Nr.1/1998
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Studentenproteste
Resignation oder Radikalisierung?
von GERHARD KLAS

Spaetestens nach der letzten Demonstration am 18.Dezember in Bonn
steht die studentische Protestbewegung vor einem Scheideweg. Fast
zwei Monate lang sind die Studierenden auf die Strasse gegangen,
haben Hochschulen besetzt und mit Aktionen das triste Bild der
winterlichen Innenstaedte etwas farbiger gestaltet. Was mit
staendischen Forderungen begann, entwickelte sich bald zu einer
umfassenderen Protestbewegung, die freien Hochschulzugang fuer alle
und die Gleichstellung Studierender ohne deutschen Pass forderte. Die
"Bildungsmisere" wurde zunehmend in den Kontext des allgemeinen
Sozialabbaus gestellt und der Einzug neoliberaler Bildungskonzepte
durch die Novelle des Hochschulrahmengesetzes kritisiert.

Mit der inhaltlichen Ausweitung der Kritik verstummten auch weitgehend
die Lobeshymnen der Politiker und Wirtschaftsbosse. Auf dem
Ministerpraesidenten- und Kanzlertreffen wurde ungeachtet der 35.000
demonstrierenden StudentInnen die BAfoeG-Reform bis nach der
Bundestagswahl vertagt. Lediglich die Foerdersaetze sollen um 2
Prozent und die Freibetraege um 6 Prozent erhoeht werden. Diese
Entscheidung vom 18.Dezember spottet selbst den Forderungen des
studentischen Protests der ersten Tage.

Proteste koennen Politiker getrost aussitzen, solange sie nicht direkt
oder indirekt in Produktionsprozesse eingreifen. Die Bundesregierung
spekuliert offensichtlich auf eine Erlahmung der Bewegung. Resignation
waere die Folge. Einige Studierende sind deshalb bereit, ihre
Aktionsformen zu radikalisieren. Sie blockieren Strassen und
Bahngleise und wollen dort mitreden, wo Entscheidungen gefaellt
werden. Einige tausend Demonstrierende in Bonn versuchten, die
Bannmeile zu durchbrechen, um an den Ort zu gelangen, wo die
BAfoeG-Reform verhandelt wurde. Die Antwort war unmissverstaendlich:
Protest, der den legalen Rahmen verlaesst, um seine Wirkungslosigkeit
zu ueberwinden, wird mit Polizeiknueppeln beantwortet.

Als "Trittbrettfahrer, Randalierer und Autonome" bezeichneten
Politiker und Medien die Akteure. Die Absicht ist klar: Verstaendnis
oder Sympathie fuer diese Art von Protest soll gar nicht erst
aufkommen, Repression legitimiert werden. Der studentische Kongress
Mitte Januar in Berlin wird also nicht umhinkommen, die Balance
zwischen Radikalisierung und gesellschaftlicher Verbreiterung zu
finden, um repressive Massnahmen ins Leere laufen zu lassen.