für die Materialsammlung zur Vorbereitung des 1.
bundesweiten Treffens der Teilnehmer offener Kommunistischer Foren eingereicht
von Sascha Kimpel <kimpel@zedat.fu-berlin.de> am 29.06.1999
Stoppt den NATO-Krieg gegen Serbien!
Stoppt die "ethnischen Säuberungen" der Milosevic-Regierung!
Solidarität mit den Kosovo-Albanern!
1) Bei den derzeitigen militärischen Auseinandersetzungen
im Balkan handelt es sich nicht um einen, sondern um zwei von einander
zu unterscheidenden Kriegen, die ihre eigene Ursachen und Hintergründe
haben. Auch wenn auf der militärischen Ebene sich beide Konflikte
verknüpfen, so müssen wir die politischen Dimensionen aufdecken
und nicht der Logik des "kleineren Übels" verfallen.
a) Bei der Bomardierung Serbiens durch die teilnehmenden NATO-Staaten
handelt es sich eindeutig um einen imperialistischen Krieg der weltweit
führenden Mächte gegen ein halbentwickeltes kapitalistisches
Land und seine bürgerliche Regierung zur Aufrechterhaltung des "Status
Quo" und der "Stabilität" in Südosteuropa.
b) Die Politik der Vertreibung und der "ethnischen Säuberungen"
durch die reguläre "jugoslawische" Armee und die paramilitärischen
Banden von Arkan und Seselj stellt einen Vernichtungskrieg zur Verwirklichung
Großserbiens dar, dem strategischen Projekt des Milosevic Regimes.
2) Der NATO geht es nicht um das Leben und das Selbstbestimmungsrecht
der Kosovo-Albaner Unzählige Beispiele beweisen, daß Unterdrückung,
Vertreibung, Massaker und Folter den imperialistischen Ländern gleichgültig
sind, solange ihre Interessen berührt werden (siehe Unterdrückung
der Kurden). Der Ursprung der NATO-Intervention liegt im Versuch den sich
zuspitzenden Konflikt zwischen den Kosovo-Albanern und der serbischen Armee
zu begrenzen und eine Ausweitung auf umliegende Länder zu verhindern.
Die führenden imperialistischen Länder haben auf eine explosive
Situation, die außer Kontrolle zu geraten drohte, reagiert und nicht
den Krieg mit Serbien gesucht. Dies wird u.a. dadurch belegt, daß
im Rambouillet-Abkommen explizit den Kosovo-Albanern das Recht auf Selbstbestimmung
- welches das Recht auf einen unabhängigen Staat einschließt
- verweigert und ein Abkommen mit Milosevic gesucht wurde. Darüber
hinaus geht es der NATO und hierbei insbesondere den USA um eine Demonstration
der Stärke gegenüber Rußland und allen anderen Atommächten
und um die Weiterentwicklung der NATO zu einem weltweit einsetzbaren "Ordnungsinstrument".
3) Spätestens seit 1989, als die serbische Regierung das
Autonomiestatut im Kosovo innerhalb Serbiens abschaffte, spitzte sich der
Konflikt zwischen dem serbischen Regime und der Kosovo-Bevölkerung
über mehrere Etappen hinweg zu. Es bildete sich ein Apartheidsystem.
Die Kosovaren wurden aus der staatlichen Verwaltung und aus staatlichen
Betrieben gedrängt, die Bildungsinstitutionen fielen unter die Kontrolle
des serbischen Nationalismus. Die Kosovo-Albaner unter der Führung
von Rugova und seiner gemäßigten Demokratischen Liga bauten
umfassende Parallelinstitutionen auf und führten ihre eigenen Wahlen
durch. Die Regierung im Westen erkannten diese durch die große Mehrheit
der Bevölkerung legitimierten Institutionen nicht an und zogen es
vor mit Milosevic zu verhandeln.
Mit der Zeit gewannen die Kräfte, die
auf den bewaffneten Widerstand gegen die serbische Repression setzen an
Zulauf. Spätestens im Sommer 1998 wurde die UCK in den Augen eines
großen Teils der kosovarischen Bevölkerung zu glaubwürdigen
Kraft. Die serbische Regierung konnte weder die Präsenz der UCK auf
"jugoslawischen" Gebiet noch eine weitgehende Autonomie dulden. die Armee
und insbesondere die rechtsradikalen paramilitärischen Banden begannen
daraufhin einen Vernichtungskrieg gegen die Kosovo-Albaner mit dem ziel
die UCK zurückzuschlagen und einen großen Teil der albanischen
Bevölkerung, mittels der schon in Bosnien und Kroatien angewandten
Methoden, (Plünderungen, Brandschatzung, Folter, Vergwaltigungen,
Massaker ...) zu vertreiben. Bis zum heutigen Zeitpunkt sind circa eine
Million Menschen zur Flucht gezwungen worden.1
Die Bomardierungen der NATO haben die Vertreibung der Kosovo-Albaner nicht
verhindert. Genau das Gegenteil ist eingetreten. Erst durch den Abzug der
OSZE-Beobachter und die Angriffe der NATO konnte Milosevic die Zerschlagung
der UCK und die "ethnischen Säuberungen" in einem entsprechend kurzen
Zeitraum durchsetzen. In Serbien wurde die nationalistisch Regierung gestärkt
und die demokratische Opposition sowie die unabhängigen Medien sind
verstummt. Seit dem 24. März ist ein Zurückdrängen des aggressiven
serbischen Nationalismus und die Perspektive einer multiethnischen Bakanföderation
in weite Ferne gerückt. Ebenso wurde die Region nicht "stabilisiert".
Es besteht die Gefahr eines Übergreifens des Konflikts zumindestens
auf Albanien, Mazedonien, Montenegro und Bosnien.
Die imperialistische Intervention richtet sich nicht - oder
zumindest nicht in erster Linie - gegen die serbische Regierung und ihre
Generäle, sondern gegen die Bevölkerung und die Soldaten in Serbien,
Montenegro und Kosovo. Präzise Angaben existieren nicht, aber wahrscheinlich
sind sind mehrere Tausend Zivilisten umgekommen oder verwundet worden.
Die Zerstörung der Infrastruktur (Brücken, Straßen, Kommunikationsmittel,
Bahn usw.) durch die Bomben trifft zuallererst die einfache Bevölkerung
und nicht das Militär und die politische Führung. Ein möglicher
Einsatz von Bodentruppen würde für die gesamte Region unabsehbare
Schäden mit sich ziehen und könnte zu einer möglichen militärischen
Eskalation auf gesamteuropäischer Ebene führen.
5) Die Schröder-Regierung beteiligt sich uneingeschränkt
an diesem Krieg. Zum ersten Mal seit 1945 führt Deutschland wieder
Krieg und das unter einer "linken" Regierung! Wieder einmal zeigt sich
die deutsche Sozialdemokratie wozu sie fähig ist. Dies wird all jenen
zu denken geben, die immer noch glauben, daß es unter Schröder-Fischer
weniger schlimm wird als unter Kohl. Den Widerspruch zwischen der wirtschaftlichen
und politischen stärke der BRD und ihrer militärischen Schwäche
versucht die Regierung entsprechend zu lösen. Denn die Interessen
der deutschen Kapitals sind ohne kriegerischen Einsatz bei fortschreitender
"Globalisierung" nicht mehr wirksam zu vertreten. Bereits jetzt wurde angekündigt,
das das deutsche Militär sich modernisieren und weiter umstrukturieren
muß, um für zukünftige Aufgaben gewappnet zu sein.
6) Die Haltung der revolutionären Sozialisten muß
die Komplexität des Konflikts in Betracht ziehen. Das heißt
wir müssen zu beiden Kriegen in gleicher Weise Stellung nehmen. Unser
Ausgangspunkt kann nur die Verteidigung der Interessen der Bevölkerungen
in dieser Region und die Perspektive einer Balkanföderation befreit
vom Krieg, Massakern, Vertreibung und Armut. dies kann nur umgesetzt werden,
wenn wir von der konkreten Situation ausgehen. Drei untrennbar miteinander
zusammenhängende Losungen fassen die politische Position der Revolutionäre
zusammen:
- Stop der Bombardierungen und die Ablehnung eines möglichen Bodeneinsatzes
der NATO
- Stop der Politik der ethnischen Säuberungen des Milosevic-Regimes;
Rückzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo
- Selbstbestimmungsrecht für die Kosovo-Albaner bei uneingeschränkten
Rechten für die serbische Minderheit
Unsere Hauptstoßrichtung zum aktuellen Zeitpunkt besteht
in der Kritik der NATO-Propaganda laut der er Krieg zum Schutz und im Interesse
der Kosovo-Alabaner geführt wird (Wir dürfen diese Argumentation
nicht überspringen und gleich auf die eigentlichen Gründe für
die imperialistische Intervention eingehen. Unsere Aufgabe besteht darin
zumindest einen Teil der Arbeiterklasse und der Jugend zu überzeugen
und uns an ein vermeintlich anti-imperialistisches Lager zu wenden). Die
Kritik an der Intervention und an den Bomardierungen muß konkret
sein und von den Interessen der Kosovo-Albaner ausgehen: die NATO bombardiert
weder um das Leben der Kosovo-Albaner zu retten noch um die Vertreibungen
zu verhindern. Dies ist durch die Ereignisse der letzten 7 Wochen bestätigt
worden. Das ist unser erstes Argument.
Zweitens müssen wir uns unzweideutig für
die Rechte der Kosovo-Albaner eintreten und die kriminelle Politik der
ethnischen Säuberungen verurteilen. Wir dürfen in keinem Fall
die Kriegsverbrechen der serbischen Truppen verschweigen und die Kritik
an Milosevic als zweitrangig betrachten.2
Drittens müssen wir für das Selbstbestimmungsrecht
der Kosovo-Albaner eintreten. Aber die Durchsetzung dieses Rechts setzt
die physische Integrität der Menschen ebenso voraus wie die Rückkehr
der Flüchtlinge in den Kosovo und die Beendigung der seit mindest
einem Jahrzehnt andauernden Unterdrückung. Für die revolutionären
Sozialisten kann kein Argument die Vertreibung von 1 Million Menschen,
Massaker, Vergewaltigungen usw. rechtfertigen. Dies steht nicht nur
im Widerspruch zur sozialistischen Moral sondern ist vom Standpunkt der
Selbstbefreiung der Unterdrückten und dem Aufbau einer emanzipatorischen
Gesellschaft kontraproduktiv. (Ganz abgesehen davon, daß der ehemalige
Stalinist Milosevic, ebenso wie die ehemaligen Stalinisten Karadcic und
Mladic - heute uneingeschränkt für die freie Marktwirtschaft
und den Kapitalismus eintreten). Die Selbstverteidigung der Kosovo-Albaner
gegen die militärische, nationalistische und rassistische Vernichtungspolitik
der serbischen Regierung ist für uns legitim. Dies heißt nicht,
daß wir die UCK politisch unterstützen. Dennoch sei hier erwähnt,
daß die Marxisten sowohl der II, III und IV. Internationale - allen
voran Lenin und Trotzki - immer eine grundlegende Unterscheidung zwischen
dem Nationalismus der Unterdrücker und dem Nationalismus der Unterdrückten
zogen. Und es kann heute nicht daran gezweifelt werden, daß die Kosovo-Albaner
- wie zuvor die Moslems in Bosnien - eine unglaublich barbarische Unterdrückung
von Seiten des serbischen Staatsapparates erleiden.
Viertens müssen wir unsere Kritik bezüglich der rot-grünen
Regierung zuspitzen und in den Zusammenhang von Wirtschafts- und Sozialpolitik
stellen.
Fünftens müssen wir konkrete (permanente) Arbeitersolidarität
entwickeln mit den Völkern des Balkans und in Betrieb und Gewerkschaften
vorhandene Ansätze zum Thema machen und eine entsprechende Praxis
aufbauen.
Sechstens sollten wir alle Gelegenheiten nützen mit revolutionären,
nicht-stalinistischen Kräften, zusammenzuarbeiten um gemeinsam einen
Pol bei Demonstrationen und Diskussionen zu bilden, sowie sich gegenseitig
in der Antikriegsarbeit im Betrieb und Gewerkschaft und an den Schulen
und Universitäten zu unterstützen.
Marc Fischer, Simon Schuster (7.5.1999)
1 Die Massaker und die Vertreibungen wurden von der serbischen
Regierung geplant und durchgeführt. sie trägt demnach die hauptsächliche
Verantwortung.
2 Nicht zuletzt deswegen ist es erforderlich eine radikale
Kritik an Positionen zu üben, wie sie von Teilen der radikalen und
reformistischen Linken vorgebracht werden, die ihr Sprachrohr in Publikationen
wie der UZ, Neues Deutschland, Junge Welt, konkret ... finden. Auch in
der Soz wurden zum Teil ähnliche Positionen vorgebracht. In den Antikriegszeitungen
der PDS, wo Winfried Wolf sich verantwortlich für zeichnet, hat sich
bezüglich des serbischen Nationalismus und den ethnischen Säuberungen
sehr zurückgehalten. Mit all diesen reaktionären und neostalinistischen
Kräften, in welcher Form sie auch auftreten, haben wir nichts zu tun.
Auch zehn Jahre nach Zusammenbruch des "sozialistischen Lagers" handeln
diese Kräfte noch immer nach der Logik "der Feind meines Feindes ist
mein Freund". |