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KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 8 - 04.08.2004 - Onlineversion

Ansgar Knolle-Grothusen

Zum Marxschen Arbeitsbegriff

Teil 1



Der Arbeitsbegriff ist im Marxschen Werk einer Wandlung unterworfen. Während in den frühen Schriften Arbeit ausschließlich für entfremdete Arbeit steht und daher die Aufhebung der Arbeit Programm ist, steht im Spätwerk Arbeit für das Reich der Notwendigkeit, auf dem sich das Reich der Freiheit erhebt. Daher verändert sich auch die weitere Entwicklungsperspektive der Arbeit: Nicht mehr Aufhebung der Arbeit, sondern 1. Überwindung ihrer entfremdeten Form, 2. Reduktion auf notwendige Arbeit, 3. Reduktion der notwendigen Arbeit selbst, dadurch Ausdehnung der Zeit für freie Tätigkeit. Ich werde die Frage, was dieser Wandel in der Marxschen Auffassung bedeutet und wodurch er bewirkt wurde, zunächst zurückstellen und beginne mit der Darstellung des Marxschen Arbeitsbegriffs in seiner späteren, ausgearbeiteteren Form.

Wie jede andere gesellschaftliche Kategorie bestimmt Marx auch die Kategorie der Arbeit aus ihrem jeweiligen historischen Zusammenhang.

Dabei haben wir einmal den Zusammenhang und die Entwicklung einer Kategorie über die Grenzen der Gesellschaftsformationen hinweg, wir finden die Arbeit nicht nur in der kapitalistischen, sondern auch in der feudalen, der Sklavenhalterhaltergesellschaft usw. ja, die Arbeit ist eine derart grundlegende Kategorie, daß wir sie in jeder Form von menschlicher Gesellschaft antreffen, insofern hat sie etwas allen Gesellschaftsformen gemeinsames, eine ontische Dimension, und weist damit auch hinaus über die konkrete Form, die sie heute hat.

Zum zweiten wird jede Kategorie innerhalb der zu untersuchenden Gesellschaftsformation bestimmt durch den Zusammenhang in dem sie zu anderen Kategorien in dieser Gesellschaftsformation steht, und die spezifische Form, die sie in diesem Zusammenhang gewinnt. Um diese differentia spezifika, auf deren Erkenntnis es ankommt, wenn wir die Gesellschaft verändern wollen, richtig zu erfassen, brauchen wir als Folie, auf der sie sich überhaupt als spezifisch für eine bestimmte Gesellschaftsformation abheben, auch die formationsübergreifende ontische Dimension der Kategorie.

Wir betrachten die Arbeit deshalb zunächst einmal unabhängig von den Modifikationen und näheren Bestimmungen, die sie in bestimmten gesellschaftlichen Formationen erfährt.


I. Arbeit unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Form

1. Naturzwang und Selbstverwirklichung

Unabhängig von der jeweiligen historisch konkreten Form, die die Arbeit in einer bestimmten Gesellschaftsformation annimmt, bestimmt Marx zunächst die Arbeit als zweckmäßige Tätigkeit, durch die der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur vermittelt, regelt und kontrolliert.

Bei Marx heißt es:

Der Mensch „tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit. ... Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muß. Und diese Unterordnung ist kein vereinzelter Akt. Außer der Anstrengung der Organe, die arbeiten, ist der zweckmäßige Wille, der sich als Aufmerksamkeit äußert, für die ganze Dauer der Arbeit erheischt, und um so mehr, je weniger sie durch den eignen Inhalt und die Art und Weise ihrer Ausführung den Arbeiter mit sich fortreißt, je weniger er sie daher als Spiel seiner eignen körperlichen und geistigen Kräfte genießt.“1

Also schon in dieser ganz allgemeinen Bestimmung der Arbeit als bloße Herstellung von Gebrauchsgegenständen im allgemeinsten Sinn und völlig losgelöst von der gesellschaftlichen Form hat die Arbeit schon zwei Seiten:

Einerseits enthält die Arbeit das Moment der Naturnotwendigkeit: Arbeit als zum menschlichen Leben, zur Befriedigung von Bedürfnissen notwendige Tätigkeit, die auf den Zweck, die Mittel zur Befriedigung dieser Bedürfnisse zu erlangen, ausgerichtet ist; insofern ein Zwang, der die Unter­ordnung des eigenen Willens unter den einmal gesetzten Zweck und die objektiven Gesetzmäßig­keiten erfordert, die aus der Natur des gewählten Arbeitsgegenstands und der Arbeitsmittel folgen.

Andrerseits enthält die Arbeit immer auch das Moment der Freiheit und der Selbstverwirklichung: Der Mensch selbst setzt den Zweck, er ist gerichtet auf die Befriedigung seiner Bedürfnisse. Indem der selbstgesetzte Zweck im bearbeiteten Naturstoff verwirklicht wird, befreit sich der Mensch aus der Abhängigkeit von den Launen der Natur. Er verwirklicht und entfaltet sich selbst, indem er zum einen die ihn umgebende Natur seinen Zwecken gemäß umformt, sie kultiviert, vermenschlicht und zum andern im gleichen Prozeß auch sich selbst aus der Natur herausarbeitet, sich als Mensch, als das gesellschaftliche Wesen erst produziert, seine eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten entwickelt.

Diese Bestimmungen der Arbeit grenzen die Sphäre der Arbeit unter allen gesellschaftlichen Verhältnissen von anderen Sphären menschlicher Lebenstätigkeit ab, auch wenn die Übergänge zwischen den einzelnen Sphären fließend sind und das, was zur Sphäre der Arbeit zählt, sich historisch verändert. Marx spricht in der zitierten Passage z.B. die fließenden Übergänge zwischen Arbeit und Spiel an. Trotz fließender Übergänge zwischen den Sphären läßt sich in den meisten Fällen von jeder Betätigung mit ziemlicher Genauigkeit sagen, welchem Betätigungsfeld sie zugeordnet werden kann.

Ein entscheidender Punkt, der auf dieser allgemeinen Ebene die Arbeit von anderen menschlichen Lebensäußerungen und Tätigkeiten unterscheidet, ist der, daß das Bedürfnis, welches der Zwecksetzung der Arbeit zugrunde liegt, nicht in ihr selbst liegt und auch nicht in ihrem unmittelbaren Resultat. Das Resultat der Arbeit ist erst das Mittel zur Befriedigung des Bedürfnisses, meistens erst das Mittel zur Herstellung eines Mittels zur Herstellung eines Mittels usw. zur Befriedigung des Bedürfnisses. Die Tätigkeit und die Befriedigung des Bedürfnisses, das in letzter Instanz den Anlaß der Tätigkeit setzt, fallen an der Arbeit zeitlich auseinander. Der Zweck zerfällt in ebenso viele Teilzwecke, die einander wieder Mittel sind, als sich Vermittlungsschritte zwischen den Arbeitsprozess und die Bedürnisbefriedigung schieben. Liegt mein Bedürfnis darin, in der Nacht nicht zu frieren, so muß ich z.B. Holz hacken. Der unmittelbare Zweck des Holzhackens ist es, Brennholz zu haben. Das Brennholz ist das Mittel für den Zweck, Feuer zu machen. Das Feuermachen hat schließlich den Zweck Wärme zu produzieren, die das Mittel für die Befriedigung des Bedürfnisses nicht zu frieren ist.

Dieses Auseinanderfallen der Tätigkeit und des ihr zugrunde liegenden Bedürfnisses ist ein Charakteristikum der Arbeit. Das wird auch deutlich, wenn wir die Übergangsphänomene zwischen der Arbeit und anderen Tätigkeiten untersuchen. In dem Augenblick, in dem die Jagd ihren Hauptzweck nicht mehr in einer äußeren Notwendigkeit hat, z.B. in der Fleischbeschaffung, sich nicht mehr in erster Linie auf die Befriedigung eines außer ihr liegenden Bedürfnisses richtet, verliert sie ihren Charakter als Arbeit und wird zum Sport. Der Sport, der seinen Zweck in sich selbst trägt, in der Lust an der sportlichen Betätigung und an der Selbstbestätigung im Resultat, dem Erfolg, nimmt seinerseits den Charakter von Arbeit an, wenn sein Hauptzweck sich verlagert und auf die Befriedigung eines außer ihm liegenden Bedürfnisses richtet und er selbst so zum Mittel wird. Dabei gibt es vielfache Übergangsstufen: Training wird Arbeit für den Wettkampf, der an sich noch mehr Selbstzweck ist, aber doch schon äußere Zweckbestimmungen in der Vergleichung erfährt: Sieg, Anerkennung, Ehre. Als Profi-Sport schließlich wird er Schwerstarbeit.

Die Bedingungen, unter denen solche Übergänge zwischen Arbeit und Nichtarbeit tatsächlich stattfinden, setzen natürlich konkretere Bestimmungen der gesellschaftlichen Verhältnisse voraus, die uns hier noch nichts angehen. Es geht hier zunächst nur darum, daß unter allen gesellschaftlichen Verhältnissen das Feld der Arbeit klar von den anderen menschlichen Tätigkeitsfeldern unterschieden werden kann, obwohl es fließende Übergänge zwischen Arbeit und anderen Tätigkeitsbereichen gibt, die daher rühren, daß ein- und dieselbe Tätigkeit für die Befriedigung verschiedener Bedürfnisse eine Rolle spielen kann und sich ihre Zwecksetzung daher aus ihr heraus oder in sie hinein verlagern kann. Insofern widerspreche ich Stefan Meretz entschieden, der in den Materialien der 47. KW 2001 schrieb: „Es gab jedoch vor dem Kapitalismus keine Sondersphäre der 'Arbeit', es gab eine Lebenspraxis, die in ihrer Gesamtheit die Reproduktion absicherte. In dieser Praxis waren produktive und reproduktive Tätigkeiten nahtlos miteinander vermischt. Mühsal und Plage wechselten mit Siesta und Festen - das war nicht 'Arbeit' und 'Freizeit', es war einfach die Lebensweise.“2 Egal wie vermischt oder entmischt diese Sphären waren und sind - das Feiern des Festes war für die Menschen immer schon was anderes als die Vorbereitung des Festes; ganz abgesehn davon, daß Mühsal und Plage eben nur ein Aspekt der Arbeit ist.

Die Sprachgeschichte beweist, daß die Menschen lange vor dem Kapitalismus einen Begriff von Arbeit hatten. Dabei ist interessant, daß es in vielen europäischen Sprachen zweierlei Ausdrücke für Arbeit gibt, die jeweils eines der beiden beschriebenen Momente der Arbeit akzentuieren, - einen Ausdruck, der von der etymologischen Grundlage her die physische Verausgabung von Arbeitskraft zum Hauptinhalt hat, und einen, der die Arbeit stärker von ihrem Resultat, vom Produkt her, bestimmt.3

Im Übrigen war auch die hier an einem Zitat von Marx vorgestellte Dimension des Arbeitsbegriffs im Prinzip schon den Alten bekannt. Wir finden sie in Hegels List der Vernunft4 und ihre Geschichte reicht zurück bis zu Aristoteles, der am künstlichen Entstehen die beiden Komponenten Denken und Hervorbringen in ihrem Zusammenhang untersucht.5

Exkurs 1: Arbeit und Bedürfnis

Es ist an dieser Stelle erforderlich, kurz auf die Marxsche Theorie der Bedürfnisse einzugehen.6 Bei Marx sind alle menschlichen Bedürfnisse gesellschaftlich produzierte Bedürfnisse der Individuen.

Der Grund der Bedürftigkeit liegt zwar darin, daß die Menschen Naturwesen sind, ist also biologisch bestimmt, die Form in der diese Bedürftigkeit als konkretes System von Bedürfnissen der Menschen erscheint, ist aber gesellschaftlich produziert. Als untere Grenzbestimmung der gesellschaftlich produzierten Bedürfnisse hat Marx den Begriff der natürlichen Bedürfnisse, für deren Befriedigung das erforderlich ist, was man heute das Existenzminimum nennt. Die notwendigen oder absoluten Bedürfnisse sind demgegenüber die unter den jeweils gegebenen Bedingungen normalen Bedürfnisse. Über diese hinaus kennt Marx die Luxusbedürfnisse. Was zum Bedürfnis wird und ob es zu den natürlichen, den notwendigen, oder den Luxusbedürfnissen zu zählen ist, hängt ab von den jeweiligen Verhältnissen, in denen die Menschen leben. Die Bedürfnisse sind einerseits der Grund der Arbeit, die Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse zu erlangen ist der Zweck der Arbeit, andrerseits werden durch die Arbeit die Bedürfnisse geschaffen, reproduziert und vervielfältigt, „indem sie die bestimmte Weise der Konsumtion schafft, und dann, indem sie den Reiz der Konsumtion, die Konsumtionsfähigkeit selbst schafft als Bedürfnis.“7 Daher ändern und erweitern sich mit der Entwicklung der Produktion auch die Bedürfnisse radikal. Die Menschen werden reich an Bedürfnissen und „Reichtum besteht, stofflich betrachtet, nur in der Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse.“8

Exkurs 2: Zur psychologischen Dimension des Arbeitsbegriffs

Die Kategorie der Bedürfnisse bildet eine Schnittstelle zwischen der Marxschen Theorie und einer materialistischen Psychologie; deren Ausgangspunkt zur Analyse der psychologischen Dimension von Arbeit in der von Otto Fenichel skizzierten Form möchte ich hier kurz darstellen. Die psychoanalytische Theorie Freuds geht von dem Naturwesen Mensch aus und postuliert das Vorhandensein bestimmter Triebe, die in bestimmte Bahnen gelenkt sich als Bedürfnis äußern können.9 Demnach baut sich bei dem Vorhandensein unbefriedigter Bedürfnisse eine unlustvolle Spannung auf, die durch die Befriedigung des Bedürfnisses unter Lustgewinnung abgeführt wird.

Otto Fenichel schreibt in einem Brief an Barbara Lantos, in dem er sich mit ihrem paper „Triebtheoretisches über die Arbeit“ auseinandersetzt: „Die Arbeit ist zunächst einmal eine bittere Notwendigkeit, die getan wird, weil man Einsicht in diese Notwendigkeit hat. Sie ist ein exquisiter Spezialfall dessen, was Freud das 'Handeln nach dem Realitätsprinzip' genannt hat, und deshalb möchte ich zunächst überlegen, was überhaupt 'Realitätsprinzip' ist. - Die sog. 'Bewältigung der Außenwelt' wird bei Menschen durch die sog. 'Ich-Organisation' geleistet, d.h. durch die Anpassung eines Teils des Organismus an die Forderungen der Außenwelt in dem Sinne, daß die Fähigkeit erworben wird, Spannungen ohne sofortige Abfuhr zu ertragen. ... Dem hilflos geborenen menschlichen Säugling wird die Aufgabe, die später sein Ich zu erfüllen hat, zuerst von den Pflegepersonen völlig abgenommen. Die erste Weise, mit der Außenwelt fertig zu werden, ist eine ... rezeptiv orale, in der der Organismus vollständig davon abhängig ist, ob er die lebensnotwendigen Zufuhren von der Außenwelt erhält oder nicht. ... Später muß die wirkliche 'aktive' Regulierung erlernt werden. Diese Notwendigkeit ergibt sich überall da, wo der 'Ich-Ersatz' Pflegeperson versagt. Der junge Organismus muß dann erleben, daß Zustände, die prinzipiell dem gleichen, was wir später als 'traumatische Neurose' sehen, d.h. eine höchst unlustvolle Überschwemmung durch im Augenblick unbewältigbare Reize, automatisch Phänomene der 'nachträglichen Abfuhr' auslösen. Hierauf lernt er, das 'passiv Erlebte' 'aktiv zu wiederholen', um eine solche nachträgliche 'Bewältigung' zu erreichen. Und endlich 'spielt' das Kind nicht nur alles, was es Aufregendes erlebt hat, sondern auch alles das, was es morgen zu erleben erwartet. Die 'Vorwegnahme der Zukunft', zuerst im Spielen, dann im Denken, ist die Hauptfunktion des Ichs und des Realitätsprinzips. Man läßt die Impulse nicht sofort in voller Dosis zur Motilität, sondern, gleichsam experimentierend, in kleinerer Dosis, um abzutasten, wie die Wirklichkeit auf die beabsichtigte Handlung reagieren werde; der Ausfall dieses Experimentes bestimmt dann, ob und wann die Handlung wirklich ausgeführt wird. Die Phänomene des sog. 'Angstsignals', d.h. der Begriff der 'Gefahr', der eine Vorwegnahme des 'traumatischen Zustandes' in kleiner Dosis ist, demonstriert dies am besten.

Wenn der Organismus diese Fähigkeit erworben hat und sich überzeugt, daß er eine Situation, die ihn früher mit solcher Reizmenge überschüttet hätte, daß er Angst erlebt hätte, angstlos überstehen kann, so erlebt er dies mit einer besonderen Art von Lust, die neben die bei der Triebbefriedigung erlebte Lust tritt ... . Die Lust des 'Ich-brauche-keine-Angst-mehr-zu-haben' ... ist prinzipiell identisch mit der Lust: 'Ich-kann-es-schon'. Denn: Die 'Leistungen' des Ichs, auf die man stolz ist, sind nichts anderes als Haltungen, die ermöglicht werden durch die einmal erreichte Spannungstoleranz.“ Fenichel nennt diese Lust 'Funktionslust' und fährt zusammenfassend fort: „Das Kind lernt allmählich, das Überwältigtwerden durch plötzlich hereinbrechende Spannungsmengen dadurch zu vermeiden, daß es durch aktive Maßnahmen solche Spannungserhöhungen in geringer Dosis, die erwartete Zukunft antizipierend, selbst herbeiführt. Es genießt dabei 'Funktionslust', die sich zur Trieblust addiert. - Das ist die wesentliche Funktion des Spiels, das auf solche Weise von der ursprünglichen 'sofortigen Lustprinzip-Abfuhr' zur 'Meisterung der Umwelt' durch 'Übung' überleitet. Die Lust hat den Charakter von 'Ich fürchte mich nicht mehr, denn ich kann es ja schon'.

Im Erwachsenen lebt diese Lust in der 'Freude an der Leistung' noch weiter. Sie erhält sich aber besonders intensiv in zwei Fällen: a), wenn sie sich mit irgendeiner Triebbefriedigung kombiniert hat, b), wenn eine ursprüngliche Angst im Unbewußten noch vorhanden ist, so daß der Erwachsene, diese Angst in Einzelfällen aktuell überwindend, jedes Mal wieder in der Lage eines Kindes ist, dem zum ersten Male etwas gelingt. ... Von diesen beiden Fällen abgesehen scheint das tatsächliche Handeln nach dem Realitätsprinzip an sich bis auf die Leistungsfreude nicht mehr lustvoll. ...

Nun zurück zur Arbeit. Arbeit ist eine von unangenehmer Außenwelt aufgezwungene Leistung. Sie ist als solche an sich unlustvoll, enthält aber zwei Möglichkeiten zur Dennoch-Lustgewinnung: a) die Möglichkeit versteckter Triebbefriedigungen sexueller oder aggressiver Natur, b) jene 'Funktionslust' des 'Ich-kann-es-schon'. ... Nun kommt noch eine Komplikation hinzu: Als ein Beispiel für die Ich-Funktion der 'Antizipation' diente uns immer die Funktion des Denkens. 'Denken ist Probehandeln'. Beim Denkakt werden die Muskelgebiete, an deren Betätigung man denkt, auch innerviert, nur in geringerem Grade als bei der Handlung. Und das Denken dient dazu, die möglichen Folgen der Handlung vorwegzunehmen, um das spätere Handeln auch nach den dabei gewonnenen Einsichten einzurichten. - Nun haben wir schon lange die Einsicht gewonnen, daß diese Funktion des Denkens sich später zweispaltet: Es gibt ein 'realitätsangepasstes' Denken, das seine eigentliche Funktion, Handlungen vorzubereiten, beibehält. Weil die Wirklichkeit aber so wenig befriedigend ist, entwickelt sich außerdem ein zweiter (weit mehr Archaismen benutzender) Typ des Denkens, der die wirkliche Handlung nicht vorbereitet, sondern ersetzt: das vorbewußte phantasierende Denken. - Ich glaube nun, daß es eine entsprechende Zweiteilung in allen Ich-Funktionen gibt ...“10

Also: Arbeit ist bereits unabhängig von der Gesellschaftsformation widersprüchlich bestimmt; ist

  • einerseits Naturzwang, der in der psychoanalytischen Theorie beschrieben wird als Bereich, in dem nicht das Es mit seinem Lustprinzip, sondern das Ich mit seinem Realitätsprinzip dominiert, und der Aufschub der unmittelbaren Triebbefriedigung, der Aufbau einer Spannungstoleranz nötig ist; bei Marx beschrieben als Resultat der Tatsache, daß der Mensch als Naturwesen seinen Lebensprozeß als Stoffwechselprozeß mit der ihn umgebenden Natur organisieren muß, daß er eine bewußte Zwecksetzung in Bezug auf die Umformung seines Arbeitsgegenstandes in eine seine Bedürfnisse befriedigende Form vornimmt und dadurch die Teleologie in die Welt bringt, daß sich durch diese Zielsetzung und die Erforschung der geeigneten Mittel für den Handlungsablauf eine Kausalitätskette ergibt, die durch die natürlichen Eigenschaften des Gegenstandes und der Mittel der Arbeit gegeben ist und daher eine Unterordnung des eigenen Willens unter die durch Gegenstand, Mittel und Zweck gesetzten Notwendigkeiten erfordert.

  • andererseits Befreiung vom Naturzwang und Selbstverwirklichung, Vergegenständlichung der menschlichen Wesenskräfte, Entfaltung der eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, Produktion der Bedürfnisse der gesellschaftlichen Menschen und der Mittel zu ihrer Befriedigung, (Marx) bzw. Lustgewinn durch Aufbau von Objektbeziehungen libidinöser oder aggressiver Natur, Entwicklung von Funktionslust (Fenichel);

Diese beiden Momente der Arbeit werden nun allerdings durch die konkrete Form, die die Arbeit in bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhängen annimmt, vielfach modifiziert.

Doch bevor wir zu diesen Modifizierungen übergehen, sind auf der allgemeinen, von der konkreten Gesellschaftsform unabhängigen Ebene noch weiterere Aspekte der Arbeit zu untersuchen:


2. Der gesellschaftliche Charakter der Arbeit

Arbeit ist unabhängig von der konkreten Gesellschaftsform nicht nur Tätigkeit des einzelnen Menschen, sondern immer auch schon gesellschaftliche Bestimmung, auch wenn der Grad der Gesellschaftlichkeit und die Formen, in denen sich der gesellschaftliche Charakter der Arbeit äußert, in den einzelnen Gesellschaftsformationen sehr unterschiedlich sind. Der formationsüber­greifende gesellschaftliche Charakter der Arbeit kann nach acht Seiten hin bestimmt werden:

  1. Die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zur Ausübung einer Arbeit erforderlich sind, sind nicht angeboren, sondern werden erlernt, werden von Generation zu Generation weitergegeben und vervollkommnet, sind also eine Funktion des gesellschaftlichen Menschen.

  2. Voraussetzung der Arbeit sind die jeweils vorgefundenen Ergebnisse vergangener Arbeit; und zwar vergangener gesellschaftlicher Arbeit, nicht nur eigener vergangner Arbeit, sondern auch der Arbeit von anderen.

  3. Viele Arbeiten sind nur gemeinsam sinnvoll zu bewältigen. Diese Arbeiten, die gemeinschaftlich ausgeführt werden, nennt Marx unmittelbar vergesellschaftete Arbeit. Die gemeinschaftliche Arbeit beinhaltet zugleich als Moment die Teilung der Arbeit (z.B. bei Fortbewegung schwerer Lasten: einer schiebt, einer zieht).

  4. Arbeit ist immer schon nicht nur Arbeit für das eigne Überleben, sondern auch Arbeit für andere.11 Wie in der Anmerkung ausgeführt ist diese Formulierung ungenau, weil sie die Ver­hältnisse einer Gesellschaftsformation, in der Individuum und Gesellschaft sich gegen­einander verselbständigen auf andere Gesellschaftsformationen projiziert. Daher allgemein­gültiger formu­liert: Arbeit ist immer Arbeit, die gleichzeitig sowohl der individuellen, wie auch der gesell­schaft­lichen Reproduktion dient. Das Arbeitsergebnis muß nicht unbedingt von der Person kon­sumiert werden, die die Arbeit geleistet hat. Nicht oder noch nicht Arbeitsfähige (Kranke, Heranwachsende etc.) mußten in jedweder gesellschaftlichen Formation durch die Arbeit der Arbeitsfähigen miternährt werden. Bei gemeinschaftlichen Arbeiten ist das Produkt dieser Arbeit einer individuellen Arbeitskraft, die es geschaffen hat, überhaupt nicht unmittelbar zuzuordnen.

  5. Nicht nur das Produkt, auch die Arbeit selbst ist im Prinzip von einem Individuum auf das andre übertragbar. Wenn einer ausfällt, muß ein andrer die entstandene Lücke im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß ausfüllen. Dies mag mit zeitweisen Friktionen einhergehen, weil dem Nachfolger die Übung fehlt, er weniger stark oder geschickt ist. Aber das ändert nichts am Grundsatz, daß die Fähigkeit zur Arbeit eine den Menschen gemeinsame, gesellschaftliche Eigenschaft ist, ein Aspekt, unter dem sie sich gleichen.

  6. Aus den drei vorhergehenden Punkten, der gemeinschaftlichen oder unmittelbar vergesell­schafteten Arbeit und der prinzipiellen Übertragbarkeit sowohl der Arbeit, wie des Produkts von einer Person auf eine andere ergibt sich die Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit. Dieser Punkt wird weiter unten näher untersucht.

  7. Das Zusammenwirken der individuellen Arbeiten als gesellschaftliche Reproduktion erlaubt ihre Zusammenfassung im Begriff der gesellschaftlichen Gesamtarbeit. Wie auch immer der Begriff von Gesellschaft noch beschränkt werden muß auf kleine Gemeinwesen - die gesell­schaftliche Gesamtarbeit setzt sich zusammen aus der Gesamtheit der individuellen Arbeiten, die nacheinander oder nebeneinander, in Kooperation oder vereinzelt ausgeführt werden.

  8. Die Organisation der Arbeit wirkt prägend auf die Struktur und die Entwicklung der Gesell­schaft.

Exkurs 3: Fortgesetzte Parallelführung der psychologischen Dimension der Arbeit

Die parallele Entwicklung der psychologischen Dimension der Arbeit, deren Ansatzpunkt ich im Exkurs 2 skizziert habe, müßte natürlich weitergeführt werden, dazu bin ich jedoch leider aufgrund mangelnder Kenntnisse hier nicht in der Lage. Nur soviel zum Hinweis: Die psychologische Dimension muß der Dialektik des Menschen als Naturwesen und zugleich gesellschaftliches Wesen gerecht werden. Meines Erachtens legt die Theoriebildung Freuds für die Ökonomie des psychischen als eines dynamischen Prozesses eine ähnliche Grundlage, wie Adam Smith sie für die politische Ökonomie gelegt hat - mit einer ähnlichen falschen Verallgemeinerung von empirischen Gegebenheiten unter historisch-konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen zu allgemein-menschliche Konstanten und auch daraus resultierenden ähnlichen Verstellungen für die korrekte Ergründung ihres Wesens. Hatten wir an der Stelle der Fassung der Arbeit als Stoffwechselprozeß des Menschen mit der Natur die Herausbildung der Ich-Organisation als den sich herausdifferenzierenden Teil der Es-Organisation betrachtet, der Mit dem Wahrnehmungssystem verbunden ist und im Psychischen die Anforderungen der Außenwelt repräsentiert, daher das Realitätsprinzip verkörpert, so müssten wir hier bei der Betrachtung des Gesellschaftlichen die Herausbildung des Ich-Ideals oder Über-Ichs als besonderer und sehr ursprünglicher Sphäre der sich bildenden Ich-Organisation und ihre Auswirkungen auf die psychologische Dimension der Arbeit ins Auge fassen. Dazu wäre jedoch eine historisch-materialistische Kritik der Freudschen Ökonomie des Psychischen erforderlich, die meines Wissens noch nicht ausgearbeitet ist.


3. Arbeitszeit, Intensität und Produktivität der Arbeit

Arbeit als prozessuale Größe ist Verausgabung von menschlicher Arbeitskraft (Hirn, Muskel, Nerv) mit einer bestimmten Dauer. Ihr kommt zum einen die Bestimmung der Intensität zu, das Quantum der Verausgabung von Arbeitskraft pro Zeiteinheit. Bei gleicher Intensität ist also die Arbeitszeit das Größenmaß der Arbeit. Marx weist mehrfach darauf hin, daß die zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse erforderliche Arbeitszeit die Menschen in allen geschichtlichen Zuständen interessieren mußte, wenn auch nicht gleichmäßig stark auf verschiedenen Entwicklungsstufen.12

Stefan Meretz protestiert auch hier und schreibt: „In allen vormodernen Gesellschaften kam es einzig auf den Nutzeffekt an. In der Lebenspraxis gab es keine Zeitabstraktion oder andere Formen abstrakter Unterteilungen.“13 Hier widerspricht er sich selbst. Denn der Nutzeffekt der Arbeit ist nicht unabhängig von der Zeitdauer der Arbeit. Im Gegenteil, der Nutzeffekt ist so direkt von der Arbeitszeit abhängig, daß im Mittelalter die Zeiteinheit der Arbeit, der Tag, als stehendes Verhältnis zu der Feldgröße, die man in dieser Zeit mähen konnte, in Form des Tagwerks, des Demath, oder des Tagmahd zum Flächenmaß werden konnte.14 Die Zeit ist eben keine Abstraktion, sondern ein Seinsmodus. Hegel sagt: „Weil die Dinge endlich sind, darum sind sie in der Zeit; nicht weil sie in der Zeit sind, darum gehen sie unter, sondern die Dinge selbst sind das zeitliche; so zu sein ist ihre objektive Bestimmung. Der Prozeß der wirklichen Dinge macht also die Zeit“15 Die Zeit ist keine Abstraktion, (bzw. wenn man davon abstrahiert, was in ihr vorgeht, ist sie eine schlechte Abstraktion, ist ihr Begriff der Wirklichkeit nicht angemessen) aber sie ist, wie Hegel sagt „das seiende Abstrahieren, der alles gebärende und alles verschlingende Kronos“16 Nicht in der Zeit entsteht und vergeht alles, sondern die Zeit selbst ist dieses Entstehen und Vergehen. Die Zeit ist wie der Raum eine Bestimmung der Weise unseres Daseins und unsere Bewegung, unser Leben ist bezogen auf die Zeit irreversibel (im Gegensatz zur gleichen Bewegung bezogen auf den Raum). Unser Leben ist zeitlich und jeder Moment ist unwiederholbar. Die Zeit, die mit Arbeit verbracht wird, kann nicht mit Muße verbracht werden. Deshalb ist die Zeit das natürliche Maß der Arbeit und nicht etwa der Energieverbrauch.

Dies ist alles völlig unabhängig davon, in welcher Maßeinheit und mit welchem Maßstab und wie genau die Zeit gemessen wird, ob die Maßeinheit nun als Sekunde bestimmt wird durch ein Vielfaches der Schwingungsdauer eines Cäsiumatoms und als Maßstab festgelegt wird: 60 Sekunden = 1 Minute; 60 Minuten = 1 Stunde; 24 Stunden = 1 Tag und die Zeit gemessen wird mit Atomuhren, oder ob die Maßeinheit als Tag bestimmt wird durch die Dauer zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, als Maßstab der Tag einmal verdoppelt wird in Tag und Nacht und einmal halbiert wird in Vormittag und Nachmittag, und die Zeit gemessen wird am Stand der Sonne.

Die Arbeit ist ein Prozeß ist daher zeitlich bestimmt, ist zweckgerichtete Verausgabung von Arbeitskraft und daher zusätzlich als intensive Größe bestimmt. Das ist so, unabhängig davon, ob und wie das gemessen wird.

Als weitere Bestimmung gehört zu jeder konkreten Arbeit ihre Produktivkraft, durch die bestimmt ist, wieviel eines bestimmten Produkts durch ein bestimmtes Quantum Arbeit geschaffen wird. Dies ist so, weil das Ergebnis der Arbeit, des zielgerichteten Einwirkungsprozesses auf Naturgegenstände mittels angewandter Naturkräfte zum Zwecke ihrer Umwandlung in eine nützliche Form, eben nicht nur von der Quantität zeitlich verausgabter Arbeitskraft abhängt, sondern auch von den Bedingungen, die aus der Natur des Gegenstandes und des Arbeitsprozesses folgen. Marx charakterisiert die Ergebnisse der Arbeit als Verbindung von zwei Elementen, Naturstoff und Arbeit. „Der Mensch kann in seiner Produktion nur verfahren, wie die Natur selbst, d.h. nur die Formen der Stoffe ändern. Noch mehr. In dieser Arbeit der Formung selbst wird er beständig unterstützt von Naturkräften. Arbeit ist also nicht die einzige Quelle der von ihr produzierten Gebrauchswerte, des stofflichen Reichtums. Die Arbeit ist sein Vater, wie William Petty sagt, und die Erde seine Mutter.“17 Die Produktivkraft der Arbeit ist daher von vielen Faktoren abhängig, von dem Geschick und der Erfahrung des Arbeitenden, von der Organisation des Arbeitsprozesses, von der Beschaffenheit der Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstände, von den Umweltbedingungen, unter denen der Arbeitsprozeß stattfindet. Sie drückt das Verhältnis zwischen Arbeitsverausgabung und erzieltem Resultat aus und kann daher ein Maß zur Vergleichung solcher Arbeitsprozesse abgeben, die auf das gleiche Resultat gerichtet sind. Ihre Erhöhung ist das Mittel zur Reduktion der Arbeit.

Der Grad der Verausgabung von Arbeitskraft und das Ergebnis der Arbeit hängen ab von ihrer Dauer (Arbeitszeit) und ihrer Intensität. Das Ergebnis der Arbeit hängt zusätzlich ab von der Produktivkraft der Arbeit.



4. Gesellschaftliche Teilung der Arbeit

Wir haben oben kurz angerissen, daß in dem allgemeinen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit und in den unmittelbar vergesellschafteten Formen der Arbeit die Möglichkeit und Notwendigkeit der Teilung der Arbeit angelegt ist. Von einem System der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit kann man sprechen, wenn bestimmte Teilarbeiten zu Spezialfunktionen bestimmter Personen­gruppen werden.

Die gesellschaftliche Teilung der Arbeit ist einerseits ein Mittel zur Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit, durch Spezialisierung und die damit verbundene Vervollkommnung spezieller Fähig­keiten und Fertigkeiten durch Übung, Routine, Konzentration auf diesen spezifischen Arbeitsprozeß, Spezialisierung der Arbeitsmittel und ähnliches. Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit bedeutet Zurückdrängung des Naturzwangs, Reduktion der für einen bestimmten Zweck zu verausgabenden Arbeitskraft, gleichzeitig Erwei­terung des Kreises der Arbeit, Entwicklung neuer Bedürfnisse und Fähigkeiten.

Andererseits ergibt sich durch die gesellschaftliche Teilung der Arbeit aber auch die Beschränkung der Einzelnen auf bestimmte Teilfunktionen, die Grundlage der knechtenden Unterordnung unter die Teilung der Arbeit: Bestimmte Personen, werden aufgrund von Geschlecht, Herkunft, o.ä. auf bestimmte Teilfunktionen der Gesamtarbeit festgelegt und verwachsen mit ihnen (wesentliches Mo­ment der Arbeit in vorkapitalistischen Gesellschaften). Damit ergibt sich auf einem bestimmten Produktiv­kraft­niveau die Entwicklung von Klassengesellschaften.

In den verschiedenen Formen in denen die Menschen im Verlauf der Geschichte ihr gesellschaft­liches Miteinander organisiert haben, wurden nun diese allgemeinen Bestimmungen von Arbeit we­sentlich modifiziert. Die entscheidenden Momente sind hierbei die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit und die Entwicklung der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit. Die Arbeitsteilung ist selbst ein Moment der Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit. Die Teilung der Arbeit enthält die Möglichkeit, bestimmte Menschen völlig von Arbeit freizustellen. Auf einem bestimmten Niveau der Produktivkraftentwicklung konnte die Arbeitsteilung in eine Klassenteilung umschla­gen.

Die konkrete Entwicklung der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit von der noch naturwüchsig entstandenen Teilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern über die erste große gesellschaftliche Teilung der Arbeit mit der Entwicklung von Viehzucht und Ackerbau und die zweite große Teilung der Arbeit mit der Absonderung des Handwerks kann hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden; die allgemeine Entwicklung, die von der neueren Forschung grundsätzlich bestätigt, in einzelnen Punkten modifiziert und konkretisiert wurde, hat Friedrich Engels in seiner Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ eindrucksvoll beschrieben.

Bei dieser allgemeinen Darstellung ist nur darauf hinzuweisen, daß die gesellschaftliche Teilung der Arbeit sich auf zweierlei Weisen vollziehen kann: Zum einen in Form der Festlegung bestimmter Personengruppen auf bestimmte Teilarbeiten innerhalb eines Gemeinwesens und zum anderen durch den Austausch von spezifischen Arbeitsprodukten, deren Herstellung eine Spezialität eines je bestimmten Gemeinwesens geworden ist, zwischen diesen Gemeinwesen.

Herausbildung von Klassengesellschaften

Die Zersetzung der urgesellschaftlichen Vergesellschaftungsformen (Marx unterscheidet hier die asiatische, die klassisch-antike und die germanische) und ihre allmähliche Umwandlung in die ersten Formen von Klassengesellschaften (Formen der Sklavenhaltergesellschaft und des Feuda­lismus) fallen aus unserer Darstellung heraus, weil sie eine Untersuchung nötig machen, wie sich die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit und die gesellschaftliche Teilung der Arbeit differenzierend und zersetzend auf die jeweiligen urgesellschaftlichen Organisations- und Eigentumsformen auswirkten, wie sich damit das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft veränderte, die Differenzierung von Stadt und Land, das Verhältnis benachbarter Gesellschaften zueinander und die Herausbildung von Staatlichkeit sich entwickelte. Wir sprechen hier nur die unmittelbaren Veränderungen in der Arbeit an, deren herausragenstes Produkt die Entstehung der Mehrarbeit ist.

5. Notwendige Arbeit - Mehrarbeit

Ursprünglich ist alle Arbeit notwendige Arbeit, die Arbeit überhaupt markiert das Reich der Not­wendigkeit. Arbeit als Produktion der Lebensgrundlage des gesellschaftlichen Menschen unter­scheidet sich gerade dadurch von den übrigen Tätigkeiten und Bestandteilen des menschlichen Lebensprozesses wie Spiel, Schlaf, Nahrungsaufnahme etc., daß sie als Aneignung der objektiven Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens und der sich reproduzierenden und vergegenständ­lichenden Lebenstätigkeit18 in stärkerem Maße das Moment der Notwendigkeit enthält, auch wenn die Grenzen zu den anderen Tätigkeitsbereichen fließend sind und sie alle sich gegenseitig bedingen und aufeinander zurückwirken.19 Oder anders ausgedrückt: Die Arbeit ist der entscheidende Bereich derjenigen menschlichen Tätigkeiten, die jenseits des Lustprinzips angesiedelt sind; in Freudschen Kategorien dominiert hier nicht das Es mit seinem Lustprinzip, sondern das Ich mit seinem Realitätsprinzip.20

Mit der Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit wird der für die Verrichtung dieser ursprünglich notwendigen Arbeit erforderliche Zeitfonds reduziert, es wird Zeit frei, die anderweitig genutzt werden kann. Diese freie Zeit kann der Möglichkeit nach auch für Surplusarbeit, Arbeit über das zur unmittelbaren Subsistenz21 notwendige Maß hinaus, genutzt werden. Als zufällige Surplusarbeit - etwa in der Form der Schaffung eines Fonds für Notzeiten, also ursprünglich notwendige Arbeit, die sich jedoch im Nachhinein als Surplusarbeit herausstellen konnte, wenn diese Notzeiten ausblieben - ist die Surplusarbeit antediluvianisch. Dadurch freigewordene Arbeitszeit konnte genutzt werden für die Produktion von langlebigeren Produkten, besseren Produktionsinstrumenten, durch die die notwendige Arbeit weiter reduziert werden konnte. So entwickelten sich erste Anfänge von Surplusarbeit, die - im Gegensatz zur notwendigen Arbeit - die ersten Formen der Produktion von Reichtum und Mittel der erweiterten Reproduktion waren. Surplusarbeit als Produktion von Reichtum war zugleich eng verbunden mit der Entwicklung des Austausches zwischen unterschiedlichen Gemeinwesen, sodaß die ersten Formen von Surplusproduktion schon bald auch die Form der Produktion für den Austausch annahmen.

Die gesellschaftliche Teilung der Arbeit und die Reichtumsproduktion, die Möglichkeit der Pro­duktion eines regelmäßigen Mehrproduktes führen zur Eigentumsdifferenzierung und zur Bildung von Klassen. Erst auf der Ebene der Klassengesellschaften kann man von Mehrarbeit im eigent­lichen Sinne sprechen. Denn hier ist die Surplusarbeit nicht mehr eine zufällige, die stattfinden kann, oder auch nicht, sondern eine für die Reproduktion der Gesellschaftsstruktur notwendige: Die arbeitenden Klassen müssen nicht nur notwendige Arbeit leisten für ihre eigene Subsistenz sondern darüber hinaus Mehrarbeit leisten, deren Produkt von den herrschenden (nichtarbeitenden) Klassen angeeignet wird. Das Mehrprodukt wird von den herrschenden Klassen verwendet für ihre eigene Subsistenz, für ihre Luxusbedürfnisse, für die Alimentierung ihrer Bediensteten und Hilfskräfte, für den Aufbau und die Unterhaltung der gesellschaftlichen Institutionen und Infrastrukturen (Staat, Kultus, militärische und ideologische Apparate etc.), die für die Aufrechterhaltung ihrer Klassenherrschaft erforderlich sind, sowie für erweiterte Reichtumsakkumulation.

Die drei großen Grundformen von Klassengesellschaften (Sklavenhaltergesellschaften, feudale Gesellschaften und kapitalistische Gesellschaft) beruhen alle drei darauf, daß die notwendige Arbeit der Reproduktion der arbeitenden Klassen dient, während die Mehrarbeit von den herrschenden Klassen angeeignet wird. Die Erscheinungsform in denen diese gleichartige Verteilung des Arbeitsproduktes auf die Grundklassen sich vollzieht, ist allerdings sehr unterschiedlich:

Sklaverei

Feudalismus

Kapitalismus

Erscheinung:

Das ganze Arbeitsprodukt der Sklaven wird vom Sklavenhal­ter angeeignet. Es scheint, als würde der Sklave nur für den Sklavenhalter arbeiten.

Erscheinung:

Einen Teil arbeitet der Hörige für sich, einen anderen für den Patron; dies Verhältnis entwe­der direkt in der Teilung der Arbeitszeit, oder indirekt in der Teilung des Produktes, Abga­ben.

Erscheinung:

Im Arbeitslohn erscheint es so, als würde der Arbeiter den ganzen Tag nur für sich arbeiten.

Wesen:

Die Sklavenhalter müssen für die Reproduktion ihrer Sklaven sorgen und ihnen daher das notwendige Produkt zurückge­ben. Den notwendigen Teil des Arbeitstages arbeitet der Sklave also für sich, darüber hinaus für den Sklavenhalter.

Wesen:

Die Aufteilung des Arbeitstages in notwendige Arbeit und Mehrarbeit ist unmittelbar an der Erscheinung ablesbar.

Wesen und Erscheinung stim­men überein.

Wesen:

Nicht die Arbeit, sondern die Arbeitskraft wird gekauft; was der Arbeiter in Form des Loh­nes erhält, ist ein Wertäquiva­lent seiner Arbeitskraft, d.h. das, was zu ihrer Reproduktion notwendig ist. Das Mehrpro­dukt wird vollständig vom Ka­pitalisten angeeignet.




In der Perspektive des Übergangs zur klassenlosen Gesellschaft wird die Mehrarbeit verschwinden:

„Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsform erlaubt, den Arbeitstag auf die notwendige Arbeit zu beschränken. Jedoch würde die letztre, unter sonst gleichbleiben­den Umständen, ihren Raum ausdehnen. Einerseits weil die Lebensbedingungen des Arbeiters reicher und seine Lebensansprüche größer. Andrerseits würde ein Teil der jetzigen Mehrarbeit zur notwendigen Arbeit zählen, nämlich die zur Erzielung eines gesellschaftlichen Reserve- und Akkumulationsfonds nötige Arbeit.“22

Mit der mit der Bildung von Klassengesellschaften einsetzenden notwendigen Erweiterung der Arbeit über die notwendige Arbeit hinaus sind einschneidende Veränderungen sowohl des über die Arbeit vermittelten Verhältnisses Mensch - Natur, als auch des Verhältnisses Individuum - Gesellschaft verbunden.

Während das Moment des Zwanges in der Arbeit sich in urgesellschaftlichen Zuständen wesentlich auf Naturzwang beschränkte, wird es jetzt um einen gesellschaftlichen Zwang erweitert. Soweit die Arbeit notwendige Arbeit bleibt, bleibt sie Naturzwang, jedoch nicht mehr unmittelbarer, sondern gesellschaftlich vermittelter. Soweit sie als Mehrarbeit darüber hinauswächst, ist sie (klassen-)gesellschaftlicher Zwang, gesellschaftlicher Zwang für eine Klasse bei gleichzeitiger Suspendierung des Naturzwangs für eine andere Klasse. Obwohl die Gesamtarbeit in der Sklavenhaltergesellschaft primär als gesellschaftlicher Zwang, im Kapitalismus primär als Naturzwang erscheint, enthält sie doch wirklich in beiden Formationen beide Formen des Zwanges; wobei - aufgrund des sich mit der Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit ergebenden Verkürzung der notwendigen Arbeit und Verlängerung der Mehrarbeit - in Wirklichkeit die Arbeit im Kapitalismus zu sehr viel größeren Anteilen gesellschaftlicher Zwang ist, als sie es in den Sklavenhaltergesellschaften je war.

Gesellschaftlicher Zwang bedeutet hier bereits die Zerreißung des naturwüchsigen Bandes von Individuum und Gesellschaft. Die individuellen und gesellschaftlichen Interessen fallen nicht mehr prinzipiell zusammen, sondern die gesellschaftlichen Interessen selbst sind antagonistisch bestimmt als Klasseninteressen. Mit dem individuellen Interesse gleichlaufendes Gesellschaftsinteresse ist nicht mehr Gesamtinteresse, sondern Klasseninteresse. Das Gesamtinteresse wird ersetzt durch die Interessen der herrschenden Klassen.

Wenn wir unabhängig von der gesellschaftlichen Formation zwei Momente der Arbeit ausmachen konnten, den Naturzwangscharakter und den schöpferischen Charakter, so werden diese beiden Momente nun von der jeweiligen klassengesellschaftlichen Formbestimmtheit der Arbeit überlagert, wenn auch nicht völlig verdrängt:

  • Der Naturzwangscharakter scheint zu weichen - schließlich ist er für einen privilegierten Teil der Gesellschaft faktisch aufgehoben, gleichzeitig wird der Zwangscharakter verstärkt, der Hunger durch die Peitsche ergänzt;

  • auf der anderen Seite reduziert sich der schöpferische Aspekt dadurch, daß die Zwecksetzung nicht mehr bei den Produzenten liegt und die Aneignung durch die Produzenten beschränkt wird, das Moment der Selbstverwirklichung in der Arbeit auf's äußerste reduziert und in sein Gegenteil verkehrt wird.

Ich habe oben schon darauf hingewiesen, daß sich mit der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit auch der Inhalt dessen, was zur Arbeit zählt, verändert.

  • Zum einen entwickeln sich mit der Teilung der Arbeit neue Bedürfnisse und differenzieren sich die Bedürfnisse zwischen den Individuen - abhängig von ihrer Stellung im System der gesell­schaftlichen Teilung der Arbeit und im System der Klassenteilung aus; die Spezialbedürfnisse können sich dann tendentiell wieder verallgemeinern. Dementsprechend bilden sich mehr neue Arbeitsfelder, als alte mit der Entwicklung der Produktivkraft verschwinden.23

  • Zum andern verwandeln sich manche Tätigkeiten, für die die von der Arbeit freigestellte Klasse nun Zeit und Muße findet, allmählich in Arbeit, insofern diese Tätigkeiten notwendig werden, weil sich ein außer ihnen liegendes Bedürfnis für sie entwickelt. Hierher gehört beispielsweise die Aufsicht über die Arbeitenden, die Beschäftigung mit Staatsangelegenheiten, Philosophie, Wissenschaft etc.

Mit der Verfestigung der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit und der Herausbildung von Klassen wird die Tatsache, daß es sich bei der Arbeit um gleiche menschliche Arbeit, gesellschaftliche Arbeit, handelt auf der Oberfläche immer unsichtbarer - die Arbeit erscheint als ausschließliche Funktion einer gesellschaftlichen Gruppe, als Frauenarbeit, Sklavenarbeit, etc. Gleichzeitig erhält dieser Aspekt der Arbeit in der beginnenden Warenproduktion und Geldwirtschaft eine neue dingliche Erscheinungsform.

Hinweise auf die psychologisch-moralischen Folgen dieser Modifikationen der Arbeit in der an­tiken Sklavenhaltergesellschaft gibt Engels:

Athen: „Zur Zeit der höchsten Blüte bestand die ganze athenische freie Bürgerschaft, Weiber und Kinder eingeschlossen, aus etwa 90.000 Köpfen, daneben 365.000 Sklaven beiderlei Geschlechts und 45.000 Schutzverwandte - Fremde und Freigelaßne. Auf jeden erwachsenen männlichen Bürger kamen also mindestens 18 Sklaven und über zwei Schutzverwandte. Die große Sklavenzahl kam daher, daß viele von ihnen in Manufakturen, großen Räumen, unter Aufsehern zusammen arbeiteten. Mit der Entwicklung des Handels und der Industrie aber kam Akkumulation und Konzentration der Reichtümer in wenigen Händen, Verarmung der Masse der freien Bürger, denen nur die Wahl blieb, entweder der Sklavenarbeit durch eigne Handwerksarbeit Konkurrenz zu machen, was für schimpflich, banausisch galt und auch wenig Erfolg versprach - oder aber zu verlumpen. Sie taten, unter den Umständen mit Notwendigkeit, das letztere, und da sie die Masse bildeten, richteten sie damit den ganzen athenischen Staat zugrunde. Nicht die Demokratie hat Athen zugrundegerichtet, wie die europäischen, fürstenschweifwedelnden Schulmeister behaupten, sondern die Sklaverei, die die Arbeit des freien Bürgers ächtete.“24

Rom: „Die Sklaverei bezahlte sich nicht mehr, darum starb sie aus.

Aber die sterbende Sklaverei ließ ihren giftigen Stachel zurück in der Ächtung der produktiven Ar­beit der Freien. Hier war die ausweglose Sackgasse, in der die römische Welt stak: Die Sklaverei war ökonomisch unmöglich, die Arbeit der Freien war moralisch geächtet. Die eine konnte nicht mehr, die andre noch nicht Grundform der gesellschaftlichen Produktion sein. Was hier allein helfen konnte, war nur eine vollständige Revolution.“25

Im folgenden zweiten Teil dieser Untersuchung werde ich mich mit den Modifikationen beschäftigen, die die bisher entwickelten allgemeinen Bestimmungen des Arbeitsbegriffs in der kapitalistischen Produktionsweise erfahren. Im dritten Teil soll es um die Schlußfolgerungen gehen, die sich aus Teil I und II für die Rolle der Arbeit im Übergang zu einer gemeinschaftlichen Produktionsweise ergeben und um die daraus ableitbaren Veränderungen, die die Arbeit erfahren wird.

Fortsetzung folgt

 

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Anmerkungen

1Karl Marx, Das Kapital I, MEW 23 S. 192f

2Stefan Meretz, Den Traditionsmarxismus aufheben, in: Materialien der KW47/2001, S.84

3Zur ersten Gruppe gehört 'Arbeit', althochdeutsch 'arabeit' = Mühsal; ebenso englisch 'labour', italienisch 'lavoro', lateinisch 'labor' = Arbeit, Mühe, Strapaze; laborare = arbeiten, sich abmühen, ursprünglich von labare = unter einer Last wanken. Im französischen, spanischen und portugiesischen fand eine Begriffsverengung von labour etc. auf die Feldarbeit statt, für Arbeit allgemein mit der Konnotation 'Mühsal' tritt hier das Wort travail, trabajo, trabalho ein, dessen mit labor gleichbedeutender ursprünglicher Sinn in italienisch traballare = wanken erhalten ist. Im Altgriechischen gleichbedeutend ist ðüíïò = Mühe, Arbeit.
Die zweite Gruppe der Worte für Arbeit, die die Zweckgerichtetheit auf das Arbeitsergebnis konotiert, haben wir im Englischen 'work', holländisch 'werk'. Das entsprechende deutsche 'Werk' wurde in seiner Bedeutung von der erzeugenden Tätigkeit auf das Erzeugnis eingeengt (bzw. über 'Werkstatt' zu 'Werk' im Sinne von Fabrik auf den Ort der erzeugenden Tätigkeit). Der Begriff von 'Werk' als erzeugender Tätigkeit hat jedoch vielfältige Spuren hinterlassen (Handwerker, Werktätiger, wirken). Im Altgriechischen finden wir diesen Wortstamm wieder in Ýñãïí = Tat, Arbeit, Werk, wobei der Bedeutungsaspekt 'Arbeit' sich beziehen konnte auf a) Feldarbeit, b) Gewerbe, Amt, Dienst, c) Krieg, Kampf, d) großes Werk, schwere Aufgabe. Im Lateinischen entspricht dem 'opus' bzw. 'opera', das wir im italienischen 'opera', im französischen ouvrage, œvre wiederfinden. Hiervon Arbeiter = frz. ouvrier, span. obrero, port. obreiro, it. operaio. Das russische òðóä, das ursprünglich wie lateinisch 'labor' die Konotation von Mühe hat, nimmt auch die Konotation 'Werk' an, während für Arbeit in der ersten Bedeutung das Wort ðàáîòà einspringt, das etymologisch zu ðàá = Sklave, Knecht gehört.

4s. z.B. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften II, § 245

5s. Aristoteles, Metaphysik, Siebentes Buch, 7. Drei Arten des Werdens

6vgl zu diesem Thema auch die - trotz einiger Schwächen - hochinteressante Arbeit von Agnes Heller: Theorie der Bedürfnisse bei Marx, Hamburg 1980, sowie Ute Osterkamp: Hat der Marxismus die Natur des Menschen verkannt oder: Sind die Menschen für den Sozialismus nicht geschaffen?, nachgedruckt in: Kommunistische Streitpunkte 6, S. 94ff (http://members.aol.com/streitpkte/)

7Karl Marx, Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW 13, S. 625

8Karl Marx, Grundrisse, MEW 42, S. 433

9Die Problematik der Freudschen Triebtheorie und das Verhältnis der Freudschen Kategorie „Trieb“ und der Marxschen Kategorie „Bedürfnis“ können hier nicht erörtert werden. Bei Marx selbst ist der Begriff Bedürfnis den Begriffen Triebe, Anlagen, Fähigkeiten unmittelbar assoziiert (siehe z.B. MEW 40, S.577). Ute Osterkamp nimmt eine andere Abgrenzung zwischen Bedürfnis und Trieb vor, wenn sie schreibt: „Unter den Bedingungen allgemeiner Fremdbestimmtheit, der mangelnden Verfügung über die Mittel der Bedürfnisbefriedigung, wird der Mensch, so Marx, zum Sklaven seiner eigenen Bedürfnisse (MEW 26,3, 93): Diese nehmen Triebcharakter an, d.h. gewinnen unmittelbar verhaltensbestimmende Macht.“ (s. Kommunistische Streitpunkte 6, S. 95) Daß hier trotz eines anderen Triebbegriffes ein zentraler Marxscher Gedanke richtig wiedergegeben wird, möge folgendes Zitat verdeutlichen: „als ob heutzutage nicht jede Anlage, jeder Trieb, jedes Bedürfnis als eine Macht »in dem Individuum über dem Individuum« sich behauptete, sobald die Umstände deren Befriedigung verhindern. Wenn der heilige Vater Bruno z.B. Hunger verspürt, ohne die Mittel, ihn zu befriedigen, so wird sogar sein Magen zu einer Macht »in ihm über ihm«. Feuerbachs Fehler besteht nicht darin, dies Faktum ausgesprochen zu haben, sondern darin, daß er es in idealisierender Weise verselbständigte, statt es als das Produkt einer bestimmten und überschreitbaren historischen Entwicklungsstufe aufzufassen. (Marx/Engels: Die deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S. 86)

10Otto Fenichel, 119 Rundbriefe, S. 1018ff (Rundbrief LIII vom 30.12.1938, Punkt 8)

11Die Unterscheidung zwischen Arbeit für das eigene Überleben und Arbeit für andere setzt schon Verhältnisse einer entwickelten Klassengesellschaft voraus. Über weite Strecken der menschlichen Geschichte war diese Gegenüberstellung nicht möglich, weil das eigene Überleben unmittelbar mit dem Überleben der Gesellschaft ( = des Sozialverbandes, in dem sich das Leben vollzog) verknüpft war. Die gesellschaftliche Reproduktion, die Fortexistenz des urgesellschaftlichen Sozialverbandes war unmittelbare Voraussetzung für das Überleben des Einzelnen, wie umgekehrt das Leben des Sozialverbandes nur die dauerhaftere Form des Lebens der Einzelnen war, für das der Tod des Einzelnen eine Verletzung bedeutete, die nur durch das Hineinwachsen einer neuen Person in die entstandene funktionelle Lücke geheilt werden konnte. Arbeit für das eigene Überleben und Arbeit für das Überleben des Sozialverbandes waren auf dieser Stufe identisch. Daher sagt Marx mit Recht: „Je tiefer wir in der Geschichte zurückgehen, je mehr erscheint das Individuum, daher auch das produzierende Individuum, als unselbständig, einem größren Ganzen angehörig“ [Marx: Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 13, S. 616]

12s. z.B.: Karl Marx, Das Kapital I, MEW 23, S. 85f

13Stefan Meretz, Den Traditionsmarxismus aufheben, in: Materialien der KW47/2001, S.84

14genauso gebildet wurden die Flächenmaße Tagwerk, Jornal (spanisch), Journal (Frankreich, Schweiz), Joch, Morgen, als die Feldgröße, die an einem Tag (bzw. beim Morgen an einem Vormittag) mit einem Ochsengespann umgepflügt werden konnte. Auch andere Flächenmaße werden auf der Grundlage relativ kostanter Produktivkraft als quantitatives Verhältnis zwischen dem Boden als dem grundlegenden Produktionsmittel und dem auf ihm durch Arbeit zu erzielenden Ergebnis gebildet. So die Hufe, Hube, das Maß zur Aufteilung des einzeln zu bewirtschaftenden Landes unter den Markgenossen, als die Fläche, die eine Familie bearbeiten und von deren Erträgen sie sich ernähren konnte; oder im Bergbau die Wehr, Wehe = 1/3 Fundgrube (Erzgebirge) als die Fläche, die ein Mann zugewährt erhielt. Die Zeitdauer gleichförmiger Prozesse als Maß der Veränderung tritt auch unabhängig von der Arbeit häufiger auf; so z.B. die Zeitdauer einer gleichförmigen Bewegung als Entfernungsmaß (Wegstunde, Lichtjahr).

15Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften II, § 258

16ebenda

17Karl Marx, Das Kapital I, MEW 23, S. 57f

18Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, S. 384

19Hierbei ist zu beachten, daß die Kriterien für notwendige Arbeit, Notwendigkeit überhaupt, nicht überhistorisch gesucht werden dürfen, etwa als rein biologisch bestimmte Notwendigkeit, sondern sich nur aus dem historisch-konkreten Bedürfnissystem des jeweiligen Gesellschaftszustandes ergeben. Ein großes Festgelage vorzubereiten, erfordert mit Sicherheit mehr Arbeit, als die normale, alltägliche Essenszubereitung. Dennoch ist diese Arbeit in einer Gesellschaft mit einem Bedürfnissystem, zu dem das Feiern eines solchen Festes gehört, notwendige Arbeit.
Welches konkrete Bedürfnis oder welche Kombination von Bedürfnissen diese Arbeit notwendig macht, ist dabei unerheblich. Ob das Fest zu Ehren eines Regengottes veranstaltet wird, und daher die zur Ausrichtung des Festes erforderliche Arbeit als Mittel zur Erhöhung der Produktivkraft der Feldarbeit, zur Abwendung einer Dürre, als unmittelbares Additiv der Feldarbeit gesehen wird, oder ob das Fest und die dafür erforderlichen Arbeiten ihren Zweck haben in der Stabilisierung und Reproduktion des Gemeinwesens und seiner Strukturen, spielt keine Rolle.
Weiter ist zu berücksichtigen, daß die Abgrenzung zwischen Arbeit und anderen Tätigkeiten theoretisch mit Hilfe des hier entwickelten Arbeitsbegriffs zwar vorgenommen werden kann, daß aber die Grenzen - beispielsweise zum Spiel, zur Kunst, auch die Grenzen zu anderen Formen der Entwicklung und Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen, erstens sehr fließend sind und praktisch manchmal nicht genau bestimmt werden können; daß sie zweitens historisch bestimmt sind, daß manches was in einem Gesellschaftszustand als Arbeit gilt, in einem andren nicht als solche gesehen wird.

20vgl. hierzu z.B. Otto Fenichels Kritik zu Barbara Lantos' „Triebtheoretisches über die Arbeit“, in: Otto Fenichel, 119 Rundbriefe, S. 1018ff (Rundbrief LIII vom 30.12.1938, Punkt 8)

21unmittelbare Subsistenz ist wiederum nicht biologisch als nacktes Überleben zu verstehen, sondern bezeichnet das zum Leben Erforderliche in einem konkret-historischen Zusammenhang, auf der Grundlage eines historisch entwickelten Bedürfnissystems. Der notwendigen Arbeit korrespondieren notwendige Bedürfnisse, die ebenfalls geschichtlich gewordene Bedürfnisse sind und historische und moralische elemente enthalten.

22Marx: Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 552 Diese Konzeption des Verschwindens der Mehrarbeit ist allerdings davon abhängig, daß auch die Erweiterung der Bedürfnisse und die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit zu den notwendigen Bedürfnissen zählt. Es gibt bei Marx auch eine Konzeption, die die gegebnen Bedürfnisse und damit auch die notwendige Arbeit enger faßt und daher nicht vom vollständigen Verschwinden der Mehrarbeit ausgeht: „Mehrarbeit überhaupt, als Arbeit über das Maß der gegebnen Bedürfnisse hinaus, muß immer bleiben. ... Ein bestimmtes Quantum Mehrarbeit ist erheischt durch die Assekuranz gegen Zufälle, durch die notwendige, der Entwicklung der Bedürfnisse und dem Fortschritt der Bevölkerung entsprechende, progressive Ausdehnung des Reproduktionsprozesses, was vom kapitalistischen Standpunkt aus Akkumulation heißt.“ (Marx: Das Kapital, MEW Bd. 25, S. 827)

23Es verschwinden nämlich auch Arbeitsfelder, die zur Befriedigung der notwendigen Bedürfnisse nicht mehr erforderlich sind, mit der Veränderung der Arbeitsweisen und der Bedürfnisse. So verschwindet beispielsweise in vielen Kulturen die Jagd als Arbeitsfeld mit dem Übergang zu Ackerbau und Viehzucht, erhält sich nicht als Arbeit, sondern nur als sportliche Betätigung des Adels.

24Engels: Der Ursprung der Familie, MEW Bd. 21, S. 116

25Engels: Der Ursprung der Familie, MEW Bd. 21, S. 145