November 1995

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Nr.15 onlineversion

"Wenn wir schon arbeiten müssen, wollen wir auch bezahlt werden"

Italienische Arbeiter besetzten eine Großbaustelle im sächsischen Schmannewitz, um die Zahlung ihrer ausstehenden Löhne durchzusetzen. Mit signalroter Farbe haben italienische Bauarbeiter auf der Groß-baustelle den obenstehenden Spruch auf ein Bettlaken geschrieben und an den Bauzaun gehängt. (...)

Die italienischen Bauarbeiter sind stinksauer. Seit knapp drei Monaten arbeiten sie schon im sächsischen Schmannewitz. Doch von ihren Löhnen haben sie bis jetzt noch nichts gesehen. Bei einigen stehen über 10.000 DM aus. Ausgezahlt wurden bisher nur Abschläge, rund 500 DM für zwei Monate Arbeit. Vereinbart waren jedoch ursprünglich Stundenlöhne von 20 DM. "Für weniger", sagt Paolo, "wären wir nicht nach Deutschland gekommen. Das hätte sich nicht gelohnt." (...) Unterbringung und Verpflegung sind katastrophal: In den Holzbarracken abseits im Wald drängen sich jeweils sechs Mann auf 15 qm. Geschlafen wird auf drei Doppelstockbetten aus Metall. Tische und Bänke gibt es nur in wenigen Räumen, in manchen Zimmern regnet es durch. "Darin zu leben, ist unmenschlich. Da leben ja die Hunde besser", beklagt sich ein Arbeiter. (...)

Das Faß zum Überlaufen brachte jetzt die Nachricht, die Arbeiter sollten abgeschoben werden, und zwar ohne ihren Lohn ausbezahlt zu bekommen. Der Grund: Die italienische Firma arbeitete illegal. Die Beschäftigten sind damit angeschmiert. Aber das, so sind die Arbeiter sicher, werden sie sich nicht gefallen lassen. "Wir wollen unsere Rechte und unseren Lohn", fordern sie auf ihren Transparenten, Kräne Bagger und Baracken werden besetzt, die Zufahrtswege blockiert. (...)

Generalunternehmer ist Philipp Holzmann und die Tochterfirma Held & Francke Bau AG, Niederlassung Leipzig. (...) Die Bauleitung trägt die Firma Wolff & Müller mit Sitz in Dresden. Zusammengearbeitet wird mit einer ganzen Reihe von Subunternehmern. Die neapolitanischen Arbeiter wurden zum Beispiel von einem Subunternehmer in Rom angeworben, der wiederum den Auftrag, Arbeitskräfte zu heuern, von der Firma DOM aus Mailand bekam. DOM bekommt Geld von Wolff & Müller und gibt dieses nach Abzug von 30 Prozent an den Subunternehmer weiter. Da bleibt für die Arbeiter nicht viel, wenn sie überhaupt etwas bekommen.

Schmannewitz ist kein Einzelfall. Auf den meisten Baustellen in Deutschland sind die Strukturen ähnlich. Deutsche Baukonzerne fahren horrende Profite ein, indem sie über oft dubiose Subunternehmer legal oder illegal ausländische Arbeiter anwerben, die arbeitsrechtlich kaum geschützt sind. Leidtragende dieser Machenschaften sind die Arbeiter, die dabei um ihre ohnehin niedrigen Löhne geprellt werden, während das Geld in dunklen Kanälen versickert. (...)

Als die Arbeiter sich auflehnten, langsamer zu arbeiten anfingen und klar wurde, daß sie sich nicht einfach wegschicken lassen würden, folgte vor gut zwei Wochen prompt eine Razzia. (...) Die Papiere der Arbeiter aus Italien waren in Ordnung, doch die Subunternehmer hatten keine Versicherungsbeiträge bezahlt. (...) In so einem Falle sei es üblich, die Arbeiter von der Baustelle auszusperren und ohne Lohn nach Hause zu schicken. (...) Der Zeitpunkt der Kontrolle sei Zufall gewesen, behauptet Mitarbeiterin Knödler vom zuständigen Arbeitsamt Leipzig, das die Razzia ausgelöst hatte. "Wir prüfen auf Baustellen generell, ob die Arbeitnehmer die Euro-Versicherung, die sogenannte E-111-Karte haben. Der Anlaß in Schmannewitz allerdings war eine anonyme Anzeige", fügt Knödler hinzu. Im Übrigen sei der Generalunternehmer nicht für seine Subunternehmer verantwortlich zu machen. Dieser Aussage widerspricht, daß schon zweimal, und zwar im November 94 und Februar 95, auf derselben Baustelle Kontrollen mit ähnlichem Effekt durchgeführt wurden. Auch damals wurden Arbeiter abgeschoben, ohne ihren Lohn zu erhalten. Ein deutscher Unterstützer der Bauarbeiter-Proteste, der Vorort zweisprachige Flugblätter verteilt, vermutet hinter solchen Maßnahmen ein System: "Immer wenn ausländische Malocher beginnen, sich zu wehren, kommen die Razzien. Für die deutschen Baukonzerne hat dies neben der einschüchternden Wirkung den Vorteil, daß illegale Arbeiter sofort ohne Lohn weggejagt werden können." (...) Als nächster Schritt wurde die Kantine geschlossen und die Arbeiter aufgefordert, die Unterkünfte zu verlassen. Die Italiener bekamen die Zusicherung, jetzt tatsächlich bezahlt zu werden. Allerdings nicht für die geleisteten Arbeitsstunden, sondern für die Aufmaße. Dabei behauptete der Bauleiter, daß zum Beispiel die zehnköpfige neapolitanische Kolonne insgesamt nicht mehr als 6.000 DM erwirtschaftet hätte. Die sollten sie akzeptieren und heimfahren.

Die Italiener jedoch blieben hartnäckig: Sie besetzten erneut die Baustelle. Die Firma Wolff & Müller, der durch diese Aktion ein Schaden von über 50.000 DM entstand, erklärte sich endlich bereit, auf die Forderungen der Arbeiter einzugehen. Schon am nächsten Tag bekamen all jene, die noch nicht abgereist waren, den vollen Lohn ausbezahlt. Insgesamt berappte Wolff & Müller noch einmal 210.000 DM. Ein von den Arbeitern mühsam erkämpftes Geld. Paolo, dem die Anstrengungen der letzten Wochen anzusehen sind: "Aber es hat sich gelohnt. Ohne zu kämpfen, hätten wir uns verraten. Die Erfahrung nehmen wir zurück nach Italien."

(aus: Junge Welt vom 17.6.95)

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