsache, daß sie beispielhaft für den Versuch stehen, die immense Verbreiterung der StudentInnenbewegung infolge der Ereignisse am 2. Juni 1967 und zu Ostern 1968 für eine auf das Proletariat bezogene Politik zu nutzen. Bis zum Herbst 1968 begriffen sie sich in erster Linie als Stadtteilgruppen. Von da an bis zu ihrem Zerfall, Ende 1969, verstanden sie sich als bezirkliche Gruppen, die mehr oder minder ausgeprägt Betriebsarbeit machten und sich dafür eine eigene mediale Öffentlichkeit in Form von Betriebszeitungen, Zirkularen bis hin zu "Arbeiterkonferenzen" und Großveranstaltungen schufen.

Bei diesem "Aufbruch zum Proletariat" wirkten etliche StudentInnen mit, und es entstanden Gruppen in Friedenau, Kreuzberg, Märkisches Viertel, Moabit, Neukölln, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Wedding, Wilmersdorf und Zehlendorf. Ihre Mitgliederzahl betrug im Durchschnitt 30 bis 50. Die Spandauer Gruppe erreichte sogar einen Mitgliederstand von über 100.

Die Jugend- und Studentenbewegung war eine vielschichtige und widersprüchliche Emanzipationsbewegung, in der es zunächst darum ging, eine konservativ erstarrt erscheinende Gesellschaft von der Uni aus durch Aufklärung und Aktion als Klassengesellschaft zu dechiffrieren, um in diesen Kampagnen Konzepte für eine radikale Veränderung zu projektieren. Von daher erscheinen die Basisgruppen als folgerichtiger Schritt auf dem Weg der Ablösung von einer rein studentischen Politik, der sich auch parallel in anderen Metropolen, vornehmlich in Frankreich und Italien, vollzog. Gleichzeitig wurde die Basisgruppenbewegung aber überformt von ideologischen Auseinandersetzungen über das Verhältnis von Intellektuellen und ArbeiterInnenklasse bei der Rekonstruktion einer revolutionären ArbeiterInnenbewegung. Gleichsam einer inneren Logik folgend, trieb diese Debatte ihrem abrupten Ende entgegen, als im rein studentischen Mileu in der zweiten Jahreshälfte 1969 die Gründung marxistisch-leninistischer Parteien beschlossen wurde.

Aufsetzend auf der Geschichte der westberliner Basisgruppen sollte in der AG folgenden Fragen nachgegangen werden:

  • Entsprach der Begriff der Proletariats, so wie er Eingang in die Debatten der StudentInnen- und Jugendbewegung fand, den vorgefundenen Verhältnissen oder war er eher Ausdruck eines escapistischen Voluntarismus?
  • Folgte aus dem Verständnis des Proletariats als historischem Subjekt unter kapitalistisch-imperialistischen Bedingungen notwendigerweise das Leninsche Parteikonzept?
  • War die ursprüngliche Auffassung von der Abwesenheit des Klassenkampfs doch die eigentlich richtige Interpretation der Verhältnisse in den Metropolen, allerdings mit dem Mangel behaftet, durch die Kritische Theorie unzureichend abgeleitet worden zu sein?
  • Entsprechen die heutigen Verhältnisse ihrem Wesen nach den damaligen und gibt es von daher die Notwendigkeit für linke&radikale Politik , die Frage nach dem historischen Subjekt erneut aufzuwerfen?
  • Wäre die Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie dafür noch eine hinreichende theoretische Grundlage?

Diese kursorische Auflistung stellt ein Vorschlag an die "Zeitzeugen" und Aktiven aus heutigen Zusammenhängen dar, um mit den TeilnehmerInnen in eine gemeinsame und strategisch orientierte Diskussion zu kommen. Kritik und Anregungen sind bereits vor Beginn des Kongresses ausdrücklich erwünscht, können aber aus Zeitgründen nicht mehr ins Programmbuch aufgenommen werden.


Erster Entwurf über die Verlaufsstruktur der AG "Aufbruch zum Proletariat"

Samstag, 31. Mai, im 2. Block 14-17, TUB Mathegebäude, Raum ??, (evtl. 3. Block: Sonntag, 1. Juni, 10-13 Uhr)

1) Thesen zur Geschichte der Basisgruppen - 20 min

Entlang folgender "Stationen" soll die Geschichte knapp skizziert werden: Herbst/Winter 1967/68 (Kritische Universität), Februar 1968 (Vietnamkongreß), Ostern 1968 (Attentat auf Rudi Dutschke - Gründung der Basisgruppen), April/Mai 1968 (1.Maikampagne und Pariser Mai), Frühsommer 1968 (Anti-Notstandskampagne), Oktober bis Dezember 1968 (Ausrichtung der Basisgruppen auf Betriebsarbeit), Januar 1969 (Kampagne gegen die SPD), Februar 1969 ( Basisgruppen-Info und erste Schritte der Vernetzung des Basisgruppen), März bis Mai 1969 (Maikampagne und Hinausdrängen der SEW aus dem linksradikalen Spektrum), Sommer bis Herbst 1969 ( Organisations- und Strategiedebatte, Aktionen bei Arwa, Vorlo, Gilette, Orenstein & Koppel, Septemberstreiks, BVG-Streik), November/Dezember 1969 ("Der Kampf um die RPK" und die Gründung von ML-Organisationen)

2) Berichte aus der Arbeit der Basisgruppen? - 20 min

Anhand von Berichten der "Zeitzeugen" aus den Basisgruppen Wedding, Kreuzberg und Neukölln sollen die unterschiedlichen Konzeptionen und Schwerpunktsetzungen dieser Basisgruppen verdeutlich werden. Die Berichte sollen dazu dienen, das einleitende Referat "Zur Geschichte der Basisgruppen" zu illustrieren und ggf. zu korrigieren.

3) Das Konzept der "Arbeiterkontrolle" - 30 min

Unter Zuhilfenahme des Vorworts der Broschüre "Arbeiterkontrolle und Shop Steward", 1969 von der Basisgruppe Wedding herausgegeben, sollen die strategischen Positionen der Basisgruppen, die Betriebsarbeit leisteten, dargestellt und einer kritischen Würdigung unterworfen werden.

10 Minuten Pause

4) "Ökonomistische Handwerkelei, Narodnikitum" - 30 min

So in etwa lauteten die Vorwürfe aus anderen Zusammenhängen der StudentInnen- und Jugendbewegung an das Basisgruppenkonzept, um schließlich das Leninsche Parteikonzept aufzugreifen und zur Parteigründung schreiten. Hier wird es um die Frage gehen, inwieweit es zutreffend ist/war zu behaupten, das Proletariat könne von sich aus nur ein ökonomistisches Bewußtsein entwickeln (Lenin "Was tun?"). Desweiteren wird gefragt werden, ob der Rückgriff auf das bolschewistische Partei- und Revolutionskonzept nur voluntaristisch erfolgte.

5) Untersuchungen führen, das Proletariat organisieren - 60 min

Im Verlaufe der Ausrichtung der Basisgruppenarbeit auf Betriebsarbeit entstand die Absicht, Untersuchungen über betriebliche Kampfbedingungen zu führen. Dabei entwickelte sich die Vorstellung, daß es einen Zusammenhang zwischen der Untersuchungstätigkeit und der Initiierung von Kämpfen gäbe, der schlußendlich organisatorisch zu wenden sei. Anhand von zeitgenössischen Texten wird dies verdeutlich werden.

In der anschließenden Aussprache müßte anhand der Texte auf den dahinterliegenden Proletariatsbegriff eingegangen werden. Dies könnte unter folgenden Fragestellungen geschehen:

  • War der Proletariatsbegriff, wie er in die strategischen Konzepte der Jugend- und StudentInnenbewegung Eingang fand, nur voluntaristisch adaptiert und entsprach er daher dem Bild vom Proleten mit der schwieligen Faust?
  • Oder war die Orientierung auf die IndustriearbeiterInnenschaft Ausdruck eines bestimmten soziologischen Klassenmodells, in welchem jene als Kernschichten des Proletariats eingeschätzt werden und gleichsam den Motor für die revolutionäre Erhebung bilden?
  • Folgt aus diesem Verständnis des Proletariats als historischem Subjekt unter kapitalistisch-imperialistischen Bedingungen notwendigerweise das Leninsche Parteikonzept?

An eine Fortsetzung am nächsten Tag ist gedacht, wenn dies aus der Arbeit der AG heraus als sinnvoll erachtet wird, zum Beispiel, wenn der 5. Teil nur andiskutiert wurde - aber auch dann, wenn ein "Schlußdokument" für die 3. Generaldebatte erstellt werden soll.

Es wird vorgeschlagen, den 2. Tag unter folgendes Thema zu stellen:

Proletariat und Organisation - Schüsselfragen einer revolutionären Politik für heute?

  • War die ursprüngliche Auffassung von der Abwesenheit des Klassenkampfs doch die eigentlich richtige Interpretation der Verhältnisse in den Metropolen, allerdings mit dem Mangel behaftet, durch die Kritische Theorie unzureichend abgeleitet worden zu sein?
  • Entsprechen die heutigen Verhältnisse ihrem Wesen nach den damaligen und gibt es von daher die Notwendigkeit für linke&radikale Politik , die Frage nach dem historischen Subjekt und seiner (Selbst-)Organisierung erneut aufzuwerfen?
  • Wäre die Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie dafür noch eine hinreichende theoretische Grundlage?

Berlin, den 25. Mai 1997

Karl-Heinz Schubert