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Nr.20 onlineversion

Türkische Rechtsextremisten agieren in Politik und Mafia
Der lange Atem der Grauen Wölfe

Die islamische Regierung der Türkei ist an allen Fronten in Schwierigkeiten geraten: anhaltend hohe Inflation, Auseinandersetzungen über die Frage des Säkularstaats (Säkularismus = Weltanschauung, die eine religiöse Sinndeutung der Welt für unhaltbar erklärt), Spannungen mit Griechenland über die Zypernfrage. In Kurdistan erweist sich Regierungschef Erbakan als ebenso unfähig, wie seine Vorgänger, eine Lösung für eine Beendigung des Krieges zu finden, der schon Jahre dauert und den Staat immer teurer zu stehen kommt. Ein Autounfall im letzten November hat der Öffentlichkeit vor Augen geführt, in welchem Ausmaß der Sicherheitsapparat, die extreme Rechte, die Mafia und die Regierungsmilizen, die gegen die Guerilla kämpfen, miteinander verstrickt sind.

Am 3. November 1996 ereignete sich etwa 150 km südlich von Istanbul ein folgenschwerer Verkehrsunfall. Im Wrack des Mercedes fand man drei Tote: Hüseyin Kocadag, einen hochrangigen Polizeioffizier, der das Kommando über die Antiguerillaeinheiten innegehabt hatte, der seit 18 Jahren international polizeilich gesuchte Abdullah Catli und seine Freundin, die Tänzerin Gonca Us, die bei der Mafia als "Mädchen für alles" galt. Der vierte Insasse des gepanzerten Wagens hatte den Unfall überlebt. Es war Sedat Bucak, ein kurdischer Kriegsherr, dessen Miliz im Sold der türkischen Regierung stand, um gegen die Guerilla der "kurdischen Arbeiterpartei" (PKK) zu kämpfen. Bucak saß für die Partei des rechten Weges (DYP) als Abgeordneter im türkischen Parlament. Zunächst versicherte die Polzei, der Unfall habe sich bei der Überführung zweier kleiner Gangster in Polizeigewahrsam ereignet. Aber die am Unfallort sichergestellten Beweismittel zeigten, daß der flüchtige Verbrecher Catli diplomatische Papiere besaß, die ihm von staatlichen Stellen ausgestellt worden waren, daß er mehrere Pistolen bei sich trug, dazu gültige Waffenscheine und nicht zuletzt sechs Ausweise auf lauter verschiedene Namen. Kurze Zeit später kam heraus, daß die Gruppe am Vorabend in einem Hotel in Kusadasi mit Innenminister Mehmet Agar zusammengetroffen war. Agar, der eine lange (und blutige Karriere) im Polizeiapparat hinter sich hat, wurde von Tansu Ciller (DYP) bei ihrem Amtsantritt als Premierministerin 1993 zum Landespolizeidirektor befördert.

Als deutlich wurde, daß Catli von der Polizei nicht als Straftäter, sondern als Verbindungsmann behandelt worden war, mußte der Innenminister zurücktreten und mehrere hochrangige Vertreter der Sicherheitskräfte, darunter der Polizeichef von Istanbul, wurden vom Dienst suspendiert. Abdullah Catli war als Mitglied der Führungsriege der "Grauen Wölfe" bekannt; einer terroristischen neofaschistischen Organisation, die Ende der sechziger Jahre gegründet worden war. Er hatte schon eine Karriere in verschiedenen Straßenbanden hinter sich, als er 1978 zum "zweiten Mann" in der Hierarchie der "Grauen Wölfe" aufstieg. Doch im selben Jahr mußte er in die Illegalität abtauchen, weil er in die Ermordung von sieben Gewerkschaftsaktivisten verwickelt war. Am 13.Mai 1981 machten die Grauen Wölfe weltweit Schlagzeilen, als eines ihrer Mitglieder, Mehmet Ali Agca, der zu den engsten Mitarbeitern von Abdullah Catli gehört hatte, ein Attentat auf Pabst Johannes Paul II verübte. In der Gerichtsverhandlung bezeugte Catli, dem Attentäter die Waffe verschafft zu haben. Zuvor hatte er Ali Agca zur Flucht aus dem Gefängnis verholfen, wo dieser wegen der Ermordung des Chefredakteurs einer großen türkischen Zeitung saß.

Auch zur türkischen Drogenmafia unterhielt Catli enge Beziehungen. Die Grauen Wölfe, die selbst tief im Rauschgifthandel steckten, dienten Abuzer Ugurlu, dem Chef des Kartells, als Mittelsmänner.

In welcher Sache waren aber nun der Polizeidirektor Kocadag, der Abgeordnete Bucac und der Killer Catli unterwegs? Und in welcher Beziehung standen sie zu Innenminister Agar und Außenministerin Ciller? Catli, Haluk Kirci (wegenMordes an sieben Mitgliedern der Türkischen Arbeiterpartei (TIP) 1978 zu mehrmals lebenslänglicher Haftstrafe verurteilter Graue-Wölfe-Militanter) und einige andere Killer und MHP-Aktivisten ebenso wie Mafia-Größen aus dem Umfeld der MHP, Funktionäre der Sicherheitsorgane und Dorfschützer wie Sedat Bucak gehörten einer tief in den Staatsapparat hineinreichenden Organisation an. Zu den Aktivitäten dieser "Ciller-Agar-Bande" gehörten politische Morde, illegale Inlands- und Auslandsoperationen wie z.B. ein Putschversuch in Aserbeidschan 1995, Drogenschmuggel in großem Stil, Erpressung und Menschenraub und das Reinwaschen und Reinvestieren von Schwarzgeld.

Die Verbindungen reichen bis in die Bundesrepublik. Am Rande eines Prozesses gegen vier Heroinschmuggler erklärte der Frankfurter Richter Rolf Schwalbe Ende Januar, die Ermittlungen seien durch die guten Verbindungen der Angeklagten zur türkischen Außenministerin Tansu Ciller erschwert worden. Durch den Verkehrsunfall kam ans Licht, welche Rolle Catli bei der Repression gegen die Kurden gespielt hatte. ImWrack des Autos fanden sich die Beweise für jene Vermutungen, die zahlreiche Journalisten und Menschenrechtsaktivisten seit langem gehegt hatten: Um türkische Dissidenten und kurdische Rebellen zu beseitigen, waren die unterschiedlichen türkischen Regierungen bereit gewesen, Drogenhändler zu decken, Terroristenzu schützen und Mörderbanden zu finanzieren. Achzig Mitglieder des türkischen Parlaments forderten eine genauere Untersuchung des Falls und drängten den Generalstaatsanwalt, gegen Tansu Ciller ein Strafverfahren wegen krimineller Machenschaften und Billigung illegaler Aktionen einzuleiten. Sie betonten, durch den Verkehrsunfall von Susurluk biete sich die einmalige Gelegenheit, den ganzen Komplex der immer wieder vertuschten Zusammenhänge zwischen Attentaten und Waffen- und Drogenhandel aufzuklären. Die Mehrheit der regierungstragenden Abgeordneten lehnte die Einrichtung des Untersuchungsausschusses ab. Von den Parteien, die entweder selbst in Zeiten ihrer Regierungsverantwortung in diese Strukturen verwickelt waren oder aus ideologischen Gründen Schulterschluß betreiben, war hier nichts anderes zu erwarten.

Solange die entscheidende Rolle des staatlichen Apparats und vor allem der militärischen Führung nicht aufgeklärt wird und diese Strukturen nicht beseitigt werden, kann weder die mafiose Durchsetzung von Staat und Politik noch der Krieg in Kurdistan beendet werden oder eine wirkliche Demokratisierung in der Türkei stattfinden.

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