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  KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 5 - 10.02.2000 - Onlineversion

Vollrat Neumann

Warenproduktion und Markt in einer sozialistischen Gesellschaft ?

- Aber nur ohne Marx und Engels !


Der in der UZ vom 20. 11. 1998 im Rahmen der Sozialismus-Debatte unter dem Titel "Warenproduktion und Markt im Sozialismus" zur Diskussion gestellte Auszug aus einem Aufsatz von Professor Pletnikow gebietet es, einen schon lange fälligen Streit um Grundsätzliches nun endlich mit aller notwendigen Schärfe auszutragen.

Dies ist um so mehr erforderlich, als wir jetzt in die Debatte um unser neues Parteiprogramm eintreten wollen. Diese Programmdebatte können wir aber nur sinnvoll führen, wenn wir bereit sind, den in der Diskussion um die Sozialismusvorstellungen der DKP offen zutage getretenen Gordischen Knoten der theoretischen Konfusion auch zu zerschlagen, statt unter Einsatz von Unmengen an Kompromiß-Leim seine längst fällige Paradoxie-Explosion immer weiter hinauszuzögern.

Es geht hier nicht darum, Pletnikows Ansichten in allen Einzelheiten zu kritisieren. Es geht vielmehr darum, daß Pletnikow und andere als moderne Marxisten geltende Theoretiker (und mit ihnen vieleicht sogar die Mehrheitsströmung der ganzen kommunistischen Weltbewegung) die behandelten Probleme historisch falsch einordnen, bzw., den historischen Entwicklungsabschnitt, in welchem diese Probleme existieren, mit dem hierfür falschen Namen "Sozialismus" oder "sozialistische Gesellschaft" etikettieren. Es geht hier also wesentlich um das, was Pletnikow erklärtermaßen selbst will, nämlich um "begriffliche Korrektheit" !

Mit unkorrekter Begrifflichkeit läßt sich offenkundig keine wissenschaftliche Theorie bilden. Falsche Begrifflichkeit führt zu falscher Theorie, schwammige Begrifflichkeit zu theoretischer Unklarheit, und paradoxe Begrifflichkeit führt zu theoretischer Konfusion. Anschließend führt dann mangelhafte Theorie zu mangelhafter Programmatik und diese wiederum zu mangelhafter Praxis. Marx entschiedene Forderung, in theoretischen Fragen keinerlei Kompromisse zu machen, können wir also nur gerecht werden, wenn wir die von Marx und Engels entwickelte korrekte Begrifflichkeit als unabdingbare Voraussetzung jeder marxistischen Theoriebildung streng beachten, also die "begriffliche Korrektheit" (Pletnikow) als Grundlage der theoretischen Korrektheit niemals preisgeben.

Von daher ist das nachfolgende als begriffliche Fundamentalkritik nicht nur an Pletnikow, sondern an der ganzen begriffsrevisionistischen, theoriekonfusionierenden und programmatikvernebelnden Strömung innerhalb der kommunistischen Bewegung zu verstehen.



1. Was ist eigentlich "Der Sozialismus" ?


Da Marx und Engels ihre Ansichten anfänglich überhaupt nicht als "sozialistisch", sondern ausschließlich als "kommunistisch" bezeichneten (siehe "Manifest"), ist zuerst zu fragen, was ist eigentlich "Der Kommunismus" bei Marx und Engels:

"Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben (wird). Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt." (MEW Bd. 3, S. 35, Hervorhebungen im Original)

"Der Kommunismus" war für Marx und Engels also die soziale Bewegung, welche die kapitalistische Klassengesellschaft aufhebt, - nicht jedoch (und ebensowenig wie "Der Sozialismus") ein Name zur Bezeichnung einer zukünftigen Gesellschaftsordnung. "Kommunismus" ist daher der korrekte Begriff für die revolutionäre Emanzipationsbewegung der proletarischen Klasse, für die Marx und Engels Partei ergriffen hatten.

Dagegen wurde "Der Sozialismus" in fast allen seinen mannigfaltigen Erscheinungsformen von Marx und Engels stets kritisiert, - allerdings mit einer wichtigen Ausnahme: Diese Ausname ist der proletarisch-revolutionäre Sozialismus, denn dieser Sozialismus ist die revolutionäre Bewegung des Proletariats, - daher ist dieser Sozialismus genau dasselbe wie der Kommunismus. (MEW Bd. 7, S. 89f)



2. Was ist der Sozialismus außerdem noch ?


Bei Marx und Engels gehört zu einer praktischen, sozialen oder politischen Bewegung auch ein theoretischer Ausdruck dieser Bewegung.

Der theoretische Ausdruck der noch jungen, unreifen Arbeiterbewegung seit der Französischen Revolution von 1789 war zunächst der "utopische Sozialismus", bzw. der "utopische Kommunismus". Spätestens seit dem Erscheinen des "Manifest der kommunistischen Partei" im Jahre 1848 ist der "wissenschaftliche Sozialismus", bzw. der "kritische Kommunismus" (MEW Bd. 21, S. 215) von Marx und Engels der theoretische Ausdruck der revolutionären Arbeiterbewegung, also der kommunistischen Bewegung.

Die Worte "Sozialismus" und "Kommunismus" haben also eine Doppelbedeutung:

In der allgemeinen Bedeutung ist "Sozialismus-Kommunismus" die revolutionäre Bewegung des Proletariats, also die praktische sozialistisch-kommunistische Bewegung.

In einer besonderen Bedeutung ist "Sozialismus-Kommunismus" der theoretische Ausdruck dieser Bewegung, also die sozialistisch-kommunistische Theorie. Die besondere Bedeutung im letzteren Sinne wird häufig durch Beifügung der Worte "wissenschaftlich" oder "kritisch" kenntlich gemacht.

Der "wissenschaftliche Sozialismus" oder "kritische Kommunismus" ist die dialektisch-materialistische Lehre von den historischen Bedingungen der Selbstbefreiung des Proletariats. Nach den Worten von Engels trägt diese Lehre zu recht den Namen von Marx (MEW Bd. 21, S. 291f). Der Marxismus schließt mit seiner proletarisch-revolutionären Emanzipations-Strategie die große Kluft zwischen dem Elend der Gegenwart und dem Heil der Zukunft, welche der utopische Sozialismus mit seinen zwar hehren, aber hilflosen Idealen nicht zu überbrücken vermochte.



3. Was ist der Sozialismus überhaupt nicht ?


"Der Sozialismus" und "Der Kommunismus" waren für Marx und Engels keine Namen zur Bezeichnung einer zukünftigen Gesellschaftsordnung!

Für die Gesellschaftsformation der Zukunft, die das Resultat der radikalen Negation der kapitalistischen Produktionsweise und der revolutionären Aufhebung der bürgerlichen Klassengesellschaft sein wird, und die daher das bewußte Ziel und der höchste Zweck der kommunistischen Bewegung ist, hatten Marx und Engels verschiedene Namen in Gebrauch:

- Im "Manifest" heißt es: "An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." (MEW Bd. 4, S. 482, Hervorhebung V.N.)

- Häufig verwenden Marx und Engels die schlichte Bezeichnung "klassenlose Gesellschaft". (MEW Bd. 4, S. 596; MEW Bd. 28, S. 507f)

- Auch reden sie nicht ungern von der "kommunistischen Gesellschaft". (MEW Bd. 38, S. 128; MEW Bd. 19, S. 28; MEW Bd. 19, S. 19-21)

- Selbst der Ausdruck "sozialistische Gesellschaft" kommt in Anwendung (MEW Bd. 19, S. 6f; MEW Bd. 37, S. 447), wenn auch manchmal in einer indirekten Weise, die anscheinend eine kritische Differenz ausdrücken soll.

So umschreibt Marx in der "Kritik des Gothaer Programms" den im kritisierten Programmentwurf verwendeten Ausdruck "sozialistische Gesellschaft", indem er einfach deutsch redet:

"Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebensowenig erscheint hier die auf die Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren." (MEW Bd. 19, S. 19f, Hervorhebung V.N.) Im Anschluß an dieses Zitat verwendet Marx dann durchgängig den Ausdruck "kommunistische Gesellschaft".

Wichtig ist, an dieser Stelle festzuhalten, daß es bei Marx und Engels offensichtlich keinerlei Begriffsunterschied zwischen den verschiedenen Ausdrücken gibt: - "klassenlose Gesellschaft", "sozialistische Gesellschaft" und "kommunistische Gesellschaft" sind nur drei verschiedene Namen für ein und dieselbe Gesellschaftsformation! Insofern ist es im Sinne von "begrifflicher Korrektheit" im Umgang mit marxistischer Terminologie völlig in Ordnung, anstelle von "der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft" und "einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft" in absolut synonymer Weise auch von "der ersten Phase der sozialistischen Gesellschaft" und "einer höheren Phase der sozialistischen Gesellschaft" oder von "der ersten Phase der klassenlosen Gesellschaft" und "einer höheren Phase der klassenlosen Gesellschaft" zu reden. Alle drei Ausdrucks-Paare sind dem Inhalt der gemeinten Sache nach ein und derselbe Begriff.

Wenn diese Wahrheit in der kommunistischen Bewegung Allgemeingut würde, dann wären allerdings alle revisionistischen Wunschträume nach einer sogenannten "sozialistischen Gesellschaft" mit Privateigentum an Produktionsmitteln, mit Warenproduktion und Markt, mit Wertgesetz und Geld, sowie mit Klassen und Staat entgültig erledigt. Für diese Wahrheit haben Marx und Engels seit dem Jahre 1843 ihr Leben lang gestritten!



4. Was ist eine sozialistische Gesellschaft ?


Marx und Engels haben niemals einen Zweifel daran gelassen, daß eine klassenlose oder sozialistische oder kommunistische Gesellschaft wesentlich darauf gegründet ist, daß alle Produktionsmittel Eigentum des Gemeinwesens sind !

Aus diesem Grundmerkmal einer sozialistischen Gesellschaft folgt ökonomisch (da das Privateigentum an Produktionsmitteln vollständig überwunden ist), daß keine Privatproduktion (Warenproduktion) und demgemäß auch kein Austausch (Verkauf und Einkauf) der Produkte auf einem Markt mehr stattfinden können. Da die Produkte der gesellschaftlichen Gesamtarbeit nicht mehr privat angeeignet werden, verbleiben sie zu einem Teil zum Zwecke gemeinschaftlicher Nutzung im Gemeineigentum und werden zum anderen Teil zum Zwecke individueller Bedürfnisbefriedigung unter die Mitglieder des Gemeinwesens verteilt, gehen also ohne Privataustausch in persönliches Eigentum über.

Weil es überhaupt keine Waren (Gebrauchswerte mit Tauschwert) mehr gibt, sondern nur noch Güter (Gebrauchswerte ohne Tauschwert), ist natürlich auch die eine besondere Ware verschwunden, die den Namen "Geld" trägt, und deren ehemaliger Gebrauchswert, gegen alle anderen Waren unmittelbar austauschbar zu sein, nun überhaupt nicht mehr zu gebrauchen ist. In einer Welt ohne Waren, ohne Markt und ohne Tauschwert, hat natürlich selbstredend auch das Wertgesetz die Existenzbedingungen für seine Gültigkeit vollständig eingebüßt.

Das Wesensmerkmal einer sozialistischen Ökonomie besteht darin, daß auf der Grundlage des Gemeineigentums an allen Produktionsmitteln und unter Anwendung der unmittelbaren Arbeitszeitrechnung in der sozialistischen Buchführung (anstelle der Wert- bzw. Geldrechnung in der kapitalistischen Buchhaltung) eine gesamtgesellschaftliche Planung der Produktion und anschließende kommunistische Verteilung der produzierten Güter (bei individuellen Konsumgütern nach Bedürftigkeit und Arbeitsleistung, später nach Bedürfnissen) verwirklicht ist. Es wird niemanden mehr interessieren, wieviel Geld die Herstellung einer Ware gekostet hat, aber es wird alle interessieren wieviel Arbeitszeit die Herstellung jedes Produkts und aller produzierten Güter gekostet hat, denn bei möglichst breiter und gleichmäßiger Verteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit auf alle Arbeitsfähigen, heißt weniger Arbeitszeitkosten für das einzelne Produkt eben zweierlei: erstens bessere Güterversorgung für alle, und zweitens weniger Arbeitszeit für alle. MEW Bd. 42, S.105; MEW Bd. 23, S. 92f)

Außer als Größe für die Produktionsplanung dient die Arbeitszeit in der ersten Phase der sozialistischen Gesellschaft auch noch als ein Kriterium für die Verteilung der Konsumgüter für den individuellen Gebrauch. Wer braucht da zu allem Überfluß noch ein Wertgesetz ?



5. Die revolutionäre Übergangsperiode vor der sozialistischen Gesellschaft


Marx und Engels haben auch keinen Zweifel daran gelassen, daß das Proletariat sich nicht wird befreien können, ohne zugleich alle Klassenunterschiede aufzuheben; und daß das Ziel der Aufhebung aller Klassen es erforderlich macht, die bürgerliche Gesellschaft einer vollständigen sozialen Revolution zu unterwerfen, in deren Entwicklungsverlauf nach und nach sämtliches Privateigentum an Produktionsmitteln in Gemeineigentum überführt werden muß.

Ferner steht nach Marx und Engels unzweifelhaft fest, daß das Proletariat genötigt sein wird, als ersten Schritt dieser Arbeiterrevolution die Diktatur der Bourgeoisie (Oligarchie) zu stürzen und sich selbst als große Volksmehrheit die Staatsgewalt anzueignen (Demokratie).

Die Erkämpfung der Demokratie als erster Schritt der Arbeiterrevolution ist die unabdingbare Voraussetzung für alle weiteren Schritte des Entwicklungsprozesses der sozialen Revolution des Proletariats, deren wesentlichster Inhalt eben darin besteht, sukzessive alle Produktionsmittel in gesamtgesellschaftliches Eigentum zu überführen und damit gegen Ende der revolutionären Übergangsperiode alle Klassenunterschiede aufzuheben.

Am Ende des revolutionären Entwicklungsprozesses folgt dann auch das Absterben des Staates, als eines Gewaltapparates zum Zwecke der Klassenunterdrückung, weil es am Ende der Revolution eben keine Klassen mehr geben wird. Das Ende der (vorsozialistischen!) revolutionären Übergangsperiode zwischen kapitalistischer und sozialistischer Gesellschaft ist zugleich der Anfang der (nachrevolutionären!) ersten Phase der klassenlosen sozialistischen Gesellschaft.



6. Weg und Ziel des Klassenkampfs


Bei Marx und Engels sind erstens "die revolutionäre Übergangsperiode zwischen kapitalistischer und kommunistischer Gesellschaft" und zweitens "die erste Phase der kommunistischen Gesellschaft" zwei einerseits qualitativ grundverschiedene und andererseits historisch nacheinander folgende gesellschaftliche Entwicklungsabschnitte.

Das vollständige Durchlaufen der revolutionären Übergangsperiode ist die historisch notwendige Voraussetzung für das Ankommen in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft. Die "revolutionäre Übergangsperiode" bezeichnet also den Weg, und die "erste Phase der kommunistischen Gesellschaft" bezeichnet das Ziel des revolutionären Emanzipationskampfs der proletarischen Klasse.

Während des historischen Entwicklungsverlaufs der revolutionären Übergangsperiode existiert (mit abnehmender Tendenz) immer noch Privateigentum an Produktionsmitteln. Außerdem sind auch noch für einige Zeit Übergangsformen zwischen Privateigentum und Gemeineigentum möglich, z.B. Genossenschaftseigentum. Demgemäß ist während der Übergangsperiode auch Warenproduktion, Warentausch innerhalb des privaten sowie zwischen privatem und staatlichem Wirtschaftssektor, damit auch eine relative Gültigkeit der Marktgesetze und somit des Wertgesetzes am Anfang fast gar nicht und selbst gegen Ende der Übergangsperiode nicht vollkommen auszuschließen. Demgemäß existieren natürlich auch noch unterschiedliche Klassen (wenn auch mit abnehmender Tendenz) und Klassengegensätze und Klassenkämpfe (nicht durchgängig mit abnehmender Tendenz) und ein Staat der revolutionären Demokratie des Proletariats. Es ist eben ein historischer Übergangsprozeß der bei aller unvermeidlichen Koexistenz und sogar notwendiger Kooperation doch den Charakter einer sich wechselseitig absolut ausschließenden Konkurrenz zwischen Altem und Neuen hat.

Mit dem Eintritt in die erste Phase der kommunistischen Gesellschaft jedoch hat es mit allen diesen Übergangsphänomenen ein Ende. Die revolutionäre Entwicklung der Gesellschaft ist abgeschlossen und es beginnt das Zeitalter der friedlichen evolutionären Entwicklung der klassenlosen Gesellschaft. (MEW Bd. 4, S. 182)



7. Konfusion und Eklektizismus


Obwohl Marx und Engels an vielen Stellen ihres Werkes den Unterschied und Zusammenhang von Weg und Ziel des proletarischen Freiheitskampfs klar und überzeugend dargelegt haben, so erfährt man doch von marxistischen Theoretikern unseres Jahrhunderts desto weniger davon, je älter dieses Jahrhundert wird. Die meisten waren offensichtlich so sehr mit dem „Weiterentwickeln“ des Marxismus beschäftigt, daß sie darüber ganz vergessen haben, was das eigentlich ist, das sie da ursprünglich einmal weiterentwickeln wollten.

Fast nie wird zwischen dem Weg der revolutionären Übergangsperiode und dem Ziel der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft unterschieden. Vielmehr wird ziemlich regelmäßig so getan, als sei beides (also Weg und Ziel) ein und dasselbe, indem beides unter dem Namen eines sogenannten "Sozialismus" zu einem doch recht mystischen Gebilde zusammengefaßt wird.

Prüft man einmal nach, was dieser "Sozialismus" denn eigentlich sein soll, so hört man nicht selten die Definition: "Der Sozialismus ist die niedere Phase des Kommunismus." Fragt man weiter nach den Wesensmerkmalen dieses sogenannten "Sozialismus", so erfährt man, daß dieser "Sozialismus" keines der Wesensmerkmale der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft aufweist, bis auf ein einziges, nämlich seinen nachrevolutionären und damit rein evolutionären Charakter. Im übrigen besitzt dieser "Sozialismus" dann alle Wesensmerkmale der revolutionären Übergangsperiode (nämlich in erheblichem Umfang Privateigentum, Warenproduktion, Markt, Wertgesetz, Klassen, Staat, ect.), nur eines der Wesensmerkmale nicht, nämlich den revolutionären Charakter, - weil man nämlich kurzerhand den langwierigen Gesamtprozeß der sozialen Revolution des Proletariats definitorisch auf den ersten Schritt dieser Revolution, den Akt der politischen Machtergreifung des Proletariats, verkürzt hat. Der zweite und jeder weitere Entwicklungsschritt der proletarischen Revolution gehört dann definitionsgemäß nicht mehr zur Revolution, sondern zum sogenannten "Sozialismus" und ist damit keine Revolution mehr, sondern nur noch reine Evolution.

Kann es sein, daß hier eine Anpassung der Theorie an eine verunglückte Praxis stattgefunden hat? Eine solche Theorie wäre dann nur dazu "gut", die verunglückte Praxis noch tiefer ins Unglück zu stürzen.

Jedenfalls bringen die modernen Marxisten folgendes fertig:

- weil den modernen Marxisten an der revolutionären Übergangsperiode anscheinend nur alles revolutionäre nicht ins Konzept paßt, wird dieses kurzerhand liquidiert;

- weil ihnen an der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft im wesentlichen nur das kommunistische utopisch erscheint, wird auch dieses liquidiert;

- anschließend werden die beiden verbliebenen Reste zu einer Einheit (eigenständige Gesellschaftsformation) zusammengefaßt und bekommen das Etikett "Sozialismus" aufgeklebt;

- zum Schluß versuchen die modernen Marxisten dann auch noch, dem Proletariat (oder dem Kleinbürgertum?) diese eklektische Konfusion als Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft schmackhaft zu machen.

Wenn die modernen Marxisten fast alle Eigenschaften der (vorsozialistischen!) revolutionären Übergangsperiode in die (nachrevolutionäre) erste Phase der klassenlosen sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft hineinprojezieren, dann projezieren sie damit auch den Weg in das Ziel hinein. Das Ziel wird damit theoretisch und programmatisch vom Weg liquidiert. Der (ziellos gewordene) Weg ersetzt damit das fehlende Ziel.

Die modernen Kommunisten sind damit genau dort angekommen, wo der alte Revisionist Eduard Bernstein die alten Sozialisten schon immer hinhaben wollte !



8. Und was ist nun mit Pletnikow ?


Manches von dem, was der Genosse Pletnikow in seinem Aufsatz vorträgt, ist durchaus nicht abwegig. Wir sollten uns mit diesen Problemen theoretisch befassen und werden uns hoffentlich in Zukunft auch praktisch damit auseinanderzusetzen haben.

Aber alles was Professor Pletnikow zu Warenproduktion, Marktökonomie und Wertgesetz sagt, das alles können keine Probleme einer sozialistischen Gesellschaft sein. Diese Probleme gehören nämlich alle zum historischen Vorfeld einer sozialistischen Gesellschaft. Es handelt sich hierbei um Probleme, mit denen das Proletariat im Verlaufe der historischen Entwicklung der (vorsozialistischen!) revolutionären Übergangsperiode wird umgehen müssen.

Eine sozialistische Gesellschaft im Sinne der "begrifflichen Korrektheit" (Pletnikow) der Lehre von Marx und Engels wird derartige Probleme überhaupt nicht mehr haben können, weil diese Probleme zum historischen Zeitpunkt des Anfangs der sozialistischen Gesellschaft (an dem die Menschheit ihre eigentliche Geschichte beginnt, indem sie die Grenze zwischen dem Reich der Notwendigkeit und dem Reich der Freiheit überschreitet) dann allesamt zusammen mit der ganzen Übergangsperiode der Vergangenheit angehören werden !



9. Und was ist mit dem "real existierenden Sozialismus" ?


Der "Sozialismus" im Sinne des Begriffs von Marx und Engels, d. h. die "sozialistische Bewegung" existiert real in mittlerweile so ziemlich allen Ländern. Demnach sind annähernd alle Länder auch "Länder des real existierenden Sozialismus"! Was allerdings zur Vervollkommnung noch fehlt, das ist die dazugehörige sozialistisch-kommunistische Internationale!

Eine real existierende "sozialistische Gesellschaft" im Sinne begrifflicher Korrektheit der Lehre von Marx und Engels ist jedenfalls auf diesem Planeten leider bisher noch nirgends entstanden !

Was auf einem Teil der Oberfläche dieses Planeten allerdings schon entstanden (und teilweise leider auch wieder vergangen) ist, das ist die historische Höhe eines gesellschaftlichen Entwicklungsniveaus, das man im Sinne der Begrifflichkeit von Marx und Engels durchaus bezeichnen könnte als: "real existierende revolutionäre Übergangsperiode zwischen kapitalistischer und sozialistischer Gesellschaft"!


Vollrat Neumann, Hamburg

 

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