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Nr.17 onlineversion

Ein Radio für CALUSA

Bildung, Kommunikation und Musik in Südafrika

Von Mitte März bis Mitte April 1996 fuhr ein Team von Coppi e.V. (Arbeitsgruppe für angewandte Technologie in der dritten Welt) nach Südafrika. Coppi, 1983 in Westberlin gegründet, realisiert mit Gruppen in der sogenannten dritten Welt Projekte im Bereich der Kommunikationstechnik. Das Team baut in der Region Transkei mit der Cala University Students Association (Calusa) ein Community radio auf. Calusa ist aus der radikalen Jugend Calas während der Soweto-Unruhen 1976 hervorgegangen. Calusa unterstützt desw eiteren das Children's Radio in Kapstadt.

Wir reisten hauptsächlich durch die Kapprovinzen und machten noch einen kurzen Abstecher nach Durban an den indischen Ozean. Diese Großstadt liegt in der Provinz KwaZulu/Natal, die sich in mehrfacher Hinsicht von den Kapregionen unterscheidet. Das erste, w as uns aufgefallen ist, war das subtropische Klima und die Vegetation; Palmen, Bananen, Ananas, Avocados, Zuckerrohr. Mit kilometerlangen weißen Stränden ist Durban eine interessante Großstadt. Überlagert wird der positive Eindruck von den gewalttätigen Au seinandersetzungen zwischen dem ANC und der Inkatha. Am Osterwochenende sind in der Provinz KwaZulu/Natal 108 Menschen Opfer politisch motivierter Gewalt geworden. Nach unseren Informationen herrscht in KwaZulu/Natal nach wie vor Bürgerkrieg. Die Gewalt es kaliert immer wieder durch die konservative Inkatha unter Führung von Mangosuto Buthelezi.

Neben dem kurzen Abstecher zum Indischen Ozean verbrachten wir längere Zeit in der Transkei, einer ländlichen Region in der östlichen Kapprovinz. Dort wurde durch uns in der Stadt Cala das Vukani Community Radio aufgebaut. Cala ist eine kleine, auf einer H ochebene gelegene Stadt, umgeben von ländlichen Siedlungen und ohne Kommunikationsstruktur. Calusa, gegründet 1983, veranstaltet dort Alphabetisierungskurse, richtet während der Semesterferien eine Sommeruniversität ein und macht Seminare für BewohnerInnen von Squatter Camps ("illegale" Wohnsiedlungen), um sie in die Lage zu versetzen, ihre eigenen Interessen zu organisieren und sich mit der neuen Bürokratie auseinanderzusetzen. In und mit dieser Organisation sind sehr viele Frauen aktiv. In allen Diskussio nen ist die Gender Question (Geschlechterverhältnis) ein fester Bestandteil. Dieser Umstand ist uns auch in Kapstadt beim Kinder Radio aufgefallen. Die Lebensumstände in dieser ländlichen Region unterscheiden sich stark von denen in der Stadt. Es gibt kein e geteerten Straßen, viele Häuser sind ärmlich, Wasser gibt es nicht regelmäßig, Strom fällt noch häufig aus (das Radio läuft dann selbstverständlich weiter!). Der Zusammenhalt der Menschen ist sehr groß, trotz der harten Existenzbedingungen ist die Stimmu ng entspannt. Nach der offiziellen Radioeröffnung fuhren wir wieder nach Kapstadt zurück.

Kapstadt, eine Großstadt mit starkem europäischem Einfluß, liegt wunderschön am Kap der guten Hoffnung, umgeben von Bergen und Stränden. Es wird im Winter kaum kälter als 12 Grad Celsius und der Sommer ist durch den kühlenden Atlantikwind erträglich. Das s oziale Klima in der Stadt ist für südafrikanische Verhältnisse relaxed und sehr tolerant, obwohl es auch dort zu gewalttäti-gen Auseinandersetzung kommt. In Kapstadt hatten wir mehrere Treffen mit dem Kinder Radio, einem kleinen UKW-Radio von Kindern für K inder im Township Kayelitsha. In diesem Kapstädter Township treffen "erste Welt" und "dritte Welt" hart aufeinander. Unter einer Olympia- Werbung (Kapstadt kandidiert für Olympia 2004) ist eine Siedlung aus Wellblechbuden, in einigen Teilen Kayelitshas lie gen Müllberge an der Straße, in denen Kinder spielen. Die Stadtverwaltung weigert sich, sie wegzuräumen, ,da dort sonst wieder nur Häuser gebaut würden". Welch ein Zynismus!

Die Mehrheit der Armen ist immer noch schwarz, die Gesellschaft kennt kein soziales Sicherungssystem wie in Europa, es gibt immense Einkommensunterschiede. Die soziale, ökonomische und gesellschaftliche Lage in Südafrika ist sehr gespannt. Mit dem Wahlsieg des ANC 1994 und der Wahl Nelson Mandelas zum Staatspräsidenten war ein historischer Schritt in der Geschichte des südlichen Afrikas getan. Es wird endlich versucht, daß alle Bevölkerungsteile Südafrikas ohne staatlich dekretierten Rassismus miteinander l eben. Für die große Mehrzahl der Bevölkerung ist dies die wichtigste Veränderung. Der institutionalisierte Rassismus ist endgültig zu Ende. Südafrika ist das Land mit der höchsten Tötungsrate außerhalb von Kriegsgebieten, ein Menschenleben, besonders wenn es schwarz ist, ist immer noch nicht viel wert. Gewalt gegen Frauen und Kinder ist häufig anzutreffen.

In die neue Regierung ist große Hoffnung auf die Verbesserung der Lebensumstände gesetzt worden. Die Regierung ist jedoch gezwungen, einen Spagat zu machen. Einerseits die Interessen der Unternehmer und der Reichen, von denen viele immer noch weiß sind, be rücksichtigen und andererseits der Hoffnung vieler Menschen auf eine schnelle Verbesserung gerecht werden. Auf die Forderung nach Housing (Wohnraum) antwortet die neue Regierung, Häuser sollen von privaten Investoren gebaut werden. Diese haben aber kein In teresse an Häusern in Townships. Daher stellen die Menschen immer stärker die Forderung nach Baumaterialien an die Regierung.

Die Regierung hat Ende April 1996 das RDP-Programm (Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm) beendet. Dieses Programm, auf Forderung der Gewerkschaft entstanden, sollte das Land nach mehr als 30 Jahren Apartheid und Krieg wieder aufbauen und entwickeln. Es versprach den armen Menschen, oftmals denjenigen, die am entschiedensten die Apartheid bekämpft haben, neue Chancen und Möglichkeiten. Die Gelder des Programms sind wieder an das Finanzministerium zurückgeflossen. Zusätzlich erschwert wird die angespannte Situation durch die Weltbank und den IWF. Auf Druck des IWF wurde das Bildungssystem, welches nicht besonders gut ist, weiter abgebaut und Tausende von Lehrern entlassen. Ende April wurde durch einen eintägigen Generalstreik das Unternehmerrecht auf Ausspe rrung, das in der Verfassung verankert werden sollte, gestoppt.

Die neue Verfassung Südafrikas ist nach den spärlichen Informationen, die man in Deutschland bekommt, die fortschrittlichste der Welt. Erstmal sind dort neben den Menschenrechten auch soziale Rechte, wie Bildung, Erziehung, Wohnung und Ernährung aufgeführt . Der Streik richtete sich sicherlich auch gegen den neuen wirtschaftlichen Kurs der Regierung Richtung neoliberaler Kapitalismus. Für die anstehenden Veränderungen wird es auch von Bedeutung sein, wie andere gesellschaftliche Bereiche Widerstand entwickel n können und ob sie es schaffen, an ihre Widerstandstraditionen aus der Zeit vor 1994 anzuknüpfen.

Der Umbruch in Südafrika hat auch die Linke erfaßt. Viele gute Leute sind in die staatlichen Institutionen gegangen, andere laufen gerade auf die ,andere Seite der Barrikade" über und können den Verlockungen des Kapitalismus nicht widerstehen. Die Frage, o b die Menschen in den Institutionen aufgesogen werden und sich nicht mehr mit den sozialen Kämpfen verbünden, ist noch offen. Auch viele Gewerkschaftskader, wie der ehemalige Vorsitzende der Bergarbeitergewerkschaft NUM, Cyril Ramaphosa, sind in die neuen Institutionen abgewandert. Die im Anti-Apartheid Kampf geformten Gewerkschaften stehen vor einer schwierigen Situation. Sie müssen den Kampf unter den Bedingungen einer "eigenen" Regierung, der neokapitalistischen Offensive und einer verunsicherten Arbeite rschaft organisieren.

Der Kapitalismus in Südafrika wird in nächster Zeit nicht abzuschaffen sein, welchen Charakter er haben wird ist offen. Wir sind zuversichtlich, daß die Geschichte auch in Südafrika weitergeht und die Menschen sich wehren werden und Neues aus den Kämpfen e ntsteht. Mit großem Bedauern mußten wir nach vier Wochen leider wieder abreisen. Klüger geworden und mit neuen Ideen kamen wir nach 21 Stunden Reise wieder in Europa an, mit dem festen Entschluß, wieder nach Afrika zu fahren.

"Gegen den weit verbreiteten Irrtum, daß mit den Wahlen 1994 die Apartheid überwunden wurde", setzt das Bildungswerk des DGB die Schrift Nr. 40 "Das neue Südafrika - Gewerkschaften & Arbeitsbeziehungen nach der Apartheid", Postfach 101026, 40001 Düsseldorf .

Es folgt ist ein Interview, daß das DGB-Bildungswerk mit John Gonomo, dem Präsidenten des Gewerkschaftsdachverbandes COSATU geführt hat. Es wurde in der Broschüre `Das neue Südafrika' im November 1995 veröffentlicht.

Seit den Wahlen im April 1994 ist Südafrika frei. Können die Gewerkschaften ihre Solidaritätsarbeit jetzt einstellen?

Nein, wir sind noch nicht frei. Wir haben nur die politische Führung gewechselt. Die wirtschaftliche Macht ist immer noch in den Händen derer, die sie auch vor den Wahlen hatten. Bis wir die ökonomische Macht kontrollieren, das braucht Zeit. Die Narben der Apartheid sind noch da.

Zu deren Beseitigung hat die Regierung das "Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm" angenommen, das ursprünglich eine COSATU-Initiative war: Gibt es Erfolge?

Weniger als wir dachten. Wir hoffen auf die Kommunalwahlen Ende 1995: sie schaffen die Schlüsselstruktur zur Umsetzung. Aber wir müssen auch sicherstellen, daß die Unternehmer sich beteiligen. Ich finde sie sollten einen bestimmten Prozentsatz ihrer Profit e in Bildung, Gesundheit und diese Bereiche stecken. Dann wüßte man jedenfalls, daß jeder sich verpflichtet fühlt, und auch die Arbeiter würden ihren Schweiß nicht einfach für Hungerlöhne vergeuden. Meiner Meinung nach sollte es einen entsprechenden Verhal tenskodex für in- und ausländische Investoren geben.

Was hat sich für die Gewerkschaftsarbeit konkret verändert?

Allerhand erfahrene Leute sind von der Gewerkschaft zur Regierung gegangen. Die fehlen uns jetzt im Übergangsprozess. Der Umbau der Industrie und der Fabriken geht zu schnell. Alle wollen auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig werden, und unsere Kapazitäten rei chen nicht aus, auf die Herausforderungen immer sofort zu reagieren. Aber wir mischen uns ein.

Wäre die deutsche Mitbestimmung dafür ein Modell?

Mitbestimmung braucht eine sehr starke und sichere Gewerkschaft. Für uns kämen zum Beispiel Betriebsräte mit Nicht-Mitgliedern oder Betriebsratsvorstände ohne Gewerkschaftsvertreter nicht in Frage. Eine andere Gefahr liegt darin, daß man Vereinbarungen übe r die eigene Arbeitslosigkeit unterschreibt.

Gibt es Gewerkschaftsforderungen für die Verfassungsverhandlungen?

Wir wollen Arbeiterrechte in die Verfassung aufgenommen haben. Aber wir haben einen Fehler gemacht, als die Übergangsverfassung verhandelt wurde. Sie enthält neben dem Streikrecht auch die Möglichkeit der Aussperrung. Das hätten wir nicht zulassen dürfen, und wir werden es in der Verfassungskommission wieder auf den Tisch bringen.

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