November 1996

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Nr.18 onlineversion

Eine rechte Gewerkschaftsjugend?

Vom Fruehjahr 1993 bis zum Sommer 1994 fuehrte die Universitaet Tuebingen mit Unterstuetzung der Hans-Boeckler-Stiftung ein Forschungsprojekt zur "Politischen Orientierung jugendlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" durch.

Die Ergebnisse dieser Studie wurden im Herbst 1995 als Buch vorgestellt.(1) Im Februar 1996 sind Auszuege hieraus als Broschuere der IG Metall erschienen.(2) Per Fragebogen, Einzel- und Gruppeninterviews wurden die politischen Einstellungen von 1123 Auszubildenden aus Leipzig und dem mittleren Neckarraum untersucht. Eines der wesentlichen Ergebnisse dieser Studie ist, dass gewerkschaftlich organisierte Jugendliche in `Westdeutschland' staerker zu politisch rechten Positionen tendieren, als ihre nicht organisierten Kolleginnen und Kollegen.

Die Projektgruppe der Uni Tuebingen stellte fest, dass gewerkschaftlich organisierte Jugendliche deutlicher autoritaeren, rassistischen und nationalistischen Positionen zustimmten als unorganisierte, und die internationale Orientierung bei ihnen war damit auch geringer. Unter Autoritarismus verstehen die Forscher nicht Auffassungen wie, "Wir brauchen wieder einen starken Mann" und aehnliches. Gemeint ist damit die "Unterordnung unter vorherrschende, dominante, gesellschaftliche Normen, Werte und Ordnungsvorstellungen." Autoritarismus ist die Suche nach Schutz und Sicherheit durch Anpassung an herrschende Vorstellungen. Diesem anpassenden Verhalten folgt im naechsten Schritt die Ausgrenzung derjenigen, denen dieses aus verschiedensten Gruenden nicht moeglich ist. Damit vertritt die Forschungsgruppe auch die Auffassung, dass Rechtsradikalismus bei Jugendlichen heute kein opponierendes Verhalten gegenueber ihren Eltern ist, sondern eher eine aeusserst radikale Anpassungsleistung an die Gesellschaft. Waehrend alle befragten Jugendlichen autoritaeren Einstellungen deutlich zustimmten, war diese Zustimmung in "Ostdeutschland" noch etwas staerker als in "Westdeutschland". Im statistischen Mittel wirkt sich das bei gewerkschaftlich organisierten Jugendlichen signifikant staerker aus, als bei nicht organisierten.

Die Jugendlichen lehnten einen biologistisch begruendeten Rassismus eindeutig ab. Rassistische Argumente in Gruppen und Einzelinterviews bezogen sich vor allem auf "nationale Berechtigungskriterien" fuer den Anspruch auf Leistungen des Staates. Die verschiedenen Gruppen, ob Asylbewerber, Arbeitsimmigranten, Aussiedler, Sinti und Roma wurden in den Diskussionen immer wieder vermischt. Nationale Orientierung wurde in der Untersuchung noch ausdifferenziert in "ausgrenzenden Nationalismus", "voelkischen Nationalismus" und "expansiven Nationalismus". Expansive nationale Positionen, also territoriale Ansprueche an andere Laender, waren bei allen befragten Jugendlichen gering ausgepraegt. Ausgrenzend nationale Positionen (womit in der Studie Ausgrenzung aufgrund sozialer Bedrohung durch Auslaender gefragt ist) und voelkisch nationale Einstellungen (Zuweisung von nationalen Eigenschaften wie Fleiss, Tuechtigkeit und Ordnungssinn) wurden von organisierten Jugendlichen staerker vertreten.

Im Osten waren die Unterschiede zwischen den Jugendlichen insgesamt gering. Die weiblichen Auszubildenden im Osten lehnten rechte Positionen eher ab als die maennlichen Auszubildenden. Im Westen dagegen stimmten gewerkschaftlich organisierte Jugendliche, Maenner wie Frauen, rechten Positionen deutlich staerker zu als die nicht organisierten. Die nicht organisierten weiblichen Auszubildenden im Westen lehnten rechte Positionen am deutlichsten ab. Rechnet man die auslaendischen Jugendlichen im Westen heraus (im Osten fanden sich keine in der Stichprobe), wird die Differenz zwischen organisierten und unorganisierten noch groesser. Ein weiterer Unterschied wurde zwischen Beschaeftigten in Industriebetrieben (hier hauptsaechlich Metall- und Elektrobetriebe und der Baubereich) und Beschaeftigten im Handwerks- und Dienstleistungsbereich festgestellt.

Auszubildende aus den Industriebetrieben, wo ja auch der Schwerpunkt der gewerkschaftlichen Organisierung liegt, tendierten deutlicher zu rechten Auffassungen, als diejenigen aus den Handwerks- und Dienstleistungsunternehmen. Gerade in diesen grossen Industriebetrieben, fuer die und von denen gewerkschaftliche Politik gemacht wird, zeigen sich nun die Folgen kapitalistischer Verwertungslogik. Eine Gewerkschaftspolitik, die sich auf Diskussionen, wie z.B. eine Standortdebatte, Zustimmung zum Leistungsprinzip, Stand-ort-sicherungspapiere (lohnmindernde Betriebsvereinbarungen), Zugestaendnisse bei Erpressungsversuchen der Arbeitgeberseite und Befuerwortung betrieblicher Konkurrenz, wirken der Rechtsentwicklung nicht nur nicht entgegen, sie sind auch eine Ursache hierfuer. Ein Ergebnis zu dem die Forschungsgruppe kommt: Fuer die Gewerkschaften "scheint die Erhaltung der Konkurrenzfaehigkeit von Betrieben, verbunden mit der Standortfrage und der Qualitaetssicherung durch eine gute Ausbildung, ein moeglicher Weg fuer eine arbeitsplatzsichernde Politik zu sein. [...] Auch jugendliche Gewerkschaftsmitglieder koennen zu dem Schluss kommen, dass ihre Absicherung am ehesten durch gegen andere gerichtete Ausschlussmassnahmen gewaehrleistet wird."(3) Von den Gewerkschaften erwarten die Jugendlichen "moeglicherweise [...], die Reproduktionsbedingungen zu erhalten" und "unnoetige `Konkurrenz' weitgehend zu minimieren". "Die individuelle Suche nach Sicherheiten, z.B. in einem Verstaendnis von Gewerkschaften als `Versicherungsunternehmen' legen [...] Ausgrenzung nahe. Berechtigung auf einen Arbeitsplatz, bzw. zur Erhaltung eines Arbeitsplatzes koennen so leicht entlang von Nationalitaetenzugehoerigkeit ausgewiesen werden."

Es werden "in der Steigerung von Leistungs- und Konkurrenzfaehigkeit direkte Handlungsmoeglichkeiten" gesehen, Arbeitsplaetze zu erhalten. Da verwundert es nicht, dass die Forschungsgruppe eine hohe Wechselbeziehung zwischen Leistungsorientierung und ausgrenzenden Nationalismus feststellt.(4) Insofern schlussfolgert die Forschungsgruppe, dass gerade eine gewerkschaftliche Strategie zur Arbeitszeitverkuerzung eine gesellschaftliche Perspektive aufweisen wuerde, in denen Ansaetze sozialer Gerechtigkeit und Solidaritaet liegen. "Ausgrenzungspraxen [...] lassen sich mit diesen Werten nicht vereinbaren. Notwendig ist eine `Tarifpolitik [...] mit einer Reichweite, die Arbeitszeitverkuerzung sogar zum Schluessel von sozialen Utopien, von "Wiedergewinnung einer linken Hegemonie (Vorherrschaft, d. Red.) ueber den konservativen Zeitgeist" und von breiter gewerkschaftlicher Mobilisierung fuer Solidaritaet und soziale Gerechtigkeit' versteht."

Die Untersuchung behauptet natuerlich nicht, dass gewerkschaftlich organisierte Jugendliche generell ausgrenzende Positionen einnehmen. Diejenigen, die sich zur Zeit in den Gewerkschaften engagieren, sind eher links eingestellt. "Gleichzeitig kann aber auch ein staerkerer Trend derjenigen zum Engagement innerhalb der Gewerkschaften festgestellt werden, die sich eher politisch rechts einordnen. Diese Gruppe befuerwortet die Ausgrenzung von Auslaendern."Gleichzeitig stoesst die Idee, die Arbeit umzuverteilen, auf grosse Zustimmung. Allerdings "glauben viele Jugendliche aber nicht, dass eine solche Gewerkschaftspolitik erfolgreich sein wird und es werden Zweifel angemeldet, ob eine solche Orientierung sich auf der Handlungsebene durchsetzen laesst."(5)

Bleibt nicht viel zu kommentieren. Es waere schade, diese Ereignisse wie andere gesellschaftspolitische oder wirtschaftliche Studien der gewerkschaftseigenen Institute in den Wind zu blasen. Sie bietet Unterstuetzung in der Debatte fuer eine politische Perspektive jenseits von Konkurrenz und Effizienz nach der kapitalistischen Verwertungslogik.

(1) Josef Held, Hans-Werner Horn, Athanasios Marvakis: Gespaltene Jugend,Leske und Buderich 1995

(2) Reinhard Hahn und Hans-Werner Horn: Eine neue rechte Jugend? Sonderdruck IDEEN fuer IG Metall-Vorstand/SPD-Vorstand, IG Metall-Vorstand, Abt. Jugend, Februar 1996

(3) Alle Zitate aus: Hans-Werner Horn: No time for losers,

Gewerkschaftliche Monatshefte 8/95

(4) Fuer die Statistikfans: Bei organisierten Jugendlichen r=0,5217 und bei nicht organisierten r=0,3413

(5) Hahn, Horn: Eine neue rechte Jugend?

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