Befehl
des Chefs der Besatzung der
Stadt Berlin Nr. 128. April 1945 Stadt Berlin
05/2020
trend
onlinezeitungHeute bin ich zum Chef der Besatzung und zum Stadtkommandanten von Berlin ernannt worden. Die gesamte administrative und politische Macht geht laut Bevollmächtigung des Kommandos der Roten Armee in meine Hände über.
In jedem Stadtbezirk werden gemäß der früher existierenden administrativen Einteilung militärische Bezirks- und Revierkommandanturen eingesetzt.
Ich befehle:
1) Die Bevölkerung der Stadt hat volle Ordnung zu bewahren und an ihren Wohnsitzen zu verbleiben.
2) Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei und alle ihr unterstellten Organisationen (Hitlerjugend, NS-Frauenschaft, NS-Studentenbund usw.) sind aufzulösen. Ihre Tätigkeit wird hiermit verboten. Das gesamte führende Personal aller Dienststellen der NSDAP, Gestapo, Gendarmerie, des Sicherheitsdienstes, der Gefängnisse und allerübrigen staatlichen Dienststellen hat sich binnen 48 Stunden nach Veröffentlichung dieses Befehls in den militärischen Bezirks- und Revierkommandanturen zwecks Registrierung zu melden.
Binnen 72 Stunden haben sich ebenfalls alle in der Stadt Berlin verbliebenen Angehörigen der deutschen Wehrmacht, der SS und der SA zwecks Registrierung zu melden.
Wer sich zu der festgesetzten Frist nicht meldet oder wer sich der Verbergung solcher Personen schuldig macht, wird gemäß den Gesetzen der Kriegszeit zu strenger Verantwortung gezogen.
3) Die Beamten und Angestellten der Bezirksdienststellen haben sich zu mir zwecks Bericht über den Zustand ihrer Dienststellen und Entgegennahme von Anweisungen über die weitere Tätigkeit dieser Dienststellen zu melden.
4) Alle kommunalen Betriebe wie Kraft- und Wasserwerke, Kanalisation, städtische Verkehrsmittel (Untergrund- und Hochbahn, Straßenbahn und Trolleybus);
alle Heilanstalten;
alle Lebensmittelgeschäfte und Bäckereien haben ihre Arbeit zur Versorgung der Bevölkerung wieder aufzunehmen.Arbeiter und Angestellte der obengenannten Betriebe haben an ihren Arbeitsstätten zu bleiben und ihre Pflichten weiter zu erfüllen.
5) Angestellte der staatlichen Verpflegungslager sowie Privateigentümer von Lebensmittellagern haben binnen 24 Stunden nach Veröffentlichung dieses Befehls alle vorhandenen Lebensmittelvorräte bei den militärischen Bezirkskommandanten zwecks Registrierung anzugeben und sie nur mit Erlaubnis der militärischen Bezirkskommandanten herauszugeben.
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ls Sonderanweisungen ergehen, erfolgt die Verabfolgung von Lebensmitteln in den Lebensmittelgeschäften gemäß den früher existierenden Normen und Lebensmittelkarten. Lebensmittel sind nicht mehr als für 5 bis 7 Tage auszugeben. Für Ausgabe von Lebensmitteln über die existierenden Normen oder für Ausgabe von Lebensmitteln auf Karten von Personen, die in der Stadt nicht mehr anwesend sind, werden die daran schuldigen dienstlichen Personen zu strenger Verantwortung herangezogen.
6) Inhaber von Bankhäusern und Bankdirektoren haben alle Finanzgeschäfte zeitweilig einzustellen. Alle Safes sind sofort zu versiegeln. Man hat sich bei den militärischen Kommandanturen sofort mit einem Bericht über den Zustand des Bankwesens zu melden.
Allen Bankbeamten ist kategorisch verboten, jegliche Werte zu entnehmen. Wer sich der Übertretung dieses Gebotes schuldig macht, wird nach den Gesetzen der Kriegszeit strengstens bestraft.
Neben den in Umlauf befindlichen Reichszahlungsmitteln werden obligatorisch die Okkupationsmark der Alliierten Militärbehörde in Umlauf gesetzt.
7) Alle Personen, die Feuerwaffen und blanke Waffen, Munition, Sprengstoff, Radioempfänger oder Radiosender, Photoapparate, Kraftfahrzeuge, Krafträder, Treib- und Schmierstoff besitzen, haben oben Erwähntes binnen 72 Stunden nach Veröffentlichung dieses Befehls auf den militärischen Bezirkskommandanturen abzuliefern.
Für Nichtablieferung aller oben erwähnten Gegenstände in der festgesetzten Zeit werden die Schuldigen gemäß den Gesetzen der Kriegszeit streng bestraft.
Die Inhaber von Druckereien, von Schreibmaschinen und anderen Vervielfältigungsapparaten sind verpflichtet, sich bei den militärischen Bezirks- und Revierkommandanten zwecks Registrierung zu melden. Es ist kategorisch verboten, jegliche Dokumente ohne Erlaubnis der militärischen Kommandanten zu drucken, zu vervielfältigen, auszuhängen oder in der Stadt in Umlauf zu setzen.
Alle Druckereien werden versiegelt. Einlaß erfolgt nur auf Erlaubnis des militärischen Kommandanten.
8) Der Bevölkerung der Stadt ist verboten:
a) zwischen 22.00 und 08.00 Uhr morgens Berliner Zeit die Häuser zu verlassen, auf den Straßen und Höfen zu erscheinen, sich in unbewohnten Räumen aufzuhalten und dort irgendwelche Arbeit zu verrichten;
b) nichtverdunkelte Räumlichkeiten zu erleuchten;
c) ohne Erlaubnis der militärischen Kommandanten irgendwelche Personen, darunter auch Angehörige der Roten Armee und der Alliierten Truppen, in den Bestand der Familie zu Wohnungs- und Übernachtungszwecken aufzunehmen;
d) eigenmächtiges Wegnehmen der von Dienststellen und Privatpersonen zurückgelassenen Habe und Lebensmittel. Einwohner, die die erwähnten Verbote verletzen, werden gemaß den Gesetzen der Kriegszeit zu strenger Verantwortung herangezogen.
9)
a) Der Betrieb von Vergnügungsstätten (Kino, Theater, Zirkus Stadion),
b) Gottesdienste in den Kirchen,
c) der Betrieb von Restaurants und Gaststätten ist bis 21.00 Uhr Berliner Zeit erlaubt.
Für die Ausnutzung öffentlicher Betriebe zu der Roten Armee feindseligen Zwecken, für die Störung der Ordnung und Ruhe in der Stadt wird die Verwaltung dieser Betriebe zu strenger Verantwortung gemäß den Gesetzen der Kriegszeit herangezogen.
10) Die Bevölkerung der Stadt wird gewarnt, daß sie für feindseliges Verhalten gegenüber Angehörigen der Roten Armee und Alliierter Truppen die Verantwortung gemäß den Gesetzen der Kriegszeit trägt.
Im Falle von Attentaten auf Angehörige der Roten Armee oder der Aliierten Truppen oder für Verübung anderer Diversionsakte gegenüber dem Personalbestand, dem Kriegsmaterial oder Kriegsgut von Verbänden der Roten Armee und der Alliierten Truppen werden die Schuldigen dem militärischen Standgericht überliefert.
11 Verbände der Roten Armee und einzelne Militärangehörige, die in Berlin eintreffen, sind verpflichtet, nur in den von den militärischen Bezirks- und Revierkommandanten angewiesenen Unterkünften Quartier zu nehmen.
Angehörigen der Roten Armee ist ohne Erlaubnis der militärischen Kommandanten die eigenmächtige Aussiedlung oder Umsiedlung der Einwohner, Entnahme von Gütern und Werten und Haussuchungen bei den Stadteinwohnern verboten.
Chef der Besatzung und Stadtkommandant von Berlin
Oberbefehlshaber der Roten Armee Generaloberst N. Bersarin
Stabschef der Besatzung Generalmajor Kuschtschow
Quelle: https://de.wikipedia.org/
Quelle:
Berlin - Quellen und Dokumente 1945-1951. 1. Halbband. Berlin 1964, S. 208-210.In den vergangenen Jahren bei TREND zu diesem Thema erschienen
- Das Buchenwalder Manifest der Trotzkisten
kommentierend eingeleitet von- Antifaschistischer Widerstand während der letzten Kriegstage in Berlin
von Gerhard Keiderling- Flugblätter & Handzettel
Propaganda im antifaschistischen WiderstandDer Aufstand in München vom 28.April 1945 Bayerischen Landeszeitung
Ein Bericht derErstes Zusammentreffen mit Berliner Kommunisten
von Wolfgang LeonhardRundfunkansprache vom 4. Mai 1945
von Wilhelm PieckStefan Heyms Roman "Schwarzenberg"
von Sascha StanicicHoch die klassenbewußte Arbeiterschaft! Hoch die rote Armee!
Konferenz von Belegschaftsvertretern Bochumer Schachtanlagen in der Werkstatt der Zeche Prinz Regent, Ende April 1945Berliner Kommunisten und Sozialdemokraten bilden "Volkskomitee"
Senat v. Berlin, Berlin, Quellen und Dokumente, 1. Halbband, S.213Weiße Armbinden
Leseprobe aus: In die Stille gerettet"Wir gingen der Roten Armee entgegen"
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