November 1995

zurück zur titelseite/inhalt

Nr.15 onlineversion

Lippenbekenntnisse

Die Auswirkungen des Rückführungsabkommens mit Vietnam

Stell dir vor, du wohnst mit deiner Familie in einem kleinen heruntergekommenen Zimmer, für das du über 30 DM/qm zahlst. Das Zimmer befindet sich in Block C eines Wohnheims für vietnamesische VertragsarbeiterInnen in der Rhinstraße in Lichtenberg. Die Vermieterin, ARWOBAU, eine 100%ige Senatstochter, schickt dir eines Tages im Juli die Kündigung für Ende August mit der Begründung: "Notwendige Instandsetzungsarbeiten". Für dich jedoch heißt die Kündigung nicht nur Obdachlosigkeit, sondern gleichzeitig auch Verlust deiner Aufenthaltsbefugnis. Diese ist nämlich daran gekoppelt, daß du Wohnraum vorweisen kannst.

Du gehst also zu einem Informationsabend der Beratungsstelle "Reistrommel" und dem "Aktionsbündnis für Bleiberecht" und erfährst dort von einem Rechtsanwalt, daß du mit seiner Hilfe gegen die Kündigung Widerspruch einlegen kannst. Drei andere MieterInnen tun es dir gleich. Bevor über euren Widerspruch entschieden ist, habt ihr uneingeschränktes Wohnrecht. An dem Tag, an dem die Kündigungsfrist ausläuft, geht der Heimleiter mit zwei Polizisten durch das Gebäude und droht allen noch anwesenden MieterInnen, daß er alle ab nachmittags mit Polizeigewalt rausschmeißen wird. Am nächsten Tag verschließt die Wohnungsgesellschaft alle fünf Eingangstüren des Block C, so daß er nicht mehr betreten werden kann. Wachschützer schließen sämtliche Türen im Erdgeschoß auf und durchwühlen die Zimmer. Euer Anwalt stellt Antrag auf einstweilige Anordnung beim Amtsgericht, damit ihr eure Zimmer wieder betreten könnt. In der selben Nacht brennt es im Haus. Das Feuer kann jedoch schnell von der Feuerwehr gelöscht werden. Am nächsten Tag erläßt das Gericht einstweilige Anordnung, daß euch umgehend Zugang zu euren Wohnungen zu gewähren ist und die Gesellschaft euch je zwei Schlüssel für den Eingang aushändigen muß. Anstatt sich daran zu halten, schweißt die ARWOBAU am nächsten Tag alle Eingangstüren und Fenster im Erdgeschoß mit Gittern zu. Zwei ARWOBAU-Bedienstete beginnen, alle Zimmer leerzuräumen. Du schaust dir mit deinem Anwalt dein Zimmer an: Es ist leer, deine Sachen sind alle weg! Zum Feierabend wird das Haus wieder verschlossen.

Soweit diese fiese kleine Geschichte. Sie ereignete sich im August und September in der Rhinstraße in Lichtenberg. Den widerspenstigen Mietparteien wurde letztendlich von der Gesellschaft unter viel Druck und mit dubiosen Versprechungen eine neue Wohnung zugesagt. Ihnen wurde eine Unterschrift abgerungen, mit der sie ihre Anträge und Widersprüche zurücknahmen und auf die Rückkehr in ihre Wohnung in der Rhinstraße verzichteten. Damit war der Block C erfolgreich geräumt. In den zwei weiteren Blöcken B und D des Wohnheims flatterte ebenfalls die Kündigung ins Haus. Hier wehrten sich jedoch mehr Mieter, die Öffentlichkeit wurde aufmerksam und die Presse schaltete sich ein. Hier ist die Räumung bislang nicht so leicht durchzusetzen, obwohl der Terror von Seiten der ARWOBAU noch zunahm und Hand in Hand mit katastrophalen sanitären Verhältnissen arbeitet.

Daraufhin fand am 16. Oktober ein Lokaltermin mit zuständigen Bezirkspolitikern und Verantwortlichen der ARWOBAU statt. Ein Ergebnis von diesem Termin ist eine Hetzkampagne gegen die UnterstützerInnen von "Reistrommel" und dem Aktionsbündnis für Bleiberecht, in der diese als Aufwiegler und nicht vertrauenswürdig hingestellt werden. Weiterhin gibt es viele Lippenbekenntnisse, sich um neue Wohnungen zu kümmern, bzw. die Empfehlung, nach Block D umzuziehen, da dieser als letzter geräumt werden sollte. Neuerdings gibt es eine mündliche Zusage, daß Block D nicht geräumt werden soll.

All diese Ereignisse zeigen, wie das im Juli 95 zwischen der BRD und Vietnam geschlossene Rückführungsabkommen von 40.000 VietnamesInnen praktisch umgesetzt wird. Die VertragsarbeiterInnen, die seinerzeit im Zuge einer "humanitären Lösung" eine Aufenthaltsbefugnis erhalten haben, werden jetzt aus ihren Wohnungen rausgeworfen und dadurch zu Illegalen gemacht. Bis zur Abschiebung ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.

zurück zum seitenanfang