Nr.1/1998
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Saubere Kleidung
Bekleidungsunternehmen zeigen kaum Interesse an Sozialcharta
von Gerhard Klas

Nur zehn Mark muss der Otto-Versand fuer einen Pullover bezahlen, den
er fuer 50 Mark an Katalogkunden verkauft. Ein wesentlicher Grund
fuer diese enorme Gewinnspanne ist die Auslagerung eines grossen
Teils der arbeitsintensiven Produktion in "Freie Exportzonen"
(Freihandelszonen), die in Entwicklungslaendern angesiedelt sind.
Fuer Billigloehne und unter schlechten Arbeitsbedingungen produzieren
dort vor allem Frauen Kleidung fuer C&A, Tchibo, Klingel, Adidas,
Karstadt, Quelle und Otto. Die im deutschsprachigen Raum neu ins
Leben gerufene "Kampagne fuer saubere Kleidung" will sich mit einer
"Sozialcharta fuer den Handel mit Kleidung" fuer die Einhaltung
bestimmter Arbeitsstandards in dieser Branche und ihren
Zulieferbetrieben einsetzen.

Seit dem Start der Kampagne 1989 in den Niederlanden war weder ein
Textileinzelhandelsunternehmen, noch einer ihrer Verbaende bereit, die
in Anlehnung an die Konventionen der Internationalen
Arbeitsorganisation (ILO) erarbeitete Sozialcharta zu unterzeichnen.
Um den oeffentlichen Druck zu verstaerken, hat das Suedwind-Institut
in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus
Hongkong und Manila eine deutschsprachige Broschuere veroeffentlicht.
Sie praesentiert Ergebnisse von Forschungsprojekten, die sich mit den
Arbeitsbedingungen in der chinesischen und philippinischen
Bekleidungsindustrie beschaeftigt.

Die Produktion in der ersten chinesischen Freihandelszone Shenzhen im
Delta des Zhu Jiang wird vom nahegelegenen Hongkong aus kontrolliert.
Die mehr als 460 deutschen Firmen, die dort ansaessig sind, haben
bisher kaum signalisiert, dass sie in China, auf den Philippinen oder
anderswo im asiatischen Raum an einer sozialvertraeglichen
Beschaeftigungspolitik interessiert sind.

China

Die chinesische Bekleidungsindustrie ist in den 80er Jahren enorm
gewachsen und nimmt heute den ersten Platz unter den Textilherstellern
und -exporteuren ein. Trotzdem, so berichtet die chinesische
Nachrichtenagentur Xinhua, wuerde diese Branche in den letzten drei
Jahren herbe Verluste einfahren. In den naechsten Jahren soll ein
Viertel aller Beschaeftigten entlassen werden, obwohl diese ohnehin
schon unter denkbar schlechten Bedingungen arbeiten. Viele der
Arbeiterinnen stehen gewoehnlich sieben Tage die Woche in den
Textilfabriken und erhalten nach Abzuegen fuer Verpflegung,
Unterbringung und medizinische Versorgung einschliesslich der
Ueberstundenbezahlung gerade einmal den chinesischen Mindestlohn, der
kaum zum Leben reicht.

Viele Betriebe sind nach den Erkenntnissen des Asia Monitor Resource
Center (AMRC) mit der Lohnauszahlung im Rueckstand und verhaengen
Geldstrafen, um die Loehne weiter zu kuerzen. So zwang die Firma
Wiebledon Services, die hauptsaechlich fuer deutsche Unternehmen
produziert, einer Arbeiterin eine Geldstrafe von 600 RMB auf, weil
sie zwei Stunden zu spaet am Arbeitsplatz erschien. Das entspricht
einem kompletten Monatslohn.

Erhebliche gesundheitliche Beeintraechtigungen werden bei der
Textilproduktion in China durch die verwendeten Chemikalien
hervorgerufen. Die ueberdurchschnittlich hohe Rate an
Krebserkrankungen ist auf die Verwendung von Perchlorethylen bei der
Stoffherstellung und von Formaldehyd bei der Appretur der
Bekleidungsstoffe zurueckzufuehren. Haeufig verwendete Chemikalien
wie Methylchloroform rufen Halsschmerzen, Bronchitis und
Hautentzuendungen hervor, in Haertefaellen sogar Herzprobleme.

Die meisten der Arbeiterinnen leben in Schlafsaelen, die im
Fabrikgebaeude untergebracht sind, und teilen sich zu zwoelft einen
Raum. Wenn sie Glueck haben, ist er mit einem oder zwei Ventilatoren
ausgeruestet, ansonsten muessen sie selbst zusehen, wie sie das oft
heisse Klima in den Saelen ertragen. Aus Angst der Unternehmer vor
Einbruechen sind die Fenster der meisten Fabrikgebaeude vergittert.
1994 forderte ein Brand in einer chinesischen Textilfabrik 100
Todesopfer, denn die Frauen waren in den Schlafraeumen neben der
Fabrikhalle eingeschlossen gewesen.

Fast alle jungen Arbeiterinnen stammen aus den laendlichen Gebieten
Chinas, sind schlecht ausgebildet und kennen nicht einmal die Rechte,
die ihnen als Arbeitnehmerinnen nach dem chinesischen Gesetz
zustehen. Versuche, ihre Situation mit Bummelstreiks oder
Arbeitsniederlegungen zu verbessern, werden von den Fabrikbesitzern
mit fristlosen Kuendigungen beantwortet. "Deshalb halten die
Arbeiterinnen oft still, obwohl sie im Innern empoert sind",
resuemiert das AMRC.

Philippinen

Die in der Broschuere veroeffentlichte Studie des IBON Philippines
Databank and Research Center beschreibt exemplarisch die Rolle des
weitverzweigten Subkontrakorensystems fuer die Sweatshopoekonomie. Auf
der untersten Ebene befinden sich Naehstuben, von denen mehr als die
Haelfte mit weniger als zehn Beschaeftigten arbeiten. Wie in China
erhalten auch sie nur den gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn
von 165 Pesos, der jedoch nach Berechnungen von IBON um 46% unterhalb
des Lebensbedarfs auf den Philippinen liegt.

Die Naehstuben sind zum grossen Teil abhaengig von den grossen
Bekleidungsexportfirmen. Diese sind bei einem "Amt fuer Investitionen"
registriert, koennen zollfrei Rohstoffe einfuehren, geniessen
Steuerverguenstigungen und verteilen Auftraege an die Naehstuben.
Deutsche Unternehmer treten meistens ueber ansaessige Vertreter an
die Exportfirmen heran und ordern Texitilien je nach Marktlage.

Der Konkurrenzdruck unter den philippinischen Bekleidungsexporteuren
wird zusaetzlich noch durch protektionistische Massnahmen
verschaerft. Die seit den 50er Jahren zunehmenden Billigimporte aus
Asien in die USA und nach Europa wurden von der dortigen
Bekleidungsindustrie als Bedrohung eingestuft. Seit 1975 wird deshalb
die Einfuhr von Texitilien ueber das "Multi-Faser-Abkommen" quotiert.
Im Abkommen ist detalliert aufgefuehrt, wieviel Ware jedes
Drittweltland in beteiligte Industrielaender exportieren darf. Mit
dieser Kombination, der Quotierung und dem Subunternehmertum, sind
"deutsche Firmen also direkt und indirekt an der Unterdrueckung und
Ausbeutung philippinischer Arbeiter beteiligt", schlussfolgert IBON.

Ein Blick ueber den grossen Teich gibt eine Vorahnung, wie der Kampf
um eine verbindliche Sozialcharta fuer transnationale Textilkonzerne
in Europa aussehen koennte. Dort gelang es verschiedenen NGOs, wie
etwa der Menschenrechtsorganisation Global Exchange, eine
"Antisweatshop-Bewegung" ins Leben zu rufen.

Unter dem Druck der Oeffentlichkeit verabschiedeten Konzerne wie Nike
und Levis in Anlehung an die Forderungen der NGOs einen
betriebsinternen Verhaltenskodex, dessen Einhaltung sie jedoch selbst
kontrollieren. Nachdem die oberflaechlich und mit wenigen kritischen
Anmerkungen verfassten Berichte von der Antisweatshop-Bewegung als
"PR-Berichte" entlarvt wurden, gewannen unabhaengige Gutachten wie
die der beiden oben erwaehnten NGOs aus China und den Philippinen an
Bedeutung.

Mittlerweile hat auch die hoechste Regierungsebene der USA von der
oeffentlichen Kritik Notiz genommen. Praesident William Clinton hat
u.a. die Konzerne Nike, Reebok und Liz Claiborne unter seine Fittiche
genommen und ein Sweatshop-Abkommen verabschiedet, das den NGOs den
Wind aus den Segeln nehmen soll. Die Antisweatshop-Bewegung wertet
das Abkommen jedoch als faulen Kompromiss: die Firmen verpflichten
sich lediglich, den national vorgeschriebenen Mindestlohn zu zahlen
und sind selber dafuer verantwortlich, eine Konsultfirma zur
Ueberwachung des Kodex zu beauftragen.

Im Hinblick auf die Verabschiedung multilateraler
Investitionsschutzabkommen wie dem MAI, die den Unternehmen einen noch
groesseren Einfluss gegenueber dem oeffentlichen Sektor einraeumen,
wollen die Autoren der Suedwind-Broschuere mit Hilfe der
Verhaltenskodizes ein "Instrument der Gegenmachtentfaltung" schaffen,
das die Rechte von ArbeitnehmerInnen staerken soll. Das Vorhaben
erinnert an den altbiblischen Kampf zwischen David und Goliath.