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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 9/1998


From DURCHSCHAUBARE@LINK-LEV.dinoco.de 

Aus dem August-Flugblatt der Kolleginnen und Kollegen für eine durchschaubare Betriebsratsarbeit bei Bayer Leverkusen

Bayer verstößt gegen Absprache und Unfallrecht

 

Jagd auf Kranke und Unfallopfer

Die Zahl der Krankmeldungen ist auf ein Rekordtief gesunken. 1997 waren im Durchschnitt nur 4,2 Prozent der sozialversicherten Beschäftigten in westdeutschen Betrieben arbeitsunfähig geschrieben. Das Bundesarbeitsministerium hat errechnet, daß allein dieser niedrige Krankenstand die deutschen Unternehmen um rund 10 Mrd. DM entlastet hat.

In der chemischen Industrie in NRW war der Krankenstand (gemäß einer genaueren Untersuchung für 1996) mit durchschnittlich 13 AU-Tagen um sieben Tage niedriger als im gesamten Bundesdurchschnitt. Auch die Zahl der Unfälle ging deutlich zurück. Im Werk Leverkusen wurden 1997 nur noch 116 meldepflichtige Unfälle registriert, 53 weniger als 1996. Diese positive Entwicklung war in der gesamten chemischen Industrie festzustellen, so daß die Berufsgenossenschaftsbeiträge der Arbeitgeber gesenkt werden konnten. Diese Beitragssenkung war möglich, weil nicht nur die Unfälle sondern erstmals seit über 35 Jahren auch die Aufwendungen für Rentenzahlungen zurückgegangen waren. Das soll wohl auch in Zukunft so bleiben. Trotz steigender Zahl der Berufskrankheitsmeldungen erkennt die Berufgenossenschaft immer weniger Berufskrankheiten an. Nur etwa jede vierte wird anerkannt, Entschädigung beziehungsweise Renten gab es nur bei etwa acht Prozent der angezeigten Erkrankungen.

Ziel des nun schon rund 20 Jahre alten Sicherheitswettbewerbs war und ist es, die Unfallzahlen zu reduzieren. Vor allem will die Bayer AG möglichst wenig Unfälle an die BG melden. Meldepflichtig ist ein Unfall, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage dauert, wobei der Unfalltag nicht mit zählt. Durch die Prämie sollen die Beschäftigten motiviert werden, vor Ablauf der drei Tage ihre Arbeit oder eine andere, gleichwertige Tätigkeit wieder aufzunehmen.

Trotz enormer Einsparungen macht Bayer Druck

Obwohl auch die Bayer AG durch den Rückgang der AU-Meldungen und der Unfallzahlen deutliche Einsparungen zu verzeichnen hat, wird Jagd auf Verunfallte und Kranke gemacht. Mitarbeiter werden nach einem Arbeitsunfall angerufen und zur Wiederaufnahme der Arbeit "überredet". Selbst ein Gipsbein ist nach Arbeitgebermeinung kein Hindernis, per Taxi soll der Betroffene kommen, damit er in der Meßwarte sitzen kann. Nicht nur Beschäftigte, die einen Betriebsunfall hatten, werden mehr oder weniger genötigt, doch wieder zur Arbeit zu kommen. Auch andere, die von ihrem Privatarzt arbeitsunfähig geschrieben wurden, werden zu Hause von Vorgesetzten angerufen und zur Wiederaufnahme der Arbeit "motiviert". Bei den Bereichsbetriebsräten häufen sich die Beschwerden und verunsicherten Nachfragen, so daß nicht mehr von einer überzogenen Reaktion einzelner Vorgesetzter gesprochen werden kann. Jagd auf Kranke ist bei Bayer angesagt.

Schonarbeitsplätze gibt es nicht!

1991 sah sich auch die Bundesregierung veranlaßt, darauf hinzuweisen, "daß es eine sogenannte Schonarbeitsfähigkeit im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gibt. Die Meldepflicht von Arbeitsunfällen wird jedenfalls durch eine tatsächliche Tätigkeit auf einem anderen Arbeitsplatz nicht berührt." Der Begriff "Arbeitsunfähigkeit" wurde wie folgt definiert: "Danach ist ein Versicherter arbeitsunfähig, der seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit überhaupt nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin nachgehen kann, seinen Zustand zu verschlimmern." Wichtig ist hier der Verweis auf die "bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit". Unabhängig davon, ob ein verunfallter Arbeitnehmer vor Ablauf der drei Tage ins Werk gekarrt wird und irgend etwas arbeitet oder auch nur herumsitzt, bliebt eine Unfall meldepflichtig. Die Bundesregierung führte aus: "Ein Arbeitsunfall ... ist auch dann meldepflichtig, wenn ein Arbeitnehmer seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht innerhalb von drei Tagen wieder aufnehmen kann, er sich jedoch freiwillig zu einer (vorübergehenden) Aufnahme einer andersartigen Tätigkeit auf entsprechendes Angebot seines Arbeitgebers entschließt." Die Meldepflicht entfällt lediglich dann, wenn der Betroffene sich (nach ärztlichem Einverständnis) entschließt, eine gleichwertige Tätigkeit auf Angebot des Arbeitgebers aufzunehmen.

Arbeitsaufnahme muß freiwillig sein

Die Durchsetzung des von BG und Bundesregierung bekräftigten Freiwilligkeitsprinzips und Initiativrechts der Arbeitnehmer war für den gesamten Arbeitssicherheitsausschuß bei der Absprache der Regeln zum Sicherheitswettbewerb immer oberstes Prinzip. Zuletzt hatte es im vergangenen Jahr Bemühungen des Arbeitgebers gegeben, die vereinbarte Absprache zum Punkt "Gleichwertige Tätigkeit bei Unfällen" aufzuweichen. Neben einer Zurückdrängung des "Freiwilligkeitsprinzips" sollten nicht nur gleichwertige sondern auch ähnlich geartete Tätigkeiten zulässig sein und zwar sowohl bei Unfällen als auch bei Erkrankungen. Der Betriebsrat hat dies mit Nachdruck abgelehnt. In der Protokollnotiz zur Rahmenbetriebsvereinbarung "Sicherheitswettbewerb" wurde für das Werk Leverkusen festgelegt, daß

jede Unfallverletzung ärztlich behandelt werden muß,

das Initiativrecht zur Klärung, ob eine gleichwertige Tätigkeit möglich ist, beim verunfallten Mitarbeiter liegt,

der Werksarzt klärt, ob im Betrieb eine gleichwertige Tätigkeit angeboten werden kann und aus ärztlicher Sicht die Aufnahme der gleichwertigen Tätigkeit medizinisch unbedenklich ist

Kommt es auf dieser Grundlage zum Angebot einer gleichwertigen Tätigkeit und willigt der Mitarbeiter ein, werden vor Aufnahme der gleichwertigen Tätigkeit Betriebsrat und die Abteilung Arbeitssicherheit informiert.

Willigt der Mitarbeiter nicht ein, dürfen ihm keine Nachteile entstehen.

Die Forderung des Arbeitgebers, auch die Beendigung einer allgemeinen Arbeitsunfähigkeit durch die Aufnahme einer gleichwertigen oder ähnlichen Tätigkeit in die Regelungsabsprache aufzunehmen, hat der Betriebsrat nach intensiver Diskussion im Arbeitssicherheitsausschuß konsequent abgelehnt.

Es ist ganz klar ein Verstoß gegen diese Regelungsabsprache, wenn Arbeitgebervertreter von sich aus Verunfallte oder Erkrankte anrufen oder gar aufsuchen und zur Aufnahme einer Ersatztätigkeit drängen. Bei Betriebsunfällen wird bei der Unfalluntersuchung durch den Werksarzt mit dem Betroffenen geklärt, ob er bereit ist eine gleichwertige Tätigkeit aufzunehmen, ob dies möglich ist und ob und ab wann dies medizinisch zu verantworten ist.

Es ist auch ein Verstoß gegen die Absprache, wenn der Betriebsrat nicht oder mit deutlicher Verzögerung über die Aufnahme einer gleichwertigen Tätigkeit informiert wird. Schließlich soll der Betriebsrat vor Aufnahme der Tätigkeit die Möglichkeit haben, zu prüfen, ob der oder die Betroffene tatsächlich einverstanden ist und ob es sich tatsächlich um eine gleichwertige Tätigkeit handelt.

Es ist nicht nur ein Verstoß gegen die Absprache mit dem Betriebsrat, sondern ein klarer Rechtsverstoß, wenn der Arbeitgeber unter Umgehung dieser Absprache und berufsgenossenschaftlicher Grundsätze einen Verunfallten zur Aufnahme irgendeiner andersartigen Tätigkeit drängt und dann die Unfallmeldung unterläßt.

Bei allen anderen Erkrankungen hat der Arbeitgeber überhaupt kein Recht sich einzumischen und auf Wiederaufnahme der Arbeit zu drängen. Es ist die persönliche Angelegenheit jedes Einzelnen, mit dem behandelnden Arzt/Ärztin zu klären, ob und wie lange Arbeitsunfähigkeit gegeben ist oder ob die Wiederaufnahme der Arbeit möglich ist.

Folgen für die Arbeitnehmer nicht absehbar

Sicher, die Sicherheitsprämie und die Entgeltfortzahlung bleiben bei einem Betriebs- oder Wegeunfall erhalten, wenn eine gleichwertige Tätigkeit vor Ablauf der drei Tage aufgenommen wird. Auch der Versicherungsschutz bleibt erhalten. Wenn es allerdings ohne ärztliche Rückberatung nach Drängen des Arbeitgebers zur Aufnahme einer Ersatztätigkeit kommt und die Unfallmeldung unterbleibt, kann es bei Folgeschäden für den Betroffenen unangenehm werden. Wenn kein Unfall gemeldet ist, werden Folgeschäden natürlich auch nicht als Unfallspätfolgen gewertet. Ansprüche an die Berufsgenossenschaft - die gegebenenfalls auch Umschulungskosten oder eine Rente zahlen muß - entfallen.

Auch wer sich bei anderen Arbeitsunfähigkeiten vom Arbeitgeber unter Druck setzen läßt, die Arbeit frühzeitig wieder aufzunehmen, läuft Gefahr Erkrankungen zu verschleppen. Schon die bestehende unglaublich niedrige Arbeitsunfallrate ist nur denkbar, weil viele Beschäftigte trotz Erkrankungen (z.B. aus Angst um ihren Arbeitsplatz) arbeiten gehen. Irgend wann geht das nicht mehr, die Krankheit verschlimmert sich oder wird sogar chronisch. Die dann zur Genesung notwendige Arbeitsunfähigkeitszeit wird viel länger. Es ist erwiesen, daß die Arbeitsunfähigkeitszeiten insgesamt kürzer sind, wenn eine Erkrankung sofort ausgeheilt wird.

Beschluß des Grundsatzausschusses des Vorstands der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie vom 21.12.1977

Der Betriebsrat hat die Pflicht, die Einhaltung aller zugunsten der Arbeitnehmer abgeschlossenen Vereinbarungen, Tarifverträge und Gesetze zu überwachen. Wir fordern ihn auf, seine betriebsverfassungsmäßigen Rechte zu nutzen, um den Arbeitgeber in seine Schranken zu weisen. Betroffene sollten jeden Versuch des Arbeitgebers, sie entgegen der Absprache zur vorzeitigen Wiederaufnahme der Arbeit oder Ersatztätigkeit zu bewegen, zurückweisen. In jedem Fall sollten sie ein Betriebsratsmitglied ihrer Wahl informieren und gegebenenfalls hinzuziehen.

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Nr.9/1998