Arbeitsgruppe

Leo Trotzkis Beitrag zum Marxismus

Stand: 19. Mai 1997

Als 1989 die Mauer fiel, der Stalinismus seinen endgültigen, ebenso unrühmlichen wie verdienten Abgang von der Geschichte antrat, schien die Stunde der revolutionär-kommunistischen Kritiker des Stalinismus, des offiziellen "Marxismus" gekommen zu sein.

Allein nicht nur die demokratisch-konterrevolutionäre Form des Sturzes des Stalinismus - in Deutschland die kapitalistische Wiedervereinigung - hat die ernsthafte Rückbesinnung und kritische Aneignung der revolutionären Kritik am Stalinismus, wie sie in der Theorie, Programmatik und Politik Leo Trotzkis entwickelt wurde, selst unter einer signifikanten Minderheit der linken Intelligenz bis heute verhindert.

Das ist kein Zufall, war doch die BRD-Linke über Jahrzehnte von stalinistischen Denktraditionen geprägt - sei es in der verknächert-voluntaristischen Form des Maoismus, des blutleer-behäbigen DKP-Reformismus oder des dazu im mehr oder weniger "kritischen Naheverhältnis" stehenden Hochschulmarxismus, des "Stalinismus mit humanistischen Antlitz".

Während sich diese Strömungen vor 1989 mehr oder weniger im Besitz der "Wahrheit" - und sei noch in Form des halb-stalinistischen Auslaufmodells Gorbatschow - fühlten, brach mit 1989 nicht nur die Welt ihrer "Wahrheiten" zusammen. Hatte die Partei oder der jeweilige Ableger bis dahin immer Recht gehabt, so wurde nun verkündet, daß man nicht einfach unrecht gehabt hätte, sondern auch sonst niemand je den Gang der Dinge - sprich den Untergang des Stalinismus samt aller dazu gehöriger Illusionen - hätte vorhersehen können. Damit sollte die marxistische Kritik am Stalinismus gleich noch einmal "widerlegt" werden.

Dementsprechend zielen die landläufigen Einwände gegen Trotzkis Analyse und programmatische Schlußfolgerungen zur sowjetischen Gesellschaft vor allem darauf, sich erst gar nicht damit zu beschäftigen. Besonders häufig - und keineswegs nur von ehemaligen oder icht ganz so ehemaligen Stalinisten - wird hier der Vorwurf genannt, daß Trotzki ja ohnedies dasselbe gewollt hätte, ja - vielleicht - sogar noch schlechter gewesen wäre.

Dieser Vorwurf ist nicht nur ungeheuerlich angesichts der Dimensionen stalinistischer Verbrchen, er ist vor allem dumm. Warum sollte sich der politisch-inhaltliche Konflikt zwischen dem Trotzkismus und dem Stalinismus in gegensätzlichen, einander ausschließenden theoretischen und programmatischen Vorstellungen verlaufen, wenn doch beide dasselbe gewollt hätten?

Darauf wird keine Antwort gegeben, ja der Zweck der ganzen unterstellten Gleichsetzung besteht ja gerade darin, diese Frage nicht nur nicht beantworten, sondern erst gar nicht stellen zu müssen. Genau diesen Wer, der - ob gewollt oder ungewollt - auf eine Apologie des Stalinismus hinausläuft, werden wir nicht beschreiten.

Vielmehr sollen im Arbeitskreis zentrale theoretische und programmatische Vorstellungen Leo Trotzkis in einem Referat vorgestellt und dann inhaltlich diskutiert werden. Als Ausgangspunkt und im Zentrum des Arbeitskreises wird Trotzkis Analyse des Stalinismus stehen, die mit der auch von ihm nicht vorhergesehenen Form seines Zusammenbruchs ("friedliche, bürgerlich demokratische Form der Konterrevolution, fehlendes proletarisches Klassenbewußtsein) konfrontiert wird. Hier ist die Frage zu stellen, ob und wie sich diese Phänomene mit Trotzkis Theorie erklären lassen, und welche programmatischen Weiterentwicklungen sich daraus ergeben.