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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 9/1998


H.DOGANAY@VLBERLIN.comlink.de

NATO raus aus dem Balkan!

Weg mit Milosevic!

Für die Selbstbestimmung des Kosovos!

Der folgende Artikel erschien in der Juliausgabe von "was tun!", der gemeinsamen Zeitung von Sozialistischer Liga und Sozialistischer Initiative. Er stellt lediglich die Position der SL dar.

Trotz der jüngsten militärischen Erfolge der Milosevic-Truppen, die mit dem Segen der westlichen Mächte stattfanden, ist der Kampf um Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der Bevölkerung Kosovos nicht zu Ende. Sie zeigen im Gegenteil in aller Brutalität die Notwendigkeit, eine wirkliche Solidaritätsbewegung mit der Befreiungsbewegung Kosovos aufzubauen

Im Kosovo herrscht Krieg. Zehntausende AlbanerInnen werden von militärischen Einheiten Milosevics vertrieben, ihre Dörfer niedergebrannt. Viele flüchten in die Nachbarländer, vor allem nach Albanien und Mazedonien, deren Grenzen aber militärisch abgeriegelt sind. Die Zahl der Toten geht bereits in die Hunderte. Die Erinnerungen an die 250000 Ermordeten in Bosnien-Herzegowina werden wieder wach. Und all dies, nachdem Dayton angeblich dem Balkan Frieden gebracht hat. Die Lage ist so explosiv und ernst, daß die Bundesregierung schweren Herzens ihre menschenverachtenden Abschiebungen gegen die über 100000 in Deutschland lebenden Kosovoalbaner stoppen mußte. Die NATO bereitet eine erneute militärische Intervention in der Region vor. Zur gleichen Zeit erklärt Bundesaußenminister Kinkel im Namen der "internationalen Staatengemeinschaft" den Kosovo zur internen Angelegenheit Belgrads und spricht ihm das Recht auf Unabhängigkeit ab.

Welches sind die Hintergründe dieser Tragödie? Und was ist zu tun?

Aufstand im Kosovo

Nach langen Jahren geduldigen und fruchtlosen Wartens sind die Kosovianer nicht länger bereit, ihre Unterdrückung tatenlos hinzunehmen. Sie begannen ab Ende letzten Jahres sich trotz der harten Repression zu mobilisieren. Eine Rolle spielte hierbei wohl der Sturz Berishas durch den Volksaufstand in Albanien. Ein weiterer Auslöser war die Aufnahme des Faschisten Seseljs in die serbische Regierung, der versprach, mit 5000 Tschetnik im Kosovo "Ruhe zu schaffen". Hauptgrund für die erneute Eskalation ist allerdings die wachsende Instabilität des Milosevic-Regimes aufgrund der zunehmenden Unzufriedenheit. Diese spiegelte sich in der Wahlniederlage seines Kandidaten in Montenegro wider. Aber auch bei den 20000 Demonstrierenden, die am 1. Mai in Belgrad im Block der unabhängigen und antinationalistischen Gewerkschaft Nezavinost marschierten.

Im Kosovo, der wohl ärmsten Region Europas, macht die serbische Elite keine 10% der Bevölkerung aus: 200000 Personen, darunter40000 Sonderpolizisten und Paramilitärs. Trotzdem kontrolliert sie die gesamte wirtschaftliche und politische Macht. Hingegen fehlen den 90 % albanischstämmiger Bevölkerung die elementarsten Rechte: frei ihr Schicksal zu entscheiden. Es ist ihnen nichteinmal erlaubt, ihre Sprache zu lernen und zu unterrichten. Mit den jetzigen "ethischen Säuberungen" sollen Fakten geschaffen und der Widerstand und die revolutionäre Mobilisierung der albanischen Bevölkerungsmehrheit zerschlagen werden.

Von Unterdrückung zu Widerstand

Als 1912 Albanien unabhängig wurde, blieben die heute fast zwei Millionen Albaner auf serbischer Seite im Kosovo. Unter der Regierung Titos erhielt der Kosovo innerhalb der jugoslawischen Föderation eine gewisse Autonomie. Infolge starker Proteste 1968im Kosovo wurden 1974 diese Rechte erweitert. Aber 1989 liquidierte Milosevic die gesamte Autonomie und schickte seine Truppen in die Region. Die Albaner wurden aus öffentlichen Ämtern verjagt, die Arbeiter in Bergwerken und Betrieben massenhaft entlassen. Die großserbisch-chauvinistische Kampagne, mit der Milosevic 1989 seine Widersacher in Belgrad ausschaltete und die bröckelnde Macht der Bürokratie zu retten versuchte, wurde zum Auslöser der endgültigen Lostrennung Sloweniens, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas.

1991 erklärte sich der Kosovo in einem verbotenem Referendum für unabhängig.

Die Demokratische Liga des Kosovos und der 1992 gewählte Präsident Ibrahim Rugova anerkennen noch immer die Rolle Belgrads. Wie zahlreiche andere Intellektuelle in Osteuropa setzten sie voller Illusionen auf den Westen und seinen "Vermittlungen". Die Albaner folgten dem Rat ihrer Führer und begannen mit der Organisierung zivilen Ungehorsams: sie bildeten Schulen und Universitäten im Untergrund, eigene Institutionen, kurz, ein nationales Leben ohne Staat - und verfolgt.

Aber ein wachsender Teil der Kosovoalbaner verlangt angesichts der fortdauernden serbischen Unterdrückung eine deutlichere Haltung, und 1996 entstand die Befreiungsarmee des Kosovo (UCK),die jetzt immer mehr Zulauf bekommt und bis zu einem Drittel des Landes bereits kontrolliert. Sie wird zunehmend zum Hoffnungsträger und bewaffneten Ausdruck des Widerstands und legitimen Befreiungskampfes der Bevölkerung Kosovos. Umgekehrt desertieren immer mehr Jugendliche aus der Armee und sogar der Polizei Milosevics, da sie sich nicht an einem neuen Völkermord beteiligen wollen.

Ein weiteres Pulverfaß

Jugoslawien wurde nach dem Ersten Weltkrieg 1919 künstlich geschaffen. Die albanische Bevölkerung wurde über mehrere Staaten aufgeteilt, deren Grenzziehung eher den Bedürfnissen der imperialistischen Mächte entsprach. Ähnlich erging es den Kurden und anderen kleineren Völkern auf der ganzen Erde. Der Balkan als Nationenmosaik und mit wechselnden Grenzen war so ständige Quelle ungelöster Konflikte. Die stalinistischen Regime hielten jahrzehntelang eine gewisse "Ordnung" aufrecht. Aber mit ihrem Untergang ging auch diese falsche und bürokratische "Ordnung" unter. Genauso wenig bietet der Kapitalismus den Völkern der Region eine Lösung. Nur Regierungen der ArbeiterInnen in jeder Nation, die in einer freien Föderation sozialistischer Balkanrepubliken zusammengeschlossen sind, können eine Perspektive des Fortschritts und friedlichen Zusammenlebens eröffnen.

Revolutionäre SozialistInnen wußten immer zwischen der unterdrückenden und unterdrückten Nation zu unterscheiden und sich an die Seite des Befreiungskampf der letzteren zu stellen. Schließlich ist der konsequente Kampf für sämtliche demokratischen Rechte eine Grundvoraussetzung für jede erfolgreiche sozialistische Revolution. Dies gilt um so mehr, da für den Imperialismus Demokratie nur dann akzeptabel ist, wenn durch sie die kapitalistische Ausbeutung nicht gefährdet wird.

Eine weitere Niederlage des Milosevicregimes wird es auch den serbischen Arbeitern erleichtern, ihre eigenen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Forderungen zu formulieren und durchzusetzen.

Nein zur Intervention des Imperialismus!

Am 9. März verurteilte die Kontaktgruppe (USA, Rußland, Frankreich, Italien, Deutschland und Großbritannien) die Aktionen der UCK als "terroristisch", drohte Serbien mit Sanktionen und bestimmte eine Vermittlungsdelegation. Das Europäische Parlament schlägt die Entsendung von "Präventivtruppen" vor. Und trotz des Widerstands Rußlands, das traditionelle Beziehungen zu Serbien unterhält, sprechen die USA und die meisten Bonner Parteien sogar von der Entsendung von Truppen und bereiten diese vor. Sie alle versuchen nur ein Überborden der Situation zu verhindern, aber waren und sind gegen die Selbstbestimmung und Unabhängigkeit des Kosovos! Die USA müssen dem neuen Kräfteverhältnis Tribut zollen und versuchen, mit den Führern der UCK, die gestern noch als "Terroristen" verurteilt wurde, zu verhandeln - und sie zum Wohlverhalten zu bewegen.

Das eigentliche Ziel einer NATO-Intervention hat der mazedonische Botschafter in Bonn, Sgrjan Kerim, dessen Regime die albanische Bevölkerungsminderheit ebenfalls unterdrückt, klar ausgedrückt: "NATO-Truppen wären das Signal, daß die heutigen Staatsgrenzen erhalten bleiben. Gerade deshalb demonstrieren extremistische Albaner in diesen Tagen gegen eine NATO-Intervention, weil sie wissen, daß dies das Ende ihrer Träume von einem Groß-Albanien wäre." (Tagesspiegel, 11.6.98)

Die gegenwärtige Aufgabe

Wie schon die Erfahrung Bosniens gezeigt hat, ist von der Kontaktgruppe für die Balkanvölker nichts Gutes zu erwarten. Ihre Wirtschaftssanktionen werden nur die verarmte serbische Bevölkerung in Mitleidenschaft ziehen und Milosevics chauvinstischer Kampagne neue Nahrung liefern. Und jegliche politische oder militärische Vermittlung oder Intervention im Kosovo wird nur darauf zielen, die eigennützigen wirtschaftlichen und politischen Interessen der europäischen Mächte zu schützen. Sie werden eher Milosevics angeschlagene Herrschaft stabilisieren, Tragpfeiler des ungerechten imperialistischen Daytonabkommens. Die Aufgabe der ArbeiterInnen und Jugendlichen Albaniens, Mazedoniens, Bosniens, Kroatiens, Serbiens selbst und ganz Europas heute besteht darin, der Bevölkerung Kosovos zu helfen, mit der Repression Milosevics Schluß zu machen und ihr volles Recht auf Unabhängigkeit zu verteidigen.

Folgen wir dem Appell des Unabhängigen Studierendenverbands der

Universität Pristina (SIUUP) nach finanzieller und materieller Unterstützung! Unterstützen wir die Selbstorganisierung der in Deutschland lebenden Kosovoalbaner!

Auch in Mazedonien und Albanien gab es große Solidaritätskundgebungen. Wir müssen mit aller Kraft diesen gerechten Kampf unterstützen. Wir rufen die Gewerkschaften, politischen Parteien, Studierendenorganisationen, Menschenrechtsgruppen und alle sonstigen Organisationen, die für die Verteidigung der Menschenrechte eintreten auf, sich zugunsten folgender Forderungen auszusprechen und zu mobilisieren:

Schluß mit den Verbrechen! Serbische Polizei und Armee raus aus dem Kosovo!

Nieder mit Milosevic, dem Henker des Balkans!

Für das Recht auf Selbstbestimmung der Bevölkerung Kosovos, einschließlich der Lostrennung!

Keine Abschiebung von Flüchtlingen!

Nein zur imperialistischen Intervention!

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Nr.9/1998