November 1996

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Nr.18 onlineversion

Zu Luebeck

Tatverdacht gegen Nazis erhaertet

Am 16. September begann vor der Jugendkammer des Luebecker Landgerichts der Prozess gegen Safwan Eid. Ihm wird vorgeworfen, am 18. Januar den Brand in der Asylunterkunft in der Luebecker Hafenstrasse gelegt zu haben, bei dem 10 Menschen starben und 38 zum Teil schwer verletzt wurden. In den vergangenen Prozesstagen ging es im wesentlichen darum, zu klaeren, wie und wo der Brand entstanden ist. Am ersten Prozesstag waren ca. 200 AntirassistInnen gekommen, um ihre Solidaritaet mit dem Angeklagten Safwan Eid zu zeigen. Daran schloss sich eine spontane Demonstration durch die Luebecker Innenstadt an, die bei Passanten einige Verwunderung ausloeste.

Am dritten Prozesstag wurde der Hauptbelastungszeuge Leonhardt vernommen. Auf seiner Aussage, Safwan Eid habe ihm gegenueber erklaert: "Wir warn's", beruht die Anklage der Staatsanwaltschaft. In der Hauptverhandlung konnte er sich nur noch an diesen Satz erinnern, nicht wann, nicht wo er diesen Satz gehoert hatte. Daraufhin wurde die Freilassung Safwan Eids beantragt, die aber abgelehnt wurde. Leonhardt gibt zu, dass es ein Treffen zwischen ihm, seinem Freund Hamann, Staatsanwalt Boeckenbauer und Beamten der Mordkommission gegeben habe, wozu dieses Treffen gedient hat, wurde nicht klar. Der Zeuge Hamann wiederspricht den Aussagen von Leonhardt was den Zeitpunkt, wann er "wir warn's" gehoert haben will, betrifft. Seine weitere Vernehmung wird auf Anfang November verlegt. Weitere Zeugen zur Klaerung der Frage des Brandherdes werden an den folgenden Verhandlungstagen vernommen. Unter anderem wird von zwei Arbeitern der Firma Brueggen erklaert, sie haetten noch vor dem Eintreffen der Einsatzfahrzeuge einen beigefarbenen Wartburg mit kurzhaarigen Maennern darin vor dem Werksgelaende parken sehen. Mit diesen Aussagen wird der Tatverdacht gegen diese Nazis erhaertet. Die Frage, warum gegen sie nicht ermittelt wurde, stellt sich erneut.

"Der Luebecker Brandanschlag kann nicht allein Juristen bzw. der Staatsraeson ueberlassen werden", sagte Luebecks Buergermeister Michael Bouteller im Januar `96. Recht schnell bildete sich, Hand in Hand mit dem Luebecker Buendnis gegen Rassismus, eine internationale Kommission, die die gesellschaftliche Situation in der BRD ins Rampenlicht stellte. Denn was haben wir von einem Bundespraesidenten zu erwarten, der die Geduld zu verlieren glaubt und auf Einzeltaeter verweist - und damit den rassistischen Normalzustand ignoriert. 37 offiziell registrierte Tote an den deutschen Ost-Grenzen; 23 Tote und 31 Verletzte in Abschiebehaftanstalten; mindestens 167 Tote an den Aussengrenzen der Europaeischen Union; Hunderte von Opfern rassistischer Hetze und Gewalt; Tausende von Abgeschobenen mit ungewissem Schicksal im Verfolgerstaat; Zehntausende von Illegalisierten in der BRD, mit entsprechenden Arbeits- und Lebensbedingungen. Das alles sind Ergebnisse der moerderischen Fluechtlingspolitik der Bundesregierung und den anderen EU-Regierungen. Ein angolanischer Vertragsarbeiter formulierte 1991 in Hoyerswerda "dass Hauptproblem sind die vielen anstaendigen Deutschen...".

Als nachdem Luebecker Brandanschlag die Staatsanwaltschaft einen Fluechtling als Taeter praesentierte, wurde tatsaechlich offen gefragt "wer entschuldigt sich jetzt bei uns Deutschen?". Fuer wie bloed oder gewoehnungsfaehig wir gehalten werden zeigt die nachfolgende Anklage gegen Safwan Eid, die offensichtlich jeder Grundlage entbehrt, anderen Tatverdaechtigen wird erst garnicht nachgegangen.

Dass mit aehnlichen Opfer/Taeter Verschiebungen (in Hattingen, Hamburg, Bochum,...) von den herrschenden Zustaenden und dem staatlichem Rassismus abzulenken versucht wird und dieses auch gelingt, ist bundesdeutscher Alltag. Es bleibt, eine Reihe von Forderungen zu stellen:

- Keine Unterbringung von Fluechtlingen in Lagern oder Sammelunterkuenften!

- Bleiberecht fuer alle! (War eine Zusage der Stadt Luebeck an die Opfer des Anschlags.)

- Aufruf zu zivilem Ungehorsam gegen die eiskalte Asylmaschinerie!

- Abschaffung der Sondergesetze fuer AuslaenderInnen!

- Stop von Kampfeinsaetzen und der zunehmend aggressiven Aussenpolitik der BRD!

Das Luebecker Buendnis gegen Rassismus (Willy-Brandt-Allee 9, 23554 Luebeck, Tel. 0451/7020748) gibt regelmaessige Prozessinformationen heraus, die dort bestellt werden koennen, fuer WeiterverteilerInnen gibt's Mengenrabatt. Inzwischen ist auch der Zwischenbericht der Internationalen Kommission erschienen, die den Prozess begleiten. Er ist erhaeltlich bei:Anwaltsbuero Heinicke pp, Budapester Strasse 49, 20359 Hamburg, Tel: 040/4396001

Dokumentation: 540 Seiten zum rassistischen Anschlag in Luebeck

"Der Vorgang hinterlaesst Fragen, Zweifel und Besorgnisse hinsichtlich der Objektivitaet und Entschlossenheit der ermittelnden Behoerden", so Detlef Hensche, Vorsitzender der IG Medien, in seinem Vorwort zu den Materialien zum rassistischen Brandanschlag in Luebeck - wie Opfer zu Taetern gemacht werden.

Auch die Mitglieder der Projektgruppe Antinazismus der IG Medien waren nach dem rassistischen Anschlag von Luebeck vom Januar dieses Jahres, nach der undemokratischen Nachrichtensperre und den Ermittlungen gegen den Heimbewohner Safan Eid geschockt. Der Entschluss zu diesem Thema zu arbeiten wurde gefasst.

Aus den anfaenglichen Vorstellungen einer 20seitigen Infomappe wurden schnell Dimensionen einer mehrhundertseitigen Dokumentation. Im September lag das Ergebnis vor: Eine gebundene, 540 Seiten umfassende Dokumentation und eine Kopiervorlagensammlung fuer eine Ausstellung zum rassistischen Anschlag am 18. Januar '96 (kann man prima neben die Telefonbuecher stellen).

Neben einer umfangreichen Sammlung verschiedener Pressetexte aus Tages-, Wochenzeitungen und Magazinen sind in der Dokumentation zahlreiche Veroeffentlichungen aus dem Antifaschismus- und Antirassismusbereich abgedruckt. Dazu noch Stellungnahmen der BewohnerInnen des Hauses in der Hafenstrasse und Pressemitteilungen von MigrantInnen und internationalen Gruppen, die bis jetzt fast gaenzlich unter den Tisch gefallen sind.

Durch einen breiten Ueberblick zum "Fall Luebeck" werden zentrale Widersprueche im Konstrukt der Staatsanwaltschaft deutlich. Ausserdem werden die Ermittlungen thematisiert, die sich nicht gegen verdaechtige rechte Deutsche richten. Ausserdem enthaelt die Dokumentation Vorlagen fuer eine Ausstellung. Sie umfasst insgesamt 24 Tafeln, die bei bedarf auf DIN A2 oder DIN A1 vergroessert werden und im Betrieb, in der Schule, im Gewerkschaftshaus oder einfach auf der Strasse ausgestellt werden koennen. Die Ausstellung ist eng an die Inhalte der Broschuere geknuepft.

Bis jetzt ist die Resonanz gegenueber der Projektgruppe gross. Dafuer, dass die Kosten fuer eine Mappe 45,- DM bzw. 32,- DM (Solipreis) betragen, wurden schon viele Exemplare verkauft. Die Dokumentation ist keine Broschuere oder Info-Heft. Vielmehr soll sie es moeglich machen, dass AntifaschistInnen und AntirassistInnen, JournalistInnen und RedakteurInnen, die zu diesem Thema arbeiten wollen, mit einem moeglichst vollstaendigen Ueberblick versorgt werden. Fuer diese Menschen, wie fuer antirassistische Vereine oder Fluechtlingsinitiativen ist diese Dokumentation ideal, um fundierte Hintergrundberichte zu verfassen oder um Artikel in Zeitungen und Zeitschriften zu veroeffentlichen.

Die Dokumentation kann bezogen werden beim: Hauptvorstand der IG Medien, Abt. Jugend, Postfach 102451, 70020 Stuttgart. Sie kostet 45 DM. Antirassistische Initiativen, Antifa-Gruppen und Gewerkschaftsmitglieder zahlen 32,- DM.

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