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KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 3 - 28.06.1999 - Onlineversion

Ansgar Knolle-Grothusen

editorial: Der Krieg und der Kommunismus

Bomben auf Städte, Dörfer, Brücken, Fabriken, Menschen in Jugoslawien haben in den letzten Monaten ein Schlaglicht geworfen auf die Welt, in der wir leben.
Immerhin - der Krieg war noch ein Stück entfernt, scheinbar, von unserem Alltag im Kern von Euroland. Ein paar Debatten mit Kollegen in der Mittagspause während der ersten Kriegstage, ein paar Demonstrationen, und die Abende eingefangen vor der Mattscheibe als Zuschauer des Spektakels, wie das Kaninchen vor der Schlange; vielleicht mit Wut im Bauch, mit Ekel und Abscheu vor der Kriegspropaganda und trotzdem gezwungen, ihre Wendungen zu verfolgen.
Ansonsten scheint auf den ersten Blick der Krieg nicht viel verändert zu haben am Leben hierzulande.
Doch sehen wir genauer hin: er hat etwas verändert. Wenn ich beim scheinbar unbedeutendsten beginne: Er hat das Erscheinen dieser Ausgabe der KOMMUNISTISCHEN STREITPUNKTE verzögert.
Na und - könnte man fragen. Was soll auch eine Debatte um den Übergang zum Kommunismus und sein revolutionäres Programm, wenn ringsumher ganz andre Übergänge stattfinden?
So mancher, der sich bisher in der Streitpunkte-Debatte zu Wort gemeldet hat, setzt in diesen Tagen den Arbeitsschwerpunkt auf das unmittelbare Eingreifen, auf das Schreiben von Flugblättern, auf die Vorbereitung von Demonstrationen, Veranstaltungen und Aktionen.
Die Kluft zwischen der allseits verspürten Notwendigkeit schnell zu organisierter kommunistischer Praxis vorzustoßen und der tatsächlichen Marginalisierung des Kommunismus, gleichzeitig die Kluft zwischen der objektiven Notwendigkeit des revolutionären Übergangs zu kommunistischer Produktionsweise und der theoretischen und organisatorischen Entwaffnung des Proletariats, erscheint im Lichte des mit den Bomben auf Jugoslawien eingeläuteten sozialen und ideologischen Generalangriffs auf die Arbeiterklasse - zumindest hierzulande - besonders grell und schmerzhaft.
Nicht von ungefähr setzen die Beiträge in dieser Ausgabe daher einen Schwerpunkt auf die Ursachen für die Kluft zwischen objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Kommunismus, auf die Organisationsfrage, aufs Verhältnis von Partei und Klasse, aufs Verhältnis von Theorie und Praxis.

Auch an dem Wochenende, zu dem die KOMMUNISTISCHEN STREITPUNKTE im April eingeladen hatten, spielte die Frage des Durchstoßes zu gemeinsamer Praxis eine wichtige Rolle. Als wir zusammenkamen, ging das Bombardement jugoslawischer Städte gerade in die 4.Woche. Eine Verständigung über den Krieg stand daher am Anfang des Treffens.
Das Spektrum der Ausgangspositionen war denkbar breit gefächert:
Von einer einzelnen Stimme, die meinte, vom Standpunkt der Verhinderung eines Rückfalls in mittelalterliche Barbarei aus die Strafexpedition der NATO gegen Jugoslawien begrüßen zu müssen, über einen Standpunkt der zwei gleichzeitige Kriege sah - einen der NATO gegen Jugoslawien und einen der jugoslawischen Armee gegen die albanischenen Bevölkerungsteile im Kosovo, über ein etwas ratloses Spektrum, das meinte, von einem imperialistischen Krieg im herkömmlichen Sinne könne man nicht sprechen, bis hin zu den Genossinnen und Genossen, die in dem Krieg einen Ausdruck imperialistischer Aktivitäten sahen; diese wiederum geteilt in die Position, die hier einen weitgehend vereinheitlichten Weltimperialismus am Werk sahen, über die Positionen, die entweder im US-amerikanischen oder im deutschen Imperialismus die treibende Kraft meinten ausmachen zu können, bis hin zu der Position, daß sich hinter dem vordergründig als NATO-Krieg gegen Jugoslawien identifizierbaren Krieg tatsächlich ein Machtkampf zwischen den USA und dem Euro-Europa unter deutscher Führung verberge.
Allen war klar: Eine Debatte, die die Analyse und Kritik der gegenwärtigen gesellschaftlichen Prozesse nicht einbezieht, kann keine Theorie der Praxis werden, kann nicht zur Waffe der wirklichen Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt, werden.

Wir kamen daher überein, ein Sonderheft der KOMMUNISTISCHEN STREITPUNKTE zum Krieg herauszugeben. Als Konzeption für dieses Heft, das in den kommenden Tagen fertiggestellt werden soll, hat sich folgendes herauskristallisiert:
Wir wollen Versuche kommunistischer Analyse und Kritik, wie sie von verschiedenen Seiten den Kriegsverlauf begleitend entwickelt wurden, dokumentieren. Dadurch wird möglicherweise der tatsächliche Zustand des Kommunismus heute bruchstückhaft sichtbar, seine analytischen und theoretischen Defizite, seine Praxis, möglicherweise auch eine Entwicklung im Verlauf dreier Monate.
Dazu werden wir die zum Abdruck in den Streitpunkten eingereichten Texte ergänzen durch einen Überblick über weitere Veröffentlichungen. Im Zeitverlauf zeigt sich hier auch eine Schwerpunktverlagerung: Während in den ersten Kriegstagen das Zerreißen des Nebelvorhangs aus Menschenrechts-Propaganda im Vordergrund stand, lag nach einem Monat das Schwergewicht auf der Analyse des hinter diesem Vorhang zum Vorschein kommenden Interessengeflechts. In den letzten Beiträgen schließlich wird der Blick gewendet auf die mediale, psychologische und soziale Kriegführung der aneignenden gegen die proletarisierte Klasse hierzulande und ein direkter Bezug zur Streitpunkte-Debatte hergestellt.

Weiteres vom Streitpunkte-Treffen im April im Telegrammstil:

  • Die redaktionellen Grundsätze der Kommunistischen Streitpunkte wurden in der vorliegenden Form angenommen.
  • Es wurde beschlossen, daß die technische Redaktion der Streitpunkte weiterhin bei den Hamburgern liegt.
  • Es wurde beschlossen, für die Streitpunkte eine neue Postadresse zu suchen. Sie lautet: KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE c/o V.Neumann, Heymannstraße 10c, 20253 Hamburg
  • Es wurde beschlossen, die Streitpunkte weiterhin auch in einer Online-Version herauszubringen. Die Online-Version der KOMMUNISTISCHEN STREITPUNKTE ist im Internet unter folgenden Adressen zu finden:
    http://www.members.partisan.net/streitpunkte/
    http://members.aol.com/streitpkte/
  • Der Vorschlag, die Kommunistischen Streitpunkte völlig in den Rahmen der sich momentan überregional herausbildenden Strukturen von Offenen Kommunistischen Foren zu stellen, wurde nach längerer Diskussion vertagt, weil bei einer Reihe von Teilnehmern des Treffens noch Vorbehalte gegenüber der derzeitigen Zusammensetzung der OKFs und ihrer Entwicklungsperspektive bestehen - es wurde vorläufig nur beschlossen, die Entwicklung der OKFs aufmerksam zu verfolgen und die Kommunistischen Streitpunkte in den Katalog der Veröffentlichungen von Offenen Kommunistischen Foren zu stellen.
 

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