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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 9/1998

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Wolfgang Teuber

Zur Umfrage bei Gewerkschaftsjugendlichen

Warum laufen viele den Nazis hinterher?

Schockiert sind die Spitzen des DGB und der SPD: Jüngst wurde eine Umfrage veröffentlicht, nach der junge Gewerkschaftsmitglieder für rechtsextreme Parolen anfälliger sind als unorganisierte Jugendliche. Auf die Frage: "Könnten Sie sich prinzipell vorstellen, bei der Bundestagswahl im September die Republikaner, die DVU oder die NPD zu wählen?" antworteten elf Prozent mit "ja, sicher" oder "ja, vielleicht". Unter der Gesamtbevölkerung waren es nach dem Untersuchungsergebnis des Instituts Infratest/dimap acht Prozent der Jugendlichen. Vor allem in der Altersgruppe der 18- bis 24jährigen ist die Anfälligkeit für rechtsextreme Positionen extrem hoch. 32 Prozent könnten sich vorstellen, eine dieser Parteien zu wählen. Schockierend für alle Demokraten in diesem Land.

Der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte meinte dazu, die Zahlen seien "sehr nachdenkenswert" und "schlimm", aber aus seiner Sicht sei es ein "Glücksfall", daß die Studie jetzt veröffentlicht wurde. So bestünden noch Möglichkeiten, über die Gefährdung durch Rechtsxtremismus aufzuklären und gegenzusteuern. Mal abgesehen davon, was daran ein "Glücksfall" ist, daß die Studie jetzt und nicht später, vielleicht nach der Bundestagswahl, veröffentlicht wurde, und was das für ein "Fall" wäre, wenn die Studie früher veröffentlicht worden wäre, so sind doch die Fragen zu stellen: Welche Möglichkeiten meint Dieter Schulte, und warum wird von ihm die Frage nach den Ursachen dieser erschreckenden Entwicklung nicht aufgeworfen?

"Nachdenkenswert" ist schon, daß die DGB-Führung von den Ergebnissen dieser Umfrage überrascht ist. Schon im Februar 1997 haben Forscher der Uni Tübingen im Auftrag der
gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung die Studie "Eine neue rechte Jugend - Warum der Gewerkschaftsnachwuchs stärker nationalistisch und rassistisch orientiert ist als Nichtorganisierte" veröffentlicht. Die Studie, die im Sonderdruck IDEEN beim IGM-Vorstand erschien, scheint sehr schnell in Vergessenheit geraten zu sein, denn eine Aufklärung und ein Gegensteuern hat es, wenn die neue Untersuchung stimmt, bisher doch wohl nicht gegeben.

Übrigens haben Gewerkschaftsjugendfunktionäre auf dem letzten DGB-Kongreß in Düsseldorf mehrfach beklagt, daß der Weg der Jugend zum DGB-Vorsitzenden durch viele Türen und Mauern versperrt ist.

Von welchen Möglichkeiten zum Gegensteuern spricht Dieter Schulte? Um die Gefahr des Rechtsextremismus deutlich zu machen, um deutlich zu machen, welche unermeßlichen Verbrechen der deutsche Faschismus an der Menschheit begangen hat, bedarf es der regelmäßigen Aufarbeitung deutscher Geschichte unter der Gewerkschaftsjugend. Doch wie
denn, wenn die DGB-Jugendschulen, wenn eine DGB-Bundesschule nach der anderen geschlossen werden, wenn das Gewerkschaftsjugendmagazin "ran" ums Überleben kämpft, wenn man also die vielfältigsten "Möglichkeiten", um das Bewußtsein unter der Jugend für die Gefahr von rechts zu entwickeln, aus vordergründigen Kostengründen selbst beschneidet? Natürlich, es gibt Beispiele, wie die Betriebsvereinbarungen bei Thyssen-Stahl in Duisburg zur Gleichbehandlung von Deutschen und Ausländern, wie beispielsweise die Jugendarbeit der IG Metall in Nürnberg und vieles mehr, aber es fehlen die systematische Arbeit im DGB zu diesem Thema und langfristige Konzepte in der Bildungsarbeit, um dem Vormarsch der Rechten etwas entgegenzusetzen.

Da muß die Frage gestellt werden, ob die Führung des DGB die grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Quellen des Faschismus scheut. Denn dann müßte man klarmachen, daß die damaligen Herren der Macht, die damaligen Stihls, Stumpfes und Hundts die damaligen Nazis bezahlt haben und daß die heutigen Nazis auch Gelder aus den Etagen der Wirtschaft beziehen. Dann müßte deutlich gemacht werden, daß Faschismus etwas mit diesem kapitalistischen System zu tun hat.

Statt dessen bemüht man sich, die Herren der Wirtschaft als "Sozialpartner" zu umwerben und an den Bündnistisch zu bekommen, obwohl von dieser Seite nichts Soziales zu erwarten ist und sie selbst sich noch nicht einmal als "Tischpartner" bei dem auch von Gerhard Schröder beschworenen Bündnis hergeben wollen.

Dies alles schafft Entäuschung bei vielen jungen Gewerkschaftern über die fehlenden Alternativen und Zukunftsvisionen, über die fehlende Gegenwehr der Gewerkschaften gegen Arbeitsplatzvernichtung und Lehrstellenabbau. Es ist auch diese Orientierung auf "Bündnisse" mit den Wirtschaftsherren, den Profiteuren und Arbeitsplatzvernichtern, die verantwortlich ist, daß die Angst und Perspektivlosigkeit in der Jugend immer mehr zunehmen, daß diese Anfälligkeit für rechtsextreme Parolen unter ihnen zunimmt.

Stollmann und Schröder mit ihren verwässerten CDU-Positionen zeigen dieser Jugend keine Perspektiven für ihr weiteres Handeln für eine lebenswerte Zukunft. Was den Jugendlichen fehlt, ist die Kritik an diesem System, ist Klarheit darüber, wer und was die Arbeitslosigkeit produziert, wer sie braucht für die Profitsteigerungen. Es fehlt Jugendlichen, die etwas machen, vieles ändern, die eingreifen wollen, die gesellschaftliche Alternative zu diesem System.

Weil viele dieser politisch interessierten Jugendlichen von den Gewerkschaften entäuscht sind, weil ihnen das geschichtliche Bewußtsein über die Grauen des Faschismus fehlt, weil der Antikommunismus auch in den Gewerkschaften noch immer gepflegt wird, geraten Teile gerade dieser Jugendlichen in die Arme dieser rechtsextremen Parteien.

Die Linke, in den Gewerkschaften, in der SPD, der PDS und wir als Kommunisten, trägt eine hohe Verantwortung für die Entwicklung in diesem Land. Schon werden wieder Menschen durch die Straßen gejagt und auf offener Straße geschlagen, weil sie Ausländer, anders oder Linke sind. Schon wieder werden Stadtteile zu ausländerfreien Zonen erklärt, werden Fenster eingeschlagen, Wohnungen in Brand gesetzt, Ausländerheime angezündet. Und trotzdem gibt es von der Linken in diesem Land keine gemeinsame Aktion gegen die dramatische Rechtsentwicklung und Arbeitslosigkeit in diesem Land. Nein, wir stehen nicht vor einer unmittelbaren faschistischen Gefahr, aber was wird, wenn diese Entwicklung so weitergeht, wenn diese Jugend immer weiter verblendet wird von diesen menschenfeindlichen Parolen der Rechten?

Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachzuvollziehen, daß noch immer Spitzenleute in Gewerkschaftsführungen nicht mit allen linken Kräften gemeinsam den Widerstand gegen Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Rechtsentwicklung organisieren. Wenn diese Zersplitterung einerseits und diese Selbstherrlichkeit andererseits nicht überwunden wird, werden uns noch ganz andere Entwicklungen "schockieren".

aus *UZ* unsere zeit, Zeitung der DKP, Nr. 37 11. September 1998

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