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Nr.16 onlineversion

Was ist Rassismus ?

(Teil 1)

"Der Rassismus leugnet grundsaetzlich Gemeinsamkeiten der Menschheit, klassifiziert Menschen als außerhalb- oder unterhalb der Menschheit stehend, verabsolutiert, dogmatisiert und mißbraucht reale Unterschiede in der Menschheit."(1)

Der folgende Artikel ist einer demnaechst erscheinenden Broschuere der HBV zu Rassismus und Neofaschismus entnommen. Den Teil 2, der sich mehr mit aktuellen Versuchen Rassendenken unter anderen Namen wieder zu etablieren, wird in der naechsten Ausgabe des RAG erscheinen.

Rassismus ist mehr als "Vorurteile", mehr als "Fremdenfeindlichkeit": Rassismus ist ein Gedankengebaeude, das sich erstens auf die Behauptung von Menschenrassen mit bestimmten Charaktereigenschaften stuetzt und zweitens auf die Feststellung von "ueber- und unterlegenen Rassen". Fremden- oder Auslaenderfeindlichkeit und Ethnozentrismus(2) sind eine Vorstufe des Rassimus, aber von diesem zu unterscheiden. Wenn wir an die UEbergriffe und Morde an Nichtdeutschen in den letzten Jahren in Deutschland denken, wird deutlich, dass der Begriff "Auslaenderfeindlichkeit" verharmlosend ist. Diese Menschen wurden angegriffen und verfolgt, weil sie anders aussehen (z. B. schwarze Hautfarbe). Dem Rassisten ist es egal, ob diese Leute hier geboren und aufgewachsen sind und einen deutschen Pass besitzen, also "Inlaender" sind, oder nicht.

Der Begriff "Auslaenderfeindlichkeit" ist beschoenigend, weil nicht benannt wird, dass Menschen aus rassistischen Gruenden abgelehnt werden. Abgesehen davon ist es sicherlich besser von EinwanderInnen oder ArbeitsimmigrantInnen zu sprechen statt von "Auslaendern". So leben beispielsweise zwei Drittel aller tuerkischen, 73% der italienischen und 85% der spanischen Menschen immerhin zehn Jahre und laenger in diesem Land.(3)

"Auslaenderfeindlichkeit" drueckt aus, dass alle "Auslaender" diskriminiert werden. Dabei gibt es aber nicht die gleichen Vorurteile und Ablehnungen von z.B. Hollaendern oder Schweden, im Unterschied zu Spaniern oder Tuerken. Leon Poliakov fuehrt folgendes Beispiel zur Charakterisierung von Rassismus an, wobei drei Aussagen unterschieden werden:

"1.Realistische Aussagen. Beispiel: 'Die Juden sind meistens Haendler oder Intellektuelle.'
2. Fremdenfeindliche Aussagen. Beispiel: 'Die Juden haben Christus getoetet.'
3. Abwegige und phantastische Aussagen. Beispiel: 'Die Juden schlachten Kinder.'

Man erkennt, dass die Aussagen des ersten Typus bereits auf einer irrefuehrenden Verallgemeinerung beruhen (in gewissen Laendern sind die Juden Bauern oder ueben handwerkliche Berufe aus), doch ist das so formulierte Urteil von der gleichen Art wie das, das sein Urheber in einem anderen Zusammenhang auf die Mitglieder seiner eigenen Gruppe anwenden wuerde.
Die zweite Aussage scheint eine entlegene, allerdings ziemlich schlecht definierte historische Grundlage zu besitzen, aber wer sie macht, tut das im allgemeinen mit stark aggressiver Absicht, zum Beispiel um eine gegen Juden als Gruppe gerichtete Handlung zu rechtfertigen.
Die dritte Aussage schliesslich ist reiner Wahnsinn; hier geht es dem Rassisten nicht einmal mehr um den Schein der Objektivitaet. Er ist bereits entschlossen, die Juden zu verfolgen, und erfindet hinterher Vorwaende dafuer.
Selbstverstaendlich gehoeren die rassistischen Aussagen nur den Gruppen 2 und 3 an. Dieser Denkansatz hat den Vorzug, dass er folgende wichtige Tatsache ins richtige Licht rueckt: Der Rassismus ist keine Haltung (Ablehnung des anderen), die durch einen G rund (die Verschiedenheit vom anderen) hervorgerufen wird. Er ist eine Haltung, die sich einen Grund 'erschafft', indem sie offensichtlich nur der Einbildung entsprungene rassische Unterschiede erfindet, mit denen dann alle anderen eingebildeten oder tatsaechlichen Unterschiede in Verbindung gebracht werden. Und das fuehrt uns dazu, einen grundlegenden Unterschied zwischen Ethnozentrismus und Rassismus festzustellen."(4)

Gibt es Menschenrassen?

Seit der Begriff "Rasse" am Ende des 17. Jahrhunderts in Europa aufkam, um Unterarten bzw. Grossgruppen der gemeinsamen Art Mensch zu bezeichnen (bedingt durch die Entdeckung von anderen Kontinenten und andersaussehenden Menschen) streiten sich Biologen ueber Kriterien fuer eine solche Einteilung.

Zunaechst nahm man die Tatsache, die zuerst ins Auge springt, die Hautfarbe, um Menschen in drei oder fuenf "Rassen" einzuteilen. Bald merkte man, dass die Hautfarbe nur ein sehr oberflaechliches Merkmal ist, haengt sie doch vom Klima, also von der Umwelt ab. Dann begann man, im 19. Jahrhundert, Dinge wie die Nasenform oder die Art der Haare zur Einteilung heranzuziehen. Andere wiederum begannen Kopfformen zu vermessen, und Menschen in "Langschaedelige" und "Kurzschaedelige" zu unterscheiden. Manche Biologen teilten die Menschheit in vier, andere in 30, und wieder andere in 300 "Rassen" ein.

Das nahm die abstrusesten Formen an, bis dahin, dass "ein beruehmter neuseelaendischer Biologe, Darlington, glaubt festgestellt zu haben, dass man die Menschen in solche einteilen kann, die ihrer Erbanlage nach das beruechtigte englische 'th' aussprechen koennen und solche, denen das nicht moeglich ist."(5)

"So gross ist die Vielfalt der Kombinationen (...), und man kommt dazu, mehrere hundert Menschenrassen zu zaehlen. Im Grenzfall bildet jedes Individuum mit seiner spezifischen Zusammensetzung von Rassenmerkmalen eine Rasse fuer sich."(6)

Durch die Weiterentwicklung der Technik, die Enschluesselung von Erbanlagen/Gencodes wurde die Einteilung der Menschen in "Rassen" immer mehr in Frage gestellt. Bei Untersuchungen wurde nur festgestellt, dass genetische Unterschiede zwischen Weissen zum Teil groesser sind, als zum Beispiel zwischen weissen und schwarzen Menschen.

Woher kommt eigentlich Rassismus? Wie und wann ist er entstanden?

Dazu muessen wir einen Blick auf die Geschichte werfen: Rassismus ist eigentlich noch gar nicht so alt. Es gab zwar auch im Mittelalter Fremdenfeindlichkeit, Pogrome gegen Juden etc. Aber es gab so gut wie keine Einteilung der Menschen in verschiedene "Rassen" und demzufolge auch keine Theorie des Rassismus. Das alles begann erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Den Hintergrund dafuer bildeten zwei erstmal voneinander unabhaengige Vorgaenge:

1. Die franzoesische Revolution hatte 1791 zum ersten Mal die Macht der Koenige und Feudalherren gebrochen und in ganz Europa die Ideen von der Gleichheit und Freiheit der Menschen verbreitet.

2. Es begann das Zeitalter des sog. Imperialismus. Das heisst die Grossmaechte (England, Frankreich und Deutschland) schickten sich an, um die Aufteilung der Welt zu kaempfen und grosse Kolonialreiche zu bilden.

Der Erste, der vor diesem Hintergrund den Rassismus entwickelte und auf eine scheinbar wissenschaftliche Grundlage stellte, war der franzoesische Adelige Graf Gobineau. Er schrieb 1855 das Buch "Die Ungleichheit der Menschenrassen": Er behauptete, dass es unterschiedlich wertvolle "Menschenrassen" gaebe. Nur die weisse Rasse waere edel. Aller Kulturverfall wuerde von der Vermischung edler Rassen mit unedlen Rassen kommen. Das gemeine Volk sei wegen Vermischung unedel, nur der Adel haette sich ueber Jahrhunderte rein gehalten. Deshalb waere Demokratie gleichbedeutend mit Kulturverfall, denn nur die reine Rasse, der Adel, duerfe herrschen.

Dieses von Gobineau und anderen geschneiderte Theoriegewand war ideal fuer die damals Herrschenden: Man brauchte nur die eigene Nation zur weltedelsten Rasse erklaeren und konnte mit dieser Begruendung Eroberungskriege fuehren, in Kolonialkriegen schwarze Menschen nach Belieben abschlachten usw. Und wenn im eigenen Land jemand was dagegen hatte, oder gar eigene Rechte und Demokratie einforderte, war er eben "rassisch minderwertig" oder juedisch (der Antisemitismus war von Anfang an Bestandteil des Rassismus). Das bedeutet, der Rassimus hatte von Beginn seiner Entstehung an zwei Funktionen: Nach "Innen", wie zum Beispiel gegen die damalige Arbeiterbewegung, und nach "Aussen" zur Legitimation von Kriegen.

Die Ausbreitung des Rassismus in Deutschland

Entscheidend fuer die Ausbreitung der rassistischen Ideologie in Deutschland war der 1891 gegruendete "Alldeutsche Verband". Der Vorsitzende der Alldeutschen hiess Heinrich Class. Andere Gruendungsmitglieder waren Carl Peters, gleichzeitig Gruender der "Gesellschaft fuer deutsche Kolonisation", und Alfred Hugenberg, der spaetere Leiter der Krupp-Werke. 1901 hatte der Alldeutsche Verband schon mehr als 20.000 Mitglieder, zumeist Akademiker. Er trat unter anderem ein fuer die "planmaessige rassische Hoeherentwicklung des deutschen Volkes durch Auslese und Foerderung aller im Sinne guter deutscher Art hervorragend Begabten". Ein weiteres Ziel der Alldeutschen war die "Bekaempfung aller Kraefte, welche die voelkische Entwicklung des deutschen Volkes hemmen oder schaedigen, insbesondere der Fremdsucht und der auf fast allen staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Gebieten bestehenden juedischen Vorherrschaft". Im Jahre 1902 wurde in Deutschland die "Gobineau-Vereinigung" gegruendet, die fuer die Verbreitung der Ideen Gobineaus sorgte und eng mit dem Alldeutschen Verband zusammenarbeitete.

Ein Englaender, Houston Stewart Chamberlain, sorgte fuer die Verbreitung eines rassistischen "Germanen-Mythos". Er liess sich in Deutschland nieder und heiratete dort 1908 Richard Wagners Tochter. Er wurde zu einem Begruender des Kults um die "nordische Rasse" und der "Arier". Kaiser Wilhelm II. bezeichnete ihn als "Kumpan und Bundesgenossen im Streit um Germanien".

Einer der fuehrenden Vertreter der "Rassenlehre" in Deutschland hiess Dr. med. Alfred Ploetz. Er stellte schon 1904 die Forderung auf "schlecht beanlagte Individuen an der Erzeugung von Nachkommenschaft und so an der Vererbung ihrer Schwaechen teilweise oder ganz (zu hindern)",d.h. konkret Zwangssterilisierungen vorzunehmen. 1905 gruendete er die "Gesellschaft fuer Rassenhygiene", die vom Kaiserreich und der Industrie gefoerdert wurde. Ploetz und seine Schueler wurden zu Vorkaempfern einer rassistischen Selektion nach tierzuechterischen Prinzipien, die schliesslich von den Nationalsozialisten umgesetzt wurde. Folgerichtig wurde Ploetz nach 1933 dann auch Mitglied des "Sachverstaendigenbeirates fuer Bevoelkerungs- und Rassenpolitik".

Der deutsche Stahl- und Waffenkonzern Kupp schrieb 1900 sogar einen Wettbewerb aus. Das Thema hiess "Was lernen wir aus den Prinzipien der Deszendenztheorie (Abstammungslehre) in bezug auf die innere politische Entwicklung und Gesetzgebung". Den ersten Preis erhielt der Muenchner Arzt und Privatgelehrte Schallmayer fuer seine Arbeit "Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Voelker". Er vertrat folgende Thesen: "Eine zu starke Entwicklung des Verstandes und der Kultur fuehre zum Egoismus des Einzelnen und zur Entartung. Dadurch wuerde die Gesellschaft bedroht, und man muesse dieser Gefahr durch 'Rassendienst' begegnen. Es sei eine Vermehrung der Menschen mit dem besten Erbgut notwendig und eine Nichtfortpflanzung der unguenstigen Varianten. Durch Sozialreform und Sozialprogramme gaebe es eine voellig falsche Selektion. Sie rette die physisch Schwachen und Minderwertigen und fuehre daher zur Degeneration."

Die Ideen der Rassenideologen fanden rasche Verbreitung. In der Weimarer Republik wurden Lehrstuehle fuer "Rassenhygiene" eingerichtet und "Rassenforschung" betrieben. 1927 wurde das Kaiser-Wilhelm-Institut fuer Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem gegruendet. Dort forschte man schon vor der Zeit des Nazifaschismus an Unterschieden zwischen "Arier und Nichtariern". Mitarbeiter dieses Institutes waren u.a. Heinrich Schade (s. Anm. 10) und Josef Mengele, der spaetere Auschwitz-Schlaechter. In den Ausfuehrungsbestimmungen zum bayrischen "Gesetz zur Bekaempfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen" hiess es schon 1926: "Die Rassenkunde gibt darueber Aufschluss wer als Zigeuner anzusehen ist."

Die geistigen Grundlagen fuer die ab 1933 beginnende rassistische Ausrottungspolitik durch die Nationalsozialisten sind viele Jahre vorher gelegt worden. "Die Nazis haben den Rassismus nicht erfunden. Sie haben ihn lediglich aktiviert. Dennoch sollte der Rassismus mit Adolf Hitler nicht enden. Die Einfuehrung der Rassenpolitik durch die Nazis war im wesentlichen der Hoehepunkt einer langen Entwicklung (...). Der Strom fliesst weiter in die Zukunft."

Der Antisemitismus

Antisemitismus ist antijuedischer Rassismus. Dem Antisemitismus kommt eine Sonderstellung zu. Nicht nur weil Judenhass und Pogrome viele Jahrhunderte vor dem Rassimus schon existierten, sondern auch weil es juedische Menschen waren, auf die sich der Rassenhass der Nazis in der beispiellosen fabrikmaessigen Ausrottung von Menschenleben konzentrierte.

Leon Poliakov stellt die These auf, dass der Antisemitismus zwar historisch religioese und wirtschaftliche Ursachen hat, sich daraus aber der Aufschwung dieser Art Rassismus, vor allem in Deutschland Ende des letzten Jahrhunderts, nicht erklaeren laesst. Dass gerade die Gruppe von Menschen, die am wenigsten in ein "Rassenschema" passt, weil sie in erster Linie eine Religionsgemeinschaft darstellt (die sich aus vielen ethnischen Gruppen zusammensetzt), zum Hauptfeind der Rassisten wurde, liesse sich nur noch psychologisch verstehen. Denn "...welcher Unterschied floesst dem Rassisten am meisten Angst ein? Ohne Zweifel der, der am schwierigsten zu erkennen ist, denn fuer die 'Integritaet' des Rassisten ist die groesste Gefahr die, die sich als solche nicht identifizieren laesst, die nicht erkennbare Gefahr. (...) Nun ist gerade der Jude von allen 'Anderen' der am wenigsten 'Andere', von allen die verschieden sind, der AEhnlichste."(7)

Gerade diese Unbestimmtheit, mit der irrationale AEngste mobilisiert und kanalisiert werden konnten, eignete sich offensichtlich besonders gut zur Schaffung einer rassistischen Massenbewegung. Hitler bezeichnete den Antisemitismus als den "Zement" der NS- Bewegung, und an anderer Stelle sagte er: "Wenn es den Juden nicht gaebe, muesste man ihn erfinden".

Anmerkungen:
1) Imanuel Geiss, Geschichte des Rassismus, Frankfurt 1988
2) Unter Ethnozentrismus ist eine Haltung zu verstehen, die die eigene (Volks-) Gruppe und ihre Lebensweise zur besten aller Menschen erklaert. Ethnozentrismus ist meist eine abgemilderte Form von Fremdenfeindlichkeit.
3) Daten u. Fakten zur Auslaendersituation, Mitteilungen der Auslaenderbeauftragten der Bundesregierung, Oktober 1994
4) Lion Poliakov u.a., Rassismus - UEber Fremdenfeindlichkeit und Rassenwahn, Hamburg-Zuerich 1992
5) Poliakov u.a., ebenda
6) Die Soziologin Colette Guillaumin, zit. n. Poliakov u.a., ebenda
7) L. Poliakov, a.a.O.

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