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Nr.20 onlineversion

Logik des Rassismus
"Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggression gerechtfertigt werden sollen."
(Albert Memmi Rassismus 1992 (1982) S. 164)

Die Definition ist kurz, bündig und enthält alle Elemente dessen, was unter Rassismus verstanden werden kann. Dennoch bedarf sie des Kommentars. Nur wenige Rassisten halten sich selbst für solche und akzeptieren dieses Etikett. Die meisten werden es empört oder ‘gelassen’ zurückweisen. Der Nachweis eines konkreten Einzelfalls rassistischen Denkens oder Verhaltens ist schwierig. Eine festgefügte Logik von Meinungen und Vorurteilen, die ‘guten’ Argumenten gegenüber immun wirkt. schützt vor Angriffen. Die Rhetorik des Vorurteils und des Rassismus ist auf jedes Argument gefaßt und benutzt bald jede Aussage, um nur eines zu verschweigen: den Nutzen und die Funktion, die der Rassist davon hat, nämlich die Rechtfertigung seiner Privilegien und möglicherweise seiner Aggressionen. Das hat Memmi ins Zentrum seiner Definition gestellt. ‘Biologische’ und ‘kulturelle’ Unterschiede werden konstruiert und nach Bedarf kombiniert, verabsolutiert und bewertet. Die wirklichen Unterschiede interessieren den Rassisten nicht, denn es geht ihm nur um die Rechtfertigung gesellschaftlicher Über- und Unterordnung, Anpassung an ‘Gegebenheiten’ und Tatsachen, von denen er sich einen eigenen Vorteil verspricht.

Seine rhetorische Trickkiste bedient der Rassist instinktsicher und wie im Schlaf. Er kann zu Recht darauf vertrauen, daß seine ‘Argumente’ Resonanz finden; Klischees und Stereotype liegen auf der Straße und müssen nur aufgehoben werden. Erfahrungen und Denken würden das automatische Abspulen von Verallgemeinerungen nur behindern: ‘die Türken’, die ‘Asylanten’, die ‘Südländer’ usw. Rassistische Logik beschreibt einen in sich geschlossenen Zirkel, der Widersprüche bruchlos integriert - Ausnahmen bestätigen nur die Regel. ‘Natürlich’ gibt es ‘gute Ausländer’ und je präziser man sie Ullterscheiden kann, um so härter trifft das Urteil den verbleibenden - bösen - Rest. Nicht zuletzt triumphiert die Logik durch die Tatsache, daß auch die Opfer des Rassismus von Vorurteilen nicht frei sind: Sie wissen im einzelnen genau, auf welcher Stufe der gesamtgesellschaftlichen Hierarchie sie stehen - und wer ihnen auf abgewerteten Posten noch folgt. Vorurteile stellen einen bequemen und billigen Gewinn dar, den sich noch der letzte auf der untersten Stufe genehmigen kann. Rassismus erweist sich somit nicht als bösartige Charaktereigenschaft einzelner, sondern ist ideologischer Teil der gesellschaftlichen Hierarchie selbst.

Ein spürbarer Wiederholungszwang prägt die rassistische Logik. Argumente werden nicht gegenübergestellt und ausgetauscht, sondern möglichst häufig inszeniert. Memmi benutzt in seiner Definition nicht zufällig das Bild des Anklägers auf der Bühne des Strafgerichts. Indem die Ursachenanalyse für eine gesellschaftliche Misere und Krisensituation durch die Schuldfrage ersetzt wird, braucht der rassistische Ankläger nur noch Schuldige von Unschuldigen, weiße von schwarzen Schafen zu trennen. Rassismus ist die Rechtfertigung einer verbal-phantasierten oder praktisch-tätlichen Verfolgung. Der Rassist will immer handeln ursächliche Zusammenhänge sind ihm immer zu kompliziert und müßten eventuell ohnmächtig ertragen werden. Im ‘schlimmeren’ Fall führte die Ursachenanalyse auch noch zu einer Einsicht: daß nämlich die erwünschten oder vermeintlichen Privilegien des Rassisten zu Unrecht beansprucht werden.

Auch der Inhalt des Schuldspruchs ist eintönig und immer gleich formuliert. Der rassistische Ankläger phantasiert sich als Opfer des Angeklagten: Schmutz, Drogen- und Seuchengefahr, sozialökonomisches Parasitentum: Faulheit und Mißbrauch des Sozialsystems, kriminelle und sexuelle Delikte werden ‘den’ Ausländern vorgeworfen. Trifft es im Zweifelsfall den falschen, hat der Rassist keine Verantwortung dafür: Er verlängert nur Regeln und Gesetze seiner Gesellschaft, denen er selbst auch unterliegen könnte.

Im Kampf gegen die ‘Sündenböcke’ klagt der Rassist die ungerechten gesellschaftlichen Verhältnisse an, verurteilt werden ihre schwächsten Mitglieder. Dieser Konformismus macht ihn zu bestimmten Zeiten gesellschaftlicher Krisen so erfolgreich.

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