Nr.2/1998
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Krawalle und Diskussionen
Studierende wehren sich gegen Polizeiuebergriffe

Bundesweit gehen die Streiks an den Hochschulen dem Ende zu. Die Aktionen
und Demonstrationen der Studierenden gehen aber dennoch weiter. Ein
bundesweiter "Basiskongress Bildung und Gesellschaft" sollte fuer eine
neue Perspektive sorgen.


Nach den Weihnachtsferien war an den meisten Hochschulen der
Vorlesungsboykott beendet worden. In Muenster kehrten die StudentInnen
ebenso in die Seminare zurueck wie in Duisburg oder an der Humboldt-
Universitaet (HUB) in Berlin. Der Beschluss, nicht laenger zu streiken,
wurde jeweils mit grosser Mehrheit gefasst. Zwei Drittel votierten an der
HUB gegen den Streik, drei Viertel an der Universitaet-Gesamthochschule
Duisburg. Auch die StreikbefuerworterInnen wollten maximal an einem Tag in
der Woche die Vorlesungen ausfallen lassen. Streikposten mussten sich von
StreikgegnerInnen gar als "Asoziale" beschimpfen lassen. Erst am
17.Dezember hatte eine Vollversammlung in Duisburg den "harten Streik"
beschlossen, der auch die Blockade der Universitaetsverwaltung einschloss,
nachdem der Vorlesungsboykott bereits einmal ausgesetzt worden war. Der
sozialdemokratische Duisburger AStA hatte daraufhin den Streikenden die
Telefone gesperrt und sie aus seinen Raeumen gejagt -- wegen "Gefahr im
Verzuge".

Aktionen und Demonstrationen finden jedoch weiterhin statt, wenn auch in
wesentlich kleinerem Umfang als noch im Dezember. Eineinhalb tausend
Studierende fanden sich am 13.Januar in Koeln zu einem Sternmarsch
zusammen, um auf den Ablauf ihres Ultimatums hinzuweisen. Die Studierenden
aller Koelner Hochschulen hatten bis zu diesem Tag eine Ablehnung des
Hochschulrahmengesetzes gefordert, gegen das sich der Protest
hauptsaechlich richtete. Im Anschluss an eine genehmigte Kundgebung auf
dem Koelner Neumarkt, ein zentraler Platz in der Stadt, begaben sich etwa
achthundert StudentInnen -- wie auch schon bei frueheren Demonstrationen
-- auf die Deutzer Bruecke, um sie zu besetzen und mit einem Feuerwerk das
Ende des Ultimatums zu begehen.

Anders als bisher zeigte sich die Polizei aber diesmal deutlich
aggressiver. Nachdem ein Taxifahrer in die DemonstrantInnen fuhr und
Handgreiflichkeiten mit einem Studenten anfing, der sich auf der
Motorhaube des Fahrzeugs in Sicherheit gebracht hatte, kam es von Seiten
einiger ZivilpolizistInnen zum Einsatz von CS-Gas gegen StudentInnen.
Daraufhin wurde eine Flasche geworfen, die einem der Zivilpolizisten den
Unterkiefer brach. "Ploetzlich spruehten drei Leute mit Traenengas", so
ein Teilnehmer gegenueber der SoZ. "Ich wusste gar nicht, dass es
Zivilbullen waren. Ich dachte, es seien private Wachleute oder
durchgeknallte Unterwelter." Danach habe er Glas klirren gehoert.

Die Demonstration endete nach der Besetzung der Deutzer Bruecke und einem
Besuch im Hotel Maritim fuer 150 StudentInnen in einem
zweieinhalbstuendigen Polizeikessel. Die Polizei nahm alle Personalien auf
und nahm voruebergehend dreizehn Menschen fest, darunter auch zwei irische
Touristen und ein sechzehnjaehriges Maedchen, das gerade von einer
Urlaubsfahrt zurueckkam. Dieser wurden Anrufe ebenso verweigert wie eine
Decke oder eine Jacke, obwohl sie gerade erst von einer Nierenentzuendung
genesen war. Ein Mensch wurde von der Polizei als "Raedelsfuehrer" laenger
festgehalten. Wie ein Polizeisprecher ankuendigte, soll gegen alle 150
Personen wegen Landfriedensbruch und Koerperverletzung ermittelt werden.

Der Koelner AStA sprach von massiven Versuchen, die Streikbewegung zu
kriminalisieren. Die Taktik der Koelner Polizei habe darin bestanden,
"einfach Traenengas in eine friedliche Demonstration zu spruehen und
abzuwarten, was passiert", so der AStA-Vorsitzende Ruediger Hausmann in
einer Presseerklaerung. Ploetzlich stehe nicht mehr die untragbare
Situation von Studierenden im Vordergrund, sondern "Krawalle" und
"Ausschreitungen".

Die harte Linie der Koelner Polizei setzte sich am Mittwoch, dem 14.Januar
fort, als ein Grossaufgebot den angekuendigten Besuch von dreissig
Studierenden im Buero der lokalen CDU verhinderte. Diese hatte in einem
Brief an die Koelner StudentInnen ihre volle Solidaritaet ausgesprochen,
worauf die StudentInnen unter dem Motto "Solidaritaet muss praktisch
werden" auf der Vollversammlung zum "Besuch" aufriefen. In anderen
Staedten gelang dagegen die Besetzung der Parteibueros.

Die Frage, wie nach dem Ende der Vorlesungsboykotte weiter zu verfahren
sei, stand im Mittelpunkt des Basiskongresses "Bildung und Gesellschaft",
der vom 9. bis 11.Januar stattfand. 1500 Studierende fanden nach Auskunft
der VeranstalterInnen den Weg nach Berlin, um sich "auszutauschen" und
"ihre Ergebnisse der Oeffentlichkeit zu praesentieren". Der
RefererentInnenrat der Humboldt-Universitaet erwartete sich gar "ganz
konkrete Handlungsanweisungen".

Die waren auf dem Kongress nicht zu bekommen. Die studentische Basis
pflegte ihre Disparitaeten. Schon zu Beginn des Abschlussplenums, in dem
ein "Forderungs- und Massnahmenkatalog" erarbeitet werden sollte, wurde
die Frage aufgeworfen, ob inhaltliche Positionen ueberhaupt zur Abstimmung
gestellt werden sollten. Schliesslich wolle man keine und keinen
ausgrenzen. Der Antrag wurde abgelehnt, von nun an hatten die
TeilnehmerInnen aber vier Abstimmungsvarianten zur Auswahl: Ja, Nein,
Enthaltung und "Verweigerung der Abstimmung". Der Kongress bekraeftigte in
einer abschliessenden Erklaerung noch einmal die Forderungen der
Streikbewegung: Neuverhandlung des Hochschulrahmengesetzes unter
Beteiligung aller Betroffener, Demokratisierung der Hochschulen, Stopp der
Kapitalisierung der Hochschulen und Verbot von Studiengebuehren.

Ansonsten praesentierten sich die StudentInnen heterogen. Forderten die
einen eine "neue Ethik des Fragens", plaedierten die anderen fuer "das
Instrument der destruktiven Kritik". Die grosse Mehrheit der
KongressteilnehmerInnen stimmte abschliessend nahezu allen Ergebnissen der
mehr als sechzig Arbeitsgruppen zu, so widerspruechlich diese auch sein
mochten. Im Bemuehen, keine und keinen der Beteiligten vor den Kopf zu
stossen, uebte man sich in einer Toleranz, die jede Diskussion von
vornherein ueberfluessig machte. Der Anspruch, auf diesem Kongress ueber
"Bildung und Gesellschaft" zu reden, schlug sich nicht in den Forderungen
nieder. Diese bleiben auf die Hochschulen beschraenkt. Mehr haette
allerdings wohl auch die Einigkeit der Bewegung gesprengt.

"Wir fordern, dass das Abitur und vergleichbare Abschluesse in anderen
Laendern zum freien Hochschulzugang in allen Studiengaengen berechtigen",
lautet eine Forderung des Kongresses. Nun haben sich auch jene zu Wort
gemeldet, denen die Gesellschaft das Abitur verweigert. "Wir sind nicht
duemmer als die Studis, sie hatten nur gebildetere und reichere Eltern",
schreiben BerufsschuelerInnen aus dem Raum Mannheim/Ludwigshafen auf einem
Flugblatt. "Das Schulsystem weist uns die schlechten Plaetze in der
Gesellschaft zu", so das Flugblatt weiter. Die BerufsschuelerInnen
forderten die StudentInnen auf, mit der Parole "Bildung fuer alle!"
endlich ernst zu machen. "Wenn sie wirklich Bildung fuer alle wollen, dann
sollen sie daran danken, dass man das Schulsystem, wie es jetzt ist,
abschaffen muss." Die Studierenden sollten nicht nur das HRG, sondern auch
"die Universitaeten und die Gesellschaft" kritisieren.

Diese Position wird auch von linken Hochschulgruppen geteilt. "Die
Forderung nach 'Bildung fuer alle' bleibt formaldemokratisch", resuemierte
die Alternative Liste von der Koelner Universitaet, "Ansaetze zur
Wissenschaftskritik, zur Kritik an Inhalten und Zielen der Ausbildung ist
kaum vorhanden oder bleibt 'studienordnungsfixiert'". Auch sei es in der
Streikbewegung "keineswegs selbstverstaendlich", eine materielle
Absicherung fuer alle Menschen zu fordern. Der Anteil der staendisch
motivierten StudentInnen unter den Streikenden sei immer noch sehr gross.
Auch sei die Bewegung vor offenenem Sexismus und Rassismus nicht gefeit.
Ein Scheitern der Proteste sei vorprogrammiert, wenn sich die Kritik nicht
radikalisiere und sich gesamtgesellschaftlich ausweite.

"Solange es von vielen StudentInnen nicht fuer noetig gehalten wird, das
kapitalistische Gesellschaftssystem und die damit einhergehende nationale
wie auch globale Ausbeutung in Frage zu stellen, laeuft dieser Streik
Gefahr, nicht an die eigentlichen Wurzeln gesamtgesellschaftlicher
Problematiken zu gelangen und im Aktionismus steckenzubleiben", schrieb
ein Student am 10.Dezember in der Streikzeitung der Koelner Hochschulen.

Gerd Riesselmann