(1) Der Bankrott der staatsmonopolistischen Autokratien, die
fast ein Jahrhundert lang den Sozialismus mystifiziert haben,
beendet eine Epoche; gekennzeichnet durch den überlagerten,
regional und auf Zeit pazifizierten Klassenantagonismus. Die
Verwandlung tendenziell aller produktiven Ressourcen zu
Anlageobjekten für das Kapital subsumiert erstmals global die
Produktionsverhältnisse unter die Kapitalkonkurrenz um
optimale Verwertungsbedingungen. Die technologische Perfektion der
militärischen Zerstörungsmittel hat als Drohpotential
das gewaltförmigste Mittel imperialistischer
Interessendurchsetzung - den großen Krieg - obsolet werden
lassen. Das hat nicht nur im Systemkonflikt die schwächere
Seite zum Verlierer gemacht, sondern stellt auch die quasi
naturwüchsige Symbiose von Monopolkapital und bürgerlichen
Nationalstaat zur Disposition. Der Kautskysche Ultraimperialismus,
gegen den Lenin 1916 polemisiert hat, behält auf ironische
Weise gegenüber dem "Imperialismus als höchstem
Stadium des Kapitalismus" recht, will sagen: ohne die daran
geknüpften opportunistischen Konnotationen.
Ultraimperialismus definiert die Weltarena zum Kampfplatz, sobald
die Weltgesellschaft und ihre Reproduktionsprozesse insgesamt den
Charakter von produktiven Ressourcen für die
Kapitalverwertung angenommen haben. Die gegenwärtigen
ökonomischen und politischen Veränderungsprozesse deuten
auf einen tiefgreifenden Wandel in der Konstellation
supranationaler ökonomischer Aktivitäten und Staat hin.
Der kapitalistisch hegemonierte Weltmarkt wird zur
kapitalistischen Weltwirtschaft, ein Prozeß, der sich durch
die Öffnung der osteuropäischen Märkte rapide
beschleunigt. Zur allgemeinen Ausweitung von Waren- und
Kapitalverkehr tritt als kennzeichnendes Merkmal der Epoche die im
Weltmaßstab ubiquitär gewordene Anlageinvestition in
Industrie und industrialisierter Dienstleistung. Das
zentralisiertere Kapital drängt um so nachhaltiger in die
auswärtige Anlageinvestition, je mehr die Aussichten auf
gewinnträchtige Investitionsmöglichkeiten in dem seit
Ende der dreißiger Jahre dominierenden kriegs- und
rüstungswirtschaftlichen Sektor schrumpfen. Erstmals seit
Beginn der imperialistischen Ära in den neunziger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts verliert der Staat relativ und absolut an
Gewicht als bestimmender Faktor für die Erschließung
und Herausbildung solcher Investitionsfelder, die dem am höchsten
akkumulierten Kapital hohe Profite bei gleichzeitiger Minimierung
von Risiken gesichert haben.
Nicht die Vorgänge in Osteuropa sind Revolutionen, wie die
öffentliche Meinung weltweit nahezu einhellig unkt; wohl aber
laufen sie kumulierend auf eine Revolutionierung des
kapitalistischen Weltsystems hinaus, einen Umbruch ohne
historische Analogie insofern, als sich der Übergang vom
liberalen Konkurrenzkapitalismus zu Monopolbildung und
Imperialismus allmählich und für die Zeitgenossen
unmerklich vollzogen hat. Heute hat die Ideologie des bürgerlichen
Verfassungsstaats die Gehirne so gründlich umnebelt, daß
nur die Außenseite der Erscheinung zur Wahrnehmung
zugelassen wird. Die Konkurrenz der internationalen
Kapitalgesellschaften restituiert nicht Chancengleichheit und
liberale Marktverhältnisse, auch wenn Handelsbeschränkungen
jeglicher Art für die Akkumulationsinteressen der größten
von ihnen zu Fesseln geworden sind. Aus Kriegs- und
Rüstungsproduktion wird keine zivile, wie das Wörtchen
Konversion suggeriert. Ob der sogenannte Sozialstaat die
Bonifikationen überdauert, die ihn ökonomisch
fundamentiert haben, ist nicht bewiesen, sondern steht als Exempel
zum Beweis an. Wenn es je eine Umbruchsituation gegeben hat, die
das reflektierende Ingenium sozialökonomischer Theorie, also
die Intelligenz, gefordert hätte, dann ist es diese.
Staatsmonopolistischer Kapitalismus, organisierter Kapitalismus
und verwandte Begriffsbildungen erweisen sich als haltlos oder als
theoretische Konstrukte von nur begrenztem, transitorischen
Erkenntniswert. Nicht besser steht es um die abstrakte
Entgegensetzung von Marktkonkurrenz und Monopol. Aber auch der
Spätkapitalismus, als Auskunftsmittel eher eine
Verlegenheitsfloskel, hat sich blamiert. Von scheinbar rein
deskriptiver Begrifflichkeit, steht auch dahinter ein Trugbild vom
Staat, die Behauptung von Grenzsetzungen, von Blockaden für
das Kapital. Der Staat als deus ex machina, wie er in der Theorie
erscheint, trügt über die grundlegenden
gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse hinweg; sie sind
der letztlich bestimmende Faktor auch für Art und Umfang von
Staatstätigkeit. Weil Fremdbestimmtheit der
gesellschaftlichen Reproduktion durch Verwertungsinteressen
unangefochten fortdauert, muß jeder theoretische
Orientierungsversuch als Fortschreibung der "Kritik der
politischen Ökonomie" beginnen.
Akkumulationsstrategie, ein von Joachim Hirsch/Roland Roth in
"Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum
Post-Fordismus", Hbg. 1986, verwendeter Begriff, ist eine
Mystifikation, weil es außerhalb des Verwertungsinteresses
miteinander konkurrierender Einzelkapitale kein identisches
Allgemeininteresse des Kapitals gibt. Aus dem gemeinsamen
Interesse an optimaler Akkumulation und gesellschaftlichen und
politischen Rahmenbedingungen, die dem Rechnung tragen, resultiert
kein einheitlicher Wille und darum auch keine Strategie. Nur mit
Bezug auf Einzelkapitale läßt sich von Strategie reden;
sobald sich neue Formen der Arbeitsorganisation, Erfindungen und
Technologien verallgemeinert haben, hören sie auf, Momente
von Akkumulationsstrategien zu sein. Die "Durchkapitalisierung"
der Gesellschaft ist Folgewirkung kapitalistischer
Warenwirtschaft, nicht folgerechtes Resultat "fordistischer
Akkumulationsstrategie". Der immer größer
gewordene Anteil von Konsumramsch am Warenkorb statt der
sozialverträglichen Güter als Ersatz für v ist nur
Indikator - wenn auch negativer - für den
Produktivitätsquotienten.
Das Akkumulationsinteresse des Kapitals ist seit über
hundert Jahren der bestimmende Faktor der internationalen Politik.
Dabei steht die Bourgeoisie mit sich in Interessenidentität
sowohl als im Interessenantagonismus durch Konkurrenz um optimale
Akkumulationsbedingungen. Die Bourgeoisie hat sich den
Nationalstaat zum Garanten ihrer Eigentumsordnung und zugleich als
Instrument imperialistischer Interessendurchsetzung geschaffen.
Der Code Napoleon und das Empire fallen in dieselbe Geburtsstunde.
Der Hegemonie des britischen Imperialismus folgte die Ära
zweier Weltkriege um imperialistische Neuverteilungen. Nach dem
zweiten Weltkrieg hat der Antagonismus zwischen Privat- und
Staatskapitalismus den alten Interessengegensatz überlagert;
zugleich hat sich unter den Bedingungen eines "Burgfriedens"
das Netz internationaler Kapitalverflechtungen in der Form von
Beteiligungen oder in der unmittelbaren symbiotischen Gestalt
multinationaler Konzerne in bislang unbekanntem Maße
ausgeweitet. Durch den Bankrott des Staatskapitalismus verändern
sich die Bedingungen privater Kapitalakkumulation grundlegend. Der
Werttransfers aus den vormals staatskapitalistischen Ländern
liegt ebenso im kapitalistischen Gesamtinteresse wie die
Aufrechterhaltung staatlich induzierter Produktion, in der
Hauptmasse für Rüstungsgüter, um im niemals
bestrittenen alten Herrschaftsbereich ein gewisses Produktions-
und Beschäftigungsniveau zu halten. Wie die Früchte
eines Weltmarktimperialismus gegen Konkurrenz abzuschirmen und in
die Scheuern zu fahren sind, dürfte für die nächsten
Jahrzehnte das Verhältnis der Staaten zueinander mit den
entsprechenden Rückwirkungen auf die inneren Verhältnisse
bestimmen. In der Verweigerung von Legitimationen durch eine
verfassunggebende Nationalversammlung wirft der großmächtige
neue deutsche Imperialismus seinen Schatten voraus.
Der Kapitalismus ist nicht mit seinen strukturellen Momenten
identisch, ohne daß diese darum doch aufhörten, seine
strukturellen Momente zu sein. Paul Mattick benutzt für
diesen Sachverhalt den wenig glücklichen Begriff des Modells,
der den Vorrang der Beweislast vom Erkannten auf den Erkennenden
hinüberträgt. Was am Modellbegriff suspekt ist, hat ihn
so beliebt gemacht, weshalb man ihn besser nicht benutzen sollte.
Die Werttheorie ist kein Modell; jeder Agent fungierenden Kapitals
weiß, was er tut, wenn er die Arbeitslöhne scharf
kalkuliert. Und wer das, was in aller Regel ohne Bewußtsein
der Beteiligten geschieht, in seinen allgemeinen Ablaufsformen ins
Bewußtsein hebt, steht antipodisch zu allen heimwerkelnden
Modellbauschmieden. Marx war den Murksern schon immer verhaßt,
auch ohne Oktoberrevolution und die unsägliche Episode des
Stalinismus. Mattick argumentiert in seinen Arbeiten mit Marx, wie
es eigentlich allen oblegen hätte, die sich auf ihn berufen;
tatsächlich stellt ihn das heute paradox zu den singulären
Erscheinungen.
Es gibt keinen sozialstaatlichen Kompromiß - eine Phrase,
die inzwischen auch in den Sprachschatz und die Programmatik von
PDS und Linker Liste/PDS Eingang gefunden hat. Ein solcher
Kompromiß setzte einen Diskurs zwischen Kapital und Arbeit
voraus, dessen Gegenstand nur die Verteilung des Mehrwerts sein
könnte, und den es weder gegeben hat noch geben kann. Ein
Kapital, daß keinen oder unterdurchschnittlichen Profit
abwirft, akkumuliert nicht mehr. Was es tatsächlich gegeben
hat und noch gibt, sind extrem ungleiche Tauschverhältnisse
bei den für die Kapitalbildung relevanten Komponenten. Die
Stabilisierung ungleicher Tauschverhältnisse gehört zu
den Funktionen des bürgerlichen Staates. Was die Arbeiter-
und Gewerkschaftsbewegung, insbesondere die westeuropäische,
unter den vom Kapital gesetzten Bedingungen erreicht hat, ist, daß
sich über längere Perioden hinweg die Ware Arbeitskraft
nicht oder nicht wesentlich unter ihrem Wert hat verkaufen müssen.
Staatlich sanktionierte Mindestlöhne und Sozialleistungen
sind abhängige Variablen von Preisrelationen für die
Ware Arbeitskraft, worüber nur der staatliche Legalismus
hinwegtrügt, durch den beides auf Zeit und also widerruflich
und stets am untersten Ende der Skala für die fraglichen
Indizes (Lohnniveau, Lebenshaltungskosten, medizinische Standards
usw.) festgeschrieben wird.
(2) Der Aufstieg der USA zur Hegemonialmacht nach dem 2.
Weltkrieg ist wesentlich mit der Entwicklung und der Geschichte
der amerikanischen Automobilindustrie in der ersten Hälfte
des Jahrhunderts verknüpft. Der entscheidende Test auf den
Kraftfahrzeugbau als technologischer Spitzenbranche fand auf den
Schlachtfeldern des 1. Weltkriegs statt, wo die USA nach ihrem
Kriegseintritt mit Tanks, also gepanzerten Fahrzeugen, zur Stelle
waren. Das verweist auf Staatsaufträge, staatlich induzierte
Produktion als Anschubkraft. Bis in die dreißiger und
vierziger Jahre hinein war das Automobil ein Gegenstand des
Luxuskonsums, auch in den USA. Zu den Voraussetzungen seiner
Verbreitung gehörte die Verwohlfeilerung des Produkts durch
die Entwicklung entsprechender Produktionstechniken und
Arbeitsabläufe (Fließband; Taylorismus). Ein Gegenstand
des Luxuskonsums tauscht sich nur gegen den in anderen Branchen
erzielten Mehrwert. Zur Ausdehnung des Marktes gehört, daß
die sonstigen Reproduktionskosten für die Ware Arbeitskraft
sinken und daß sie überhaupt in Lohn und Brot steht.
Für das eine hat die Einführung des Traktors auf den
Farmen, die beginnende Industrialisierung der Landwirtschaft
gesorgt, für das andere Kreditfinanzierung und staatliche
Beschäftigungsprogramme durch die Politik des "New
Deal". Endgültig überwunden wurde die
Akkumulationskrise vom Ende der zwanziger Jahre in den USA erst
durch die beginnende Kriegsproduktion im 2. Weltkrieg.
Die Akkumulationsbedürfnisse des Kapitals herrschen der
lohnarbeitenden Klasse die Bedingungen ihrer Reproduktion auf. So
symbolisiert der Gebrauchtwagen der Marke Ford vor dem
Bretterverschlag des Dauerarbeitslosen nicht, daß er zum
Nutznießer gesellschaftlicher Umverteilung von Mehrwert
geworden ist. Die aus den Verhältnissen ungleichen Tauschs
auf dem Weltmarkt resultierenden Standortvorteile bedeuten für
die Ware Arbeitskraft, daß sich ihre Reproduktionskosten
anders berechnen als außerhalb des Standorts.
Gewerkschaftliche oder dadurch abgestützte Lohnforderungen
sind am Produktivitätszuwachs orientiert, nicht an der
Profitrate.
Die Vergrößerung der Zahl der in Lohnarbeit
Beschäftigten, die Verlängerung des Arbeitstags, z.B.
durch Überstunden, gesteigerte Ausbeutung durch
Arbeitsintensivierung und Senkung des Preises der Arbeitskraft
unter ihren Wert sind die einzigen Quellen des Mehrwerts. Um
gegenüber seinen Mitkonkurrenten am Markt im Vorteil zu sein,
bleibt dem Kapital keine Wahl, als die Lohnkosten zu senken durch
Einführung arbeitssparender Maschinerie und Technologie.
Diese werden dadurch ebensowenig zu Quellen des Mehrwerts wie sich
durch Realisierung von Wert und Mehrwert durch Verkauf von Waren
am Markt eine solche Quelle erschließt. Mit dem Ersatz von
Arbeitskraft durch Maschinerie und Technologie untergräbt das
Kapital vielmehr selbst das Verhältnis, worauf es basiert.
Das will das von Marx formulierte Gesetz vom tendenziellen Fall
der Profitrate besagen. Wenn sich am investierten Gesamtkapital,
worauf die Profitrate bezogen ist, der Teil mindert, der allein
Mehrwert hervorbringt - die lebendige Arbeit -, vermindert sich
der Profit. Das ist das Zusammenbruchsgesetz des Kapitalismus, das
die Bewegungen des Kapitals ohne Bewußtsein der Beteiligten
grundiert, die als Kapitaleigner nur an einer Vermehrung der
Profitmasse interessiert sind.
Die Vermarktung des Gebrauchswerts Mobilität hat die
Kraftfahrzeugindustrie zur führenden Branche eines ganzen
Zeitalters werden lassen. Da auf dem kapitalistischen Warenmarkt
atomisierte Warenbesitzer ihre Produkte bzw. die Arbeitskraft zum
Verkauf anbieten und ebenso individuell Profite und Arbeitslöhne
angeeignet bzw. empfangen werden, ist kapitalistische
Warenproduktion in ihren Endprodukten nicht zum kollektiven,
sondern zum individuellen Konsum bestimmt. Investitionen in die
Infrastruktur sind nur bedingt oder bedingungsweise
profitträchtig, werden staatlich abgestützt und gehen im
Ergebnis in die Staatsverwaltung über oder unterliegen
staatlichen Tariffestsetzungen im Interesse des Gesamtkapitals.
Das weltweite Netz der Eisenbahnen hat sich vor rund hundert
Jahren durch das berüchtigte Geschäft mit den
Staatsanleihen geschlossen. Für hohe Akkumulationsraten,
Kapitalkonzentration und die damit einhergehende Ausbildung und
Ausweitung von Produktionskapazitäten in der Eisen- und
Stahlindustrie sind die Grundlagen durch das Eisenbahnwesen gelegt
worden.- Es gehört zu den grundlegenden Defiziten
marxistischer Gesellschaftstheorie, daß seit Marx, dort
insbesondere im ersten Band des "Kapital", die
wechselfältigen Beziehungen zwischen Tauschwertverhältnissen
und Gebrauchswerten, zwischen technischer und Wertzusammensetzung
des Kapitals, gerade auch mit Rücksicht auf ihre bestimmten
historischen Ausprägungen, nicht nachdrücklich genug
thematisiert worden sind.
Technologischer Fortschritt - oder was man so nennt - hatte im
2o. Jahrhundert Kriegsverwendbarkeit zur stärksten
Antriebskraft. Kriegs- und rüstungswirtschaftlich bedingte
Staatsaufträge haben die Konzentration und Zentralisation des
Kapitals vorangetrieben, Monopol- und Kartellbildungen begünstigt.
Marktkonkurrenz spielt für produktionstechnische Neuerungen
seither eine untergeordnete Rolle. Wo sich Fertigungstechniken
verallgemeinern, führen sie zu einer Verbilligung der
Produkte, was zur Ausweitung von Produktion und Absatz zwingt, um
die Profitrate zu halten. Alle Optionen und Interventionen des
bürgerlichen Staates laufen darauf hinaus, dem Kapital bei
der Bereitstellung optimaler Verwertungs- und
Akkumulationsbedingungen zur Seite zu stehen. Dazu gehören
Zollschranken, die auf- und abgebaut werden, koloniale Raubzüge
und imperialistische Kriege, Beschäftigungsprogramme und
monetäre Manipulationen. Das einschlägige
Instrumentarium hat sich im Laufe der Zeit vervielfältigt und
verfeinert, nicht ohne jene Art von Erfolg, wie es sich im
Anwachsen der katastrophischen Tiefendimension dokumentiert.
Staatliche Interventionen und Aktivitäten haben die
Rahmenbedingungen für die Profitproduktion zu verbessern und
tragen unmittelbar weder etwas zur Vergrößerung des
Mehrwerts bei - wenn man einmal von dem Sonderfall von
Staatsproduktion für den Markt absieht -, noch zu dessen
Umverteilung zwischen Kapital und Arbeit. Daß es außerhalb
von Tauschwertverhältnissen kaum noch Beziehungen und
Bedürfnisse gibt, macht sie darum doch nicht gleichermaßen
tauglich, den Akkumulationsprozeß voranzutreiben. Die
grenzenlose Ausdehnung marktvermittelter Bedürfnisse, von der
die kapitalistische Propaganda träumt, findet zwar nicht an
Bedürfnisstrukturen, die vielleicht wirklich unbegrenzt
formbar sind, ihre Schranke, dafür aber an Verwertungs- und
natürlichen Grenzen der Kapitalakkumulation.
Perioden relativer Prosperität sind ebenso wie solche
relativen Niedergangs im Kapitalismus abhängig von
Konstellationen, die sich für den Fortgang der
Kapitalakkumulation als förderlich oder widrig erweisen.
Solche Konstellationen sind nicht auf ihre Momente reduzierbar,
deren Zusammenfall und wechselseitige Verknüpfung gerade den
spezifischen Verursachungszusammenhang ergeben. Zu den Faktoren,
die die langandauernde Prosperitätsperiode nach dem letzten
Krieg erklären, gehören: eine hohe Akkumulationsrate und
revolutionierende technologische Neuerungen mit entsprechenden
Veränderungen in der Arbeitsorganisation, insbesondere in der
Metallurgie und dem metallverarbeitenden Gewerbe, noch vor der
Krise der zwanziger Jahre; Staatsinterventionismus und
Rüstungswirtschaft; kriegsbedingte Bereinigungen durch
Vernichtung fungierenden Kapitals und eine erhöhte
Ausbeutungsrate bei der Neubildung von Kapital; Verknüpfung
von Produktivität mit dem Reallohn, ideell und häufig
auch reell durch das relative Gewicht der Arbeiter- und
Gewerkschaftsbewegung, das diese akkumulierendem Kapital gegenüber
in die Waagschale werfen konnte, um allgemein ein Absenken der
Reallöhne unter den Wert der Arbeitskraft zu verhindern. In
die Gesamtkonstellation von Nachkriegsprosperität, zu den
Bedingungen ihrer Möglichkeit, gehört schließlich
die auf immer größerer Stufenleiter vorangetriebene
Massenproduktion, bestimmt für den privaten Konsum und um den
Preis des Verbrauchs von immer mehr Naturstoff und seiner
Umformung zu Müll und Schrott.
Produktivitätsfortschritt steht unter kapitalistischen
Verwertungsbedingungen unter der Knute der Profitrate, deren Fall
nur durch die Ausweitung der Produktion, eine Vergrößerung
der Tausch- und Mehrwertmasse gegenüber dem verringerten
Tauschwert des einzelnen Produkts, kompensiert werden kann. Der
dafür notwendige Markt wurde vom Automobil und anderen,
nachgeordneten Produkten, unter denen den elektronischen Medien
eine besondere Bedeutung zukommt, geschaffen. Zu dessen
Voraussetzungen gehörte die Senkung der sonstigen
Reproduktionskosten, insbesondere für Nahrung und Kleidung,
überhaupt durch den allgemeinen Produktivitätszuwachs -
Basis seinerseits für die Ausweitung von Staatstätigkeit,
die aus Steueraufkommen, also durch Abzüge vom Mehrwert und
Bruttolohn, oder spekulativ durch Kreditschöpfung und
Staatsverschuldung, d.h. durch Spekulation auf noch gar nicht
existierendes, aber für die Zukunft erwartetes Kapital- und
Lohneinkommen, finanziert wird. Wie groß der Umfang von
Staatstätigkeit auch immer sein mag, Kapitalakkumulation
bleibt ihre Voraussetzung und die Masse des privatwirtschaftlichen
Mehrwerts setzt dafür den Rahmen.
Die Distribution einer gegebenen realen oder spekulativen
Finanzmasse aus Steuern bzw. durch Kreditschöpfung auf die
verschiedenen gesellschaftlichen Sphären fällt in die
Amtswaltung des bürgerlichen Staates. In dieser Funktion wird
er nicht als "Sozialstaat" aktiv, sondern als
Repräsentant und Verwalter des kapitalistischen
Gesamtinteresses. Die Maximierung von Verwertungschancen für
das Kapital und die Minimierung von Systemdysfunktionalitäten
bilden dabei den programmatischen Leitkonsens.
Massenarbeitslosigkeit, Massenarmut und Elend sind Stoff für
das Gemüt, solange kein Entzug von Massenloyalität
droht.
Der Gebrauch, den der Staat von seinen fiskalischen
Möglichkeiten und Instrumentarien macht, hängt ab von
politischen Entscheidungsprozessen, die ihrerseits nicht oder nur
bedingt offen sind, um stattdessen von Kapitalinteressen
hegemoniert zu werden. Das bestimmt die Richtung von
Staatstätigkeit, die Proportionen, nach denen die Mittel
zuerkannt werden, und woran noch jeder Reformismus, wie radikal
oder systemkonform er sich selbst auch immer verstehen mag,
gescheitert ist. Der bürgerliche Staat verschmilzt mit dem
Akkumulationsinteresse zu einer
Agentur, gerade weil er selbst nichts zu akkumulieren hat, dafür
aber in allen seinen Funktionen vom Fortgang der
Kapitalakkumulation abhängt. Die Logik von Kapitalverwertung
ist das Realitätsprinzip der Staatsfinanzen. Dadurch kommt es
zu jener seltsamen Verkehrung, daß Aufwendungen für
soziale und humane Zwecke zu den Unkosten gezählt, als
Verlust abgebucht werden, während alle Arten von
Verschwendung, auch die unsinnigsten, für produktiv gelten,
wofern sie nur das Kapital bei Laune halten.
Für diese Art des Staatssubventionismus sind Kriegs- und
Rüstungswirtschaft das historisch erste Beispiel. Inzwischen
hat sich die Subventionspraxis auf weite Bereiche der Produktion
ausgedehnt. Das Kapital bleibt bei Laune, wenn es akkumuliert, das
heißt, wenn Mehrwert in zusätzliches Anlagekapital
verwandelt wird. Der Staat erscheint in seiner modernen Funktion
auf der historischen Bühne im rechten Augenblick; eine
gewisse Höhe der Kapitalbildung mit entsprechend entwickelten
Produktionsstrukturen und Technologien gehört zu den
Voraussetzungen; ebenso eine gegebene Größe der
Konzentration und Zentralisation mit den entsprechenden
Monopolisierungserscheinungen; die damit verknüpften
Schwierigkeiten, bei vergrößertem Kapital die
Akkumulationsrate zu halten; und nicht zuletzt die ursächlich
mit diesen Prozessen verbundene Revolutionierung der
Kriegstechnologie, die ihrerseits nach fortschreitender
Zentralisierung des Kapitals und Monopolisierung der Produktion
verlangt.
Das Kriegs- und Rüstungsgeschäft gibt das Schema ab
für die Symbiose von Staat und Kapital. Dessen offenbares
Geheimnis lautet: Produktion ohne Risiken des Marktes bei
abgesicherten Profitchancen. Dabei geht alles mit rechten Dingen
zu, wenn man einmal von der Korruption und ihren erweiterten
Spielräumen absieht. Den Kapitaleignern fällt von der
allgemeinen Profitmasse zu, was ihnen in Proportion zu der
eingesetzten Kapitalgröße zukommt; Marx hat über
den Mechanismus unter dem Titel eines Ausgleichs der Profite zur
allgemeinen Durchschnittsprofitrate gehandelt. Der Staat ermuntert
nur zur Investition in Produktionen, die es ohne sein Dazutun gar
nicht gäbe. Der in den staatssubventionistischen Branchen
erwirtschaftete Mehrwert wird wie diese selbst aus dem
Mehrwertaufkommen der übrigen Sektoren und Branchen
mitgespeist, die marktfähige Produkte herstellen und die in
ihnen enthaltenen Warenwerte bei effektiver Nachfrage auf dem
Markt realisieren.
Die private Verfügungsgewalt über die natürlichen
Ressourcen und produktiven Potenzen ist das gesellschaftliche
Risikopotential schlechthin. In der wissenschaftlich-technischen
Revolution vergötzt sich know how, das Mittel als Zweck. Im
Mittelfetischismus reflektieren sich Bedingungszusammenhänge
der Kapitalakkumulation. Der Staat finanziert direkt (durch
Rüstungsaufträge) oder indirekt (Subventionen,
Forschungsmittel, Steuervergünstigungen usw.)
Technologieentwicklung und Technologien, aus deren Fonds die neuen
marktfähigen Produkte vom Kapital kreiert werden - zwar nicht
zureichende, aber doch notwendige Bedingung für
Markterweiterung und den Fortgang der Kapitalakkumulation. Was
unter solchen Vorzeichen statthat, lautet nicht auf den Namen
wissenschaftlich-technischen Fortschritts, sondern markiert den
Gang ins Nirwana. Längst haben sich die sogenannten
Informations- und Kommunikationstechnologien angeschickt, die
negative Utopie eines George Orwell Wirklichkeit werden zu lassen.
Nur die gierige Erwartung des Kapitals, aus Bio- und
Gentechnologie doch noch marktfähige Produkte ausmünzen
zu können, wirft um diese den falschen Heiligenschein
fortschrittlicher Technologien. Eine Gesellschaft, die ihrer
selbst nicht mächtig ist, kultiviert den Aberglauben in die
Perfektionierung der Mittel, als ob der Fortschritt darin
verkapselt sein könnte.
1990
(3) Die kapitalistische Industriegesellschaft
euroamerikanischen Typus gilt sich selber und der Oikumene der
Völker als Modell von Entwicklung. So pflanzt es jedenfalls
Selbstreklame mit der Macht des Faktischen aus. Widerspruch gegen
den Selbstbild-Imperialismus wird nicht laut. Dafür
artikuliert sich Unbehagen, insbesondere in der imperialistischen
Metropole selbst. Dahinter steht ein durch ökologische
Katastrophen geschärftes Krisenbewußtsein. Wo es sich
verallgemeinert, nimmt es die Form von Zivilisationskritik an.
Umdenken - was immer das sei - sei angesagt. Die Globalisierung
euroamerikanischer Standards in Produktion und Konsum impliziere
den ökologischen Kollaps des blauen Planeten. In solcher
Akzentuierung kehrt sich der Selbstbild-Imperialismus zur
Todesahnung um.
Das bürgerliche Gleichheitsprinzip von formell gleichen
Rechtssubjekten ist universalistisch; danach steht es Individuen
und Völkern frei, ihren Beitrag zur Vergrößerung
der Warenwelt zu leisten, was nur am ökologischen Kollaps
seine absolute natürliche Grenze finden kann. Bewußte
Gegensteuerung hätte globale Rahmenplanung,
Produktionsrestriktionen bis hin zu Produktionsverboten zur
Voraussetzung. Rahmenplanuns gibt es nicht; und wo es sie gibt,
folgt sie nationalökonomischen Parametern;
Produktionsrestriktionen unter ökologischen Gesichtspunkten
spielen bis heute die Rolle eines Faktors von infinitesimaler
Größenordnung. Der Akkumulationswettkampf privater und
nationaler Kapitale ist das bestimmende Moment der Entwicklung.
Wenn nicht der ganze Globus von sogenannten hochwertigen
Industriewaren überschwemmt wird mit allen absehbaren,
kurzfristig letalen Folgen, ist nicht Kapitalmangel der Grund und
schon gar nicht gegensteuernder politischer Wille. Die Spekulation
auf zahlungsfähige Markt- (und Staats-)nachfrage weist dem
Akkumulationsprozeß die Richtung. In Produktionsanlagen, die
keinen Profit versprechen, weil sich der in den prospektiven Waren
enthaltene Wert und Mehrwert nicht realisieren lassen, investiert
man nicht. Andererseits verschmilzt produktiv investiertes Kapital
mit bestimmten Technostrukturen, so daß es bei Strafe von
Kapitalentwertung alles Interesse gibt, einmal errungene
Positionen gegebenenfalls auch mit außerökonomischen
Mitteln, vorab über die politische Lobby, zu behaupten.
In der zur Totalität entfalteten kapitalistischen
Warenwirtschaft gibt es keinen zur Verwertungslogik des Kapitals
exterritorialen Markt. In diesem Sinne sind Marktregulierung und
Kapitalismus wesentlich miteinander identisch. Für den
Kleinkapitalisten und kleinen Warenproduzenten gibt es keine vom
Verwertungsprozeß des gesellschaftlichen Gesamtkapitals
unabhängige Nischen; vielmehr ist die ganze Sphäre
abhängig von der Expansion oder Kontraktion des Marktes,
wofür die Akkumulationsschicksale der konzentrierteren und
zentralisiertesten Kapitale die ausschlaggebende Rolle spielen. In
der Marktillusion reflektiert sich die für Expansionsphasen
charakteristische Ausdehnung des Kleinkapitalismus. Daß
Marktverhältnisse und Tauschbeziehungen älter sind als
der Kapitalismus, macht daraus kein Argument für einen Markt
an sich oder jenseits des Kapitalismus.
(4) Begriffe wie globale Arbeitsteilung und totaler Weltmarkt,
die so schön rund klingen, sind keineswegs durch ebenso
eindeutige Sachverhalte gedeckt. Technologische Innovationen
setzen sich nicht nur nicht geradlinig, sondern gebrochen und mit
zum Teil beträchtlichen Verzögerungen durch; sie bleiben
auch monopolisiert; was immer dann gilt, wenn ihre Anwendung
Produktionsstrukturen hoher und höchster Kapitalintensität
zur Voraussetzung hat. Global ist weder die Arbeitsteilung noch
der Weltmarkt, auch wenn sich die Märkte für Waren und
Dienstleistungen überschneiden und überlagern bei stark
voneinander differierenden Produktionsbedingungen. Die egalitären
Assoziationen, die an dem Begriff Weltmarkt haften, machen ihn für
analytische Zwecke eher untauglich (auch wenn sie ihn für
ideologische dafür um so brauchbarer machen). In der Realität
gibt es so viele Märkte, wie es privilegierte oder weniger
privilegierte produktionsstrukturell bedingte Zugangschancen und
die dazu passende zahlungsfähige Nachfrage gibt. Die Illusion
von dem einen großen demokratischen Markt hat sich nur
deshalb ausbreiten können, weil sich Marktvermachtung nicht
mehr an so groben Erscheinungsformen wie Kartell- und Trustbildung
festmachen läßt, wovon noch Lenins
Imperialismus-Theorie ausgehen konnte.
Marktvermachtung stellt sich als Resultante aus
Kräfteverhältnissen dar, die ihrerseits nicht statisch,
nicht beharrend sind. Immer geht es dabei um Umverteilung zur
Optimierung des Profits, so unterschiedlich auch die Mechanismen.
Dazu gehören Preisabsprachen und stille Agreements; alle
Arten staatlicher Privilegierung vom Staatsauftrag beim
Rüstungsgeschäft bis zur Subventionierung in ihren
verschiedenen, indirekten und direkten, Formen; so gehören
Wissenschaft und Forschung längst über den Bereich von
Industrieforschung im engeren Sinne hinaus zu den
infrastrukturellen Vorleistungen für das Konzernkapital, auch
wenn sich deren Rolle nicht in dieser Funktion erschöpft.
Andere Faktoren, die der schrankenlosen Mobilität des
Kapitals entgegenwirken (vom Vorzugsrecht im Aktienwesen bis zum
Diktat des Arbeitsplatzarguments), wirken in dieselbe Richtung:
einer Privilegierung, je nachdem, des am höchsten
zentralisierten Sektors des Kapitals und/oder ihm zugehöriger
Einzelkapitale bzw. Kapitalgruppen. Konzernkonkurrenz ist
Exklusivkonkurrenz in einem politisch umhegten Raum. Daß man
auf diesem Sektor kaum oder gar nicht von Newcomern bedroht ist,
folgt aus der Größenordnung des produktionstechnisch
investierten und wertmäßig repräsentierten
Kapitals. Dafür fordert die Produktionskapazität und
-überkapazität der Giganten zu Markterweiterung heraus,
woraus sich sowohl multinationale Zusammenschlüsse wie
verschärfte Konzernkonkurrenz erklären. Verstärkt
hat sich der Trend zur Zentralisierung und Internationalisierung
des Kapitals durch den Abbau nationalstaatlicher Transfer- und
Handelsschranken, wobei die Systemkonkurrenz der Nachkriegsära
als politischer Katalysator gewirkt hat.
Die Begrenztheit kaufkräftiger Marktnachfrage auf die
Mittelstandsgesellschaft in den Metropolen und die
Kompradorenbourgeoisie des Südens und Ostens zwingt das
hochzentralisierte Kapital in die Vernichtungskonkurrenz. High
Tech ist dabei ein Schlüssel- und Verlegenheitswort, weil die
Produktionsstrukturen nicht auf Verfahrensinnovation hin ausgelegt
sind - etwa zur Deckung informationellen Bedarfs zu Zwecken
gesellschaftlicher Bedürfnisbefriedigung -, sondern auf
Produktvermarktung. Der Widerspruch zwischen technologischen
Innovationsstandards und dem bornierten Zweck Produktvermarktung
ist die zeitgemäße Erscheinungsform des Widerspruchs
von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen.
Während die ganze Welt unter dem Kriterium ökologischer
Verantwortbarkeit mit Industrieprodukten bedient werden könnte,
treibt der Produktionszweck Kapitalverwertung die involutiven
Prozesse - Kapitalvernichtung, Umwelt- und Naturzerstörung,
soziale Verarmung und Verelendung - voran.
Die Vernichtung produktiv investierten Kapitals ist
gleichbedeutend mit Ausmusterung von Produktionsanlagen,
Verstreuung und Verschrottung produktiven Inventars. Die
Depravierung von Gebrauchswert ist nur die andere Seite der
Entwertung von Wert. Daß die unter Verwertungszwang und
Kapitalkonkurrenz hervorgetriebenen technologischen Innovationen
die für das finish von Gebrauchswert entscheidenden seien,
ist nichts als Aberglaube. Weil Produktvermarktung kapitalistische
Produktion mit sich selbst und ihrem Endzweck - Aneignung von
Mehrwert - vermittelt, wird das die Produktion begleitende und den
Produkten eingebaute Marketing (Reklame, Glanzkaschierung der
Produkte, Einbau von Schnickschnack) zum ausschlaggebenden
Mitrepräsentanten von Wert, unabhängig vom Gebrauchs-
oder Nutzwert des Produkts. Marketing als Kapitalanlage setzt auf
Sozialprestige als Konsumwert und treibt die Innovationsprozesse
sowohl in der Produktions- wie in der Zirkulationsphäre
voran. Der den Produkten durch Marketing hinzugefügte Wert
verteuert die Waren und zwar im Durchschnitt auch dann, wenn
Rationalisierungsgewinne weitergegeben werden und zu
Preissenkungen bzw. zur Senkung des Durchschnittspreisniveaus
führen. Technologische Ausrüstungsstandards,
Kapitalinvestition und -zentralisation bestimmter Größenordnung,
Prestigekonsum: das sind nur verschiedene, miteinander verkettete
Seiten desselben sozialökonomischen Systems, das gar nicht
global verallgemeinerbar ist.
Es gibt für die Mehrzahl der Völker des Südens
und Ostens keine Chance, sich an das imperialistische
kapitalistische Akkumulationsregime anzukoppeln. Die in den
Metropolen umgewälzte Wertmasse ist zu groß, um ihnen -
auch unabhängig von allem Werttransfers von Arm nach Reich -
Zutritt durch hausgemachte Abpressung von Mehrwert in
vergleichbarer Größenordnung zu gestatten.
(5) Die Zerstörung von Produktionskapazitäten in
Osteuropa erfolgt nicht unter gebrauchswertorientierten
Kosten-Nutzen-Kalkülen und auch nicht - wie die
kapitalistische Legitimationsideologie der Zerstörung
weismachen will - unter ökologischen Kriterien. Was das
westliche Kapital für den Umgang mit dem Naturhaushalt zu
bieten hat, sind Müllexport, gestyltere Verfahren der
Naturzerstörung und die sogenannten Umwelttechnologien. Zu
den Schädigungen von Umwelt und Natur durch industrielle
Aktivitäten, die auf Raubbau hinauslaufen, in Ost sowohl wie
in West, ist mir bis heute keine abwägende Gesamtbilanz
bekannt geworden; sektorale und regionale Schädigungen ließen
sich nur im Rahmen einer solchen Gesamtbilanz gegeneinander
aufwägen.
Umwelttechnologien, die die Rentabilität von
Einzelkapitalen verbessern, sind Unkosten für das
gesellschaftliche Gesamtkapital. Sie setzen den Produkten Wert zu,
ohne die Warenmasse zu vergrößern. Unter
monopolistischen Verhältnissen werden solche Unkosten auf die
marktfähigen Endprodukte abgewälzt, freilich mit dem
Effekt, in derselben Größenordnung kaufkräftige
Nachfrage zu schmälern. - Produktionsanlagen und
produktionstechnische Verfahren werden im Falle Osteuropas unter
dem Primat metropolitaner Standards von Kapitalverwertung
bilanziert. Bei ungeschützten Märkten geht das potentere
Kapital über wie immer anders geartete und zu qualifizierende
Produktionsstukturen wie ein Rasenmäher hinweg/Beispiel DDR.
Die Konkurrenz der Konzerngiganten treibt zur Ausweitung
äußerer und innerer Expansion auf immer höherer
Stufenleiter. Dabei erweisen sich ökonomische
Zwangsgesetzlichkeiten und deren politische Vermittlungen als
gleichermaßen zum Wesen der Sache gehörig. Als Fiskus
ist der Steuerstaat mit dem Kapital vertrustet, so daß
dessen größere oder geringere Profitabilität die
Rahmenbedingungen für den Staatshaushalt setzt. Dem Druck auf
die Profitrate durch wachsende organische Zusammensetzung des
Kapitals gibt der Staat nach, wenn er infrastrukturelle
Dienstleistungen (Post, Bahn usw.) unter dem Stichwort
Privatisierung den zentralisierteren Kapitalen zur Beute hinwirft.
Die Privatisierung öffentlicher Dienste treibt die Spaltung
der Gesellschaft voran mit wachsender sozialer Depravierung und
Unterversorgung auf der Verliererseite.
Der Expansion des metropolitanen Kapitals nach Osten wirken
Faktoren entgegen, die in ihrer Summe mindestens ebenso
schwergewichtig sind wie der immanente Zwang zur Expansion nach
außen. Als Absatzmarkt für Waren der Konsumgüter-
und Produktionsmittelindustrien spielen die Länder Osteuropas
- wenn man einmal vom deutschen Sonderfall DDR absieht - vorerst
eine marginale Rolle. Zum Vorzugsobjekt expansionistischer
Begierden werden demzufolge die natürlichen Ressourcen, vor
allem auf dem Areal der vormaligen Sowjetunion. Worauf solche
Ressourcenplünderung marktökonomisch hinausliefe, hat
Gremliza bereits in seiner "konkret"-Kolumne vom April
'90 auf den Punkt gebracht. "Die Zulassung zu einem Weltmarkt
(gemeint sind die osteuropäischen Länder), der nach
nichts so wenig verlangt wie nach neuen Produktionskapazitäten
für Waren, die nicht abzusetzen sind, ist keine Hilfe.
Vielleicht erreicht Rußland durch billige Rohstoffexporte
das Niveau Brasiliens. Vielleicht. Wenn, im Austausch für
Jeans, Gorbatschows Nachfolger Jelzin soviel Erdöl liefert,
daß der Weltmarktpreis um die Hälfte fällt."
Abgesehen davon, daß diese Ressourcen von den Ländern,
denen sie entzogen werden sollen, selbst am dringendsten benötigt
werden: jeder Preisverfall beraubt sie erst recht der Möglichkeit,
die verheißenen modernen Technologien gegen ihre Rohstoffe
einzutauschen.
(6) Der Kapitalismus ist Verwertungsprozeß
akkumulierenden Kapitals, der sich immer im Spannungsfeld zwischen
angeeignetem Naturstoff und Wertgesetzlichkeit bewegt. Keine
Tauschwertrealisierung ohne Gebrauchswertzwecke, darum aber auch:
keine Gebrauchswertzwecke, die nicht zugleich der
Tauschwertrealisierung dienen. Die Marxsche Kritik der politischen
Ökonomie trägt dem eigenen Anspruch eines
wissenschaftlichen Sozialismus Rechnung, weil sie die differente
Erscheinungswelt weder unvermittelt aus der Wertgesetzlichkeit
ableitet, noch Einzelgesetze verabsolutiert. Daß die
analytische Kraft von Marx - und auch Engels - in der
marxistischen Tradition keine Nachfolge gefunden hat, gehört
selbst zu den erklärungsbedürftigen Phänomenen.
Die reduzierte Marx-Rezeption durch die Parteien der II. und
III. Internationale, die Umdeutung des wissenschaftlichen
Sozialismus zu einem Kanon selektiver Begriffe, die
Zwangseingemeindung der Theorie, ihre Verstaatlichung: diese
Momente stehen nicht in einem zufälligen, sondern in einem
wesentlichen Zusammenhang mit dem, was da seinem ersten
Selbstverständnis zufolge als Kommunismus und nach seinem
letzten als Realsozialismus gescheitert ist. Der wissenschaftliche
Sozialismus ist Theorie und Handlungsanleitung zugleich, aber
nicht im Sinne eines funktionalistischen Kontinuums, sondern nach
dem Modell von Rückkopplung von voneinander auch
Unterschiedenen.
Der Akkumulationsprozeß des Kapitals ist Konzentrations-
und Zentralisationsprozeß mit den Bezugsgrößen
Monopol, Konkurrenz und Staatsinterventionismus in wechselnden
Konstellationen. Ein Kapitalismus ohne Konkurrenz wäre kein
Kapitalismus mehr, sondern ein unmittelbares Herrschaftsverhältnis
ohne ökonomische Vermittlung. Lenins Imperialismus-Schrift
reflektiert eine historische Situation forcierter Monopolbildung
und Vertrustung mit dem Staat - eine Konstellation, gegen deren
wie auch immer modifizierte Wiederkehr keine prinzipiellen
theoretischen Gründe sprechen. Theoretische Verallgemeinerung
tritt in den Fundus sozialrevolutionärer politischer Praxis
ein, als Selbstaufklärung legitimiert und jene legitimierend
wie es am Beispiel der Oktoberrevolution der Fall gewesen ist. Die
spätere Entwicklung, angefangen mit der relativen
Stabilisierung des Kapitalismus in den zwanziger Jahren, hat nicht
Lenins Imperialismus-Theorie widerlegt, sondern eine veränderte
Konstellation ist von einer falsch verstandenen Orthodoxie immer
weniger begriffen worden.
Marx hat in einem Konvolut ökonomischer Aufzeichnungen,
den "Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie",
an einer exponierten Stelle notiert: "Das Kapital ist selbst
der prozessierende Widerspruch (dadurch), daß es die
Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren stört, während
es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle
des Reichtums setzt. Es vermindert die Arbeitszeit daher in der
Form der notwendigen, um sie zu vermehren in der Form der
überflüssigen; setzt daher die überflüssige in
wachsendem Maß als Bedingung - question de vie et de mort -
für die notwendige. Nach der einen Seite hin ruft es also
alle Mächte der Wissenschaft und der Natur, wie der
gesellschaftlichen Kombination und des gesellschaftlichen Verkehrs
ins Leben, um die Schöpfung des Reichtums unabhängig
(relativ) zu machen von der auf sie angewandten Arbeitszeit. Nach
der andren Seite will es diese so geschaffnen riesigen
Gesellschaftskräfte messen an der Arbeitszeit, und sie
einbannen in die Grenzen, die erheischt sind, um den schon
geschaffnen Wert als Wert zu erhalten" (zitiert nach der
Ausgabe Berlin 1953, 593). Es ist der kapitalistischen Entwicklung
im 20.Jahrhundert aufbehalten geblieben, die Arbeitszeit in der
Form der überflüssigen relativ und absolut zu vermehren,
um den schon geschaffnen Wert als Wert zu erhalten und damit den
prozessierenden Widerspruch durch Kumulation und um den Preis von
Hyperkrisen, Kriegen und Katastrophen.
Der Akkumulationsprozeß des Kapitals ist in unserem
Jahrhundert weder gradlinig verlaufen noch zyklisch im klassischen
Sinne. Die Auflösung vorkapitalistischer Produktionsweisen
und Verhältnisse, von völliger bzw. relativer
Selbstversorgung, von Hauswirtschaft usw. ist ungleichzeitig und
in Schüben vonstatten gegangen. Ähnliches gilt für
den Produktivitätsfortschritt, stimuliert von
Kriegswirtschaft, zwei Weltkriegen und Rüstungskonkurrenz.
Die Ausdehnung kapitalistischen Warentauschs durch Einbeziehung
immer neuer Schichten, Regionen und Kontinente ist Resultat und
Bedingung nichtmilitärisch ausgemünzten
Produktivitätsfortschritts; weil Produktivitätsfortschritt
den Anteil lebendiger Arbeit an der einzelnen Produkteinheit und
also kapitalistisch die Mehrwertrate mindert, was nur durch eine
Vermehrung der Waren und d.h. durch Markterweiterung kompensiert
werden kann. Markterweiterung dient der Realisierung von Mehrwert
und ist insoweit notwendige, aber nicht zureichende Bedingung, um
den schon geschaffnen Wert als Wert zu erhalten. Wichtiger und
letztlich ausschlaggebend sind die Werttransfers, wie sie aus den
Ausgleichsbewegungen der Profite zur Durchschnittsprofitrate und
den Weltmarkt induzierten Preisbildungsprozessen folgen. Dieser
Punkt - Wert- und Mehrwerttransfers - ist der für das
Verständnis des "modernen" Kapitalismus
entscheidende.
Die neuen Technologien bemessen sich in der Realität nicht
an Potentialen, die ihnen unter Absehung von der Wertabstraktion
zu- oder abgesprochen werden, sondern nach ihrer Rolle im
Akkumulationsprozeß, solange das Kapitalverhältnis
dominiert. Rationalisierungsgewinne als Folge technischer
Innovationen begleiten den kapitalistischen Produktionsprozeß
von jeher. In den Verfahrens- und Informationstechnologien - und
das ist das qualitativ Neue - gibt sich Rationalisierung selber
die Form eines marktfähigen Produkts. Dadurch wird der
Widerspruch kapitalistischer Produktion als Profitproduktion auf
die Spitze getrieben.
Die westdeutsche sozialwissenschaftliche Diskussion hat bei der
Aufklärung der Bestimmungsgründe für die letzte
langandauernde Prosperitätsperiode des Kapitalismus ebenso
versagt wie die Doktrin vom staatsmonopolistischen Kapitalismus.
Geschichtliche Konstellationen wiederholen sich nicht; trotzdem
ist die Beschäftigung damit nicht müßig, weil sich
vergangene Irrtümer, die nicht berichtigt werden, als blinde
Stellen reproduzieren. Fordismus, Keynesianismus, Postfordismus
sind Stichworte in westlichen Debatten, die ein Begreifen
vortäuschen, das sie in Wirklichkeit hintertreiben. Weder war
das Rooseveltsche New Deal nach Rezepten von Keynes erfunden, noch
ist die Nachkriegssozialdemokratie keynesianisch angetreten.
Keynesianismus meint nach obwaltendem Sprachgebrauch, daß es
nur des guten politischen Willens bedarf, um den Kapitalismus zu
reiten, statt von ihm geritten zu werden.
Die Nachkriegsprosperität hat eine Vorgeschichte, ihre
Frühgeschichte, ihre Peripetie und eine Nachgeschichte. Die
Umkehrung des Gläubiger-Schuldner-Verhältnisses zwischen
den großen europäischen Nationalstaaten und den USA im
Gefolge des ersten Weltkriegs begründete die Dominanz des
US-Kapitals. Den raschen Innovationsschüben kam die Größe
des Binnenmarktes zustatten. Produktivitätszuwachs in der
Landwirtschaft (Mechanisierung) und in der Industrieproduktion
(Massenfertigung) stimulierten sich gegenseitig. Das Kapital
akkumulierte und die Reallöhne stiegen, ausgewiesen durch
vollere Warenkörbe. Die mit der Weltwirtschaftskrise 1929/30
verbundene Kapitalentwertung und -vernichtung konnte die
Akkumulationsschwäche des US-Kapitals nicht überwinden.
Kreditfinanzierung und staatliche Beschäftigungsprogramme,
"New Deal", haben ihre Ziele nur teilweise erreicht;
Kapazitätsauslastung und Vollbeschäftigung brachte erst
der 2. Weltkrieg. Nach dem Krieg, 1948, urteilte ein
amerikanischer Gewährsmann: "Die Zerstörung der
europäischen Wirtschaft hat das Problem effektiver Nachfrage
für die amerikanische Wirtschaft gelöst. Es herrschte
ein absoluter Mangel an effektiver Nachfrage. Neuerdings ist diese
Nachfrage aus purer Notwendigkeit entstanden, und...wir erleben
den Anbruch der größten industriellen Epoche, die
dieses Land je gekannt hat" (zitiert nach Paul Mattick: Marx
und Keynes, Frankfurt/Wien 1971, 285). Das Ende der
Nachkriegsprosperität weist die Verlaufsform einer
abflachenden Kurve auf, weil mit den Nachkriegsrekonstruktionen in
Europa und Ostasien der Kapitalismus polyzentristisch geworden
ist. Daraus ergeben sich Ungleichzeitigkeiten, verstärkt
durch den multinationalen Charakter ganzer Kapitalgruppen, so daß
Akkumulationsschwächen ausgeglichen erscheinen. Ausufernde
Finanzspekulation und Privatisierung öffentlicher Dienste
sind Gegenindikatoren dazu.
Solange das Diktat des Kapitals nicht weltweit gebrochen ist,
ist es überhaupt nicht gebrochen. Ein gezügelter
Kapitalismus wäre einer, dessen Akkumulationsdynamik sich an
höherer Setzung/ Satzung bricht. Wäre dergleichen
vorstellbar, kodifizierbar und kodifiziert, könnte man von
einem Gesellschaftsvertrag sprechen. Tatsächlich entspricht
der Abstumpfung des Klassenantagonismus hier aber dessen
Verschärfung dort bzw. weltweit. Daß gesellschaftliches
Bewußtsein, Aktions- und Organisationsformen der
Lohnabhängigen dazu im Mißverhältnis stehen,
ändert nichts am Sachverhalt. Solange die Akkumulationdynamik
des Kapitals nicht gebrochen ist, stehen alle Errungenschaften der
Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung zur Disposition. Jedenfalls im
Prinzip. Sozialabbau und Deregulierung - wie man heute sagt -
finden ihre Grenze dort, wo Verwertungsinteresse selbst berührt
wird. So können auch Einbrüche in die Massenloyalität
die Verwertungsbedingungen verschlechtern. Mobilität/Immobilität
des Kapitals ist der ausschlaggebende Faktor für die
Positionierung von Lohnarbeit und Kapital im sozialen und
politischen Kraftfeld. Wer dem Kapitalismus die Potenz zu neuer
überzyklischer Akkumulation zutraut, sollte dies begründen
- aber nicht durch historisches Analogisieren, sondern durch
analytischen Aufweis, durch Abwägen von
Akkumulationsschwächen und -stärken bei gegebenen
Weltmarktverhältnissen.
(7) Zu den größten Verdiensten Matticks rechne ich
seine Darlegungen zur Frage der staatlich induzierten Produktion
durch Defizitfinanzierung. In der Literatur wird die Stimulierung
von Produktion und Konsumtion durch Kreditschöpfung und
Staatsaufträge unter dem Stichwort Keynesianismus
abgehandelt. Mattick hat plausible Gründe dafür
beigebracht, daß diese Art von Finanzierung langfristig zu
Lasten privatkapitalistischer Akkumulation geht, auch wenn er
dadurch bewirkte Mitnahmeeffekte nicht leugnet. Staatlich
induzierte Produktion fügt einer kapitalisierten Wertmasse
nichts hinzu, sondern figuriert als Abzug davon, weil Defizite
durch Steueraufkommen beglichen werden müssen, als
Staatsschulden aufgehäuft und inflationär ab- und
fortgewälzt werden. Die Aneignung des Wertprodukts durch den
Staat findet dort ihre Grenze, wo die akkumulativen Potenzen des
Privatkapitals nachhaltig beeinträchtigt werden.
Keynes und die Neo-Keynesianer seien von den Monetaristen
verdrängt worden, so heißt es. Steuernachlässe für
das Großkapital hat es wirklich gegeben und gibt es weiter.
Zugleich haben sich die inflationären Prozesse beschleunigt
und hat die Staatsverschuldung astronomische Dimensionen erreicht.
Fluchtkapital finanziert den Luxuskonsum einer neuen
Geldaristokratie und findet exterritoriale Anlagemöglichkeiten,
zu Meistbegünstigungen in autoritären Regimen. Aber
damit bin ich schon bei Günter Reimann: Die Ohnmacht der
Mächtigen. Das Kapital und die Weltkrise, Leipzig 1993. Ein
Titel, den sein Autor vor fast zwei Jahren angekündigt hatte
(ND v. 20.9.91). Reimann, Jahrgang 1904, Wirtschaftsredakteur der
"Roten Fahne" 1925-30, Emigration über Frankreich
und England in die USA (1938) hat sich dort als Journalist und
Finanzspezialist, auch durch die Herausgabe einschlägiger
Blätter, verkauft an "Financial Times", 1983,
betätigt.
Das - wie Reimann sagt - in der ersten Zusammenbruchskrise des
Weltkapitalismus zu Anfang der dreißiger Jahre entwickelte
Krisenmanagement ist ausgereizt. Im Gegensatz zu Mattick posiert
Reimann als zwar ungläubiger, aber gutwilliger Ratgeber des
Kapitalismus. Die Inkonsistenzen, die sich daraus ergeben, machen
ihn zum Zeitgenossen unter Zeitgenossen. Während die linken
Reformfreunde unverdrossen und unbeirrt ihre mit dem Namen von
Keynes verbundenen Rezepte herbeten, dämonisiert er umgekehrt
den Staat; die "Ohnmächtigen" seien die
Privatkapitalisten; zugleich will er den Rentnerkapitalisten
zugunsten gestärkter monetärer Souveränität
der Nationalstaaten ans Leder. Was diesen Titel trotzdem zur
Lektüre empfiehlt, ist Reimanns Realismus, der sich angenehm
vom reformistischen Illusionismus abhebt, und sein
finanzpolitisches Plädoyer für eine Gold gestützte
Reservewährung, womit er sich im Bereich herrschaftlicher
Optionen und Ambitionen bewegen dürfte. Seine Empfehlung
läuft auf einen Griff in die monetäre Trickkiste hinaus.
"Damit werden die strukturellen Krankheiten des Systems nicht
überwunden, aber die Überlebenskraft des Kapitalismus
zeitweise wieder hergestellt - für eine Generation." So
lautet der Beschluß des Buches (319).
Die als Schuldtitel aufgeschatzten Gläubigerforderungen
Privater, insbesondere an die Adresse des Staates, sind
unerfüllbar geworden. "Die Fixierung der Geldansprüche
steht im Widerspruch zum Wesen des kapitalistischen Systems"
(65). Den Grund für die Verschlechterung der
Verwertungsbedingungen verortet Reimann in der Zirkulstionssphäre.
Kreditaufschwemmung habe den Inflationismus vorangetrieben bis zum
deflationistischen Umschlagspunkt, wo es zu produktiver
Investition an Liquidität mangele. Der Überlegung, daß
der Erweiterung des kapitalistischen Produktionsapparates innere
Schranken der Verwertung gesetzt sind, gibt Reimann keinen Raum.
In der Produktionssphäre konkurrierten Menschen mit
Maschinen, um schließlich der Maschinenkonkurrenz - Maschine
gegen Maschine - Platz zu machen, was immer darunter zu denken
sein soll.
Reimann teilt nicht nur mit seinen keynesianischen Intimfeinden
den Glauben, daß technologischen Innovationen das Potential
zu kapitalistischer Markterweiterung schlechterdings inhärent
sei. Unter systematischen Gesichtspunkten ist sein
Zukunftspessimismus, was das "System" betrifft,
arbiträr, willkürlich. Aber auch sein monetärer
Optimismus, am deutlichsten in der 'Zusammenfassung' am Schluß
("Die Umstellung der Währungen wird es ermöglichen,
die kapitalistischen Geldansprüche zu revidieren. Ein hoher
Goldpreis wird einen tiefen Einschnitt in die kapitalistischen
Renten ermöglichen"), gibt sich eher rhapsodisch, als
daß von Begründungszusammenhängen die Rede sein
könnte. Den Konservativen und Neokonservativen empfiehlt er
sich dadurch, daß er unter seinen Rentenbegriff
unterschiedslos Kapital- und Sozialrente subsumiert.
Das Instrumentarium von Defizitfinanzierung greift nicht mehr.
Das Kapital hat sich in Folge seiner ersten Zusammenbruchskrise -
ein tauglicher Begriff - Loyalität durch Zessionen an den
Staat erkauft. Daß die nicht zuletzt durch Aufrüstung
und Rüstungswettlauf bewirkte Prosperität
Scheinprosperität ist, bleibt bei Reimann - im Gegensatz zu
Mattick - ausgeblendet. Es sei den Sozialrenten, und diesen
insbesondere, die wachsende staatliche Steuerlast geschuldet, so
daß liquides Kapital in die Steueroasen ausweiche, statt
produktiv reinvestiert zu werden. Reimann nennt als Schätzung
für Depositen, die sich nationalstaatlicher Kontrolle
entzogen haben, den Betrag "von etwa 2700 Milliarden Dollar.
Dieser Betrag gleicht dem Dreizehnfachen der Devisenreserven der
USA und übersteigt den Gesamtbetrag der Devisenreserven aller
Industrieländer um etwa 70 Prozent" (120).
Die isolierende Wahrnehmung von Kapitalbewegungen führt zu
falschen Verallgemeinerungen und Mystifikationen. Statt den
verschlungenen Kapitalbewegungen nachzugehen, fingiert Reimann
eine Doppelexistenz des Finanzkapitals nach seiner Erscheinung auf
internationalen Kapitalmärkten und nationalstaatlich
kontrollierten. Liquid und illiquid - ausufernd bis zur
Verrücktheit von Reimann strapaziert - ist das Kapital
diesseits und jenseits der von ihm gezogenen Demarkationslinie.
Bei seinen Ausführungen über die Vorteile einer
Zentralbankwährung mit Golddeckung setzt er auf eine
merkliche administrative Erhöhung des Goldpreises; dadurch
erhöhe sich - argumentiert er, man möchte sagen:
pseudokeynesianisch - die nationalstaatliche Liquidität.
Ausschlaggebend für Kapitalbewegungen ist das
Produktivkraftgefälle, das das Kapital dorhin "fliehen"
läßt, wo die Mehrwertrate bei niedrigerer organischer
Zusammensetzung des Kapitals und/oder niedrigen Arbeitslöhnen
(in der Regel geht beides zusammen) höher ist als in Regionen
höherer organischer Zusammensetzung und höherer
Arbeitslöhne. Investitionen in Drittweltstaaten sind häufig
mit schwer kalkulierbaren Risiken verbunden für
vergleichsweise hohe Einsätze. In Konkurrenz dazu empfiehlt
sich der Staat als Kreditnehmer. Als Währungssouverän
gebietet er über den Spielraum für Zinsen und
Wechselkurse, die er festlegt oder auf deren Festlegung er nach
Ermessen Einfluß nimmt. Die staatlich administrierten
und/oder sanktionierten Notierungen sind Rückgrat von
Finanzspekulation oder Kasino-Kapitalismus und teilweise dessen
Tummelplatz. Es wird um Kursgewinne spekuliert. Aber auch um
Immobilien; Geschäftshäuser, Hotelketten usw. Daran
geknüpfte Renditeerwartungen rechnen mit Kursen und
kaufkräftiger Nachfrage von gegebenem, staatlich induzierten
Niveau.
Zu den brauchbaren Mosaiksteinen, die Reimann hinwirft, gehört
auch seine Bemerkung über "Kasino-Kapitalismus".
"Die Überfülle des liquiden internationalen
Finanzkapitals erzeugt einen fruchtbaren Boden für den
'Kasino'-Kapitalismus. Wie in einem Spielkasino werden Finanzwerte
gekauft und verkauft zu Preisen, die keinen Realwert besitzen. Den
Gewinnen stehen stets Verluste in gleichem Ausmaß gegenüber.
Das Ergebnis ist eine Umverteilung des Besitzes von Finanzkapital
unter den Finanzkapitalisten" (133). Damit wird richtig dem
Gerede von einer Geldakkumulation, die sich von der
Realakkumulation abgekoppelt habe, pariert. Reimann vergißt
nur hinzuzufügen, daß sich klügere Spieler vom
Spieltisch zurückzuziehen pflegen, wenn sie einen hübschen
Schnitt gemacht haben, um ihre Gewinne sicher, und das heißt:
unspekulativ anzulegen. Daß sich Akkumulationsprozesse mit
solchen gesellschaftlicher Refeudalisierung überlagern, kommt
nicht in den Blick.
1993
(8) Ein ökonomischer Determinismus verbietet sich, solange
Weltgesellschaft und Marktwirtschaft, d.h. unbeschrankte
Kapitalkonkurrenz nicht kongruente Begriffe sind. In einem solchen
Fall würde in der Realität voll durchschlagen, was Marx
im "Kapital" analysiert hat; der Markt würde die
"Gesetze" von Kapitalverwertung und -akkumulation ohne
vermittelnde Zwischenglieder exekutieren. Mit allen Folgen für
die soziale Polarisierung: hier Bourgeosie, dort Proletariat,
Reservearmee und wachsender Pauperismus. Die zur Zeit herrschende
Politik, die man neoliberal oder neokonservativ nennt, hat zwar
nicht im Sinn, Marx zu bewahrheiten, liefe aber kraft innerer
Konsequenz darauf hinaus.
Daß sich die Gesetze der kapitalistischen Akkumulation
nur auf Umwegen, modifiziert, gebrochen durchsetzen, hat seinen
Grund in natürlichen und künstlichen Privilegien, die
nationalen bzw. Einzelkapitalen Akkumulationsvorsprünge
sichern. Solche Privilegien auf Dauer zu stellen, ist die Funktion
des bürgerlichen Nationalstaats und das Ziel monopolistischer
Zusammenschlüsse. Erfolge und Errungenschaften des
Sozialreformismus stehen und fallen mit dem durch Privilegien
abgesicherten Akkumulationsvorsprung der metropolitanen Kapitale.
Wären global nivellierte Akkumulationsbedingungen und -
standards Realität, würde der Arbeitslohn zur untersten
Grenze, zum Ersatz für die physischen Reproduktionskosten,
hin tendieren. Die Alternative eines globalisierten
Akkumulationswettkampfes ohne Handelsschranken und eines
monopolisierten Wettbewerbs auf national und regional
restringierten Märkten ist gleichermaßen fatal.
(9) Produktivität der Arbeit ist keine Naturqualität,
sondern hängt von vorgefundenen natürlichen und
künstlichen Bedingungen ab (Bodenfruchtbarkeit; Maschinerie,
Technologie). Soweit die subjektive Seite in Betracht kommt, also
die Qualifizierung industrieller Arbeitskraft, geht diese in den
Wertbildungsprozeß mit ein als die mit x zu multiplizierende
Größe einfacher, ungelernter industrieller Arbeit. Mit
dieser Auffassung von Arbeit als Wertbildner schließt sich
Marx an die klassische bürgerliche Ökonomie an. Daß
Wert und Mehrwert abhängige Variablen der Anwendung von
Arbeitskraft sind, weiß im übrigen auch heute noch
jeder produktiv investierende Kapitalist, wenn er den Preis für
die Ware Arbeitskraft in jeder "Lohnrunde" zu drücken
sucht bzw. dorthin "flieht", wo er Arbeitskraft billiger
einkaufen kann. Der Preis der Ware Arbeitskraft ist durch die
Reproduktionskosten nur in dem Sinne limitiert, daß diese
nicht unterschritten werden dürfen, weil andernfalls das
Kapital die Henne, die die goldenen Eier legt, selbst schlachten
würde. Was zu diesen Reproduktionskosten zählt, ist
nicht zuletzt durch das Kapital selbst determiniert, soweit es die
gesellschaftlichen Verhältnisse hegemoniert. Wo etwa der
Lohnabhängige als Produzent und Konsument Arbeits- und
Einkaufsplätze unter zumutbaren Bedingungen nicht mehr ohne
Automobil erreichen kann, stellt sich dieses zu den Mitteln im
Reproduktionsfond.
Geregelte Tauschverhältnisse setzen einen Regulator
voraus. In vorkapitalistischen Gesellschaften spielen
Tauschbeziehungen eine marginale Rolle und lassen subjektiven
Bewertungen und Wertabschöpfungen durch Wucher - zuzeiten
besonders exemplarisch im Fernhandel - einen breiten Raum. Zufall
und Herkommen, wonach sich Ware x gegen Ware y in soundsoviel
Quanten tauschen, verlieren in dem Maße an
gesellschaftlicher Dominanz, wie sich die kapitalistische
Produktionsweise herausbildet. Valenz wird zur Äquivalenz im
Preisausdruck für einen identischen Wert; soundsoviel Ware
beliebiger Art gemessen in monetären Größen.
Manufakturelle und schließlich industielle Massenproduktion
geht in den Begriff des Werts als dessen Voraussetzung mit ein; an
die Stelle mehr oder weniger zufälliger Relationsbeziehungen
treten feste Maßverhältnisse. Äquivalenz,
Gleichwertigkeit des systematisch für den Tausch Produzierten
stellt sich im Tausch her, setzt aber an den Tauschobjekten, den
Waren, ein Identisches voraus; Arbeit in der qualitativen
Bestimmtheit, die sie in manufaktureller und industrieller
Massenproduktion angenommen hat, mit der Arbeitszeit, dem
Arbeitstag - ob kurz oder lang - als Maß.
Der kapitalistische Unternehmer, die Aneignung fremder Arbeit,
die Quantifizierung der Arbeit mit der Arbeitszeit als Maß,
die Teilung des Arbeitstags entsprechend dem Arbeitsertrag, der
dem Anwender der Arbeitskraft (Ersatz für fixe Kosten und
Mehrwert) und dem Angewendeten (Arbeitslohn) zufällt, sind
gleichursprünglich, d.h. stehen in einem notwendigen
Bedingungszusammenhang. Arbeits- und Wertbegriff haben sich mit
den Sachverhalten, auf die sie sich beziehen, gleichzeitig
herausgebildet bzw. die uns geläufige Bedeutung angenommen.
Die bürgerliche politische Ökonomie, an die Marx
angeknüpft hat, ist die Reflexionsform der sich
durchsetzenden kapitalistischen Produktionsweise . "Historisches
zur Analyse der Ware", diesen Unterabschnitt in "Zur
Kritik der politischen Ökonomie" von 1859, leitet Marx
so ein: "Die Analyse der Ware auf Arbeit in Doppelform, des
Gebrauchswerts auf reale Arbeit oder zweckmäßig
produktive Tätigkeit, des Tauschwerts auf Arbeitszeit oder
gleiche gesellschaftliche Arbeit, ist das kritische Endergebnis
der mehr als anderthalbhundertjährigen Forschungen der
klassischen politischen Ökonomie, die in England mit William
Petty, in Frankreich mit Boisguillebert beginnt, in England mit
Ricardo, in Frankreich mit Sismondi abschließt. Petty
löst den Gebrauchswert in Arbeit auf, ohne sich über die
Naturbedingtheit ihrer schöpferischen Kraft zu täuschen.
Die wirkliche Arbeit faßt er sofort in ihrer
gesellschaftlichen Gesamtgestalt, als Teilung der
Arbeit"
(Hervorh. im Text). Marx
bezieht sich hier auf einen Autor und eine Schrift des ausgehenden
17. Jahrhunderts. "Teilung der Arbeit" besagt hier
soviel wie manufakturelle bzw. industrielle Massenproduktion,
soweit eben diese zum Repräsentanten "wirklicher Arbeit"
geworden ist.
Was Marx in seinen ökonomischen Schriften zum Gegenstand
der Analysen macht, sind Bedingungszusammenhänge. Gleiche
organische Zusammensetzung oder Kapitalkomposition nach ihren
Bestandteilen fixe Kosten und Löhne vorausgesetzt, tauschen
sich die Waren bei vollständiger Konkurrenz zu ihren Werten.
Den Wahrheitsbeweis für das bedingungsweise Vorausgesetzte
erbringen die Phänomene und soweit sie das nicht tun bzw. nur
partiell, nötigen sie die Argumentation zum Fortgang und zur
Präzisierung. Bei ungleicher organischer Zusammensetzung des
Kapitals nach Branchen oder auch innerhalb derselben
Produktionssphäre variiert das Verhältnis der
Kapitalkomposition nach ihren Bestandteilen, so daß dem
durch die Produktionsmittel repräsentierten Teil ein größeres
oder geringeres Qantum angewandter lebendiger Arbeit gegenüber
steht, die das Mehrprodukt oder den Mehrwert liefert. Aus
ungleichen Mehrwertraten würden ungleiche Profitraten
resultieren - der Profit bezogen auf das Gesamtkapital, der
Mehrwert auf den durch die Löhne repräsentierten Teil -,
würden sich nicht die Profite zur Durchscnittsprofitrate
ausgleichen. Wie dieser Ausgleich zu denken ist, illustriert Marx
am Aktienwesen: "Die verschiednen Kapitalisten verhalten sich
hier, soweit der Profit in Betracht kommt, als bloße
Aktionäre einer Aktiengesellschaft, worin die Anteile am
Profit gleichmäßig pro 100 verteilt werden, und daher
für die verschiednen Kapitalisten sich nur unterscheiden nach
der Größe des von jedem in das Gesamtunternehmen
gesteckten Kapitals, nach seiner verhältnismäßigen
Beteiligung am Gesamtunternehmen, nach der Zahl seiner Aktien"
(MEW 25, 168). Aus dem Ausgleich der Profite zur
Durchschnittsprofitrate folgt, daß sich Waren zu ihren
Werten nur bedingungsweise tauschen, in der Regel aber
Werttransfers stattfinden, Absorption von Mehrwert entsprechend
der unterschiedlichen Korrelation wertmäßiger
Sachkapital-Repräsentanz.
Produktionsmittel und -instrumente sind Produkte vergangener
Arbeit; vergegenständlichte Arbeit nach der Ausdrucksweise
von Marx. Als solche unterliegen sie natürlichem Verschleiß,
müssen periodisch ersetzt oder erneuert werden. Kapitalgüter
sind sie nicht durch ihre materielle Beschaffenheit, sondern durch
die Eigentumsverhältnisse. Als Kapitalgüter tritt ihr
Nutzwert, als Werkzeug oder verlängertes Werkzeug zu dienen,
hinter ihrer Bestimmung, im kapitalistischen Verwertungsprozeß
zu fungieren, zurück. So können sie "abgeschrieben"
werden, ohne tatsächlich ausgemustert und verschrottet zu
sein; oder umgekehrt ausgemustert und verschrottet werden, weil
sie für das Kapital "unrentierlich" geworden sind.
Daraus, daß Produktionsanlagen unrentabel werden, folgt
nicht, daß auch ihr Nutzwert aufgebraucht sei; und
Wertzuwachs für die rentierlichen macht aus diesen keinen
Schöpfer von Wert. Was die Kapitale zu Gewinnern oder
Verlierern in der Akkumulationskonkurrenz macht, ist ihre größere
oder geringere Potenz, transferierten Wert, Mehrwert, zu
absorbieren.
Die von Marx aus der klassischen Ökonomie übernommene,
kritisch weiterentwickelte und ergänzte Begrifflichkeit ist
soviel wert, wie sie zur Erklärung fortschreitender
Destruktivität bei fortbestehender Kapital-Hegemonie taugt.
In Marx hineingehen heißt über Marx hinausgehen. Will
man das orthodoxen Marxismus nennen, so wäre es das Synonym
für ein wissenschaftliches Programm, eines der Erkenntnis in
gesellschaftskritischer und -verändernder Absicht. Es steht
quer zum Aberglauben, so auch dem, daß Maschinerie und
Technologie Wert produzieren. Statt die Analyse weiterzutreiben,
wozu das Verhältnis von technischer und Wertzusammensetzung
des Kapitals einen Anknüpfungspunkt bietet, sind in der Nacht
des Aberglaubens alle Katzen grau. Ganz offenkundig ist es
notwendig, Variablen, die Marx bekannt waren, neu zu gewichten und
durch neu hinzugekommene gegebenenfalls zu ergänzen. Zugleich
gälte es, sich von Fehlinterpretationen und Mißverständnissen
frei zu halten wie dem, daß Gegenstand der Marxschen
Analysen der Konkurrenzkapitalismus gewesen sei. Zur Grundfigur
der Marxschen Argumentation gehört das "vorausgesetzt,
daß...", nicht die Statuierung positiver Behauptungen
aus dogmatischen Voraussetzungen, wessen sich dann der
Marxismus-Leninismus, seit Mitte der zwanziger Jahre unseres
Jahrhunderts, schuldig gemacht hat.
Ich gehe mit Zitaten aus Marx sparsam um, weil solcher Brauch
nur allzu leicht der Bequemlichkeit des Denkens Vorschub leistet.
Zitate beweisen gar nichts; man sollte sich ihrer deshalb auch
nicht als Krücken der Argumentation bedienen, sondern nur
insoweit, wie sie der Richtigstellung bzw. der Aufklärung von
Mißverständnissen dienen. In diesem Sinne noch einmal
Marx: Es "wäre ein Kapitalist, der in seiner
Produktionssphäre gar kein variables Kapital und darum gar
keine Arbeiter anwendete (was in der Tat übertriebne
Unterstellung) ganz ebensosehr an der Exploitation der
Arbeiterklassse durch das Kapital interessiert, und leitete ganz
ebensosehr seinen Profit von unbezahlter Mehrarbeit ab, wie etwa
ein Kapitalist, der (wieder übertriebne Voraussetzung) nur
variables Kapital anwendete, also sein ganzes Kapital in
Arbeitslohn auslegte." Denn es ist "die Werthöhe
des vorgeschoßnen Gesamtkapitals (konstanten und variablen),
die, bei gegebner Größe des Mehrwerts oder Profits der
ganzen Kapitalistenklasse, die Profitrate oder den Profit auf ein
bestimmtes Quantum Kapital bestimmt" (MEW 25, 207f.). Mit
anderen Worten: Umverteilung von Mehrwert, Wertransfer, gehört
zu den Funk- tions- und Existenzbedingungen der kapitalistischen
Produktionsweise. Was bedeutet dieser Befund? Schließlich
hat Marx kein Kompensationsgesetz für das Kapital aus
wachsender organischer Zusammensetzung formuliert, sondern aus
letzterer den tendenziellen Fall der Profitrate abgeleitet.
Organische Zusammensetzung des Kapitals, dieser Kunstausdruck
von Marx, bezieht sich auf das Wechselverhältnis von
vergegenständlichter Arbeit (Maschinerie,
Technologie)/lebendige Arbeit einerseits und deren Wertausdrücke
als konstantes und variables Kapital andererseits. In Marx'
Worten: Zwischen technischer und Wertzusammensetzung besteht enge
Wechselbeziehung. "Um diese auszudrücken, nenne ich die
Wertzusammensetzung des Kapitals, insofern sie durch seine
technische Zusammensetzung bestimmt wird und deren Änderungen
widerspiegelt: die organische Zusammensetzung des Kapitals"
(MEW 23, 640). Wachsende organische Zusammensetzung ist darum auch
nicht, wie es ein Grundmißverständnis will, ein
quantitativer Ausdruck, sondern analytische Kategorie für
eine "Wechselbeziehung". Vollständige Konkurrenz
vorausgesetzt, werden die Kapitale um optimale
Produktionsvoraussetzungen konkurrieren; mit dem Resultat, daß
die organische Zusammensetzung wächst, aber nicht im
Verhältnis von technischer und Wertkomponente zueinander,
weil letztere unter Entwertungsdruck steht. Während sich das
Verhältnis von c zu v zuungunsten von v (beschäftigter
Arbeit) ändert, ändert sich zugleich auch das Verhältnis
von c zu seinem materiellen Substrat, den Produktionsmitteln;
letztere werden wohlfeiler oder ihr Nutzwert steigt, während
sie im Wert fallen. Marx unterstellt diese Konstellation bei der
Analyse der Profitratenbewegung.
Bei uneingeschränkter Mobilität des Kapitals wird
Kapital aus Sektoren höherer organischer Zusammensetzung in
solche niedrigerer Zusammensetzung auswandern, wenn in ersteren
die Profitrate unter den gesellschaftlichen Durchschnitt sinkt.
Ist Anlage suchendes Kapital durch Limitierungen von der Anlage in
bestimmten Produktionssphären höherer organischer
Zusammensetzung ausgeschlossen oder nur beschränkt
zugelassen, so wird, wenn die Zusammensetzung weiter wächst
und also der Anteil lebendiger Arbeit am Gesamtprodukt
entsprechend sinkt, der Anlagewert und Preis des respektiven
Produkts nicht oder jedenfalls nicht in vergleichbarer Proportion
mitsinken. Unter oligopolistischen Bedingungen wird sich die
Wertzusammensetzung von der technischen "emanzipieren",
weil Konzernkonkurrenz Exklusivkonkurenz ist. Es entsteht ein
Surplusprofit, der in den Ausgleich der Profitratenbewegung mit
eingeht und dadurch die gesellschaftliche Durchschnittsprofitrate
erhöht. In der Realität hat man es offenbar mit
Mobilität und eingeschränkter Mobilität zu tun, mit
Surplusprofiten und Erhöhungen der Durchschnittsprofitrate,
die dem Profitratenfall entgegenwirken. Wo der Staat als
Subventionsagentur oder als Käufer von Rüstungsgütern
tätig wird, betätigt er sich als Stabilisator der
Profitrate. Dafür verteilt er Einkommen um, "schöpft"
Kredit und wälzt die Folgekosten inflationär weiter. Es
ist ein Treppenwitz der Weltgeschichte, daß sich die
sozialwissenschafliche Intelligenz in Ost und West des
tauglichsten analytischen Instruments, das uns überliefert
ist, begibt, und das in einem Augenblick, wo durch das Scheitern
der Perestroika Mobilitätsschranken für das Kapital
gefallen sind, so daß sich die von Marx formulierten
Trendgesetze ungehemmter auswirken können als in den
vergangenen fünf bis sechs Jahrzehnten.
Man könnte den Kapitalismus mit einer geologischen
Formation vergleichen, in der ständig tektonische
Verschiebungen stattfinden, kleine und große, auf Basis
eines gegen Veränderung resistenten Urgesteins. Und wie der
Geologe nicht an der Existenz dieses Urgesteins zweifelt, obwohl
es sich nicht unmittelbarer Anschauung gibt, gibt es keinen
vernünftigen Grund, an den Elementarstrukturen einer
Gesellschaftsformation zu zweifeln. Übrigens wäre bloßer
Empirismus auch anderweitig ein schlechter Ratgeber; so bewegt
sich ja die Sonne für die unmittelbare Anschauung noch immer
um die Erde und nicht umgekehrt. Daß man Marx nicht
zugestehen will, was Kopernikus längst zugestanden wurde, ist
begründet im entgegenstehenden Interesse der Bourgeoisie an
der Aufrechterhaltung ihres ptolemäischen Weltbildes von
Gesellschaft, eines von Fressen und Gefressenwerden, von
ökonomischem Darwinismus, den vom Umschlag in den
biologischen, in Faschismus und Rassismus, immer nur ein halber
Schritt trennt.
Kapitalismus-Analyse läßt sich nicht aus
Kapitallogik deduzieren, weil man es im einen Fall mit
Invarianzen, im anderen mit variablen Größen zu tun
hat, die die invariante Grundstruktur modifizieren. So ist der
Fall der Profitrate nicht empiristisch durch Zahlenwerk
verifizierbar, weil die Wertrelationen von den Preisbewegungen
verdeckt werden. Das gilt allgemein und natürlich auch für
die Rate der Kapitalverwertung eines Nationalkapitals, die von
einer Vielzahl von Variablen wert- und preisberichtigt wird
(ungleicher Tausch auf dem Weltmarkt, Monopol,
Staatsinterventionismus, Zoll- und Handelsschranken, Zinssatz,
Währungsparitäten). Die Indizes, die diesbezüglich
wissenschaftlich zu ermitteln sind, beziehen sich auf Geld- und
Preisgrößen. Darauf versteift sich
Wissenschaftspositivismus, dem Dialektisches fremd ist.
Andererseits: wem der Begriff der Profitrate entgleitet, kann
nicht mehr zwischen Wertbildungsprozeß und
Verwertungsindikatoren unterscheiden. Das Anschwellen der
Profitmasse ist kein Gegenindiz für den Profitratenfall. Um
soviel wie die Schicht der Pauperisierten weltweit anschwillt, die
nichts mehr in "Wert" zu setzen haben, nicht einmal ihre
unverkäuflich gewordene Arbeitskraft, um soviel schrumpft die
Expansionspotenz des Kapitals.
(10) Folgt die Bewegung des Zinsfußes im großen und
ganzen noch der der Profitrate - oder steuern heute nicht
umgekehrt Zinsraten und Wechselkurse die Gewinn- und
Verlustrechnung des produktiv investierten Kapitals? Im Fall der
zentralisiertesten großen Konzernkapitale ist deren
organische Zusammensetzung so angewachsen, daß die eigene
Mehrwertrate gegen Null tendiert. Die relative Stärke der auf
dem Weltmarkt konkurrierenden Konzernkapitale beruht auf ihrer
Potenz, umverteilten Mehrwert zu absorbieren, der Höhe der
Eigenkapitalbildung und/bzw. nationalstaatlicher Alimentierung und
ihrer Kapazität, am globalen Lohngefälle zu
partizipieren (Verlagerung der Mehrwertproduktion aus den
Metropolen).
Das Staatspapier steht zur Aktie im Verhältnis
privilegierter Konkurrenz. Mit dem Staat als Bürgen, festen
Laufzeiten und fixierten Erträgen bietet es sich auch
Kleinanlegern als Anlageform von Kapital (Ersparnissen) an.
Zugleich steht es auf dem Kapitalmarkt mit anderen Anlageformen in
Verwertungskonkurrenz, so daß die staatliche Kreditnachfrage
entsprechend Höhe und Dringlichkeit als Parameter in den
gebotenen Preis (Zinssatz) mit eingeht.
Das Schuldverschreibungswesen des Staates hat eine
Geldakkumulation in Gang gesetzt, zu der reale Kapitalakkumulation
in einem kontingenten Verhältnis steht. Um profitabel zu
sein, muß der Ertrag aus produktiv investierten Mitteln die
Gewinnmarge aus Staatspapieren um einen Betrag übersteigen,
den sich der Investor als Risikoprämie gutschreiben kann. In
dem Maße, in dem sich staatliche Kreditaufnahme und
allgemeine Sparrate aufeinander zubewegen, übernimmt der
Staat die Kapitalisierung des Geldvermögens. Es versteht
sich, daß die Milliarden, inzwischen Billionen DM oder
Dollar, die in der Statistik doppelt geführt werden, als
Staatsverschuldung und als Sparvermögen, real nur einmal in
monetärer Repräsentanz existent sind. Finanzspekulation
- wovon man heute häufig als von Realakkumulation
abgekoppelter Geldakkumulation spricht - hat die Gesamtheit
staatlicher Aktivitäten zur Voraussetzung, die Vermögen
gegenüber Vermögenslosigkeit bevorteilen.
1994
(11) Wenn man den Bedingungszusammenhängen
von Kapitalverwertung heute nachfragt, hat man es mit dem
Kapitalbegriff in seiner entwickelsten Form , dem von Marx, und
der spezifischen Gestalt des Gegenwartskapitalismus zu tun. Es
gehört zu den zeitgeistigen Paradoxien, daß, wer die
Kategorien von Marx aufnimmt, um damit zu arbeiten, des
Ökonomismus geziehen wird, andererseits aber der völlig
leeren, weil folgenlosen Höflichkeitsverbeugungen vor dem
Namen Marx kein Ende ist.
Staatsinterventionistische Praktiken verteilen das Wertprodukt
um und führen zu Privilegierungen in der Wertproduktion, etwa
wenn Großkonzerne staatlich bzw. durch supranationale
Institutionen wie die EU alimentiert werden. Was daraus folgt ist,
daß es unverdiente Gewinner und neue Verlierer im
Kapitalverwertungsgeschäft gibt, nicht aber daß die von
Marx formulierten Tendenzgesetze außer Geltung gekommen
seien.
Notwendig wäre, einmal die Verwertungskalamitäten
global und spezifiziert nach Kontinenten und Nationen
durchzurechnen. Marktschrumpfung hier, Markterweiterung dort -
aber selbst für den Fall, daß beides sich die Waage
hielte, für neue überzyklische Akkumulation reichte es
nicht. Ein solcher Überzyklus setzte eine wachsende
Profitmasse proportional zum schon akkumulierten Kapital voraus,
wogegen nicht nur das erreichte Niveau der organischen
Zusammensetzung spricht, sondern auch, daß der Erhöhung
der Ausbeutungsrate in den Peripherieländern (in Süd und
Ost) relativ enge Grenzen gezogen sind, ökonomisch vor allem
durch den Mehrwerttransfer in die Metropolen, wodurch es gar nicht
erst zur Ausbildung binnenwertschaftlicher (kapitalistischer)
Strukturen vor Ort kommen kann. Wie prekär es um die
Verwertungsbedingungen allgemein bestellt ist, wird auch dadurch
illustriert, daß selbst große Unternehmen in die
Verlustzone geraten; oder daß Unternehmensentscheidungen
heute schon kurzfristig durch Schwankungen der Devisenkurse
bestimmt werden. Es gibt also einen Zusammenhang zwischen Skala
der Produktion und vermehrter Krisenanfälligkeit, weil eine
kleiner werdende Gewinnmarge durch erweiterten Absatz kompensiert
und überkompensiert werden muß, was den Schritt vom
Riesengewinn zum Verlust verkürzt.
Was bedeutet der Profittransfer aus den peripheren Ökonomien
in die Metropolen für die Verwertungsproblematik? Sieht man
einmal von Währungsdisparitäten und daran geknüpfte
Devisenspekulationen ab, so hat man es mit Transfers aus
Kapitalbeteiligungen und/oder aus investiertem metropolitanen
Anlagekapital insbesondere der multinational operierenden Konzerne
zu tun. Im einen wie im anderen Fall resultiert eine Vergrößerung
der Profitmasse in den Metropolen, wo sie je nachdem der Revenue
oder aber einem produktiv fungierenden Kapital zugeschlagen wird.
Der der Revenue zugeschlagene Teil des transferierten Mehrwerts
wird auf dem Kapitalmarkt in Finanztiteln angelegt und dient dem
Luxuskonsum der metropolitanen Bourgeoisie. Der produktiver
Verwendung zugeführte Teil dient der Stärkung von
Konzernmacht im Konkurrenzkampf der Giganten und treibt die
organische Zusammensetzung des Metropolenkapitals mit weiter
voran. Wenn man von Währungsdisparitäten spricht, hat
man dabei an Kapitalbewegungen aus Ländern mit schwacher
Währung/unsicheren politischen Verhältnissen in Länder
mit "starker" Währung zu denken; Beispiel: der
Kompradorenbourgeois, der aus seiner nationalen Währung in
den Dollar, die DM oder den Schweizer Franken wechselt. Und
umgekehrte Bewegungen aus der "starken" in die schwache
Währung; Beispiel: der Konzern, der Hochinflation nutzt, um
Bergwerke, Immobilien, Anlagen zu Spottpreisen in
Schwachwährungsgebieten zu erwerben. In beiden Fällen
resultiert Stärkung des metropolitanen Kapitals zuungunsten
der Peripherie auf Grundlage der Währungsdisparitäten.
Für die Verwertungsproblematik ergibt sich daraus, daß
der transferierte Profit Einkommen und Beschäftigung in den
Metropolen vermehrt, soweit er der Konsumgüterindustrie für
gehobene bzw. Luxusgüter zugeführt wird; daß er
die Masse spekulativen Kapitals durch Anlage in Finanztiteln
vergrößert; daß er Beschäftigung und
Einkommen mindert, soweit er produktiv durch
Rationalisierungsinvestitionen konsumiert wird.
Kapitalinvestition in den Peripherieländern schafft dort
Inseln von Beschäftigung und minderem Lohneinkommen, das für
Subsistenzmittel und Billigimporte aus den Industrieländern
ausgegeben wird. Märkte von Billigwaren, auf denen die
Kapitale der sogenannten Schwellenländer am ehesten
mitkonkurrieren können, verschärfen die Konkurrenz auf
dem Weltmarkt und dadurch den Zwang zur Rationalisierung weltweit.
Erweiterungen des Handelsvolumens mit den Metropolen führen
in den Peripherieökonomien zur Stärkung der
Kompradorenbourgeoisie, die direkt und mittelbar an der Ausbeutung
und den Transfersprozessen partizipiert. Da sie mit
zahlungsfähiger Nachfrage für Luxuswaren aus den
Metropolen auf dem Weltmarkt erscheint, trägt das zur
Illusion riesiger unerschlossener Zukunftsmärkte bei.
Die auf den Finanzmärkten bewegten monetären Titel
haben ihr Substrat an der Spekulation auf Zukunftsmärkte, und
zwar unabhängig davon, ob es den einzelnen Teilnehmern am
Finanzgeschäft bewußt ist oder nicht. Überakkumuliertes
Kapital fahndet nach profitablen Anlagemöglichkeiten und
findet, statt der ersehnten Goldadern, doch nur Spurenelemente
davon.
Bürgerliches Bewußtsein, das sich dem Verständnis
des Akkumulationsprozesses verweigert, weil es sonst dessen
immanente Grenze zugeben müßte, drückt sich dafür
in Mystifikationen aus. In Bezug auf das Bevölkerungsproblem
schreibt Henryk Grossmann (in: "Das Akkumulations- und
Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems", 1929):
"Nicht die Furcht vor Übervölkerung, sondern
umgekehrt vor Unterbevölkerung ist für die heutige
bürgerliche Nationalökonomie charakteristisch.
Zahlreiche Gelehrte befassen sich mit der Frage, wieviele Menschen
nach dem heutigen Stand der Technik auf der Erde noch Platz finden
könnten. So z.B. E.G. Ravenstein (1891), v. Fircks (1898), K.
Ballod (1912), Losch (1923), Penck (1924) und andere, die zu dem
Ergebnis einer Höchstzahl von sechs bis acht Milliarden
Erdbewohner gelangen. Dies nach dem heutigen Stande unserer
technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten. Was für
Reichtümer, welche Profite könnten da herausgeschlagen
werden! Aber leider ist diese Bevölkerung nicht da, und der
Kapitalismus hat kaum ein Drittel der genannten Zahl, kaum 1,9
Milliarden Erdbewohner zur Verfügung." (S. 382f.)
"Beides - Übervölkerung wie Arbeitermangel - sind
nur Funktionen der verschiedenen Stufen der Kapitalakkumulation."
(S. 415) Nach einer Schätzung für 1994 bewegt sich die
Weltbevölkerung auf 5,5 Milliarden zu ("Der Fischer
Weltalmanach 1995", Spalte 1071/72).
Unter dem "Zusammenbruch" des Kapitalismus ist eben
dies zu verstehen: die Überzähligmachung der
Bevölkerung. Der Fall ist gegeben, wenn die Profitmasse trotz
ihrer enormen Größe nicht groß genug ist, um die
Abpressung von Mehrarbeit profitabel erscheinen zu lassen, so daß
das Motiv zu produktiver Konsumtion von Mehrwert erlischt. Zu den
Konsequenzen gehören Marktschrumpfung und Verfall produktiver
Potenzen, unabhängig von ihrem Nutz- oder Gebrauchswert -
gerade so, wie wir es heute in Verbindung mit dem Zusammenbruch
des "Realsozialismus" erleben. Weil kapitalistische
Produktion Produktion für den Tauschwert ist, verfällt
sie, sobald es an Ansporn zur Vermehrung der Tauschwertmasse
gebricht.
Begriffe wie 'Entwicklung' und 'Unterentwicklung' taugen nicht
zur analytischen Durchdringung und Darstellung des
Akkumulationsprozesses und der ihm innewohnenden Abbruchs-
(Zusammenbruchs-) Tendenzen. Die Redeweise von entwickelten,
unterentwickelten und weniger entwickelten Ländern an der
"Schwelle" ist ideologisch, weil darin ein
Evolutionsmodell normativ für Kapitalakkumulation unterstellt
ist. Tatsächlich stellt sich der Akkumulationsprozeß
aber im Verhältnis zu den nationalen/regionalen Ökonomien
als ein fortschreitender Verflechtungszusammenhang dar, der nicht
die Ungleichzeitigkeiten aufhebt, sondern weitertransportiert und
modifiziert. Die nachholende Industrialisierung Deutschlands und
der USA im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gegenüber
England ist deshalb kein Modell für Brasilien, Mexiko oder
Indien heute.
Die nationale Kapitalbildung ist ausschlaggebend für die
Stellung, die die Länder, die nicht zu den alten
kapitalistischen Mächten gehören, auf dem Weltmarkt
einnehmen. Eigenständige Kapitalbildung ist die
Voraussetzung, um an der Mehrwertübertragung zu
partizipieren, wie sie aus den Ausgleichsbewegungen zur
Durchschnittsprofitrate folgt. Das Kapital höherer
organischer Zusammensetzung absorbiert Mehrwert des niedriger
zusammengesetzten, weil sich die Profitrate nach dem eingesetzten
Gesamtkapital (Technologie, Maschinerie und Arbeitskraft) bemißt.
Einigen wenigen Ländern, vor allem Ostasiens, ist unter
sehr unterschiedlichen Voraussetzungen eine eigene nationale
Kapitalbildung gelungen. Dadurch hat sich der Weltmarkt für
Waren und Kapitalgüter vergrößert; aber auch die
weltweite Verdrängungskonkurrenz. Ohne nationale
Eigenkapitalbildung keine Partizipation an den Werttransfers.
Mexiko - neuerlich - und Argentinien können als Beispiele für
mißlingende Eigenkapitalbildung gelten. "In der
Geschichte des Kapitalismus gibt es sowohl Beispiele für das
Gelingen 'verspäteter' Industrialisierungsschübe als
auch für den Niedergang hoffnungsvoller Entwicklungsansätze.
Stellvertretend für solch entgegengesetzte Entwicklungen
stehen Argentinien und Japan. Noch in den 20er Jahren dieses
Jahrhunderts stand das Pro-Kopf-Einkommen der Argentinier an
achter Stelle aller Staaten und hatte beste Aussichten in die
heutige Gruppe der sieben führenden Imperialisten (G 7 -
Staaten) vorzustoßen. Anfang der 90er Jahre war Argentinien
auf Platz 84 abgerutscht. Das Land war quasi ein Opfer seiner
Reichtümer geworden, die es vor dem Zugriff ausländischen
Kapitals nicht zu schützen und für die eigene
Entwicklung nicht zu nutzen vermocht hatte, und seiner eigenen
Herrschercliquen, die daran kein Interesse zeigten. Mit seinen
Vorräten an Erdgas, Erdöl, Eisenerz, Mangan,
Edelmetallen und seinen fruchtbaren Böden zog Argentinien
ausländisches Kapital an wie das Licht die Motten. Die damals
eingeleitete Industrialisierung konnte jedoch die ruinöse
Weltwirtschaftskrise nicht verdauen, und fortan interessierte sich
das ausländische Kapital nur noch für das Abräumen
der Schätze" (Thomas Ebermann/Rainer Trampert: "Die
Offenbarung der Propheten", Hamburg 1995, 61).
Die Volksrepublik China erweist sich als Sonderfall durch ein
gemischtes Wirtschaftssystem mit eingelagerten
staatskapitalistischen Strukturen. Vermutlich sind die
staatskapitalistischen Elemente die Klammer, ohne die China in
Provinzen unterschiedlicher ökonomischer Niveaus und
schließlich als politische Einheit zerfallen würde. Die
Nötigung zum Ausgleich ökonomischer (und sozialer)
Ungleichgewichte und zu eigener Kapitalbildung trägt zur
politischen Stabilität bei, die den chinesischen Markt für
das Metropolenkapital attraktiv macht; zugleich sind es dieselben
Faktoren, die das Gerede vom gewaltigsten Anlage- und Absatzmarkt
für das überakkumulierte metropolitane Kapital in das
Reich der Fabel verweisen. Darüber, daß sich der
kapitalistische Weltmarkt nicht automatisch durch
Anlageinvestitionen in aller Welt erweitert, haben sich in den
letzten Jahren schon einige Großkonzerne belehren lassen
müssen. Man hat Produktionskapazitäten an Standorten
ohne entsprechende Marktgrößen geschaffen und ist
gezwungen, Kapazitäten zurückzubauen oder eben besetzte
Standorte wieder aufzugeben.
Der kapitalistische Weltmarkt teilt die Nationen in Kapital
exportierende und Kapital importierende mit den dazugehörenden
positiven und negativen Bilanzen aus der Wertübertragung. Je
geringer das Niveau von Eigenkapitalbildung, um so größer
Abhängigkeit, Armut und Verelendung. Und umgekehrt: je höher
dieses Niveau, um so größer der Anteil an
Kapitalexport, Ausbeutung und imperialistischem Raub. Daß
sich die Räuber quer zu Nationen und Kontinenten zur
Interessengemeinschaft zusammengefunden haben, modifiziert den
Begriff des Imperialismus, ändert aber nichts daran, daß
sich die Geschäftsteilnehmer den auf sie entfallenden
Mehrwert- und Profitanteil auf ihren speziellen Konten
gutschreiben.
Das Schicksal des Kapitalverwertungsprozesses hängt unter
gegebenen Bedingungen und Voraussetzungen von einer Reihe von
Faktoren ab, die sich etwa wie folgt benennen lassen:
1. von der Geschwindigkeit, mit der sich
Rationalisierungstechnologien in Produktion, Distribution und im
formellen Dienstleistungssektor durchsetzen;
2. von der Aufnahmefähigkeit der metropolitanen Märkte;
3. von den Möglichkeiten und Grenzen des Werttransfers aus
den peripheren und semiperipheren Ökonomien in die
Metropolen.
Es ist bekannt, welche entscheidende gesellschaftsverändernde
Rolle Marx den Produktivkräften zugemessen hat. Ich erinnere
nur an die bekannte Formulierung aus dem "Vorwort" von
"Zur Kritik der politischen Ökonomie", der Schrift
von 1859: "Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor
alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit
genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse
treten nie an die Stelle, bevor die materiellen
Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten
Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind." Weil für
Marx im Begriff des Maschinenwesens der der Automation mitgesetzt
war, konnte er in den "Grundrissen", dem sogenannten
Rohentwurf des "Kapital" von 1857/58 antezipieren: "In
dem Maße aber, wie die große Industrie sich
entwickelt, wird die Schöpfung des wirklichen Reichtums
abhängig weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum
angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während
der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden... Die Arbeit erscheint
nicht mehr so sehr als in den Produktionsprozeß
eingeschlossen, als sich der Mensch vielmehr als Wächter und
Regulator zum Produktionsprozeß selbst verhält... Er
tritt neben den Produktionsprozeß, statt sein Hauptagent zu
sein. In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit,
die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet,
sondern die Aneignung seiner eignen allgemeinen Produktivkraft,
sein Verständnis der Natur und die Entwicklung des
gesellschaftlichen Individuums, die als der große
Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint. Der
Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum
beruht (Hervorh. v. Marx),
erscheint miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch
die große Industrie selbst geschaffne" (zitiert nach
der Erstausgabe, Berlin 1953, 592f.).
Die technologischen Antezipationen von Marx haben sich
inzwischen erfüllt, wenn auch auf andere Weise, als Marx es
sich vorstellen konnte, und ohne Vergesellschaftung der
Innovationspotentiale. Die kybernetische Schlüsselrevolution
hatte die mit Krieg und Hochrüstung verbundene Zentralisation
von Kapital zur Voraussetzung. Und in nichtkriegerischer Anwendung
und Nutzung gebietet kein Gesellschaftskörper, keine
Assoziation der Emanzipierten über die kybernetisch
freigesetzten Steuerungs- und Regelungskapazitäten. Die
Mittel und Möglichkeiten sind da, um Reproduktion und
Verkehrsformen auf die menschenwürdigste Weise zu regeln; in
Gestalt des Computers und der Informationstechnologien sogar der
Mittler, Bedarf und Bedürfnis unmittelbar zur Produktion in
Beziehung zu setzen, d.h. ohne Dazwischenkunft von realem oder
fiktivem Geld.
Der Gebrauchswert der neuen Technologien besteht unabhängig
von der gesellschaftlichen Formbestimmtheit - also ob
kapitalistisch oder nicht - in Rationalisierung. Unter
kapitalistischen Verhältnissen bedeutet das Erhöhung der
Profitabilität für das Kapital, solange die Ersetzung
lebendiger Arbeit durch vergegenständlichte durch eine
erhöhte Mehrwertrate kompensiert werden kann.
Bezogen auf den Diskussionsstand der 60er Jahre und die
Auseinandersetzung mit Keynesianern und Linkskeynesianern heißt
es bei Paul Mattick in "Marx und Keynes" (Frankf.a.M.
1971, 205) zur Kalamität des Kapitals, mit wachsender
organischer Zusammensetzung die Quelle allen Mehrwerts zu
untergraben: "Angesichts des gegenwärtigen
Automatisierungstrends wird allgemein anerkannt, daß die
wachsende Diskrepanz zwischen Arbeit und Kapital zu einem Punkt
tendiert, an dem die weitere Expansion des Kapitals durch
Ausbeutung von Arbeit unmöglich wäre. Das bedeutet, daß
Marx' Akkumulationstheorie unbewußt akzeptiert wird, wenn
auch nur, weil diese Vorstellung in nicht-marxistischen Begriffen
vorgetragen wird. Anstatt den schließlichen Zusammenbruch
des Kapitalismus aus der wachsenden 'Arbeitsproduktivität'
abzuleiten, die nur ein anderer Ausdruck für die
Kapitalakkumulation ist, leiten die 'umgekehrten Marxisten' ihn
von der wachsenden 'Kapitalproduktivität' und ihrer Tendenz
ab, die Arbeit zu verdrängen. In jedem Fall kommt das System
der Kapitalproduktion durch Ausbeutung von Arbeit zu einem Ende.
Da wachsende Arbeitsproduktivität die wachsende
Kapitalproduktivität impliziert, ist das Ende des
Kapitalismus auf dem Wege der Automation mit seinem Ende infolge
eines Mangels an Mehrwert identisch."
Konnte Mattick vor ca. 30 Jahren im Anschluß an dieses
Zitat noch konstatieren: "die Automation ist im Verhältnis
zum Weltkapitalismus bisher nicht mehr als eine exotische Ausnahme
innerhalb einer ziemlich stagnierenden Technologie", so hat
sich die Situation inzwischen grundlegend geändert.
Thomas Ebermann und Rainer Trampert, die sich außer auf
Marx auf Mattick in ihren Analysen stützen, haben sich in
ihrer Polemik gegen Robert Kurz und dessen Simplifikationen vom
Ende der warenproduzierenden Gesellschaft - mit den "Propheten"
im Titel ihres Buches ist vor allem Kurz gemeint - leider dazu
verleiten lassen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Sie
räumen noch ein: "Zwar bietet heute der hohe
Automationsgrad in den reichen Industrieregionen eine analytisch
faßbare Größe für die Prognose, daß
die Menschenmassen zumindest in traditionellen
Lohnarbeitsverhältnissen nicht mehr integrierbar seien",
fahren aber fort: "gleichwohl weiß niemand, ob die
außerhalb eines vergleichbaren Automationsschubs
entstandenen Arbeitslosenheere der 30er Jahre ohne Weltkrieg
jemals wieder in Lohn und Brot gekommen wären. Wir stehen
also kaum vor einem grundsätzlich neuen oder gar erstmaligen
Problem der kapitalistischen Produktionsverhältnisse"
(63). Und: "Wenn das Massenbewußtsein keine befreiende
Gesellschaft für sich will..., kann es selbst nach einem
Zusammenbruch des kapitalistischen Wertsystems nur eines geben:
Kapitalismus, und zwar auferstanden aus den Ruinen, so wie er nach
dem Zweiten Weltkrieg...auferstanden ist" (64). Plausibel ist
an dieser Argumentation nur, daß Vernichtung der für
die Mehrwertproduktion nicht mehr benötigten Menschen die für
das Kapital rationellste Lösung wäre. Im übrigen
hat man im sogenannten linken Spektrum zu Kompromißbildungen
und Leerformeln gefunden wie "Postfordismus" und den
"neuen Produktivkrafttyp", um sich nicht den
Konsequenzen stellen zu müssen, die aus den
Rationalisierungstechnologien für den
Kapitalverwertungsprozeß folgen.
Die kybernetische Innovation unterscheidet sich von allen
älteren Techniken und Technologien durch ihre
Anwendungsbreite. Man wird sie nach Anwendungsfeldern in ihren
besonderen Erscheinungen zu spezifizieren haben und jeweils danach
fragen müssen, was das für den Verwertungszusammenhang -
und aufs engste damit verbunden: stofflich, für die
Gesellschaft und das Naturverhältnis bedeutet. So viele
Anwendungsfelder, so viele neue Technologien - das ist sachlich
falsch, verstärkt dafür aber erwünschten Schein, um
dem Kapitalismus unerschöpfliche Innovationsfähigkeit
anzudichten.
Datenverarbeitung in ihren vielfältigen Anwendungen dient
der Produktion und Vergrößerung relativen Mehrwerts.
Sie findet Eingang in Maschinenlauf und -konstruktion, in
Arbeitsablauf und -organisation. Was sich dabei herausbildet, ist
ein neues Mischungsverhältnis herkömmlicher und neuer
Komponenten, aber kein neuer Produktivkrafttyp. Ein modernisiertes
Instrumentarium der Mehrwertabpressung geht, sobald es sich
verallgemeinert hat und das heißt aufhört, einzelnen
Kapitalen Verwertungsvorsprünge im Konkurrenzkampf zu
sichern, in den allgemeinen Bedingungszusammenhang von
Kapitalverwertung mit ein. Als Rationalisierungstechnologie
ersetzt die Neuerung lebendige Arbeit und mindert um so viel, wie
sich die organische Zusammensetzung des Kapitals dadurch erhöht,
die Mehrwertrate, was nur durch Wert- und Mehrwertübertragung
zeitweilig kompensiert (und überkompensiert) werden kann.
Informations- und Kommunikationstechnologien werden als
infrastrukturelle Systemtechnik in großem Stil vermarktet,
vor allem in Verbindung mit herkömmlichen Netzwerken und
deren Trägern wie im Verkehrswesen und in der
Nachrichtenübermittlung. Infrastrukturelle Anlagen und deren
Elemente finden ihren "natürlichen" Interessenten
und Abnehmer im Staat. Das ist in der Regel auch der Rahmen,
innerhalb dessen Geschäfte des metropolitanen Kapitals mit
Drittländern getätigt werden. Die Größenordnung
dieser Geschäfte ist durch die Enge der Märkte außerhalb
der Metropolen und durch die Höhe der Staatsverschuldung auf
seiten von Kreditnehmer- und -geberländern limitiert. Auf dem
inneren Markt wird Infrastruktur rücksichtslos dem
Verwertungsinteresse der High-Tech-Kapitale untergeordnet.
Es liegt im Wesen der neuen Produktionstechnologien, ihre
Produkte durch Varietäten zu bereichern, womit einem
Bedürfnis nach Pseudoindividualisierung durch Konsum,
insbesondere für Güter des gehobenen und Luxuskonsums,
gedient ist. Aus fertigungstechnischen Neuerungen ergeben sich
arbeitsorganisatorische Veränderungen. Ein Ende der
Massenproduktion ist dadurch nicht eingeläutet worden und
auch nicht der Fließbandfertigung. In der Gruppenarbeit
findet die industrielle Disziplinierung durch das Kapital als
Selbstdisziplinierung der Lohnarbeiter und Lohnarbeiterinnen ihre
Vollendung. Und Flexibilisierung der Arbeitszeit heißt
nicht, daß den Arbeitenden die Verfügungsmacht über
ihr Zeitbudget zugestanden würde, sondern daß ihr
Zeitbudget der Verfügungsgewalt des Kapitals so total
unterworfen wird wie noch nie.
Fordismus und Postfordismus sind Unbegriffe, weil sie in keiner
Weise geeignet sind, der Komplexität der Prozesse Rechnung zu
tragen. Zunächst assoziiert Fordismus ja das warenförmige
Produkt, das mit der Person des Namenspatrons verbunden ist.
Dahinter steht die Banalität, daß Kapitalakkumulation
Warenproduktion zur Voraussetzung hat, die an tatsächlich
existierende Bedürfnisse anknüpft; im Falle des
Automobils war es das nach Mobilität. High-Tech knüpft
nicht an existierende Bedürfnisse an - wenn man einmal von
kriegsbedingten Interessen, dem Manhattan-Projekt und dem
unersättlichen Bedarf der Staaten nach immer raffinierteren
Tötungswerkzeugen und -instrumenten absieht -, sondern muß
sich einen Markt für seine Produkte schaffen. Bis hin zu der
verzweifelten Anstrengung, Information als solche als Wert zu
kreieren, sei sie auch noch so nichtig, gleichermaßen für
individuelle wie gesellschaftliche Belange. Und der immer lauter
erschallende Ruf nach Innovation meint vor allem
Produktinnovation, weil Kapitalverwertung die Vermehrung der
Tauschwertmasse in Gestalt vergrößerter Warenberge zur
Voraussetzung hat. Die Verbeugung vor dem Fetisch Innovation nimmt
groteske Züge an, wenn Manager dafür verklagt werden,
daß sie ihre Managementpflichten im
Rationalisierungswettbewerb und bei der Produktinnovation versäumt
hätten.
Der metropolitane Staat tut, was er kann, um den
High-Tech-Kapitalen dienstbar zu sein. Dazu gehört die
Digitalisierung des Bildungswesens, was auf dessen virtuelle
Abschaffung hinausläuft. Weil der Kleinvermarktung
elektronischer Kreationen Grenzen gesetzt sind, bedient der Staat
das Kapital, indem er Infrastruktur verscherbelt. Anbieter und
Abnehmer von Systemtechnik werden dadurch miteinander vertrustet.
Privatisierung von Infrastruktur und zunehmende
Staatsverschuldung, wobei für den kapitalistischen Staat das
eine als Begründung für das andere herhalten muß,
stehen beide in ursächlichem Zusammenhang mit der
Akkumulationsschwäche des Kapitals.
Die gegenwärtige Zwischenkonjunktur ist eine
Exportkonjunktur, abgestützt durch das "fordistische"
Produkt Automobil. Daß die Automobilisierung der
Weltgesellschaft der Menschheit den Klimatod bringen dürfte,
hat für das Kapital bis zur letztmöglichen
Profitrechnung keinen Schrecken. Wenn ausgerechnet der
Automobilbau mit der beschönigenden Phrase vom
Produktivkrafttyp bedacht wird, ist das in Anbetracht des Produkts
makaber. Umwelttechnologien geben mit der einen Hand, was sie mit
der anderen in Gestalt höherer Preise und Gebühren, etwa
für Wasser, Abwasser, Abfallbeseitigung, nehmen. Sie erhöhen
die Zahl der Arbeitsplätze und die der Exmittierungen, weil
sie Einkommen schmälern durch Teuerung, was sich für die
am unteren Ende der gesell- schaftlichen Pyramide verheerend
auswirkt. Die kapitalistische Waren- und Wegwerfgesellschaft
hinterläßt eine schlimme Hypothek, die Ökoreparatur
notwendig macht; ein Grund, sie zur Zukunftsbranche hochzuloben,
ist das nicht.
Akkumulation von Kapital ist Zuschlag von Mehrwert zu einem
gegebenen Kapital und stellt sich dar in einer Vergrößerung
des Produktionsapparates. Andernfalls handelt es sich nicht um
Akkumulation, sondern um Schatzbildung oder um Aufschatzung
spekulativer Titel. Die Ausdehnung in der Stufenleiter
großtechnischer Produktionen liegt so unmittelbar im
Akkumulationsinteresse des Kapitals. Auf die großtechnologisch
engagierten Kapitale konzentriert sich auch die Förderpraxis
des Staates in ihren vielfältigen Formen, direkten und
indirekten, von den Aufwendungen für Wissenschaft und
Forschung bis zur Direktsubvention. Fragt man nach den Ursachen,
die dafür maßgebend sind, daß sich die
Geschwindigkeit, mit der sich Rationalisierungstechnologien
durchsetzen, so beschleunigt hat, wird man als erstes an die
Verschärfung der Konzernkonkurrenz, insbesondere nach Öffnung
der Ostmärkte, zu denken haben, als zweites an die
Verwohlfeilerung der Produktions- und Produktkomponenten. Der
Wertteil, der auf das einzelne Warenprodukt übertragen wird,
ist mit fortschreitender Rationalisierung immer kleiner geworden.
Daraus ergibt sich der Zwang zur Vergrößerung des
Produktionsvolumens und zur Ausdehnung der Märkte. Die Großen
geben den Preisdruck, dem sie selbst in der Weltmarktkonkurrenz
ausgesetzt sind, an die Kleinen, die Zulieferindustrien, weiter,
womit zugleich die Nötigung zu fortschreitender
Rationalisierung weitergegeben wird. In den Nationen, die relativ
spät zu Eigenkapitalbildung und Industrialisierung gefunden
haben, werden ganze Stufen technologischer Entwicklung
übersprungen. Das Kapital in diesen Ländern muß,
um auf dem Weltmarkt mitkonkurrieren zu können, an die
letzten technologischen Standards anknüpfen. Dabei ist es
häufig in der Lage, ein niedrigeres Lohnniveau als
Kostenvorteil für sich ausspielen zu können. Zur Zeit
deutet nichts auf eine Abschwächung des Tempos hin, mit dem
sich Rationalisierungstechnologien in Produktion, Distribution und
Dienstleistung durchsetzen.
Das Kapital vermehrt sich nicht durch Produktvermarktung,
sondern durch Zuschlag von Mehrwert zum Kapitalstock. Der
Realisierung von Wert und Mehrwert durch Warenverkauf auf dem
Markt geht die Produktion von Mehrwert durch Aneignung von
Mehrarbeit vorauf. Unabhängig davon, wie sich Arbeit für
die Reproduktionskosten und Mehrwert, der den Anwendern der
Arbeitskraft zufällt, teilen: sinkt der Anteil lebendiger
Arbeit am Wertprodukt absolut, vermindert sich relativ dazu auch
der Mehrwert. Überlagert wird dieser Grundvorgang durch die
verschiedenen Formen des Werttransfers und konjunkturelle
Faktoren. Hier ist insbesondere an Markterweiterungen zu denken,
die eine Ausdehnung des Produktionsvolumens gestatten, wodurch der
schwindende Mehrwertanteil am Wertprodukt durch erhöhten
Absatz kompensiert wird. Illustriert wird das durch die sogenannte
Wiedervereinigungskonjunktur in Deutschland und im globalen
Maßstab an den In-Wert-Setzungsprozessen in den Ländern
des Ostens und Südens durch kapitalistische Kolonisierung.
Kapitalistische Kolonisierung ist von nationaler Kapitalbildung zu
unterscheiden. Treten bei nationaler Kapitalbildung die
Mehrwertproduzenten der verschiedenen industriekapitalistischen
Sektoren miteinander in Verkehr, so handelt es sich bei
kapitalistischer Kolonisierung um die Verschleuderung und den
Ausverkauf von Werten seitens der Kolonisierten zugunsten von
Waren- und Kapitalgüterimporten aus dem Metropolengürtel.
Was daraus folgt, sind zeitweilige Extraprofite für die
beteiligten Großkonzerne, Handelsketten und Kreditinstitute,
die Illusion einer auf Dauer gestellten Exportkonjunktur,
verschärfte Absatzkonkurrenz, schließlich
Marktsättigung und Marktschrumpfung, weil kapitalistische
Kolonisierung die Chance zu nationaler Kapitalbildung - Bedingung
sogenannten selbsttragenden Aufschwungs - untergräbt.
Die Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals, die ihre Basis in
einer schrumpfenden Mehrwertproduktion haben, manifestieren sich
in relativ schrumpfenden Märkten und einer Überakkumulation
von Kapital. Überakkumuliertes Kapital ist solches, das
keiner produktiven Verwendung zugeführt wird, weil der
Ertrag, würde es produktiv angewandt, unterhalb der Schwelle
durchschnittlicher Profiterwartung bliebe. Die manifesteste Form
von Überakkumulation sind unausgelastete Kapazitäten.
"Im Kapitalismus hört die Produktion von Gebrauchswerten
auf, wann und wo immer sie nicht als Tauschwerte fungieren können"
(Mattick, S. 201). Die staatlich aufgekauften Warenberge sind ein
Fall von Subvention, in der Regel zum Ausgleich von Disparitäten
in der Wertproduktion. Weiter wird man bei Überakkumulation
an das Fluchtkapital zu denken haben, das in die
Immobilienspekulation ausweicht oder in das festverzinsliche
Wertpapier. Dagegen sind auf künftige Profitabilität
gezogene Wechsel, wie sie sich u.a. in Kursnotierungen an der
Börse ausdrücken, kein oder durch Hyperspekulation nur
bedingt überakkumuliertes Kapital.
Reformalternative träumen von einem regulierten
Kapitalismus, dessen Möglichkeit für sie nicht in Frage
steht, ob nun als Aushilfs- oder endgültigem Bescheid. Der
Idee eines regulierten Kapitalismus hat der
sozialwissenschaftliche Diskurs auf vielfältige Weise
Vorschub geleistet. Immer läuft es dabei auf Verabsolutierung
und Vereinseitigung hinaus, was die Rolle des Staates und/oder die
Nachfrageseite für die Kapitalakkumulation betrifft.
Tatsächlich werden aber variable Größen nicht zu
Invarianten, solange Kapitalverwertung die Invariante ist. Was für
das Kapital unverträglich ist, ist es auch für den Staat
als dessen Kostgänger. Der Begriff des staatsmonopolistischen
Kapitalismus war und bleibt insofern irreführend, als er
zusammenwirft, was nach dienender und dominierender Funktion
unterschieden ist. Der "keynesianische" Staat hat den
Klassenantagonismus auf Zeit und für eine ganze Epoche
pazifiziert, nicht weil er den Kapitalismus reguliert hätte,
sondern weil er durch Ausweitung des Kreditrahmens
Kapitalexpansion und -akkumulation beschleunigt hat. Damit verband
sich Vollbeschäftigung und insofern eine Stärkung der
Position der Lohnarbeit gegenüber dem Kapital. Sichtbarer
Ausdruck dafür, daß die Arbeitskraft nach ihrem Wert
bezahlt wurde - und nicht darunter - war, daß sich die
Lohnrate am Produktivitätszuwachs orientierte. Nur wer den
Kapitalismus schönreden will, wird hier von "Regulation"
sprechen können. Der Beitrag der Arbeiter- und
Gewerkschaftsbewegung bestand darin, die Lohnrate auf dem Niveau
des Produktivitätszuwachses zu stabilisieren, womit sie sich
gewerkschaftliche Stärke in einer Prosperitätsphase zu
nutze gemacht hat, ohne den von den Akkumulationsbedingungen
gesetzten Rahmen zu überschreiten. "Sozialpartner"
sind Kapital und Arbeit dadurch nicht geworden und können es
nicht werden.
Kaufkräftige Nachfrage ist eine Funktion von
Kapitalakkumulation und nicht umgekehrt. Das Lohneinkommen als
gesamtgesellschaftliche Größe steht in Wechselbeziehung
mit dem Produktionsvolumen, nicht aber mit dem Mehrwert, der als
Profit realisiert werden muß und wovon letztlich abhängt,
ob produziert wird und was wo. Es nutzt nichts zu sagen, daß
ein erhöhtes Beschäftigungsniveau vermehrtes
Lohneinkommen und dadurch erhöhte Konsumnachfrage bedeutet.
Ein vergrößertes Produktionsvolumen kann bei sonst
günstigen Verwertungsbedingungen (z.B. nach Vernichtung
fungierenden Kapitals durch Kriege und Krisen) die
Mehrwertproduktion stimulieren; als solches birgt es aber für
das Kapital nur die Chance, verbrauchte Wertteile (Abschreibung,
Lohnkosten) auf erweiterten Märkten schneller zu ersetzen.
Das Plädoyer für Nachfragepolitik will dem Kapital
unentwegt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen
Beschäftigungsniveau/ kaufkräftiger Nachfrage und
Mehrwertproduktion einreden, den es so nicht gibt. Vollends
außerhalb von Kapitalverwertung ist Beschäftigung durch
die öffentliche Hand angesiedelt.
Was ist von Vorschlägen zu halten, die darauf
hinauslaufen, Massenkaufkraft durch Umverteilung in den
staatlichen Haushalten zu schaffen? So wünschenswert die
Liquidation der Rüstungs- und Militäretats und
Streichungen im Verkehrsetat um Ausgabeposten für Straßenbau
und Privatverkehr wären - und darum weiter politisch gekämpft
und gestritten werden muß -: am Dilemma ändern sie
nichts. Staatsausgaben bleiben Staatsausgaben und sind für
die Wertproduktion unproduktiv. Was man durch Umverteilung nach
der einen Seite hin als Zuwachs von Beschäftigung und
Kaufkraft geben kann, nimmt man auf der anderen Seite.
Alle Aussagen, die sich auf Beschäftigungsverhältnisse
beziehen, sind borniert, sofern sie von globalen Indikatoren für
die weltweite Beschäftigung und Unterbeschäftigung
abstrahieren; und ebensowenig läßt sich von
quantitativen und qualitativen Veränderungen im
Dienstleistungssektor absehen. Alles deutet darauf hin, daß
industrielle Beschäftigung in den letzten Jahren absolut und
relativ zur Zahl der Dienstleistenden in formellen
Beschäftigungsverhältnissen zugenommen hat - global
gesehen. Mehrwertproduktion bei Niedrig- und Niedrigstlöhnen
in den Peripherieländern und Semiperipherien steht
Arbeitplatzabbau in der kommerziellen und öffentlichen
Dienstleistung gegenüber, wo Rationalisierung durch
Computerisierung ebenso Einzug gehalten hat wie in der
industriellen Produktion. Andererseits hat die Koexistenz von
permanenter Unterbeschäftigung und wachsendem
sozialparasitärem Reichtum den Boden für die
Restauration patriarchaler Dienstherrenverhältnisse bereitet.
Informelle Dienstleistungsverhältnisse tragen nicht zur
Mehrwertproduktion bei, sie werden aus der Revenue bestritten,
wobei ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung um so größer
ist, je mehr überakkumuliertes Kapital in Revenue verwandelt
und als solche verausgabt wird. Ebenso irrelevant ist öffentliche
Dienstleistung für die Mehrwertproduktion, da sie so oder so
aus dem Steueraufkommen beglichen werden muß. Die in das
industrielle Einzelkapital integrierte Dienstleistung gehört
zu den faux frais, den Unkosten der Produktion, mindert um soviel
den Mehrwert, statt ihn zu mehren, so unerläßlich sie
auch für Produktvorbereitung und Vermarktung
(Mehrwertrealisierung) ist. Bleibt die Frage nach der Rolle, die
das alte und neue Dienstleistungskapital im Verwertungsprozeß
des gesellschaftlichen Gesamtkapitals spielt. Im Begriff einer
Dienstleistungsgesellschaft, die an die Stelle der industriellen
ganz oder teilweise getreten sei, fließen alle
Bestimmungsmomente trübe ineinander.
Wenn man einmal von kleingewerblichen Dienstleistungskapitalen
absieht, ist kapitalistische Dienstleistung von jeher im Bankenund
Versicherungsgewerbe beheimatet. Darein involvierte Kapitale sind
unerläßlich durch ihre Funktion für Reproduktion
und Akkumulation des gesamtgesellschaftlichen Kapitals, wie gering
auch immer ihr eigener Beitrag zur Mehrung des
gesamtgesellschaftlichen Mehrwerts sei. Im Fall des
Dienstleistungskapitals geht es im Gegensatz zum industriellen
nicht um die Darstellung eines Mehr oder Minder
vergegenständlichter Arbeitszeit im Produkt, wovon
Verwertungskonkurrenz und Produktinnovation zugleich
vorwärtsgetrieben werden. Mit anderen Worten: das
Dienstleistungskapital hat nicht an der Produktion relativen
Mehrwerts teil, auch wenn es sich selbstredend alle
gesellschaftlich verallgemeinerten Kreationen zu nutze macht, die
das industrielle Kapital zu einem gegebenen Zeitpunkt
bereitstellt.
Was sich zum Profit des
Dienstleistungskapitals saldiert, ist umverteilter Mehrwert,
anteilig umverteilt aus dem gesamtgesellschaftlichen Mehrwert
entsprechend den respektiven Kapitalgrößen, und
abgeschöpfter absoluter Mehrwert aus der Anwendung der
Dienstleister, der für diese als unbezahlte Arbeit und/oder
als Arbeit zu unterdurchschnittlichen gesellschaftlichen
Arbeitsbedingungen zur faßbaren Größe wird, im
übrigen aber als Posten in der Gesamtwertrechnung des
Kapitals verschwindet. In diesem Zusammenhang sei an Ausführungen
Ernest Mandels zur Logik der Kapitalbewegungen zwischen
brachliegendem (überakkumuliertem), Dienstleistungs- und
produktivem (industriellem) Kapital erinnert: "Die Logik des
Kapitals geht also darauf aus, brachliegendes Kapital in
Dienstleistungskapital umzusetzen und gleichzeitig
Dienstleistungskapital durch produktives Kapital, d.h.
Dienstleistungen durch Waren zu ersetzen (Hervorh.
Mandel): Transportdienste durch Privatautos; Theater- und
Filmdienste durch private Fernsehapparate; morgen Fernsehdienste
und Erziehungsdienste durch Video-Kassetten usw.... Das Kapital
kann eine Sättigung mit materiellen Gütern genausowenig
überleben wie eine Ausschaltung lebendiger Arbeitskraft aus
der materiellen Produktion... Als nächsten Albtraum empfehlen
wir die Vorstellung des massenhaften Wiedereindringens von
Warenverhältnissen in die Medizin- und Chirurgiesphäre
(im Unterschied zur Pharmazeutik), mit Kauf und Verkauf von
Körperteilen und -organen, komplett mit Konkurrenz,
Profitmaximierung und Vermittlungs-, Versand-, Aufbewahrungs-,
Kredit- und Reparaturdiensten..." ("Der
Spätkapitalismus. Versuch einer marxistischen Erklärung",
Ffm. 1972, 371). Beiläufig kann man diesem Zitat entnehmen,
daß sich das Kapitalverwertungskarussel immer schneller
dreht. Was eben noch Albtraum, ist von der Wirklichkeit längst
eingeholt.
Reformalternative und Radikalreformer, die Geld- und
Realakkumulation einander entgegensetzen, das eine mit negativem,
das andere mit positivem Akzent, bewegen sich innerhalb der Logik
des Kapitals, statt darüber aufzuklären. Was sie
Realakkumulation nennen, hat an der wachsenden organischen
Zusammensetzung und dem Profitratenfall seine unerbittliche
Grenze. Freilich lassen sich Profitraten nicht aus einschlägigen
Wirtschaftsstatistiken extrapolieren, die mit Preisen, nicht mit
Werten rechnen und obendrein in dem Sinne verfälschen, als
sie für die Akkumulationspotenz industrieller Kapitale wenig
aussagekräftig sind, die zu bevorzugten Empfängern
staatlicher Alimentation in ihren vielfältigen Formen
geworden sind.
Keine wundersam neue Art oder Quelle von Kapitalproduktivität
liegt der Aufschwellung des Dienstleistungskapitals durch
Privatisierung von Infrastuktur zugrunde, sondern das vom Staat
bediente Bedürfnis des Kapitals nach Abzugskanälen für
überakkumuliertes Geldkapital. Dabei vollziehen sich die
spektakulärsten Eigentumswechsel in der Form der Verwandlung
öffentlichen, kommunalen oder staatlichen, Eigentums in
börsengehandeltes Aktienkapital. Es ist nur eine Frage von
Fristen, daß sich die entsprechenden Eigentumstitel in den
Händen der stärksten Finanzkapitale, die von Anfang an
als Hauptanteilseigner in der Vorhand sind, konzentrieren. Von dem
Trug, daß es auf den Finanzmärkten demokratisch
zuginge, zehrt vorläufig noch die relativ starke
gesellschaftliche Akzeptanz der Verschleuderung öffentlichen
Eigentums. Mit den neuen Dienstmädchen- und Dienstbotenjobs
kehren unmittelbare patriarchale Abhängigkeitsverhältnisse
zurück und privatisierte Infrastruktur wirft deren Eigentümer
zu neuen Tributherren auf, worin sich nicht weniger die
Transformation kapitalistischer Produktionsverhältnisse zu
solchen quasifeudaler oder neofendaler Art ankündigt. Bei
Marx heißt es an einer Stelle im III. Band des "Kapital"
einmal: "Und sobald die Kapitalbildung ausschließlich
in die Hände einiger fertigen Großkapitale fiele, für
die die Masse des Profits die Rate aufwiegt, wäre überhaupt
das belebende Feuer der Produktion erloschen" (MEW 25, 269).
Vorgedacht ist darin eine Verfassung der Gesellschaft, in der es
nur noch um Aneignung geht, den Raub der Werte, weil die
Neuproduktion von Mehrwert aufgehört hat.
Um abzuschätzen wie nah oder fern der Zeitpunkt für
sogenannte negative Wachstumsraten, also für eine Schrumpfung
des industriekapitalistischen Produktionsvolumens ist, muß
man sich die Umstände und Bedingungen vergegenwärtigen,
auf denen vorerst noch dynamisches Marktgeschehen beruht.
Außerhalb des Metropolengürtels, also in Afrika und
großen Teilen Asiens, in Osteuropa und Lateinamerika sind
die Absatzmärkte jenseits von Kolonisierungskonjunkturen nur
so groß wie sich die Zahl der einheimischen
Industriekapitalisten vermehrt und der Staat als Abschöpfer
von Mehrwert und Käufer in Erscheinung tritt. Zur
Konsolidierung solcher Märkte ist eine ins Immense
gesteigerte Ausbeutungrate kaum ausreichend. Wofern es überhaupt
zu Ansätzen nationaler Kapitalbildung kommt, findet sich das
nationale Kapital in Konkurrenz mit den überlegenen
transnationalen Kapitalen um dieselben Märkte und
Marktsegmente. Die zahlungsfähige Nachfrage der ganzen Welt
dürfte bei voller Kapazitätsauslastung heute gut und
gerne von den Kapitalen der Triade - also denen der USA, Japans
und Westeuropas - bedient werden können.
Zugang zum Industriekapitalismus haben die südostasiatischen
Neuankömmlinge durch Kapitalimport und Warenexport gefunden.
Da ihre Binnenmärkte klein und z.T. sehr klein sind, sind sie
weit stärker vom Export abhängig als die älteren
Metropolen. Der Liberalisierung des Welthandels, der sie sich
aufgrund ihrer Exportabhängigkeit nicht entziehen können,
setzt das Kapital dieser Länder verschärften
Konkurrenzbedingungen aus, worauf es mit Versuchen zur Steigerung
der Ausbeutungsrate reagiert, wie der Angriff auf Errungenschaften
der Industriearbeiterklasse Südkoreas 1997 und später
illustriert. Eine sogenannte Wachstumsregion ist Südostasien
vor allem aus der Außenperspektive, unter dem Aspekt der
Marktexpansion seitens der metropolitanen Kapitale. Solche
Expansion, wenn sie gelänge, liefe im Endeffekt auf das
Gegenteil wachsender Marktdynamik hinaus, auf Marktschrumpfung,
Entwertung und Vernichtung südostasiatischer Kapitale, wie
sie sich unter teilweise stark protektionistischen Praktiken in
den letzten Jahrzehnten gebildet haben.
Von allen Ausbeutungs- und Wertübertragungsprozessen
profitieren die stärksten Kapitale am meisten; und sie sind
in den USA, Westeuropa und Japan beheimatet. Wo es einen breiten
gewerblichen Mittelstand gibt, trägt dieser entscheidend zur
Mehrwertproduktion bei, auch wenn ihm - nach den
Ausgleichsbewegungen zur Durchschnittsprofitrate - nur der seiner
Kapitalgröße entsprechende Profitanteil zufällt.
Im Unterschied zu den kleinen Kapitalen partizipieren die großen
direkt an den weltweiten Ungleichheits- und
Ungleichzeitigkeitsverhältnissen und fangen zugleich
überproportionale Anteile aus der gewerblichen
Mehrwertproduktion ihrer Region bzw. ihres Landes ab.
Werttransfers und bedingungsweise Markterweiterung für
Waren und Kapitalgüter setzen nicht das aus zunehmender
Arbeitsproduktivität oder wachsender organischer
Zusammensetzung des Kapitals folgende Gesetz vom Fall der
Durchschnittsprofitrate außer Kraft, das Marx wohlweislich
als Tendenzgesetz formuliert hat. Vielmehr macht sich in ihnen nur
der Zwang zur Vergrößerung der Profitmasse bei
sinkender Durchschnittsprofitrate geltend. Das Bestreben der
Einzelkapitale, möglichst große Anteile vom
gesamtgesellschaftlichen Mehrwert abzufangen, treibt den
Zentralisationsprozeß zu immer riesenhafteren
Unternehmenseinheiten voran, zwangsläufig begleitet von
Entwertung und Vernichtung produktiver Kapitale, die aus der
Kapitalkonkurrenz ausscheiden. Kapitalentwertung als Zerstörung
produktiver Potenzen und Potentiale läuft auf relative und
schließlich absolute gesellschaftliche Verarmung hinaus,
wozu Luxuskonsum bei gleichzeitiger Ausdehnung der dafür
bestimmten Produktionsfelder nicht im Widerspruch steht.
(12) Einfache Warenwirtschaft ist der logische Ausgangspunkt im
"Kapital". Dadurch wird die Wert- und Geldtheorie des
"Kapital" natürlich nicht zur Theorie einer eigenen
historischen Formation, genannt einfache Warenwirtschaft oder
-produktion. Warentausch nach dem Wertgesetz setzt die Reduktion
qualitativer zu abstrakt allgemeiner Arbeit voraus. Darin ist als
logisch Erstes das Kapitalverhältnis mitgesetzt. Daraus
folgt, daß es Warenproduktion nach dem Wertgesetz
vorkapitalistisch nicht gegeben hat. Was nicht daraus folgt ist,
daß es keine einfache Warenproduktion gegeben hätte,
und auch nicht, daß Arbeitsverausgabung kein
qualifizierendes Moment beim Warentausch gewesen sei. Wären
Engels Ausführungen (im Nachtrag zu "Kapital III",
MEW 25, 898ff.) als Erinnerung daran zu verstehen, würde ich
für Widerspruch keinen Anlaß sehen. Gäbe man nicht
zu, daß Preisbildung auch vorkapitalistisch ein reales
Substrat gehabt habe, liefe das auf die Unterstellung blanker
Willkür hinaus, worein sich letztlich auch die Vorstellung
von Preisbildung durch Konvention auflöst. Mit Sicherheit
dürften konventionelle (subjektive) Wertschätzungen beim
vorkapitalistischen Warentausch eine bedeutende, zu Zeiten
vielleicht sogar ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Der harte,
rationelle Kern - verausgabte Arbeitskraft mit der Zeit als Maß
- demgegenüber zufälliges Moment. Für diese
Vermutung spricht auch, daß die Arbeitskraft und das
Zeitbudget der Unfreien und Abhängigen für die
gesellschaftlich jeweils dominierenden Schichten frei verfügbar
waren, nur physiologisch grenzbestimmt.
Die Marktsozialisten benötigen die Fiktion eines
Wertgesetzes vor dem Wertgesetz, um damit ihr Gespinst einer
Warenwirtschaft ohne die Gebrechen des Kapitalismus oder eines
Kapitalismus ohne Kapitalismus zu beglaubigen. Demgegenüber
wäre daran festzuhalten, daß entwickelte
Warenwirtschaft, Entqualifizierung der Arbeit mit der Zeit als
ihrem Maß, Massenproduktion und Mehrwertabschöpfung ein
strukturelles Ganzes bilden. Die Vorstellung einer Warenproduktion
selbstwirtschaftender kleiner Produzenten, die auf dem Markt ihre
Produkte tauschen, war immer eine Utopie (bzw. methodische
Abstraktion zu analytischen Zwecken), auch wenn sie wie in der
Französischen Revolution zu den historischen Sprengsätzen
gehört hat. Motor entwickelter Warenproduktion ist nicht, daß
jeder zu dem Seinen kommt in Konkurrenz um die Optimierung des
Vermarkteten, sondern Aneignung des Surplusprodukts aus fremder
Arbeit.
Marx hat das allgemeine Äquivalent, das die
Warenzirkulation vermittelt, werttheoretisch abgeleitet. Er nimmt
die Materiatur des Zirkulationsagenten (Gold; Silber), sobald er
sich jenseits unmittelbaren Produktentauschs festgesetzt hat,
nicht nur für ein Arbeitsprodukt, sondern auch quantitativ
bestimmt durch die zu seiner Produktion verausgabte Arbeitszeit.
Darin ist schon abstrakt allgemeine Arbeit als wertbildend
unterstellt. Tragen Marx' Analysen den widersprüchlichen
Tendenzen des Wertbildunsprozesses genügend Rechnung - so
wäre sinnvoller Weise zu fragen. Stattdessen konstruieren
Michael Heinrich und andere Differenzen und Widersprüche
zwischen Marx und Engels bis hin zu der verstiegenen Behauptung,
daß Marx sich selber nicht richtig verstanden habe. Die
Destruktion des historischen Materialismus im akademischen Himmel
besorgt die Zuarbeit für die pragmatisch verkürzte und
pragmatistisch verelendete Praxis.
Genesis und Geltung sind für Marx - wie für Hegel -
nicht diskret gegeneinander abgesetzte, sondern ineinander
verschlungene Momente. "Gold und Silber sind von Natur nicht
Geld, aber Geld ist von Natur Gold und Silber. Einerseits ist der
silberne oder goldne Geldkristall nicht nur Produkt des
Zirkulationsprozesses, sondern in der Tat sein einziges ruhendes
Produkt. Andrerseits sind Gold und Silber fertige Naturprodukte,
und sie sind das erste unmittelbar, wie sie das zweite sind, durch
keine Formverschiedenheit getrennt. Das allgemeine Produkt des
gesellschaftlichen Prozesses oder der gesellschaftliche Prozeß
selbst als Produkt ist ein besonderes Naturprodukt, in den
Eingeweiden der Erde steckendes und aus ihr ausgrabbares Metall"
("Zur Kritik der Politischen Ökonomie", MEW 13,
131). Es war dem historischen Prozeß, der schließlich
zur entwickelten Warenwirtschaft und zum Kapitalismus geführt
hat, nicht an der Wiege gesungen, zu welchen
Vergesellschaftungsformen der Zusammenschluß von
Gesellschaftlichkeit mit einem Naturprodukt treiben würde.
Darüber, wie es zu diesem Zusammenschluß hat kommen
können, kann man nur spekulieren.
Bergwerksproduktion gehört zu den ältesten
Erscheinungsformen industrieller Produktion. Der quantitative
Aspekt ist dabei Hauptbestimmungsmoment, wie es sich einerseits im
geschürften Edelmetall, das zum Tauschmittel wird, darstellt;
andererseits in der Einfachheit des Produktionsprozesses, der die
aller sonstigen Qualitäten bare Zeit als Maßeinheit
nahelegt.- Mit der Preisgaabe des Goldstandards, so könnte
man mit Marx sagen, ist dem gesellschaftlichen Prozeß seine
Naturbasis aufgekündigt worden.
Marx ging es darum, den Begriff des Werts nicht in funktionale
Bestimmungen ohne materiales Substrat aufgehen zu lassen; der
marxistisch-leninistischen Offizialdoktrin um Ontologisierung der
Geschichte. Die Hypothese der einfachen Warenproduktion
eskamotiert das kritische Ferment der Werttheorie. Mit dem zur
Universalie ausgedünnten Wertgesetz wurde apologetisch
operiert, woraus dann die Ideologen des Marktsozialismus nur die
letzten, restaurativen Konsequenzen gezogen haben. Umgekehrt hat
der kritische Impuls der Linken ursprünglich die Demontage
der dogmatisch verhärteten und verdinglichten Begriffe
intendiert, um den kritischen Gehalt der Werttheorie freizulegen,
mit doppelter Stoßrichtung: gegen den Staats- und
Privatkapitalismus. Dieser kritische Impuls hat sich dann schnell
in akademischen Haarspaltereien verloren, wie man beim Studium von
Beiträgen in der edition-suhrkamp-Reihe "Gesellschaft.
Beiträge zur Marxschen Theorie", 1974 - 79, feststellen
kann.
Der Vorwurf des Empirismus gegenüber Marx und Engels
richtet sich gegen den von ihnen versuchten Brückenschlag
zwischen Wert und Preis - Wesen und Erscheinung. Die Frage
eskaliert am Kulminationspunkt des Abstiegs vom Abstrakten zum
Konkreten, beim Übergang vom Wert zum Produktionspreis. Die
Aporie, die sich hier auftut, ist, daß alle Elemente, die in
den Produktionspreis eingehen, ihrerseits auch nur Repräsentanten
von Wert - nicht Wert unmittelbar - sind. Marx stellt sich das
Problem in "Kapital III" bei Erörterung der Bildung
des Produktionspreises aus Kostpreis und Durchschnittsprofit.
"Der Kostpreis einer Ware bezieht sich nur auf das Quantum
der in ihr enthaltnen bezahlten Arbeit, der Wert auf das
Gesamtquantum der in ihr enthaltnen bezahlten und unbezahlten
Arbeit; der Produktionspreis auf die Summe der bezahlten Arbeit
plus einem, für die besondre Produktionssphäre
unabhängig von ihr selbst (Hervorh.
von mir), bestimmten Quantum unbezahlter Arbeit" (MEW 25,
175).
"Der Produktionspreis der Ware ist also gleich ihrem
Kostpreis plus dem, entsprechend der allgemeinen Profitrate,
prozentig ihm zugesetzten Profit, oder gleich ihrem Kostpreis plus
dem Durchschnittsprofit" (ebd. 167).
"Der Produktionspreis einer Ware ist aber für den
Käufer derselben ihr Kostpreis, und kann somit als Kostpreis
in die Preisbildung einer andren Ware eingehn. Da der
Produktionspreis abweichen kann vom Wert der Ware (ich würde
sagen: in der Regel abweichen wird), so kann auch der Kostpreis
einer Ware, worin dieser Produktionspreis andrer Ware
eingeschlossen, über oder unter dem Teil ihres Gesamtwerts
stehn, der durch den Wert der in sie eingehenden Produktionsmittel
gebildet wird. Es ist nötig, sich an diese modifizierte
Bedeutung des Kostpreises zu erinnern, daß, wenn in einer
besondren Produktionssphäre der Kostpreis der Ware dem Wert
gleichgesetzt wird, stets ein Irrtum möglich ist.... Obgleich
er für die besondren Produktionssphären abweichenden
Sinn hat, so bleibt immer die Tatsache zugrunde liegen, daß,
das gesellschaftliche Gesamtkapital betrachtet, der Kostpreis der
von diesem produzierten Waren kleiner als der Wert oder der hier,
für die Gesamtmasse der produzierten Waren, mit diesem
identische Produktionspreis" (ebd. 174f.).
Also: man hat es im Preisbildungsprozeß immer schon mit
dem in Durchschnittsprofit verwandelten Mehrwert zu tun; die
Unterscheidung von Kostpreis und Produktionspreis demgegenüber
methodische Abstraktion. Ob Kost- oder Produktionspreis - insoweit
Waren Fertigprodukte sind, die von der Rohstoffgewinnung an mit
Veräußerung und Kauf verbundene Fertigungsstufen
durchlaufen, ist Produktionspreis immer das Bildungselement des
Kostpreises der nächsthöheren Stufe.
Nur wofern Warenproduktion sich verallgemeinert hat, wird Geld
zum Zirkulationsagenten schlechthin. Wo immer kapitalistische
Warenwirtschaft noch nicht alle Poren der Gesellschaft
durchdrungen hat, existiert ein Nebeneinander von
Gebrauchswertökonomie/ Subsistenzwirtschaft und
Geldwirtschaft. Von seiten der Gebrauchswertökonomie bedeutet
das, daß nur ein Teil der Produkte auf den Markt geworfen
wird, dazu bestimmt, Bedürfnisse zu befriedigen, die nicht
anders als durch Tauschbeziehungen befriedigt werden können.
Um diesem Desiderat nachzukommen, ist sie genötigt, sich in
den Besitz des allgemeinen Tauschäquivalents, von Geld, zu
setzen, sobald die Tauschakte zeitlich und räumlich
auseinanderfallen. Da ihr Produkt erst durch den Tauschvorgang zur
Ware wird - nicht als Ware produziert ist (jedenfalls nicht vor
Verfestigung gewerblicher Produktion im subsistenzwirtschaftlichen
Sektor) -, wird ein Äquivalenzverhältnis durch die
Geldware gesetzt, das den preisbereinigten Wertverhältnissen
im Waren produzierenden Sektor entspricht. Statt mit Warentausch
nach dem Wertgesetz dürfte man es hier mit einer Form von
ungleichem Tausch zu tun haben, Wertübertragung durch
Inwertsetzung zugunsten des Waren produzierenden Sektors. Also mit
einer ersten Form von Werttransfers, der die
Subsistenzwirtschaften im Verhältnis zur Warenökonomie
verarmen läßt. Bestätigt wird das durch den
Gegensatz von Stadt und Land, der die Zivilisation seit Entstehung
der Geldwirtschaft begleitet; Konzentration von Reichtum und
Wohlstand in den Städten, verarmtes Land.
Bei Michael Heinrich ("Die Wissenschaft vom Wert",
Hamburg 1991) wird der Wert zur Tautologie der Tauschabstraktion;
Backhaus/Reichelt ("Wie ist der Wertbegriff in der Ökonomie
zu konzipieren? Zu Michael Heinrich: 'Die Wissenschaft vom Wert'",
in: "Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge",
1995) verflüchtigen den Wert zum Gedankending. Im ersten Fall
verliert die Werttheorie ihre Bodenhaftung im historischen
Materialismus; im zweiten wird ihr ein unverständiger
Idealismus imputiert.
Der Wert, der sich bei einfacher Warenproduktion hinter dem
allgemeinen Äquivalent (Preis und Geld) versteckt, versteckt
sich bei entwickeltem Kapitalverhältnis hinter dem
Produktionspreis. Während in Bezug auf das gesellschaftliche
Gesamtkapital gesagt werden kann, daß die Summe der Preise
der der Werte gleich sei (wobei freilich vorausgesetzt ist, daß
sich Kredit- und Geldschöpfung im Rahmen tatsächlicher
Wertschöpfung hält; andernfalls hat man es mit
Denominationen zu tun, denen kein Realwert entspricht) - wie steht
es damit unter Verhältnissen einfacher Warenproduktion?
Offensichtlich kann es einen solchen Zusammenhang - Gesamtsumme
der Preise gleich der Gesamtsumme der Werte - hier nicht geben,
weil es noch keine durchgängige gesellschaftliche
Inwertsetzung gibt, keine Mehrwertproduktion, keine Verflüssigung
des Werts in den Ausgleichsbewegungen zur Durchschnittsprofitrate.
Daß mit dem Frühkapitalismus zeitgleich der
Arbeitswert durch die klassische politische Ökonomie entdeckt
worden ist, zählt zu den stärksten Beglaubigungen der
Arbeitswerttheorie. Dagegen gehört die Vorstellung von frei
schwebenden Diskursen einer institutionalisierten Intelligenz in
der jüngsten Phase des Kapitalismus an. Diese Diskurswelt ist
so fiktiv wie das von realer Wertschöpfung abgekoppelte
spekulative Kapital.
Geldschöpfung, die sich am sogenannten Sozialprodukt
orientiert, ist immer größer als tatsächliche
gesellschaftliche Wert- und Mehrwertproduktion, da sie ihren Index
an geldwertem Einkommen hat, nicht an der Wertproduktion. Dadurch
wird sich der monetäre Geldfonds ständig
überproportional zur tatsächlichen Wertschöpfung
erhöhen, was sich in der Tendenz zur Erhöhung des
allgemeinen Preisniveaus ausdrückt, trotz Verwohlfeilerung
der Waren.
1995
(13) Für die multinational operierenden Kapitale sind
Nationen und Kontinente "Standorte", die je nach ihrer
Eignung zur Steigerung der Mehrwertproduktion gesucht oder
gemieden werden. Dafür, daß der gesuchte Standort nicht
einfach das Billigstlohnland ist, sorgt nicht zuletzt die hohe
Akkumulation von Eigentumstiteln und Vermögen in den
altkapitalistischen Ländern. Sie bildet die Basis für
abgeleitetes Kapital und dessen Investition in Handel,
Kommunikation und Dienstleistung (Banken, Versicherungen,
Tourismus). Einzelkapitalen und Kapitalgruppen ist es
gleichgültig, ob sie als abgeleitete oder industrielle
Kapitale fungieren. Marktnähe ist durch Zugang zu
kaufkräftiger Nachfrage definiert und gehört vorläufig
noch zum Standortvorteil des metropolitanen Kapitals.
Im Konkurrenzkampf der globalisierten Kapitale geht es um die
optimale Variante in der Kombination der Faktoren: Ausbeutung der
Arbeitskraft, Ressourcenplünderung und Vermarktungschancen.
Standort ist darum zugleich der Name für optimale
Verwertungsbedingungen in der Akkumulationskonkurrenz der älteren,
euroamerikanischen mit den jüngeren, vor allem
südostasiatischen Kapitalen. Durch immer raschere
Verallgemeinerung elektronischer und informationstechnischer
Neuerungen haben sich die Konkurrenzvorsprünge gegenüber
den sogenannten Schwellenländern rapide verkürzt. Das
gilt sowohl für die industriellen wie die
Dienstleistungskapitale. Die jüngeren nationalen Kapitale
partizipieren an der Verwohlfeilerung der Produktionselemente,
während für die älteren deren Monopolisierung, wozu
Patente und Verschlüsselungen gehören, immer wichtiger
wird. Letzteres gilt insbesondere für die in Biotechnik und
Genmanipulation involvierten.
Abgeflachte Zwischenkonjunkturen werden in der Weltwirtschaft
von heute primär von den traditionellen Industriezweigen
getragen wie Automobilbau, Stahl, dazu inzwischen auch Elektronik
und Chemie. Daß diese Palette industrieller Produktion noch
nicht zum ökologischen Kollaps der Biosphäre geführt
hat, ist einzig der mehrheitlichen Armut der Weltbevölkerung
zuzuschreiben. Für die Spätankömmlinge nationaler
Kapitalbildung ist es allerdings nur eine Frage der Zeit, wann sie
die älteren Kapitale in diesen Sektoren ausstechen werden wie
es bereits in der Textilbranche und im Schiffsbau geschehen ist.
Kapitalbeteiligung in Drittländern mit nationaler
Kapitalbildung ist für die metropolitanen Kapitale so zum
Gebot der Stunde geworden. Daß diese Kapitalwanderung nicht
geringe Risiken enthält, zu Fehlspekulationen führt,
wird durch ungewöhnliche Extraprofite oder wenigstens die
Aussicht darauf aufgewogen. Unter diesem Aspekt besagt die
heimische Standortbeschwörung, daß der Standort kein
Standort mehr ist.
Gegen die Aufteilung der Welt in Interessen- oder
Einflußsphären der Metropolenbourgeoisien als
nationalen spricht, daß sie alle in ihrer Weltmarktposition
geschwächt sind. Zur klassischen imperialistischen Strategie
gehört Binnenmarktstärke zusammen mit innerer sozialer
Befriedung. Der spätbürgerliche metropolitane Staat
befindet sich in der Rolle eines Dieners zweier Herren, denen er
es nicht gleichzeitig recht machen kann. Da sind auf der einen
Seite die Produktionssphären, Industrien und
Einzelunternehmen, die der Weltmarktkonkurrenz nicht standhalten
können und nach Protektion verlangen; und auf der anderen
Seite die multinational und global operierenden Kapitale mit ihrem
Interesse an entgrenzten Märkten. Es versteht sich, daß
sich auch global operierende Kapitale nationalstaatlich
protegieren lassen mit der Folge von Protektionskonkurrenz der
Nationalstaaten. Der Staat macht zwischen den einander
widerstreitenden Interessen Spagat, was ihm gar nicht bekommt. Wo
es kein identisches, wie auch immer fragiles bürgerliches
Nationalinteresse gibt, zerfällt der Nationalstaat. Die
Großbourgeoisie ist in dem Sinne kosmopolitisch geworden,
daß sie ihr Kapital streut, die Währungen nach
Marktlage wechselt und in Steueroasen flieht. Wettbewerb heißt
in diesem Zusammenhang vor allem Währungskonkurrenz.
Ganz gewiß sind die Ressourcen für Kapitalexpansion
zwischen den altkapitalistischen Staaten sehr ungleich verteilt.
Wenn nicht alles trügt, schlägt für das US-Kapital
noch immer die Binnenmarktgröße in Verbindung mit den
weltweiten Niederlassungen zum Vorteil aus. Hinzu kommt als ein in
seiner Bedeutung kaum zu überschätzender Faktor, daß
die Landwirtschaft dort ihre Produkte zu Preisen auf der Basis der
Produktionskosten im wesentlichen vermarktet, dadurch maßgeblich
den Weltmarktpreis mitbestimmt und nicht das Staatsbudget durch
Subventionszuschüsse in europäischen Dimensionen
belastet. Gerade kommt mir eine OECD-Statistik von 1995 zur Hand
mit Angaben über den Anteil von staatlichen Subventionen,
Preis- und Marktstützungsmaßnahmen am Einkommen der
Landwirte; dieser Anteil beträgt in der EU 49%, in den USA
15%; Vergleichsangaben für andere Länder: Japan 77%,
Kanada 27%, Australien 9%, Neuseeland 4%.
Wettbewerb bei sehr ungleichen Ausgangsvoraussetzungen ist
verzerrter Wettbewerb und läßt sich nach den Rezepturen
des stärksten Wettbewerbers zuallerletzt ins Gleichgewicht
bringen. Interessant wäre die Frage, ob die Pressionen der
US-Administration, die die Administrationen der anderen Staaten
zur Preisgabe von Protektionen nötigen (wollen), ökonomische
Stärke des US-Kapitals ausdrücken oder nicht vielmehr
auch umgekehrt von dessen relativer Schwäche zeugen. Je höher
die organische Zusammensetzung des Kapitals und die Stufenleiter
der Produktion, umso zwingender die Ausweitung von Produktion und
Absatzmärkten zur Kompensation des Profitratenfalls. Immerhin
sind die USA dasjenige Land, in dessen Ökonomie die
Tendenzgesetze des Kapitals bei weitgehender Abwesenheit von
Staatsinterventionen am unverfälschtesten durchschlagen
dürften. Die USA imitieren die Rolle Englands im 19.
Jahrhundert als Freihandelsvormacht, aber ohne dessen
privilegierte Weltmarktstellung. Die anderen Staaten, vertreten
durch ihre mediokren Administrationen, spielen dabei mit im
Interesse der stärksten Kapitale weltweit und im eigenen
Land.
Ausführlicher Diskussion bedürfte, was heute so
falsch und ideologisch unter "Fordismus" läuft: die
reproduktive Rolle des Staates für die Ökonomie. Neu
daran ist im 20. Jahrhundert nur die immense Erweiterung des
staatsinterventionistischen Instrumentariums über
handelspolitische Regulationen wie den Schutzzoll hinaus. Wobei
man es mit verschiedenen Formen des Staatseingriffs zu tun hat,
die nach Zeit, Ort und Reichweite außerordentlich variieren.
Im Rückblick auf das Jahrhundert kann man sicher nicht von
einem kontinuierlichen Zuwachs staatlicher Verfügungsmacht
sprechen. Dafür haben sich aber mit den verschiedenen Formen
oder Stadien des Staatsinterventionismus immer wieder Erwartungen,
theoretische Konzeptualisierungen und politische Optionen
verbunden, denen definitive Bestätigung oder Erfüllung
nicht zuteil geworden ist. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an
kriegswirtschaftliche Planifikationen und daran geknüpfte
Erwartungen und Illusionen, einschließlich ihrer
paradigmatischen Bedeutung für Lenins Konzeption eines
transformatorischen Staatskapitalismus; an "Kriegssozialismus"
als rechtssozialdemokratischen Hoffnungsträger im 1.
Weltkrieg; Keynes Konzepte für die Zeit nach dem 2.
Weltkrieg; aber auch an den "Autoritären Staat"
Horkheimers und die "verwaltete Welt" (Adorno). Hierhin
gehören Reflexionen über die nationalen
Autarkiebestrebungen der zwanziger und dreißiger Jahre; das
unmittelbare Echo, das New Deal etwa bei den Frankfurtern in den
USA gefunden hat; das von Mattick diskutierte Instrumentarium
staatlicher Kreditfinanzierung und seine heute so sichtbaren
Grenzen.
(14) Zu den dringendsten Desideraten dessen, was aufzuklären
ist, rechne ich die Entkopplung von Wertschöpfungsprozeß
und monetären Deckungsäquivalenzen, wie sie einmal durch
Goldproduktion und -aufschatzung existent gewesen sind. Die Frage
nach der Rolle von Kreditgeld für den Verwertungsprozeß
stellt sich anders bei gedeckter als bei ungedeckter Währung.
An die Stelle quasi natürlicher Restriktionen für den
Kreditrahmen treten gesellschaftliche, letztlich nur limitiert
durch Manipulationen im kapitalistischen Gesamtinteresse. Darin
gegründet der Schein ökonomischer Regulation durch
Geldsteuerung (Habermas, Altvater etc.) und der begriffslose
Geldfetisch von Kurz.
Daß der Wert nach Lockerung bzw. Preisgabe des
Goldstandards nicht mehr durch eine Geldware repräsentiert
wird, ist eine grundlegende und entscheidende Herausforderung an
die marxistische Theorie am Ende unseres Jahrhunderts. Dadurch ist
die immanente Rationalität des Wertgesetzes, wie auch immer,
an einer entscheidenden Stelle durchbrochen. Die
Tauschwertgleichungen W - G, G - W drücken ein
Äquivalenzverhältnis von substantiell Gleichwertigen
aus, wobei G für die Geldware als einem Wertprodukt steht,
das sich qualitativ nicht von der Wertgestalt aller Ware nach den
Wertbestandteilen k, v und m für vergegenständlichte
(vergangene), bezahlte und unbezahlte Arbeit unterscheidet. Mit
der Aufkündigung des Goldstandards ändert sich nichts am
Wertbildungsprozeß oder daß die Arbeit die Quelle
allen Werts, wohl aber verliert das Geld seine Funktion als
allgemeines Wertäquivalent, Wertäquivalenz adäquat
auszudrücken.
Im gegebenen Fall von Währungskonkurrenz bei flexiblen
Wechselkursen und unter Absenz einer dominierenden nationalen
Währung, die als durch Gold gedecktes Weltgeld fungiert, wird
Geldpolitik ("Monetarismus") nolens volens zur zentralen
Steuerungsinstanz in bezug auf die internationalen
Kapitalbewegungen. Sie hat zu verhindern, daß aus
Kapitalexport Kapitalflucht wird und dafür zu sorgen, daß
Auslandskapital aus dem konkurrierenden Währungsgebiet
angezogen wird.
Die Vorstellung, daß Geld- und Kreditfragen nur die
Oberfläche kapitalistischer Reproduktion oder die Zirkulation
beträfen, trifft nicht zu. Das Gesamtensemble kredit- und
geldpolitischer Techniken und Instrumentarien seit der großen
Wirtschaftskrise 1929 ist Reaktionsbildung auf die "allgemeine
Krise des Kapitalismus" und trägt entscheidend dazu bei,
diese Krise zeitweilig zu entschärfen, permanent zu
verschleppen und zu verschärfen, sektoral und schließlich
allgemein. Der von der Komintern geprägte Begriff der
allgemeinen Krise des Kapitalismus ist zutreffend, so unkräftig
deren Analysen dann auch gewesen sind. In der Regel hat man sich
darauf beschränkt, krisentheoretische Argumente dogmatisch zu
rekapitulieren und das Krisenmanagement des Gegners zu
bagatellisieren bzw. ihm jede wie immer geartete Wirksamkeit
abzusprechen. Es ist das Verdienst der marxistischen
Keynesianismus-Kritik frühzeitig auf die Grenzen von Deficit
Spending, staatlicher Kreditfinanzierung und Umverteilungspolitik
via Staatsbudget hingewiesen zu haben. Dabei ist insbesondere an
Mattick zu denken. Staatlich induzierte Produktion kollidiert
früher oder später mit auf Expansion angelegter
Kapitalakkumulation, weil erstere als Abzug vom Gesamtmehrwert
figuriert. In welchen Formen und mit welchem Ausgang sich diese
Kollision ereignen würde, lag außerhalb des
Zeithorizonts von Matticks Analysen.
Staatliche Nachfragepolitik wurde als bevorzugtes Instrument
kapitalistischen Krisenmanagements dadurch obsolet, daß sich
von einem bestimmten Punkt an die aufgebauten Renditeerwartungen
eines vergrößerten Geldkapitals am Rückgang der
Kapitalproduktivität brachen. Standen beim Übergang zu
staatlicher Nachfragepolitik System stabilisierende Interessen im
Vordergrund, so bei der sogenannten monetaristischen Wende
Klientelinteressen eines gestärkten arbeitslosen
Kapitaleinkommens, zu dessen Kräftigung die Praxis
staatlicher Schuldverschreibungen, Hochzinsphasen und
Steuernachlässe ("Reaganomics") entscheidend
beigetragen haben. Freier Kapitalverkehr und Währungskonkurrenz
gehören zu den Voraussetzungen für die gestärkte
Position des Geldkapitals. Die Mobilität des Kapitals, von
einer Währung in die andere zu wechseln, nötigt die
Währungsräume, positionale Vorteile optimal zu nutzen,
wozu zuerst Geldwertstabilität gehört. Devisen, die
international als Währungsreserven gehalten werden, vertreten
als Substitute für Gold bzw. einen Gold gedeckten Dollar das
allgemeine Wertäquivalent.
Die wirtschafts- und fiskalpolitischen Spielräume der
bürgerlichkapitalistischen Nationalstaaten, auch der größten,
tendieren bei Währungskonkurrenz unter den Bedingungen
uneingeschränkter Kapitalmobilität und flexibler
Wechselkurse gegen Null, womit - gewollt oder nicht - die
Interessen eines global agierenden und in diesem Sinne
kosmopolitisch gewordenen Geld- oder Rentnerkapitals bedient
werden. Um den eignen Standort für das Rentnerkapital
währungspolitisch attraktiv zu halten, vermeidet man alles,
was inflationäre Prozesse in Gang setzen könnte, so sehr
diese auch geeignet wären, Staatsschuld durch Geldentwertung
zu überwälzen. Das Vertrauen in den währungs- und
geldpolitisch gefesselten Nationalstaat bzw. Währungsraum
gibt das Fundament ab für den Höhenflug der Börsenkurse.
Daß sich der Kapitalfluß in Richtung der Währungen
bewegt, die als Leit- und Reservewährungen fungieren, hat
dabei nur bedingt mit der realwirtschaftlichen Stärke dieser
Währungsräume zu tun. Der Zusammenhang zwischen
Geldwertstabilität und realer Kapitalproduktivität oder
Profitabilität industriellen Anlagekapitals hat sich
gelockert, so daß den Kapitalbewegungen selbst ein
hochgradig spekulatives Moment inhärent ist. Der Zustrom von
Kapital auf die Wertpapiermärkte, die in Dollar, DM usw.
valutieren, indiziert zunächst nur eine bestimmte
Größenordnung des Anlage suchenden Kapitals und eine
Übersättigung der favorisierten Währungsräume
durch Zuzug von Auslandskapital. Kapital, das in den
Ursprungsländern dringend gebraucht wird, spekuliert hier um
Kursgewinne und verwandelt sich in Zusatzkapital für
Produktionserweiterungen und Kreditvergabe in Händen und nach
den Opportunitätsgesichtspunkten der metropolitanen Banken
und Großkonzerne.
An der Börse wird letztlich um die Weltmarkt
beherrschenden Positionen von morgen gepokert. Unternehmen treten
den Gang zur Börse an, um die Differenz zwischen Nennwert der
Aktie und Ausgabekurs einzustreichen. Das gute Börsenklima
hat dafür den Boden bereitet. Für viele dieser
Unternehmen wird der Börsengang eine kurzfristige Episode
bleiben, weil mit der dadurch tendenziell ermöglichten
Produktionsausweitung die zur Aufnahme der Produkte nötigen
Märkte nicht oder nicht in gleicher Proportion mitwachsen.
Umgekehrt sichern sich Großkonzerne strategische Positionen,
indem sie ihre eigenen Aktien zu den derzeit überhöhten
Kursen zurückkaufen.
Noch immer ist das Geschehen an der Mehrzahl der metropolitanen
Börsen dadurch geprägt, daß die Masse der Zukäufe
an Aktien die der Verkäufe zwecks Gewinnmitnahme übersteigt,
woraus der Höhenflug der Kurse resultiert mit Notierungen,
die die Renditen aus Dividenden bei weitem übersteigen. Das
zeigt zunächst das enorme Volumen liquider Mittel an, die
nach Anlage drängen bei gleichzeitiger Konzentration auf ein
bestimmtes bevorzugtes Segment der an der Börse gehandelten
Titel. Die Wahrnehmung, daß es dabei zuginge wie im
Spielcasino, entspricht aber nur der Psychologie des
Kleinanlegers, der auf Gewinnmitnahme spekuliert, um dann -
geblendet von der Kapitals-Propaganda - den rechten Zeitpunkt
dafür doch zu verpassen. Vor allem ist die Börse der
Kampfplatz des Großkapitals - repräsentiert durch
Großaktionäre (Multimillionäre und Milliardäre)
und institutionelle Großanleger (Banken, Versicherungen
etc.)-, auf dem um strategische Unternehmensbeteiligungen gerungen
wird, letztlich unter der Zielvorgabe von Mehrheitsbeteiligung und
Übernahme. Wären die ausschlaggebenden Großkapitale
und Kapitalgruppen dergestalt in das Börsengeschehen
involviert, daß es ihnen um die Realisierung von
Kursgewinnen ginge, wären die Kurse längst eingebrochen.
(15) Heute befinden sich alle Imperialisten in abhängiger
Souveränität bis auf einen: die USA. Diese Konstellation
mindert das zwischenimperialistische Aggressionspotential und
steigert es nach außen und unten, im Verhältnis zur
Peripherie und gegenüber den Lohnabhängigen in den
Metropolen. Einzig der Oberherr ist ökonomisch und
militärisch potent genug, um sich über alle Welt
hinwegzusetzen. Zugleich hat er die Effektivität des
imperialistischen Systems im ganzen durch Institutionalisierungen
gesteigert, in die seine Konkurrenten eingebunden sind: IWF,
Weltbank, G 7; Nato. Unvermeidbare Reibungsverluste durch
Handelskonflikte usw. führen zu zeitweiligen Instabilitäten.
Innerimperialistische Großkonflikte dagegen setzen
ökonomische und militärische Parität - oder
annähernde Parität - unter konkurrierenden
imperialistischen Großmächten voraus. Daß der
deutsche Imperialismus sich erstmals im Bunde mit der stärksten
Macht weiß, macht ihn nicht ungefährlicher.
Die Schwierigkeiten, die der Imperialismus-Begriff bereitet,
lassen sich vielleicht so umschreiben: Imperialismus ist kein
theoretischer Begriff der Kritik der politischen Ökonomie,
während der Kapitalismus in unserem Jahrhundert und bis heute
keinen Zweifel an seinem imperialistischen Charakter aufkommen
läßt. Wie ist seine Vermittlung mit dem Kapitalbegriff
oder der Kapitallogik zu denken, wenn er nicht als mehr oder
weniger zufälliges Akzidens aufgefaßt werden soll?
Bedingung der Möglichkeit des Imperialismus ist, wovon
Lenin als einem unbedingten Gesetz des Kapitalismus gesprochen
hat: "Die Ungleichmäßigkeit der ökonomischen
und politischen Entwicklung ist ein unbedingtes Gesetz des
Kapitalismus" ("Über die Losung der Vereinigten
Staaten von Europa", August 1915, in: Werke 21, 345).
Ungleich verteilt sind die Ressourcen schon bei der Kapitalbildung
oder im Prozeß der ursprünglichen Akkumulation. Im
Prozeß der Kapitalverwertung teilt sich die Gesamtmasse des
angeeigneten Mehrwerts schließlich entsprechend der
organischen Zusammensetzung des Kapitals, also ungleich oder
ungleichmäßig. Den höher akkumulierten Kapitalen
wächst die Potenz zu, ihre Positionen auch mit
außerökonomischen Mitteln auszubauen und abzusichern.
Zu diesen außerökonomischen Mitteln gehören
formelle und informelle Absprachen zwischen Kapitalgruppen; dazu
gehören alle von dominierenden Kapitalinteressen
hegemonierten staatlichen und suprastaatlichen Aktivitäten.
Wachsende organische Zusammensetzung und
Konzentration/Zentralisation des Kapitals bedingen einander und
führen zu Monopolisierungserscheinungen vorübergehender
und dauerhafter Art. Zum Begriff des Monopols überhaupt
gehört die Erringung von Marktvorteilen gegenüber
Konkurrenten, tatsächlichen oder potentiellen.
Marktvermachtung ergibt sich aus technologischen Innovationen im
Zusammenhang mit der Stufenleiter der Produktion, wie sie nur den
am höchsten akkumulierten möglich ist und etwa durch
Patente auf Dauer gestellt wird.
Von den Autoren von "Monopol und Staat" (Untertitel:
"Zur Marx- Rezeption in der Theorie des
staatsmonopolistischen Kapitalismus", hrsg. von Rolf
Ebbighausen, edition suhrkamp 674, 1974) ist gegen die
Imperialismus-Theorie Lenins geltend gemacht worden, daß er
die Begriffe nicht kategorial aus der Kritik der politischen
Ökonomie entwickelt habe. Richtig an dem Einwand ist, daß
Lenins "Gemeinverständlicher Abriß", wie der
Untertitel von "Der Imperialismus als höchstes Stadium
des Kapitalismus" lautet, kein Äquivalent darstellt zu
den Büchern über den Weltmarkt und den Staat in der
ursprünglichen Konzeption von Marx für "Das
Kapital". Es schmälert aber nicht das Verdienst Lenins,
die Vermachtung ökonomischer Verhältnisse in den Formen
analysiert zu haben, die für ihn die zeitgenössischen
waren. Daß es sich bei der Imperialismus-Schrift nicht um
eine kategoriale Fortbestimmung des Kapitalbegriffs handelt, gibt
sich schon an der Darstellungsform zu erkennen. Mit den zentralen
Begriffen - Konzentration (Zentralisation), Monopol,
Finanzkapital, Imperialismus - wird nicht weniger als an Marx an
einen gegebenen Diskussionsstand und empirische Befunde
angeknüpft. Wenn Marktvermachtung aus dem Akkumulationsgesetz
folgt, so gilt das offenbar nicht ebenso für die Formen, in
denen sie sich vorübergehend und/oder dauerhaft durchsetzt.
(16) Der Warenkorb des Lohnarbeiters an Lebens- und
Entwicklungsmitteln vergrößert sich mit wachsender
Produktivkraft der Arbeit, in der Regel aber nicht im selben
Verhältnis, was auf steigenden relativen Mehrwert bei
gleichzeitiger Vergrößerung des Reallohns hinausläuft.
Bei diesem Regel- oder Durchschnittsfall sinkt der Wert der Ware
Arbeitskraft unter ihren Wert, vergrößert sich der
aliquote Teil des relativen Mehrwerts, während die
Wertminderung des Werts der Arbeitskraft durch die gesteigerte
Produktivität kompensiert und überkompensiert wird, was
sich in einem gleichbleibenden oder vergrößerten
Warenkorb ausdrückt. Wächst der Reallohn in Proportion
zum Produktivitätsfortschritt, was gesellschaftlich nur unter
Verhältnissen von Vollbeschäftigung möglich ist, so
kommt es zu einem gleichmäßigen Wachstum in der
Wertproportion Arbeitskraft/Kapital oder die Produktion relativen
Mehrwerts erlischt. Diesen Fall hat Marx nicht ins Auge gefaßt;
um real zu werden, bedurfte es der besonderen Bedingungen zweier
Weltkriege, von Kriegsproduktion und Systemkonkurrenz als "kaltem
Krieg".
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