Haftantritt in Neuengamme
Dem Vorsitzenden des Roma National Congress droht Gefängnis 

Von Gaston Kirsche
(gruppe demontage)

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Rudko Kawczynski bekam mit Poststempel 20. Oktober von der Staatsanwaltschaft Lörrach mitgeteilt, er habe am 19. November in der hamburger Justizvollzugsanstalt Vierlande seine Haftstrafe anzutreten. Bereits 1992 war er vom Amtsgericht Lörrach wegen "Nötigung im Straßenverkehr" zu 50 Tagen Haft verurteilt worden.

Allerdings ist Kawczynski kein Raser und Drängler, sondern hat in seiner Funktion als Vorsitzender des Roma National Congress am 9. November 1990 an einem Protestmarsch gegen die Abschiebung von Roma nach Jugoslawien teilgenommen. Die Roma forderten vom UNHCR, sich gegen ihre drohende Abschiebung aus der BRD nach Jugoslawien einzusetzen. Dafür wollten sie vor dem Uno-Flüchtlingshochkommissariat in Genf demonstrieren.

Am Grenzübergang Basel wurde der Protestmarsch gestoppt und an der Ausreise aus der BRD in die Schweiz gehindert. Sie blockierten daraufhin den Grenzübergang für sieben Tage. Rudko Kawczynski erklärte dazu gegenüber dieser Zeitung: "Das war eine Spontandemo. Die Polizei hat dann den Autoverkehr umgeleitet, aber damit hatten wir nichts zu tun." Marko D. Knudsen von Rom News erklärte dazu: "Dank dieser Aktion erhielten mehr als 2000 Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien Aufenthaltsgenehmigungen in Deutschland. Die meisten von ihnen wären aller Wahrscheinlichkeit nach gestorben im Falle einer Abschiebung in diese Gegend zu diesem Zeitpunkt. Aufgrund dieser Demonstration ist Herr Kawczynski zu einer 50-tägigen Haftstrafe verurteilt worden."

Der Prozeß ging bis vor das Bundesverfassungsgericht, wo er seit 1994 anhängig ist. Rudko Kawczynski dazu gegenüber dieser Zeitung: "Das Amtsgericht Lörrach hat einmal im Jahr angefragt, ob den nun eine Entscheidung des BVG vorliegt. Und jetzt kam plötzlich die Ladung zum Haftantritt, obwohl das BVG noch nicht entschieden hat." Der Anklagevertreter will nun offensichtlich nicht mehr länger auf ein BVG-Urteil warten. "Das BVG hat zwar unsere Verfasssungsbeschwerde gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes zur Entscheidung angenommen, aber das hat keine aufschiebende Wirkung. Es ist absurd, aber nach 6 Jahren hat es jetzt plötzlich die Staatsanwaltschaft Lörrach eilig, obwohl das BVG dieses Jahr angefangen hat, den Vorgang zu bearbeiten", fasste Kawczynskis Anwalt Christian Schneider gegenüber dieser Zeitung die Rechtslage zusammen. Kawczynski erklärt sich die plötzliche Eile politisch: "60 Roma-Organisationen haben auf der Anti-Rassismus-Konferenz in Durban gegen die Abschiebepolitik der Bundesrepublik Deutschland protestiert und aufsehen erregt. Kurz danach kam jetzt die Ladung zum Haftantritt in Neuengamme." 

Genau ein Jahr vor der Spontandemo am Grenzübergang hat Rudko Kawczynski am 9. November 1989 unmittelbar neben der Justizvollzugsanstalt Vierlande eine bewegende Rede gehalten. Um ein Bleiberecht für Roma aus Jugoslawien in Hamburg durchzusetzen, hatten Roma die KZ-Gedenkstätte Neuengamme symbolisch besetzt. In Neuengamme, zunächst Außenlager von Sachsenhausen, ab 1940 eigenständig und Hauptlager für Norddeutschland, waren während des Nationalsozialismus etwa 500 Roma und Sinti im KZ inhaftiert. Die Roma und Cinti Union Hamburg protestierte auf dem Gelände des früheren Konzentrationslagers, um ihrer Forderung nach Bleiberecht Nachdruck zu verleihen: Vor dem Hintergrund der systematischen Verfolgung und Vernichtung von Roma und Sinti durch die Nazis könne der deutsche Staat 1989 auf keinen Fall Roma in ein Land im damals beginnenden Bürgerkrieg abschieben. Die Besetzung wurde am nächsten Tag abgebrochen, sie stieß in der Öffentlichkeit auf keine Resonanz. Die Menschen saßen vor dem Fernseher und verfolgten die Bilder von der Maueröffnung.

Während aus DDR und BRD Deutschland wurde, setzten sich Roma und einige UnterstützerInnen gegen drohende Abschiebungen zur Wehr. Ein Film von Monika Hielscher und Mathias Heeder dokumentiert diese Aktivitäten. Auch die Grenzblockade bei Basel. Die Filmemacher: "Der Film Gelem Gelem - wir gehen einen weiten Weg beschreibt den Versuch einer Gruppe heimatloser Roma in der Bundesrepublik, den Teufelskreis von sozialer Verelendung, Kriminalisierung, Abschiebung, illegaler Wiedereinreise, erneuter Vertreibung etc. zu durchbrechen." Oft tauchen deutsche Polizisten in dem Film auf: Bei der Räumung des holländischen Konsulates in Hamburg oder bei der Kontrolle der Grenze. Monika Hielscher und Mathias Heeder: "Die Aufnahmen zu diesem Film entstanden zwischen Herbst 1989 und Frühjahr 1991. Die meisten Menschen, die wir während dieser Zeit begleiteten, wurden inzwischen von den deutschen Behörden abgeschoben. Ihre Spuren verlieren sich in den Elendsghettos von Südosteuropa." Viele Roma wurden ab 1991 nach Skopje abgeschoben. Jahre später erzählte Mathias Heeder am Rande einer Filmvorführung, dass sich die elenden Lebensbedingungen für Roma dort trotz zugesagter Hilfsgelder aus Deutschland, mit denen die Abschiebungen ‚humanitär` begleitet werden sollten, nicht gebessert hätten. Mittlerweile sind viele Roma in ganz Mazedonien, dessen Hauptstadt Skopje ist, im Bürgerkrieg zwischen die nationalen Fronten geraten. Wie bereits zuvor im Kosovo, in dem nach mittlerweile drei Jahren Gewaltmonopol der national-albanischen UÇK im NATO-Protektorat Roma ebenso wie Juden und Serben nur noch in einigen wenigen Enklaven leben können. Trotzdem versuchen deutsche Behörden immer wieder, Roma aus dem Kosovo abzuschieben, wogegen der RNC im Sommer 2000 eine Kampagne organisierte. 

Der Roma National Congress RNC hat in Hamburg-St. Pauli seit vielen Jahren ein Büro. Rudko Kawczynski hat sich ungezählte Male für das Bleiberecht von Roma eingesetzt, denen nach geltendem deutschen Ausländerrecht Abschiebung droht. Die Hamburger Ausländerbehörde - dessen Chef vom neuen Hamburger Innensenator Ronald Schill gerade ausdrücklich für seine Arbeit gelobt wurde - hat Anfang November eine junge Roma-Frau in Abschiebehaft gesperrt, die nach Kroatien ausreisen muß. Sie wurde von ihren in Hamburg lebenden Eltern getrennt. Erst im Oktober hat vor der Ausländerbehörde eine Kundgebung von tausend Roma gegen drohende Abschiebungen nach Jugoslawien stattgefunden.

Jetzt protestieren Roma-Organisationen aus Solidarität mit Rudko Kawczynski. Wie der Autor Rajko Djuric im Namen des Romani PEN-Clubs: "Kawczynski ist also ‚schuld', da er die Roma, deren Menschen- und Nationalrechte wie in der BR Deutschland so auch in Europa tagtäglich mit Füßen getreten werden, versucht hat zu schützen. Wir verstehen diesen Gerichtsbeschluß mehr als einen politischen als einen juristischen." 

Vom 19. -21. November findet in Hamburg im Kulturzentrum beim Durchreiseplatz Braun eine vom Europarat und der OSCE mitgetragene Konferenz zur Lage von Roma und Sinti in Osteuropa statt. Kawczynski erklärte gegenüber der dieser Zeitung: "Nach der Konferenzeröffnung, die ich für den RNC machen werde, kann ich mich dann in Neuengamme zur Haft melden." Kawczynski weiter: "Es ist makaber, dass ich die Haft ausgerechnet in Neuengamme antreten muß". Marko D. Knudsen erklärt dazu: "Bis zum heutigen Tage werden hier Roma und Sinti an einem Ort inhaftiert, an dem ihre Eltern und Großeltern umgebracht wurden." Die JVA Vierlande ist ein reguläres Gefängnis, in dem aber zum Teil noch frühere Häftlingsbaracken des Konzentrationslagers Neuengamme genutzt werden. Im Programm der seit 31. Oktober in Hamburg mitregierenden Schillpartei PRO heißt es unmißverständlich, dass die Verlegung des Gefängnisses Vierlande weg vom Gelände des früheren KZ Neuengamme gestoppt werden soll. In der Koalitionsvereinbarung des neuen rechten Hamburger Senates von CDU, Schill und FDP hieß es ursprünglich dementsprechend: "...unabhängig vom Neubau werden die Schließungspläne der Anstalt XII aufgegeben." Als sich gegen die Pläne, das Gefängnis auf dem früheren KZ-Gelände
zu belassen, Protest regte, wurde eine neue Sprachregelung eingeführt: "Unabhängig vom Neubau werden Gespräche mit jüdischen Organisationen, Opferverbänden und Institutionen mit dem Ziel aufgenommen, Einvernehmen darüber herzustellen, ob die Pläne für eine Schließung der Anstalt XII ... aufgegeben werden können." Es soll geredet werden - zurückgenommen wurde die Aufrechterhaltung des Gefängnisses auf dem KZ Neuengamme bisher nicht. Zwar hat sich am 8. November Hamburgs Interims-Kultursenator Rudolf Lange dafür eingesetzt, das Gefängnis auf dem Gelände zu schließen. Aber bereits am nächsten Tag erklärte der stellvertretende Senatssprecher, Klaus May: "Das Thema ist im Senat bisher nicht abgestimmt worden." Eine endgültige Entscheidung werde erst nach einem Gespräch mit Überlebendenorganisationen am 21. November getroffen. Hamburgs neuer Innensenator Ronald Schill, Führer der gleichnamigen Schill-Partei, distanzierte sich ebenfalls am 9. November von Langes Aussagen: "Ich bin sehr überrascht, Das steht so nicht im Koaliationsvertrag." Ebenso Frank-Michael Bauer, Abgeordneter der Schill-Partei: "Ich kann mir nur vorstellen: Das war ein Alleingang von Herrn Lange." Eine Schließung des Gefängnisses für die Erweiterung der Gedankstätte keineswegs Konsens: "Um der Nachwelt zu zeigen, wozu Menschen fähig sind, hat die Gedenkstätte schon jetzt ihre Bedeutung. Das ist keine Frage der Größe." So werden wohl auch in Zukunft dort Verurteilte ihre Strafe absitzen müssen, wo bis zum April 1945 der KZ-Appellplatz war, auf dem die SS Gefangene erniedrigte, auspeitschte und erhängte.

Dass die KZ-Gedenkstätte ausgebaut wird, erscheint notwendig gerade auch angesichts der Kaltschnäuzigkeit, mit der bei der Aufforderung zum Haftantritt an Rudko Kawczynski die nationalsozialistischen Taten zur Vernichtung von Roma und Sinti ignoriert worden sind. Am 19. November wird Kawczynski an zwei Schildern vorbeikommen, die direkt untereinander hängen und den Weg weisen - nach Rechts: Oben steht "KZ-Gedenkstätte Neuengamme", darunter "Vollzugsanstalten Vierlande".

Editoriale Anmerkung:

Der Autor schrieb am 16.11.2001:

Liebe GenossInnen,

anbei ein sehr aktueller Artikel zur bevorstehenden Inhaftierung des Vorsitzenden des Roma National Congress im Gefängnis in Neuengamme. Ein Einstellen in Trend würde mich freuen....

Drushba I Mir!
Gaston Kirsche

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