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LESEPROBE aus der antifaschistischen
Zeitschrift
DER RECHTE RAND Nr. 54, Sept./Okt. 1998
Tamara Schaaf
Holocaust karmisch gerechtfertigt: 'Juden waren selbst schuld'
Am 4. Mai verurteilte das Amtsgericht Neuwied den Esoterik-Autor Tom "Trutz
Hardo" Hockemeyer zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 40 Mark wegen
Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung und der Verunglimpfung des Andenkens
Verstorbener. Außerdem darf er sein Buch "Jedem das Seine" nicht mehr
vertreiben. Seit Wochen verhandelte das Gericht bei Koblenz die spezielle Variante der
Vergangenheitsbewältigung des "Trutz Hardo", so sein Künstlername.
In diesem Machwerk ("Farbroman"), dessen Titel Tom Hockemeyer bewußt wählte,
wird der millionenfache Mord an Juden und Jüdinnen verklärt als gerechte Strafe für
Verbrechen, deren sie sich in angeblich früheren Leben schuldig gemacht hätten. In der
Urteilsbegründung folgert das Gericht deswegen: "Der Angeklagte spricht
beispielsweise Hitler [...] von individueller Schuld frei und bezeichnet ihn als einen
Vollstrecker eines
ewig geltenden schicksalhaften Ausgleichs, genannt Karma.[...] Vereinfacht
ausgedrückt behauptet der Angeklagte nämlich, diese Ermordeten oder im KZ geschundenen
Juden wären selbst für ihr grausames Schicksal zumindest ursächlich, anders
ausgedrückt, sie hätten selbst den Holocaust zu verantworten."
Der in Berlin lebende Hockemeyer (1939 geboren) gründete 1982 zusammen mit Manfred Huber
aus Elsbach und dessen inzwischen verstorbener Ehefrau den esoterischen Verlag "Die
Silberschnur" als GmbH mit Sitz in Güllesheim (Kreis Altenkirchen). Zu den
AutorInnen des von Hockemeyer als Geschäftsführer geleiteten Verlages gehört die
"Sterbe- und Nahtodforscherin" Elisabeth Kübler-Ross. Die Starautorin des
Verlages ist mit so bezeichnenden Titeln wie "Sterben lernen - Leben lernen"
oder "Jedes Ende ist ein strahlender Beginn" im Programm.
Daneben zählt zu seinen AutorInnen Michael Hesemann, Herausgeber des
Ufo-"Magazin 2000", der von Kontakten mit außerirdischen Intelligenzen
erzählt und Uri Geller, psychokinetischer Löffelverbieger, der über sein
Leben berichtet, sowie ein Prof. Arthur David Horn, der behauptet: "Götter gaben uns
die Gene", kurz: der Schwerpunkt des Programms liegt in der Behauptung und
"Beweisführung" von "jenseitigem" realen Leben. Aus diesem Milieu
heraus operiert Hockemeyer als selbsternannter
"Reinkarnationstherapeut" und gibt Seminare zur Erlernung der
"automatischen Schrift". Auf Esoterik-Messen oder Workshops führt er nicht
selten über 300 TeilnehmerInnen in angeblich frühere Erdenleben zurück. Desweiteren ist
Hockemeyer ständiger Autor der New-Age-Zeitung "Die Andere Realität".
Das "rechtslastige deutsche Obskurantenblatt" (so die Bezeichnung der
österreichischen Zeitung "die Linke", Nr. 4/97) beschreibt nicht nur
Kontaktaufnahmen mit den Seelen abgetriebener Föten, auf die Erde
reinkarnierte frühere BewohnerInnen von Alpha Centauri oder Geister aus dem Jenseits
neben Engeln und WunderheilerInnen. Neben anderen schreiben auch Roman Schweidlenka und
Franz Alt darüber, daß "der Mensch steht NICHT im Mittelpunkt" steht.
Hockemeyers "Jedem das Seine" feierte das Blatt so dann auch als "mutigsten
Roman unseres Jahrhunderts" und ließ ihn in einem Interview nochmals seine These
darlegen, daß die Juden sich ihre Leiden selbst ausgesucht hätten (vgl. DRR Nr.44:
"Schöne Neue Welt" von G. Mergel).
In seiner Stellungnahme zum 1.Verhandlungstag berief Hockemeyer sich auf einen "Rabbi
Berg", der "den Mut gehabt hätte, Adolf Eichmann als einen solchen zu
bezeichnen, der den Juden half, ihr Karma aufzulösen". Als "Beweis"
führte er das in "Rückführungen" bestätigte "Karma-Gesetz" an,
welches naturgesetzlich sei.
Gleichzeitig zitierte er zustimmend Bruce Goldberg: "Das karmische System ist ein
weit gerechteres als jegliches Gesetzessystem, das je von Menschen erdacht worden
ist". In der Attitüde des verfolgten Vorkämpfer der Wahrheit verglich er sich mit
u.a. mit Galileo Galilei und erinnerte daran, daß man früher Verkünder zukünftiger
Ideen einfach verbrannt hatte. Das Gericht konnte dem nicht folgen und sprach von Belegen
seines "überschätzten Selbstbewußtseins" bzw. einer "nicht mehr
nachvollziehbare(n) Selbstüberschätzung des Angeklagten". Schutzbehauptungen:
"Freund der Juden" Hockemeyers ständige Behauptung, ein "Freund der
Juden" zu sein, untermauerte er damit, sich damals "spontan" zum
6-Tage-Krieg gemeldet zu haben ("obwohl ich eigentlich Pazifist bin"). Aber
genommen wurde er nicht. Als Zeugen dafür wollte er Jochen Kirchoff vor Gericht laden
lassen, einen Freund aus gemeinsamen Studientagen, mit dem er bis heute Kontakt hätte.
Kirchoff hat in seinem 1990 erschienenen Buch "Nietsche, Hitler und die
Deutschen" den historischen deutschen Faschismus als unvollendete Revolte gegen den
Nihilismus bezeichnet, als einen "verhunzten
Weltheilungsversuch", und durch die "Umerziehung" der Alliierten wären
"die Deutschen" ihrer nationalen Identität und damit jeder
schöpferisch-irrationalen Komponente beraubt worden. Die Folge wäre u.a. die nicht
geleistete "innere Bewältigung" des Nationalsozialismus.
Geistesverwandt argumentiert Hockemeyer in dem Aufsatz "Der Judenkomplex der
Deutschen": Der "von außen übergestülpte Mantel der Kollektivschuld"
hätte die Deutschen als inneren Schuldkomplex voll übernommen und würde sie
überempfindlich reagieren lassen auf jede Kritik an oder freiere Meinungsäußerung über
die Juden. Er, Hockemeyer, leide jedenfalls unter keinem "Judenkomplex" mehr und
bezeichnet bescheiden sein Werk als "das projüdischste literarische Werk deutscher
Literatur seit Lessings Nathan den Weisen". "Projüdisch" übernimmt er
daher die gängigen Stereotypen vom mosaisch/christlich zersetzenden Glauben, der den
wahren geistigen Fortschritt der Menschheit behindere ("Die Andere Realität",
Nov. 1997). In einem Interview in der "Süddeutschen Zeitung" vom 4.5. sagte er:
"Ich würde die Juden wegen des Mordes an Jesus niemals verurteilen, denn er war
notwendig für das Heilsgeschehen!"
Das Gericht schien streckenweise entnervt von dem esoterischen Schwachsinn. Unter anderem
als Hockemeyer darlegte, nicht er, sondern sein "höheres selbst" bzw. "ein
anderer" Autor hätte das Buch verfaßt. Woraufhin Richter Speyerer konstatierte, das
sei wohl ein "Gemeinschaftswerk" und Heiterkeit im Saal auslöste. Weniger
heiter machten die Nachfragen zum Schicksal der im KZ umgekommenen Kinder. Hockemeyer
antwortet: sie hätten sich freiwillig ihren Eltern im KZ zur Verfügung gestellt, um
ihnen beim Ausgleich ihres Karmas behilflich zu sein.
Die schriftliche Urteilsbegründung ließ aber keinen Zweifel aufkommen, daß mehrere
Straftatbestände erfüllt sind. Mit Verweis auf die Anti-Esoterik-Demonstration Ende 1996
in Darmstadt sah das Gericht belegt, daß "das Buch auch trotz geringer
Verkaufszahlen geeignet ist, den
öffentlichen Frieden zu stören" und außerdem verwies es ausdrücklich auf
die "heutige Zeit mit der Gefahr des Wiederaufflackerns nationalsozialistischen und
rechtsextremistischen Gedankengutes".
Die Staatsanwaltschaft, die das Urteil zu milde fand, hat Berufung eingelegt, desgleichen
Hockemeyers Anwalt, Peter Johannsen aus Koblenz, der Freispruch forderte.
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