zurück zur titelseite/inhalt

Nr.17 onlineversion

Was ist Rassismus?

Teil 2: Neorassismus

In der letzten Ausgabe des RAG versuchten wir, den Begriff Rassismus aus der geschichtlichen Entwicklung heraus zu definieren. Die Ideologie des Rassismus entstand sowohl als Reaktion auf die französische Revolution von 1789, als auch im Zusammenhang mit dem Kolonialismus, für den die Herrschenden Rechtfertigungen benötigten. Rassismus wurde bis 1945 vor allem biologisch begründet, d.h. es war die Rede von "überlegenen" und "minderwertigen Rassen". Diese Begründungen finden wir heute in dieser traditionelle n Form selbst in Veröffentlichungen von Neonazis nur noch selten. Rassismus ist nicht zuletzt deshalb ein relativ weit verbreitetes Phänomen in dieser Gesellschaft, weil sich die rassistische Ideologie angepaßt und zum Teil eine andere Form und Ausdruckswe ise angenommen hat. Dieser sogenannte Neorassismus gibt sich wissenschaftlich und spricht von "Kulturen" statt von "Rassen".

Bis 1945 wurden die erbbiologischen Begründungsmuster des historischen Rassismus wissenschaftlich kaum hinterfragt. Die Auseinandersetzung mit der NS-Rassenlehre als ideologischer Grundlage für die Vernichtung der europäischen Juden und das wachsende Selbstbewußtsein der Menschen in der sog. Dritten Welt, gaben den Anstoß für die Widerlegung des Rassismus.

Dabei entwickelten sich vor allem zwei antirassistische Argumentationsstränge: Erstens, daß eine rassistische Hierarchie jeder wissenschaftlichen Basis entbehrt. Und daß zweitens der Begriff der "Rasse" unhaltbar und sinnlos ist, um Menschen in Gruppen ein zuteilen.

Trotzdem existieren rassistische Verhaltensweisen weiter fort. In den meisten Gesellschaften spielt Rassismus heute eine größere Rolle als beispielsweise vor 20 Jahren. Von daher ist oft vom "Rassismus ohne Rassen" die Rede.

Der Neorassismus proklamiert die Verteidigung der "kulturellen Identität" eines Volkes, spricht vom „Recht auf Differenz (Unterschied)" und geht von der Unvereinbarkeit "verschiedener Kulturen" aus. "Kulturelle Identität" und "Recht auf Differenz" waren im Ursprung Begriffe von Teilen der Linken, die im Zusammenhang mit Befreiungskämpfen wie in Nordirland oder im Baskenland und dem staatlichen Anpassungszwang gegenüber Immigranten benutzt wurden. Aufgegriffen und zur Argumentationsgrundlage des Neorassismus wurden diese Begriffe von der "Nouvelle Droite", der "Neuen Rechten" in Frankreich. Die "Nouvelle Droit", die sich um den rechten Vordenker Alain de Benoist und die Organisation "GRECE" gruppiert, besteht in erster Linie aus rechten Intellektuellen, wie J ournalisten, Autoren, Professoren, also sog. Multiplikatoren. Sie ist in den letzten zwei Jahrzehnten nicht nur in Frankreich zu einer Art Ideenschmiede bzw. "Denkfabrik" des gesamten rechten und rechtsextremistischen Lagers geworden. Diese "Neue Rechte" h at nun durchaus geschickt ehemals linke Begriffe mit ihren Inhalten besetzt, und ihnen dadurch erfolgreich Akzeptanz verschafft. Mehr noch, Benoist geht sogar so weit vom "Rassismus des Antirassismus" zu sprechen, da dieser die grundlegende Verschiedenheit der ethnischen Kulturen leugne und alle Menschen als "gleich" ansehe. Die "Neue Rechte" bzw. der Neorassismus fordert "Ethnopluralismus", wobei sie nicht einen Pluralismus innerhalb eines Landes wie Frankreich oder Deutschland meinen, sondern daß die vers chiedenen "Ethnien" in ihren "angestammten Lebensräumen" zu leben hätten. Denn jede "Volksgemeinschaft" (Benoist) habe ein eigenes "Schicksal".

Der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt und insbesondere sein ehemaliger Lehrer und Mentor, der Nobelpreisträger Konrad Lorenz, gelten zusammen mit dem amerikanischen Psychologen Arthur Jensen und dem in England lebenden Prof. Hans-Jürgen Eysenck al s die wissenschaftlichen Kronzeugen des Neorassismus.

So ist auch kein Zufall, daß Eibl-Eibesfeldt und Lorenz gern gesehene Gäste bei Veranstaltungen der französischen GRECE waren. Eysenck, der wie Konrad Lorenz zum Patronatskomitee der GRECE-Zeitschrift "Nouvelle Ecole" gehörte, veröffentlichte seine rassist ischen Untersuchungen in rechtsextremen Publikationen in ganz Europa, unter anderem eine Serie von Artikeln in der "Deutschen Nationalzeitung".

Arthur Jensen fungiert gleichzeitig als Beirat der Zeitschrift "Neue Anthropologie". Sie wird herausgegeben von der rassistischen "Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung", unter Leitung der zentralen Figur der bundesdeu tschen Neonaziszene, dem Rechtsanwalt Jürgen Rieger.

Eibl-Eibesfeldt konnte zuletzt im Mai dieses Jahres in der Zeitschrift "Focus" seine neorassistischen Inhalte zum besten geben: "Wenn man über Immigration Minoritäten aufbaut, die sich abgrenzen und ein anderes Fortpflanzungsverhalten zeigen, wird das Glei chgewicht gestört".

Xenophobie, also Fremdenfeindlichkeit, erklärt er zu etwas Natürlichem: "Das ist in der Evolution selektiert worden, um die Vermischung zu verhindern." Da wird sich nicht ausdrücklich gegen "Rassenmischung" ausgesprochen, sondern Eibl-Eibesfeldt warnt eben vor dem "Verlust an kultureller Differenzierung", um damit dasselbe zu sagen.

Mit Hilfe dieser Prominenten gelang es inzwischen dem Neorassismus, bis in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen.

In den USA verläuft die rassistische Diskussion heftiger, zum Teil offen biologistisch. Furore machte vor kurzem der Politologe Charles Murray mit seinem Buch über Intelligenzquotienten ("The Bell Curve"/"Die Glockenkurve"), das er gemeinsam mit dem Psycho logen Richard Herrnstein veröffentlichte. Mit umstrittenen Intelligenztests versuchten sie zu beweisen, daß Schwarze - erblich bedingt - generell weniger intelligent seien als Weiße. Als Konsequenz daraus fordern sie, jeden besonderen Aufwand, sozial Benac hteiligten höhere Bildungschancen einzuräumen, einzustellen. Das sei nur herausgeschmissenes Geld (s. Wochenpost-Titel auf S. 11). Herrnstein trat schon in den 70er Jahren mit so intelligenten Aussagen hervor, daß Arbeitslosigkeit genauso erblich sei wie s chlechte Zähne. Beunruhigend ist nur, daß solche Thesen in der amerikanischen Öffentlichkeit wirklich ernsthaft diskutiert werden. Murray wurde sogar auf dem Kapitol empfangen, um Präsident Clinton in Fragen der Sozialpolitik zu beraten.

Multikultur als antirassistische Gegenstrategie?

Wir haben gesehen, daß der Neorassismus Begriffe wie "Recht auf Differenz" aufgriff, mit dem Terminus "kulturelle Identität" verknüpfte, um so eine "Pflicht zur Differenz" zu fordern. Das heißt, die Menschen haben so zu bleiben, wie sie sind und dort zu bl eiben, wo sie herkommen. Diese modern formulierte Variante von "Ausländer raus" brachte in der Vergangenheit sogar schon manche antirassistische Gruppe in Verlegenheit. Als bekanntestes Beispiel sei die französische Organisation "SOS-Racisme" genannt, die die Forderung nach "droit á la difference" (Recht auf Differenz) aufstellte, um sich damit gegen den Zwang zur Anpassung der arabischen Immigranten an die "französische Kultur" zu wenden. Le Pen und seine "Front National" griffen diese Parole sofort auf un d münzten sie erfolgreich in Wählerstimmen um.

Hier stellt sich die Frage, inwieweit das Konzept für eine "multikulturelle Gesellschaft", das auch "SOS-Racisme" vertritt, offene Flanken für den Neorassismus bietet. Und inwieweit die Vertreter der "Multikultur" die Behauptung von "Rassen" bzw. "Kulturen " dadurch unabsichtlich unterstützen, daß z.B. von einer "türkischen kulturellen Identität" die Rede ist. Mit der Betonung der "Verschiedenheit der Kulturen", die als feststehend und unveränderbar erscheinen, dürfte es schwer sein, neorassistisches Denken zurückzudrängen.

Antirassistische Arbeit, die erfolgreich den Neorassismus bekämpfen will, kommt sicher nicht umhin, zuallererst die Auffassung von statischen, unveränderbaren "Kulturen" in Frage zu stellen. Ohne die soziale und politische Situation der Menschen, egal wohe r sie kommen, in den Mittelpunkt zu stellen, wird dem Rassismus wenig entgegenzusetzen sein.

Nicht alle Menschen sind gleich, aber es sind gleiche Rechte für alle Menschen einzufordern.

"Der neue Rassismus ist ein Rassismus der Epoche der 'Entkolonialisierung', in der sich die Bewegungsrichtung der Bevölkerung zwischen den alten Kolonien und den alten `Mutterländern' umkehrt und sich zugleich die Aufspaltung der Menschheit innerhalb eines einzigen politischen Raumes vollzieht. Ideologisch gehört der gegenwärtige Rassismus, der sich bei uns um den Komplex der Immigration herum gebildet hat, in den Zusammenhang eines `Rassismus ohne Rassen' (...), eines Rassismus, dessen vorherrschendes The ma nicht mehr die biologische Vererbung, sondern die Unaufhebbarkeit der kulturellen Differenzen ist; eines Rassismus, der - jedenfalls auf den ersten Blick - nicht mehr die Überlegenheit bestimmter Gruppen oder Völker über andere postuliert, sondern sich darauf `beschränkt', die Schädlichkeit jeder Grenzverwischung und die Unvereinbarkeit der Lebensweisen und Traditionen zu behaupten. Diese Art von Rassismus ist zu Recht als ein differenzialistischer Rassismus bezeichnet worden (vgl. etwa P.A. Taguieff)." (Der französische Philosoph Etienne Balibar in: Balibar/Wallenstein, Rasse - Klasse - Nation, Hamburg/Berlin 1990)

"Die multikulturalistische Strategie - gerade indem sie die Bewahrung der `kulturellen Identitäten' betont - bewegt sich innerhalb dieses Dispositiv; sie stellt die Differenz zwischen der éigenen' und den `fremden' Kulturen immer wieder neu heraus und zeme ntiert sie so. Die ideologische Konstruktion der `Rassen' ... bleibt ebenso unangetastet, wie die kulturalistische Ideologie, in der der Rassismus artikuliert wird. Mehr noch: die multikulturalistische Ethik transformiert die ökonomischen und politischen S paltungen gleichfalls in kulturelle Differenzen!" (Jost Müller, in: "Die freundliche Zivilgesellschaft", Berlin 1992)

zurück zum seitenanfang