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Nr.19 onlineversion

150 Jahre Siemens - schwarze Kapitel der Konzerngeschichte

In den 150 Jahren Geschichte des Siemenskonzerns und seiner Beschaeftigten zu stoebern ist nicht uninteressant und reisst zwangslaeufig Denkmaeler ein. Mit 6.842 Talern Kapital und ca. zehn Beschaeftigten begann am 1.10.1847 die OHG Siemens & Halske. Um den Platz an der Sonne zu erlangen bedurfte es vieler Geldmittel. Heute ist Siemens Europas groesster Elektrokonzern, bestsubventioniert und Weltrang Nr. 6 mit 2,5 Mill. DM Gewinn und 379.000 Beschaeftigten.

Noch bevor am 18.1.1871 im Spiegelsaal von Versailles das Deutsche Reich proklamiert wurde, wurde mit aktiver Unterstuetzung des Chef-Syndikus von Siemens & Halske, Georg Siemens, die Deutsche Bank gegruendet, um das Auslandsgeschaeft der Deutschen Wirtschaft finanzieren zu koennen. Schon fruehzeitig profitierte das Unternehmen von staatlichen Auftraegen im In- und Aus-land, sei es beim Ausbau militaerischer und verkehrstechnischer Telegrafenlinien im Inland, sei es beim Ausbau der indogermanischen Telegrafenlinie durch Russland als Vorberei-tung auf den Krimkrieg sowie fuer die Absicherung der militaerischen Herrschaft Englands ueber Indien. Im Deutsch-Daenischen Krieg fertigte man Seeminen und im Deutsch-Franzoesischen Krieg sorgte man sich um die fernmeldetechnische Ausstattung des Heeres.

In der NS-Zeit war Siemens der wichtigste Lieferant fuer elektrotechnische Ruestungskomponenten. Bereits 1937 verwendete das Unternehmen 85% seiner Kapazitaeten auf die Herstellung von Erzeugnissen, die direkt oder indirekt der Wiederaufruestung dienten. Zwischen 1933 und 1944 stiegen die Umsaetze um mehr als das fuenffache, von 330 Mio. RM auf 1,8 Mrd. RM.

Jubilaeum

Die angesagte Jubelfeier von Siemens wird nicht ohne Nachdenken ueber die Buehne gehen. In einer Kampagne soll beispielhaft an die Rolle der Konzerne im Faschismus erinnert und die Forderung nach unbuerokratischer Entschaedigung der ehemaligen Zwangsarbeiter durchgesetzt werden.

Das verbrecherische Geschaeft mit Kriegsproduktion ist bis heute lohnend und gedeckt durch buergerliches Recht. Wir setzen mit Kritik an drei Stellen an:

¨ Deutschnationale Wegbereiter des Faschismus,

¨ Extraprofit durch Wirtschaftslenkung im Faschismus unter Beteiligung von Siemensleuten

¨ Vernichtung durch Arbeit (Zwangsarbeit) bei Siemens.

Deutschnational

Leiter des Konzerns wurde nach dem geadelten Werner von Siemens sein Sohn Wilhelm von Siemens. Er war deutschnational und voelkisch eingestellt. 1904 forderte er den Bau von sehr grossen starken und schnellen Kreuzern. Bereits vier Jahre vorher entstand bei Siemens & Halske das Marine-Zentral-Buero als organisatorische Antwort auf das Flottenbaupro-gramm. Im Geschaeftsjahr 1905/6 war der Umsatz der Kriegs- und Schiffsbautechnischen Abteilung (KS) auf 5 Mio. gestiegen. Das erste Kriegsjahr trieb den Ruestungsumsatz auf 54 Mio. In der KS-Abteilung wurden mit 22% des Umsatzes ausserordentlich hohe Umsatzrenditen erzielt. Gleichzeitig bekaempfte Wilhelm von Siemens aktiv die Gewerkschaften. Als der Deutsche Metallarbeiter Verband (DMV), der Vorlaeufer der IG Metall, 1906 in Berlin um hoehere Loehne kaempfte, sperrte Siemens die Ar-beiterInnen aus und gruendete eine sogenannte gelbe, d.h. Firmengewerkschaft, unter dem Einfluss der Geschaeftsleitung. 1914 waren 80% der Siemens-ArbeiterInnen in Berlin im gelben Werkverein, waehrend 1906 noch 80% Mitglied des DMV waren.

Wilhelm v. Siemens gehoerte zu den Unterzeichnern der Industriellen-Eingabe mit den maximalen Kriegszielforderungen waehrend des Krieges, und Carl Friedrich von Siemens redete 1917 zusammen mit dem reaktionaeren Historiker Friedrich Meinecke und dem Nationalliberalen Eugen Schiffer vor allem der Ex-pansion Deutschlands nach Osten in Form von Annexionen das Wort.

Wilhelm von Siemens betaetigte sich immerhin im Vorstand der Deutschen Vaterlandspartei, einer direkten parteipolitischen Vorlaeuferin der NSDAP. Der neue Firmenchef Carl Friedrich von Siemens bediente sich einer Doppelstrategie. Einerseits unterstuetzte er die Zentralarbeitsgemeinschaft zusammen mit Carl Legien und liess sich 1919 als Abgeordeneter der Deutschen Demokratischen Partei in den Reichstag waehlen, andererseits sammelte er in der ,Antibolschewistischen Liga" Eduard Stadtlers Geld zur Finanzierung schwarzer militaerischer Verbaende zur Nieder-schlagung der Revolution.

Die Siemens-Familie hatte in den Zwanziger Jahren Hunderte arbeitlos gewordener Berufsoffiziere insbesondere aus der Kriegsmarine eingestellt. Es ist daher kein Zufall, dass der Mitbeteiligte an der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, der Soldat Runge, zweimal unter falschem Namen im Siemenskonzern versteckt wurde. Es ist auch nicht verwunderlich, dass der fuer die Nazis als Finanzmittelbeschaffer taetige Siemens-Ingenieur Dr. Emil Gansser zusammen mit dem Leitenden Mitarbeiter der Sozialpolitischen Abteilung und spaeteren Leiter des Siemens-Archivs, Karl Burhenne, Adolf Hitler zu Beginn der zwanziger Jahre den Weg in den Nationalclub ebnet. Dort wird es Hitler zum ersten Mal ermoeglicht, vor fuehrenden Offizieren und Industriel-len zu sprechen.

Am 27.10.1931 charakerisierte v.Siemens in einer Rede bei General-Electric die Lage Deutschlands aus seiner Sicht treffend, als er formulierte, nur die NSDAP koenne die ,bolschewistische Gefahr" erfolgreich bekaempfen. Fest steht, dass Siemens-Direktoren und Vorstandsmitglieder schon vor 1933 ihre Kontakte zu den Nazis knuepften.

Extraprofit durch Wirtschaftslenkung

Schon vor 1933 gehoerte der Siemensvorstand Rudolf Bingel dem Keppler-Kreis an, der die NSDAP wirtschaftspolitisch beriet. Das Familienmitglied Cordemann war enger Mitarbeiter des wirtschaftspolitischen Sprechers der NSDAP, Wagner. Carl Friedrich von Siemens wurde am 15. Juli 1933 in den ,Generalrat der deutschen Wirtschaft" berufen.

1938 meldete Witzleben in einem Rundschreiben an die Werke den Siemenskonzern als judenfrei. Spaeter wird er u.a. neben Hanns Benkert fuer die Ausbeutung der Sklavenarbeiter verantwortlich sein. Im Siemenskonzern war der Antisemitismus weit verbreitet. Auch an der Arisierung war der Siemenskonzern beteiligt. So konnte er sich in den dreissiger Jahren die Heliowatt-Werke einverleiben.

Waehrend der Nazi-Zeit brachte der Siemenskonzern, nicht zuletzt im eigenen Interesse, weitere Spendenmittel fuer die ,Hitlerspende der deutschen Industrie" sowie Spenden an die SS ueber die Mit-glied--schaft Rudolf Bingels am ,Freundeskreis Reichsfuehrer SS" auf. Bingel, Vorstandsvorsitzender von Siemens-Schuckert, war nicht nur Verbindungsmann des Konzerns zur SS-Fuehrung, sondern sass auch im engeren Beirat der Reichsgruppe Industrie, dem Vor-gaenger des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI). In Berlin-Siemensstadt konnte man sich erst in juengster Zeit (1995!) dazu durchringen, die Rudolf-Bingel-Strasse in der Naehe der Siemens-Hauptverwaltung umzube-nennen. Entsprechende Bemuehungen der Bezirksverordneten-Versammlung scheiterten am Widerstand einer Wohnungs- und Grundstuecksgesellschaft des Siemens-Konzerns.

Vernichtung durch Arbeit/Zwangsarbeit

Der Siemens-Konzern war im Zweiten Weltkrieg nach der IG-Farben und den Vereinigten Stahlwerken der drittgroesste deutsche Industriekonzern. Er war der groesste Konzern der Elektrotechnik in Europa und nach der General Electric der zweitgroesste der Welt. Der Konzernumsatz war waehrend des Faschismus um mehr als das Fuenffache gestiegen. Nicht zuletzt weil die Belegschat zu ueber 30 Prozent (60.000) aus Zwangsarbeiterinnen bestand.

Krieg und Kriegsproduktion sorgten fuer Bedarf an Arbeitskraeften. Anfang 1940 begann das Haus Siemens ,unfreie" Arbeitskraefte in der Produktion einzusetzen. Judenabteilungen wurden geschaffen. Die juedischen ArbeiterInnen in den Judenabteilungen wurden geschlossen am Tor von den Meistern abgeholt und in separaten Abteilungen zu einem sehr niedrigen Lohn beschaeftigt. Die Diskriminierungen wurden noch zusaetzlich dadurch verstaerkt, dass z.B. Sitzen und Gespraeche verboten waren.Man erkannte schnell, dass mit spezifischen Methoden im Anlernen und einem besonderen Akkordsystem fuer die ,Judenabteilung" hoechste Leistungen herauszuholen waren. Im September 1941 waren in Berlin-Siemensstadt 3.650 juedische ZwangsarbeiterInnen beschaeftigt. Das System der Extraausbeutung lief gut fuer Siemens, da ab Herbst 1941 die Deportationen begannen. In der sogenannten Fabrikaktion im Februar 1943 wurden die juedischen ArbeiterInnen fruehmorgens in den Fertigungen eingeschlossen und direkt nach Auschwitz deportiert. Nach der Fabrikaktion wurden die juedischen Arbeitskraefte durch Kriegsgefangene und KZ-Haeftlinge ersetzt.

Rudolf Hoess, Lagerkommandant von Auschwitz, bestaetigt die Aktivitaeten der Industrie in seiner Aussage vor US-Militaerrichtern in Warschau: "Die Konzentrationslager haben niemals Arbeitskraefte der Industrie angeboten. Vielmehr wurden die Haeftlinge nur dann in die Betriebe entsandt, wenn die Betriebe vor-erst um Konzentrationslagerhaeftlinge angesucht hatten. In den Anforderungsschreiben mussten die Unternehmen genau angeben, welche Vorkehrungen fuer die Sicherung, Unterbringung, usw. getroffen waren. Waehrend meiner Dienstreisen wurde mir fortgesetzt von leitenden Persoenlichkeiten der Betriebe gesagt, dass sie mehr Haeftlinge haben wollten."

Der Siemens-Vorstand war von sich aus taetig geworden, um auch die billige Arbeitskraft der KZ-Insassen auszunutzen. Dabei bedienten sie sich zuerst der Methode der IG-Farben und anderer Konzerne, in den Konzentrationslagern fertigen zu lassen. Spaeter arbeiteten die KZ- Insassen in der Naehe oder direkt in den Siemens-Fertigungsstaetten. Insgesamt wurden nach Angaben von Karl Heinz Roth 1944 ca. 15.200 juedische ZwangsarbeiterInnen und KZ-Haeftlinge in den Konzernbetrieben an ueber 20 Standorten von Siemens ausgebeutet.

Seit Mai 1942 verhandelte die Leitung von Siemens & Halske (Direktor Leifer) mit dem Wirtschafts-Verwaltungshauptamt der SS in Berlin-Steglitz und mit dem Reichsluftfahrtministerium ueber den Aufbau einer Produktionsabteilung im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrueck. Am 8.6.1942 wurde mit dem Bau von 20 Arbeitsba-racken begonnen. In einem Brief des SS-Obergruppenfuehrers Pohl an Himmler mit dem Datum vom 20.10.1942 versicherte Pohl, dass Siemens neue Unterkuenfte in Ravens-brueck baue, um dort 2.500 weibliche Insassen unterzubringen, die an Telekommunikati-onsausruestungen fuer die Wehrmacht arbeiten wuerden. Die KZ- Arbeiterinnen wurden von Siemens-VorarbeiterInnen einer Testreihe unterworfen. Verantwortlicher Leiter der Produktion war der Siemens-Ingenieur Hermann Grade, dessen Spuren sich nach dem Krieg verlieren.

Am 21.8.1942 begann die Produktion in Ravensbrueck mit 20 Haeftlingen. Ende 1942 waren es 300 und Ende 1944 2.100 weibliche Gefangene. Um keine Zeit durch An- und Abmarsch zu verlieren, liess Siemens zu den 20 Arbeitsbaracken ausserhalb des Lagers noch zehn Wohnbaracken bauen. Die Arbeitszeit betrug 12 Stunden in zwei Wech-sel-schich-ten. Wecken war um 4.15 Uhr, Antreten zum Appell 5.00 Uhr, Abmarsch 6.00 Uhr. Die Verpflegung betrug max. 750-800 Kalorien. Von der Firma Siemens wurde bei Abmarsch von der Arbeit jeder Frau eine Schnitte mit billiger Wurst in die Hand gegeben. Wer bei der Arbeit einschlief, zu lange auf der Toilette blieb oder fuer die Siemens- und SS-KontrolleurInnen nicht genug leistete, wurde, wie die noch lebenden Frauen bezeugen, geschlagen. Frauen, die ihr Arbeitspensum nicht erreichten, drohte Essensentzug, Strafestehen - auch im Winter - und Arrest oder Einweisung in den Strafblock, was oft einem Todesurteil gleichkam.

,Es gab hier Werksleiter", so eine ehemalige KZ-Insassin, ,die jeden Tag eine neue SS-Wache anforderten, weil diejenige, die sie hatten, nicht streng genug war. Sie sahen es gern, wenn die Gefangenen mindestens einmal am Tag angezeigt und geschlagen wurden." In einem anderen Bericht heisst es, dass die Frauen der ,Siemens-Abteilung" im KZ Ravensbrueck ,besonders elend aussahen und sich in sehr schlechtem Zustand befanden. Siemens hatte die Moeglichkeit, bei der Lagerleitung zu intervenieren, um bessere Verpflegung und anstaendige Baracken fuer die Gefangenen zu erhalten. (...) Die feinen Herren von Siemens kuemmerten sich nicht darum wie viele Menschen starben. (...) Wenn die verlangte Arbeit nicht abgeschlossen wurde, wurden die Gefangenen grausam geschlagen, und diese Schlaege waren von Siemens angeordnet worden."

Frauen, deren Arbeitskraft verbraucht war, wurden in das Lager zurueckgeschickt. Mit allen Folgen fuer ihr weiteres Schicksal: in der Regel der Tod.

In aehnlicher Weise wurden KZ-Haeftlinge in vielen Lagern ausgebeutet: Buchenwald, Gross-Rosen, Auschwitz/Bobrek, Buchenwald Siemens TB, in den Aussenkommandos von Flossenbuerg (Falkenau), Gras-litz und Zwodau, im Aussenkommando von Gross-Rosen in Ober-Altstadt, bei Siemens-Schuckert in Nuernberg, Siemens & Halske und SSW in Wien, bei Siemens-Schuckert in Neustadt-Coburg, bei Siemens & Halske, SSW und der Siemens-Kabel-Gemeinschaft in Gartenfeld in Berlin (Lager Haselhorst - ein Nebenlager von Sachsenhausen), in dem Ju-gendschutzlager Uckermark, in Zwangsarbeitslagern der Siemens-Bauunion (SBU) im Distrikt Warschau, bei Mines de Bor in Jugoslawien und in Niederdonau. Verlagerungsprojekte sogenannte ,Bunkerwerke" wurden mit Hilfe der Siemens-Bauunion unter Nutzung der KZ-Sklavenarbeit errichtet in: Muehldorf am Inn, Stassfurt,

Hersbruck, Leitmeritz, Christianstadt, Ebensee und Beendorf bei Helmstedt. Bis heute sind die ZwangsarbeiterInnen von Siemens nicht entschaedigt worden. Die deutsche Industrie hat bis heute keinen Entschaedigungsanspruch anerkannt. Fuer ueberlebende juedische KZ-Haeftlinge stellte Siemens 1962 sieben Millionen Mark zur Verfuegung: Zur Linderung der Leiden, die die Gefangenen ,als Resultat der nationalsozialistischen Verhaftungen erdulden mussten", wie es in dem entsprechenden Vertrag heisst. Eine ,rechtliche oder moralische Verpflichtung" lehnt Siemens ausdruecklich ab. Von den 2.203 juedischen Ueberlebenden erhielt jeder nicht mehr als eine einmalige Zahlung von 3.300 DM. Dabei spielte einerseits der oeffentliche Druck, andererseits das Interesse des Konzerns, eine Rolle, in New York eine Zweigstelle aufmachen zu wollen.

Die meisten der ehemaligen Zwangsarbeiter wurden jedoch nicht entschaedigt, obwohl, Zwangsarbeit in den Nuernberger Prozessen als ,Verbrechen gegen die Menschlichkeit" verurteilt worden ist. Auch das Europaeische Parlament hat in einer Entschliessung vom 16. Januar 1986 eindeutig festgestellt, es bestehe ,eine klare moralische und rechtliche Verpflichtung der Firmen, die Sklavenarbeiter beschaeftigt haben, Entschaedigungsleistungen zu zahlen." Im Mai 1996 hat das Bundesverfassungsgericht befunden, dass die Geschaedigten individuell die Moeglichkeit haben, Schadensersatz einzuklagen. Das ist unwuerdig, buerokratisch und verdeckt weiterhin die Verbrechen der Konzernbetriebe.

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