Arbeitsgruppe
Doppelte Abgrenzung - Neoreformismus und Dogmatismus
Stand: 25. Mai 1997

Schon in den Jahren der Außerparlamentarischen Opposition stand die Linke vor der Frage einer gesellschaftlichen Alternative. Die Verfallserscheinungen des "real existierenden Sozialismus" waren äußerlich noch nicht erkennar. Er galt allgemein und somit auch im Bewußtsein der Linken als Sozialismus, wirkte auf sie jedoch abschreckend. Die Diskussion um eine Alternative wurden daher wesentlich von dieser Unattraktivität des vermeintlichen Sozialismus beeinflußt. Reformistische Strömungen gewannen wieder die Oberhand.

Mit dem Untergang der stalinistisch deformierten Übergangsgesellschaft galt dieses Modell darüber hinaus auch vor der Geschichte gescheitert. Durch seine Gleichsetzung mit Sozialismus schien somit auch die marxistische Theorie auf ganzer Linie widerlegt. Großen Teilen der Linken ging damit eine Alternative verloren. Mit dem Ende des "Realsozialismus" und dem Anschluß der DDR an die Bundesrepublik traten vor dem Hintergrund zunehmend destruktiver Prozesse zwei Überbleibsel des "Realsozialismus" mit hegemonialem Anspruch innerhalb des linken Spektrums auf die Bühne: die PDS und die DKP, zwischen denen sich die Kommunistische Plattform taktisch bewegt.

Während die von den sogenannten Erneuerern geführte PDS sich von der marxistischen Theorie mit der Begründung abwandte, ihre historische Konkretisierung habe den Stalinismus hervorgebracht und daher Sozialismus als Ziel aufgegeben hat, halten DKP und Kommunistische Plattform weiter an der alten Sozialismusvorstellung fest. Die Problematik beider Positionen liegt darin, daß sie von der gemeinsamen Prämisse ausgehen, der "Realsozialismus" habe sozialistische Systemqualität gehabt. Beide setzen damit Marxismus und Stalinismus gleich, obwohl der "Realsozialismus" sich nicht auf die von Marx und Engels begründete Theorie zurückführen läßt, sondern auf die völlig von ihr abweichende Stalins vom "Sozialismus in einem Land".

Bei Anerkennung dieser Prämisse hat die PDS daraus die Schlußfolgerung einer neoreformistischen Politik gezogen, wobei sie den angeblichen Sozialismus nicht analysiert, sondern nur moralisch negativ etikettiert hat. Insofern nur zu einem taktischen Umschwenken fähig, wirkt der Stalinismus in abgeschwächter Form in ihr weiter. Ihr Neoreformismus trifft außerdem auf eine Entwicklung, die ihm die ökonomischen Spielräume entzieht.

DKP und Kommunistische Plattform stehen moralisch positiv zum stalinistischen Gesellschaftsmodell und sind im alten Dogmatismus befangen geblieben. Neue Antworten haben sie ebenfalls nicht entwickelt.

Wenn die Linke heute wieder vor offenen Fragen steht, sollte sie einerseits beachten, daß der tradierte "Parteimarxismus" immer noch nichts besseres als das anzubieten hat, was sie damals schon ablehnte, und andererseits, daß der Neoreformismus nicht nur die aktuelle Entwicklung verfehlt, sondern außerdem ein aufpoliertes Plagiat ist. Sie muß sich daher von diesen Beispielen abwenden und ihre Inhalte selber neu erarbeiten, will sie nicht endgültig scheitern.
(Willi Gettel)