Vorläufige Aspekte sozialistischer Erziehung in den Kinderläden
Aus dem Vorwort: Anleitung für eine revolutionäre Erziehung, herausgegeben vom Zentralrat der sozialistischen Kinderläden Westberlin
Kontaktperson: Lutz von Werder
Die Arbeit der Kinderläden darf sich nicht allein an der Phase frühkindlicher Sozialisation orientieren. Man muß diese Arbeit als erste Stufe eines des ganze Leben umfassenden kritischen Sozialisationsprozess begreifen.
Wichtiger ist, die Arbeit der Kinderläden muß an den politischen Perspektiven der Schüler-, Lehrlings-, Jungarbeiter- und Studentenbewegung orientiert sein. Ihre Ausdehnung und Sicherung ist nur bei der Ausdehnung der sozialistischen Bewegung selbst möglich. Die Kinderläden können sich deshalb nicht nur psychoanalytisch begründen, sondern sie müssen ihre Arbeit áuch auf ihre gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen hin verstehen und entwerfen. Die Erziehung in den Kinderläden kann deshûlb nicht neutral sein. Sie muß politisch sein. Erziehung zur 'freien Sexualität' allein wird die von der Gesellschaft produzierten autoritären Charaktere nicht verhindern.
Angesichts der bürgerlichen Beeinflussung der Kinder von klein auf muß eine umfassende sozialistische Erziehung so früh wie möglich einsetzen. Ihre Inhalte und Methoden sind orientiert am politischen Ziel. Die Kinderläden können deshalb keine 'pädagogischen Inseln' sein. Die Erziehung in den Kinderläden kann sich nicht als Vorbereitung für ein Leben in einer klassen- und repressionslosen Gesellschaft verstehen, sondern als Vorbereitung auf eine Klassengesellschaft, die es radikal zu verändern gilt. Die Kinderläden sind keine 'Kinderlaboratorien', sondern Ansätze einer Erziehung zu Kampf, Konflikt und sozialistischer Lebensperspektive.
Um dies zu ermöglichen, muß die Erziehung in den Kinderläden von Bezugspersonen geleistet werden, die auch am politischen Kampf teilnehmen, nur sie können revolutionäre Identifikationen für die Kinder schaffen. Die sozialistische Erziehung in den Kinderläden muß durch eine politisch revolutionäre Familienerziehung ergänzt vrerden. Die Politisierung der mittelständischen Familie muß die Ladenerziehung begleiten. Kinderladenerziehung muß über den Bereich des Ladens hinaus erweitert werden durch eine Teilnahme der Kinder an den Kämpfen der sozialistischen Bewegung in der Öffentlichkeit.
Die Erziehung in den Kinderläden muß sobald wie möglich von Kindern und Eltern aus der Arbeiterklasse und den intellektuellen Kadern der sozialistischen Avantgarde gemeinsam getragen werden. Die Kinderladenbewegung wird ihren elitären Charakter erst dann überschreiten, wenn sie in steigendem Maße Betriebskindergärten einrichtet und ihre Kinder nach Verlassen des Kinderladens mit der Errichtung von "roten Schulvorposten" in den Schulen den Schulkampf aufnehmen läßt.
Wichtigstes Mittel revolutionärer Erziehung ist die Erziehung zur politischen Praxis durch politische Praxis. Diese Praxis kann im Vorschulalter im Bereich des Spielens, des Lernens und der Arbeit der Kinder versucht werden. Es müssen deshalb Spiele entwickelt werden, die die Kinder zur Aktivität anregen. Eine gute Möglichkeit zur Aktivierung der Kinder stellt das Kindertheater dar. "Es kommt darauf an, daß die Kinder ihr innerstes Erleben zum Ausdruck bringen, ihre aufgehäuften Spannungen durch Wort, Mimik und Gebärden zur Entladung bringen."(Hörnle, Edwin, Schulpolitische Schriften, Berlin, S. 162) Den Kindern sollte ermöglicht werden, Ausschnitte aus ihrem Leben, Szenen der Unterdrückung und ihrer Bewältigung zu spielen. Puppenbühne und Kasperletheater können Vorstufen der Selbstdarstellung der Kinder sein. Diese Form der Darstellung ist besonders gut geeignet zur "karikierenden Darstellung von Vorgängen aus dem politischen und sozialen Leben. Polizei, Schule und Kirche lassen sich hier in eindrucksvoller Vereinfachung reproduzieren, ebenso das Verhältnis von Kapitalist und Lohnarbeiter, von Arbeiter und Bauer, von Soldat und Prolet".(Hörnle a.a.O. S.134) Spielerisch lassen sich auch Märchen und Geschichten gestalten. Hier besteht die Möglichkeit, daß Kinder aus Schülerläden Kinder aus Kinderläden unterhalten. Lernprozesse der Kinder können durch Erfahrung und Beobachtung angeregt werden. Ausflüge sind hier ein guter Ansatzpunkt. Einen Hinweis gibt Hoernle, der zwar pathetisch formuliert ist, der aber doch verdeutlicht, worum es geht: "Eine revolutionäre Heimatkunde für Proletarierkinder! (und für die Kinder kritischer Intellektueller!)Geschlossen besuchen wir die von Proletarierblut geweihten Stätten... Hier sind die Gräber unserer Gefallenen. Das dort der Platz der großen Demonstration. Dort die Fabriken sind das Hauptquartier der revolutionären Arbeiterschaft. Hier in diesem Zuchthaus schmachten noch Brüder. So sollen unsere Kinder die Heimat schauen lernen." (Hörnle a.a.O. S.117)
Eine Erziehung zur Arbeit, die mit einfachen Gartenarbeiten sich begnügt, lehnen wir ab. "Was uns bleibt, sind gemeinsame Handarbeiten, die wir zur Ausstattung unserer Lokale, im Dienst unserer Propaganda und unserer Solidaritätsaktionen ...brauchen, d.h.um Geld zu gewinnen für unsere Zeitung...zur Unterstützung mittelloser Genossen...zur Anschaffung von Theaterrequìsiten einer Puppenbühne, usw.." (Hörnle a.a.O. S.95)
Sozialistische Erziehung will den bürgerlichen Individualismus durch Kollektiverziehung überwinden. Das Kind soll sich als Gleiches unter Gleichen in einer splelenden, arbeitenden und kämpfenden Gruppe entfaltén können. Das Beispiel eines bestehenden Elternkollektivs kann die beste Anregung zur Bildung eines Kinderkollektivs sein. Damit die Kinder statt des rigiden familiären Über-Ichs ein im Kinderkollektiv entwickeltes Über-Ich ausbilden, muß den Kindern ermöglicht werden, Ansätze von Selbstverwaltung zu realisieren. Konkrete antiautoritäre sozialistische Erziehung kann nur Ausdehnung der Kinderselbstverwaltung bedeuten, mit eigenen Formen von Kindergerichten und Kinderberatungen.
Die wichtigsten Inhalte der sozialistischen Kindererziehung sind neben der Arbeit Sexualität und Politik. Die Kinder sollen die Gleichwertigkeit des männlichen und weiblichen Geschlechts erfahren, indem sie sowohl so früh wie möglich aufgeklärt werden, als auch so früh wie möglich zu eigener sexueller Befriedigung gelangen. Indem die Kinder ihre kindlichen Lustgewinne gegenüber lustfeindlichen Erwachsenen zu verteidigen haben, treten sie in der von ihren Interessen bestimmten Gleise in politische Auseinandersetzungen ein.
An die dann auftretenden Konflikte hat die politische Vorschulerziehung anzuknüpfen. Diese Erziehung des Kindes geschieht nicht "durch Vorträge, Versammlungsbeschlüsse, Resolutionen sondern durch die sorgfältige und planvolle Anleitung zur Beobachtung des gesellschaftlichen Lebens, zum selbständigen Ziehen von Schlüssen." (Hörnle a.a.O. S.67)
Das Kind politisiert sich nicht durch das Verinnerlichen revolutionärer Dogmen, sondern durch die Verteidigung seiner eigenen Interessen gegen eine lustfeindliche autoritäre Ervrachsenenwelt und indem es Politik als praktischen Lebenszusammenhang erfährt (Teilnahme an Demonstrationen, Solidaritätsaktionen für die revolutionären Bewegungen in der 3. Welt und das Schicksal ihrer Kinder).
Westberlin im Juni 1969
Kinderladen Regensburger Str. (Schöneberg II)
Im Vorfeld dieser Veröffentlichung kursierte dieser als Manuskript (Von der antiautoritären Erziehung zur sozialistischen) "bundesweit" und wurde harsch als "sozialdemokratische Handwerkelei" kritisiert.. Eine dieser Kritiken wurde im SDSinfo 11/12 veröffentlicht.