Bomben auf Städte, Dörfer, Brücken,
Fabriken, Menschen in Jugoslawien haben in den letzten
Monaten ein Schlaglicht geworfen auf die Welt, in der wir
leben.
Immerhin - der Krieg war noch ein Stück entfernt,
scheinbar, von unserem Alltag im Kern von Euroland. Ein
paar Debatten mit Kollegen in der Mittagspause während
der ersten Kriegstage, ein paar Demonstrationen, und die
Abende eingefangen vor der Mattscheibe als Zuschauer des
Spektakels, wie das Kaninchen vor der Schlange;
vielleicht mit Wut im Bauch, mit Ekel und Abscheu vor der
Kriegspropaganda und trotzdem gezwungen, ihre Wendungen
zu verfolgen.
Ansonsten scheint auf den ersten Blick der Krieg nicht
viel verändert zu haben am Leben hierzulande.
Doch sehen wir genauer hin: er hat etwas verändert. Wenn
ich beim scheinbar unbedeutendsten beginne: Er hat das
Erscheinen dieser Ausgabe der KOMMUNISTISCHEN
STREITPUNKTE verzögert.
Na und - könnte man fragen. Was soll auch eine Debatte
um den Übergang zum Kommunismus und sein revolutionäres
Programm, wenn ringsumher ganz andre Übergänge
stattfinden?
So mancher, der sich bisher in der Streitpunkte-Debatte
zu Wort gemeldet hat, setzt in diesen Tagen den
Arbeitsschwerpunkt auf das unmittelbare Eingreifen, auf
das Schreiben von Flugblättern, auf die Vorbereitung von
Demonstrationen, Veranstaltungen und Aktionen.
Die Kluft zwischen der allseits verspürten Notwendigkeit
schnell zu organisierter kommunistischer Praxis vorzustoßen
und der tatsächlichen Marginalisierung des Kommunismus,
gleichzeitig die Kluft zwischen der objektiven
Notwendigkeit des revolutionären Übergangs zu
kommunistischer Produktionsweise und der theoretischen
und organisatorischen Entwaffnung des Proletariats,
erscheint im Lichte des mit den Bomben auf Jugoslawien
eingeläuteten sozialen und ideologischen Generalangriffs
auf die Arbeiterklasse - zumindest hierzulande -
besonders grell und schmerzhaft.
Nicht von ungefähr setzen die Beiträge in dieser
Ausgabe daher einen Schwerpunkt auf die Ursachen für die
Kluft zwischen objektiven und subjektiven Voraussetzungen
des Kommunismus, auf die Organisationsfrage, aufs Verhältnis
von Partei und Klasse, aufs Verhältnis von Theorie und
Praxis. Auch an dem Wochenende, zu dem die KOMMUNISTISCHEN STREITPUNKTE
im April eingeladen hatten, spielte die Frage des
Durchstoßes zu gemeinsamer Praxis eine wichtige Rolle.
Als wir zusammenkamen, ging das Bombardement
jugoslawischer Städte gerade in die 4.Woche. Eine Verständigung
über den Krieg stand daher am Anfang des Treffens.
Das Spektrum der Ausgangspositionen war denkbar breit gefächert:
Von einer einzelnen Stimme, die meinte, vom Standpunkt
der Verhinderung eines Rückfalls in mittelalterliche
Barbarei aus die Strafexpedition der NATO gegen
Jugoslawien begrüßen zu müssen, über einen Standpunkt
der zwei gleichzeitige Kriege sah - einen der NATO gegen
Jugoslawien und einen der jugoslawischen Armee gegen die
albanischenen Bevölkerungsteile im Kosovo, über ein
etwas ratloses Spektrum, das meinte, von einem
imperialistischen Krieg im herkömmlichen Sinne könne
man nicht sprechen, bis hin zu den Genossinnen und
Genossen, die in dem Krieg einen Ausdruck
imperialistischer Aktivitäten sahen; diese wiederum
geteilt in die Position, die hier einen weitgehend
vereinheitlichten Weltimperialismus am Werk sahen, über
die Positionen, die entweder im US-amerikanischen oder im
deutschen Imperialismus die treibende Kraft meinten
ausmachen zu können, bis hin zu der Position, daß sich
hinter dem vordergründig als NATO-Krieg gegen
Jugoslawien identifizierbaren Krieg tatsächlich ein
Machtkampf zwischen den USA und dem Euro-Europa unter
deutscher Führung verberge.
Allen war klar: Eine Debatte, die die Analyse und Kritik
der gegenwärtigen gesellschaftlichen Prozesse nicht
einbezieht, kann keine Theorie der Praxis werden, kann
nicht zur Waffe der wirklichen Bewegung, welche den
jetzigen Zustand aufhebt, werden.
Wir kamen daher überein, ein Sonderheft der KOMMUNISTISCHEN STREITPUNKTE
zum Krieg herauszugeben. Als Konzeption für dieses Heft,
das in den kommenden Tagen fertiggestellt werden soll,
hat sich folgendes herauskristallisiert:
Wir wollen Versuche kommunistischer Analyse und Kritik,
wie sie von verschiedenen Seiten den Kriegsverlauf
begleitend entwickelt wurden, dokumentieren. Dadurch wird
möglicherweise der tatsächliche Zustand des Kommunismus
heute bruchstückhaft sichtbar, seine analytischen und
theoretischen Defizite, seine Praxis, möglicherweise
auch eine Entwicklung im Verlauf dreier Monate.
Dazu werden wir die zum Abdruck in den Streitpunkten
eingereichten Texte ergänzen durch einen Überblick über
weitere Veröffentlichungen. Im Zeitverlauf zeigt sich
hier auch eine Schwerpunktverlagerung: Während in den
ersten Kriegstagen das Zerreißen des Nebelvorhangs aus
Menschenrechts-Propaganda im Vordergrund stand, lag nach
einem Monat das Schwergewicht auf der Analyse des hinter
diesem Vorhang zum Vorschein kommenden
Interessengeflechts. In den letzten Beiträgen schließlich
wird der Blick gewendet auf die mediale, psychologische
und soziale Kriegführung der aneignenden gegen die
proletarisierte Klasse hierzulande und ein direkter Bezug
zur Streitpunkte-Debatte hergestellt.
Weiteres vom Streitpunkte-Treffen im April im
Telegrammstil:
- Die redaktionellen Grundsätze der
Kommunistischen Streitpunkte wurden in der
vorliegenden Form angenommen.
- Es wurde beschlossen, daß die technische
Redaktion der Streitpunkte weiterhin bei den
Hamburgern liegt.
- Es wurde beschlossen, für die Streitpunkte eine
neue Postadresse zu suchen. Sie lautet: KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE
c/o V.Neumann, Heymannstraße 10c, 20253 Hamburg
- Es wurde beschlossen, die Streitpunkte weiterhin
auch in einer Online-Version herauszubringen. Die
Online-Version der KOMMUNISTISCHEN
STREITPUNKTE ist im
Internet unter folgenden Adressen zu finden:
http://www.members.partisan.net/streitpunkte/
http://members.aol.com/streitpkte/
- Der Vorschlag, die Kommunistischen Streitpunkte völlig
in den Rahmen der sich momentan überregional
herausbildenden Strukturen von Offenen
Kommunistischen Foren zu stellen, wurde nach längerer
Diskussion vertagt, weil bei einer Reihe von
Teilnehmern des Treffens noch Vorbehalte gegenüber
der derzeitigen Zusammensetzung der OKFs und
ihrer Entwicklungsperspektive bestehen - es wurde
vorläufig nur beschlossen, die Entwicklung der
OKFs aufmerksam zu verfolgen und die
Kommunistischen Streitpunkte in den Katalog der
Veröffentlichungen von Offenen Kommunistischen
Foren zu stellen.
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