Nr.2/1998
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Abkopplung verhindert
Streikdrohung in der ostdeutschen Stahlindustrie

von BERND KOOP

Der westlich dominierte Arbeitgeberverband hat zum wiederholten Mal
versucht, am Rad der Geschichte zu drehen. Es soll in Deutschland ein
oestliches Billiglohnland geben, um auch in den alten Bundeslaendern den
Lebensstandard druecken und soziale Errungenschaften in Frage stellen zu
koennen. Als ob die Bundesregierung nicht -- wegen des zu geringen
Widerstands -- genug in dieser Richtung getan haette.

Wie 1993 haben die Stahlarbeitgeber auch Ende 1997 versucht, in der
Stahltarifrunde den Tarifvertrag Ost vom Westen abzukoppeln, d.h. einen
niedrigeren Lohn und eine laengere Laufzeit fuer die ostdeutsche
Stahlindustrie durchzusetzen. Dabei darf man nicht vergessen, dass der
Effektivlohn im Stahlbereich Ost immer noch bei ca. 85% des Westlohns
liegt. Die Tarifverhandlungen wurden erstmals getrennt fuer West und Ost
gefuehrt; Vorreiter war NRW. Im Westen war man sich schnell einig (2,6%
mehr Lohn). Schliesslich wollen die Firmen ja ihr Geschaeft im momentanen
Stahlboom machen.

Das Minimum war, dass der Vertrag im Osten uebernommen wird. Hier im Osten
liegen die Preise ja auch nicht bei 80% vom Westniveau. Waere dies so,
haette man sich sicherlich einigen koennen. Doch so war und bleibt der
Druck auf die Belegschaften hoch, die volle Angleichung an den Westtarif
durchzusetzen. Sieben Jahre lang hat die IG Metall fuer eine Annaeherung
der ostdeutschen Loehne und Gehaelter an das Westniveau gekaempft. 1993
wehrte sie sich in einem mehrwoechigen Arbeitskampf gegen die fristlose
Kuendigung der Tarifvertraege im Osten durch die Stahlbosse. Sie konnte
durchsetzen, dass das Ziel der Angleichung bleibt, allerdings in einem
Stufenplan gestreckt wird. Vereinbart wurden schliesslich effektiv 85% des
Westlohns.

In der jetzigen Tarifrunde ging es darum, diese Schere nicht wieder
aufzumachen und eine wiederholte Abkopplung nicht zuzulassen. Die
Unternehmer hingegen forderten fuer die Stahlindustrie Ost ultimativ vor
der Uebernahme des NRW-Ergebnisses eine mehrmonatige Nullrunde und eine
laengere Laufzeit des Vertrags. Das war fuer die Belegschaften
unakzeptabel. Die Forderung der IG Metall fuer die ostdeutsche
Stahlindustrie hatte eigentlich 5% gelautet. Die Gewerkschaftsfuehrung
kochte sie jedoch in den Verhandlungen eigenmaechtig auf die reine
Uebernahme des Westabschlusses herunter. Doch auch der Versuch, dieses
Ergebnis auf dem Weg der Schlichtung gegen die starre Haltung der
Arbeitgeber durchzusetzen, war zum Scheitern verurteilt.

Die massiven Einschuechterungsversuche seitens der Stahlbosse haben ihr
Ziel jedoch verfehlt. Die Urabstimmung brachte die notwendige Mehrheit.
Erst die konsequente Vorbereitung und Ankuendigung eines Streiks in der
ostdeutschen Stahlindustrie liess die Arbeitgeber einlenken. Ob das
Ergebnis ausreichend ist, wird sich zeigen. Das politische Ziel, an das
westdeutsche Tarifniveau angekoppelt zu bleiben, ist im wesentlichen
erreicht worden. Es wird eine Signalwirkung auf die nachfolgenden
Tarifverhandlungen in anderen ostdeutschen Branchen haben.

Die Befuerchtung, dass weiter steigende Personalkosten zu weiterem
Arbeitsplatzabbau fuehren, ist nicht von der Hand zu weisen. Die
Unternehmer werden das Tarifergebnis deshalb auch dazu missbrauchen, einen
solchen zu begruenden. Doch es gibt eine unendliche Liste von Beispielen
dafuer, dass Lohnverzicht keine Arbeitsplaetze sichert. Hier setzt die
Spirale doch an: Wer kein Geld hat, kann sich nichts kaufen. Fuer wen
wollen die Unternehmer dann produzieren?

Bernd Koop ist Betriebsratsvorsitzender bei DSD EKO-Anlagenbau.