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Nr.20 onlineversion

»Schluß mit den Problembürgern« -
eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn AG schafft "öffentliche Räume"
"Gegen die Armen der Stadt" Teil 3

Für den Noch-Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, Heinz Dürr, sind »Bahnhöfe und ihre Geschäftszonen integrale Bestandteile der Stadt und ihres öffentlichen Raumes«. Der Bahn AG sei es nach ihrer Privatisierung endlich möglich, »ganze Stadtviertel ringsum wiederzubeleben. Keinesfalls«, so Dürr, wolle man »den Kommunen das Planungsgeschäft aus der Hand nehmen«, doch die Bahn AG verstehe sich mittlerweile als Investor und Immobilienunternehmen, spezialisiert auf innerstädtische Flächen. Endlich »nicht mehr als Behörde in bürokratisches Regelwerk eingebunden«, könne und wolle sie daher Motor für Profit- und Stadtentwicklung sein - auch in Berlin. Das wußten wir alles schon. Neu sind allerdings Rigorosität und Fanatismus, mit denen die Bahn AG ihre Maßnahmen umsetzt.

Die Deutsche Bahn AG hat in den vergangenen zwei Jahren gegen »soziale Außenseiter« (Bahn-Architekt Gerkan) ein kompaktes Konzept erarbeitet, daß bundesdeutsche Bahnhöfe jetzt endgültig zur no go area für Obdachlose, DrogenkonsumentInnen und (ausländische) Jugendliche machen soll. Zwar wurde auch schon vor der Privatisierung der Deutschen Bahn die wachsende Armutsbevölkerung aus den Bahnhöfen vertrieben, so gab es beispielsweise eine speziell ausgebildete Bahnpolizei, doch wird jetzt die Schraube nochmals angezogen.

Die Deutsche Bahn AG

Der Mann am Schraubstock heißt seit Anfang 1994 Martin Lepper. Der gelernte Fachanwalt für Verwaltungs- und Insolvenzrecht nämlich ist seitdem Vorsitzender des neu geschaffenen Bereichs Personenbahnhöfe. Damit wurde Lepper (44) zum Herrn über die 6.500 Fernbahnhöfe in der Bundesrepublik und zugleich beauftragt, dort aufzuräumen: »Dabei setzen wir vor allem auf den verstärkten Einsatz von Wachpatrouillen«. Seit 1995 läuft sein "3-S-Konzept" - Service, Sicherheit, Sauberkeit - auch in Berlin, zu dessen Umsetzung unter anderem eine eigene Bahnschutzgesellschaft gegründet werden mußte. Die Gründung der BSG Bahn Schutz und Sicherheit GmbH war notwendig geworden, weil das Bundeskartellamt der Vergabe an einen privaten Sicherheitsdienst außerhalb der Bahn AG nicht zugestimmt hatte. Der Bahn AG wiederum war die Beauftragung von mehreren Sicherheitsdiensten zu kompliziert. Daher ist die BSG mit ihrer Truppe eine hundertprozentige Tochter der dvm Deutsche Verkehrsdienstleistungs- und Management GmbH, die wiederum eine hundertprozentige Tochter der Deutschen Bahn AG ist. Neben dieser Umstrukturierung innerhalb des Konzerns wurde Mitte der 90er Jahre zugleich eine neues Regionalkonzept umgesetzt. Berlin gehört danach mit Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zum Bereich Nord-Ost (NL Nord-Ost), dem die BSG mit einer eigenen NL Nord-Ost zugeordnet wurde.

Für die Deutsche Bahn AG ist in diesem Bereich Herr Schmidt tätig, beim BSG Bahnschutz leitet die NL Nord-Ost Herr Wuttge. Sie verantworten in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern die Umsetzung des "3-S-Konzeptes" und damit auch den Umgang mit »sozialen Außenseitern«, wobei Bahnchef Dürr betont, daß eine privatisierte Bahn jetzt »endlich wieder ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden kann«.

Für Herrn Schmidt, Leiter aller rund 700 Personenbahnhöfe in der Region Berlin-Brandenburg, heißt das, Obdachlose vor Berliner ParlamentarierInnen und in der Obdachlosenhilfe tätigen Pfarrern als »Herumlungernde« zu bezeichne;. Er halte an dieser Bezeichnung fest, weil sie der Sprachregelung der Deutschen Bahn AG entspreche, und dort sei er nunmal tätig.

Die BSG Bahn Schutz und Sicherheit GmbH

Wahrend im Gesamtkonzern der Bahn nahezu überall Entlassungen vorgenommen werden, bescherte das "3-S-Konzept" der BSG ein »starkes Wachstum im Geschäftsfeld "Sicherheits- und Ordnungsdienste". Die Gesellschaft, die zu Beginn des Jahres 1995 lediglich 84 Mitarbeiter beschäftigte, hat ihren Personalbestand zum Ende des Jahres 1995 auf fast 800 Mitarbeiter ausgebaut.« (Geschäftsbericht 1995). Geplant ist, bis zu 2.000 weitere Sicherheitskräfte in Dienst zu stellen, um mit ihnen das "S" für "Sicherheit" deutlich auszubauen.

In Berlin ist der zuständige Sicherheitschef oben genannter Wuttge. Er mag das Wort »Vertreibung« nicht, wenn es um Obdachlose geht, »Platzverweis für Problembürger«, so Wuttge, sei angemessener. Die BSG vertritt für die Bahn AG das Hausrecht auf den Fernbahnhöfen und legt fest, wer sich wo und unter welchen Bedingungen innerhalb der Bahnhofe aufhalten darf. In der Praxis fühlt sich die Truppe aber auch für das sogenannte "Bahnumfeld" verantwortlich, wenn es um »Platzverweise für Problembürger« geht. Auf dem Bahnhof - »dem öffentlichsten aller Gebäude« (Architekt Gerkan), dem »integralen Bestandteil des öffentlichen Raums« (Bahnchef Dürr) - bestimmt die BSG, was ein »Problem«- oder überhaupt ein Bürger ist. BSG-Chef Schmidt und seine Truppe sind dabei nicht gerade zimperlich, immer wieder wird von Übergriffen berichtet. Die Deutsche Bahn AG will nur einer »attraktiven Öffentlichkeit« Zugang und Aufenthalt in ihren Bahnhöfen gewähren, die Tochtergesellschaft BSG Bahnschutz entscheidet, was das ist. »Problembürger« und »Herumlungernde«, Obdachlose also, gehören offensichtlich ebensowenig dazu, wie die sonstige und ebenfalls im Wachsen begriffene Armutsbevölkerung insgesamt. Allein im Februar 1997 wurde am Bahnhof Zoo in über 5.500 Fallen nach dem Hausrecht gegen Personen vorgegangen. 5.100mal mit Bahnhofs-Verweisen und 31mal mit Bahnhofs-Verboten. Wohlgemerkt, in einem Monat und an einem Bahnhof. Und es handelt sich dabei keinesfalls um einen Ausnahmefall: Januar 1997, es ist kalt in Berlin. An den drei Berliner Bahnhöfen - Zoo, Hauptbahnhof und Lichtenberg - ficht das die BSG-Beschäftigten nicht an. Mit insgesamt 181 ausgesprochen Bahnhofsverboten, 523 eingeleiteten Verfahren wegen Hausfriedensbruchs und mit nahezu 7.400 Bahnhofs-Verweisen wird die Deutsche Bahn AG qua Tochtergesellschaft ihrer »gesellschaftlichen Verantwortung« gerecht.

»Zum Teil sehen das auch die Mitarbeiter der BSG als Erfolgszahlen«, sagt Elvira Vernes kopfschüttelnd. Als Mitarbeiterin einer Arbeitsgruppe zum Thema Innerstädtische Sicherheitspolitik ist ihr vor allem die Vehemenz und das Wahnhafte solcher Aktivitäten aufgefallen: »Dabei wissen alle, daß die Armen so nur hin- und hergeprügelt werden. Strieders Sauberes Berlin. Arme, statt Armut beseitigen. Schönbohms Hauptstadt-Offensive inklusive vermummter Zivilpolizisten am 1. Mai, von Beamten malträtierte Ausländer am Ku'damm. Jedes Mittel scheint inzwischen recht. Von den Beschäftigten selbst, über Geschäftsleute, wie die in der AG City organisierten, bis zur Polizei mit ihren Sondereinheiten und natürlich den privaten Sicherheitsdiensten - auch in der Politik setzt sich das flächendeckend als Programm durch.«

Einsatz nicht nur in den Großstädten

Keinesfalls allein in den Städten, die gerne Metropole wären, ist diese Menschenhatz zu beobachten, wenn sie auch in Berlin mit besonderem Fanatismus und zum Teil mit Anleihen aus dem Faschismus - wie zuletzt durch den CDU-Mann Landowsky - betrieben wird. Denn auch auf den Bahnhöfen beispielsweise von Cottbus, Frankfurt/Oder, Schwerin und Rostock wird durch die BSG aufgeräumt. Allein in Cottbus wurden im Februar diesen Jahres 300 Personen des Bahnhofes verwiesen, weitere Verweise erhielten Personen in Schwerin (157), in Frankfurt/O. (300) und in Potsdam (65), in Schwerin wurden 12 Bahnhofs-Verbote ausgesprochen, Verbote auch in Rostock (4) und Potsdam (6). In Cottbus werden statistisch also jeden Tag zehn Menschen aus dem Bahnhof geworfen. Insgesamt 9.000 Bahnhofs-Verweise oder -Verbote (Februar 1997), von denen über 8.000 auf das Konto der Berliner BSG-Truppe gehen, gefolgt von Brandenburg mit 700 und Mecklenburg-Vorpommern mit 400 Verweisen, Verboten und Verfahren. Zu diesen Zahlen müßten eigentlich noch weitere addiert werden, denn neben der BSG Bahnschutz und Service GmbH ist den jeweiligen Landespolizeien, dem Bundesgrenzschutz (BGS) und diversen privaten Sicherheitsdiensten im Auftrag der Deutschen Bahn AG eine halbe Armee gegen die Armen der Region zusammengezogen worden, wahrend parallel die private IHS Industrie- und Handelsschutz GmbH auf den Berliner U-Bahnhöfen im Auftrag der BVG etwa 5.000 Bahnhofs-Verweise pro Monat ausspricht.

Seit 1991 als Privatunternehmen und seit gut zwei Jahren mit einer klaren Ausgrenzungs-Doktrin gewappnet, definiert die BSG zugleich, wer in diese "öffentlichen Raume" noch Zugang haben soll. Die »Renaissance der Bahnhöfe« ist somit zugleich ein weiterer Angriff auf die Armen der Stadt.

Volker Eick

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