November 1995

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Nr.15 onlineversion

Arbeitsplätze nur für Deutsche???

Razzien auf Baustellen und die Position der BSE

In Berlin sind seit dem Sommer dieses Jahres 150 neue, besonders geschulte "Ermittler" des Landesarbeitsamtes im Einsatz, um Jagd auf illegal Beschäftigte zu machen. Razzien auf Baustellen haben stark zugenommen. Die Maßnahmen richten sich angeblich gegen Lohndumping, gegen skrupellose Menschenhändler und gegen betrügerische Arbeitgeber. Aber wen trifft es wirklich?

Tatsächlich betroffen sind zunächst einmal die Beschäftigten, die oft weder Aufenthalts- noch Arbeitserlaubnis haben. Sie werden festgenommen, inhaftiert und in ihre Heimatländer abgeschoben. Die betroffenen Unternehmer kommen in der Regel glimpflich davon, da Sie die verhängten Bußgelder wohl locker aus der Portokasse bezahlen können.

Oft genug ist es schon vorgekommen, daß kurz vor dem Zahltag eine Razzia durchgeführt wurde, so daß die erwischten Arbeiter keinen Anspruch auf ihren Lohn mehr geltend machen konnten. So beleben die Razzien noch zusätzlich das Geschäft.

Die Gewerkschaft Bau-Steine-Erden (BSE) hat das verschärfte staatliche Vorgehen gegen "Illegale" ausdrücklich begrüßt. Sie unterstützt diese Razzien mit dem Argument, nur so die Lohntarife durchsetzen zu können.

Diese Art der Durchsetzung von tariflichen Bestimmungen halten wir zumindest für problematisch. Trifft sie doch tatsächlich in erster Linie ArbeiterInnen, die aufgrund miserabler wirtschaftlicher oder auch politischer Verhältnisse in ihren Heimatländern gezwungen sind, ihre Arbeitskraft hier billig zu verkaufen und die durch
die ausländerrechtlichen Bestimmungen dieses Staates zu "Illegalen" werden.

Auf Berliner Baustellen arbeiten schätzungsweise bis zu 30.000 illegal Beschäftigte. In skandalöser Weise werden hier durch die Baunternehmer Tarifverträge unterlaufen und Menschen mit erbärmlichen Löhnen abgefertigt. Das krasse Wohlstandsgefälle zwischen Deutschland und z.B. Osteuropa sorgt dafür, daß manche "Illegale" für Stundenlöhne selbst unter drei Mark arbeiten. Gleichzeitig gibt es im Berliner Baugewerbe 32.000 Arbeitslose.

So werden Menschen gegeneinander ausgespielt. Aber wer ist für diese unhaltbaren Zustände verantwortlich?

In einem Interview benennt der Pressesprecher der Gewerkschaft BSE, Köhler, die Schuldigen für rassistische Stimmungen auf deutschen Baustellen folgendermaßen: "Die ausländerfeindliche Stimmung entsteht genau dadurch, daß diese Bauarbeiter unseren heimischen Bauarbeitern die Arbeitsplätze wegnehmen." (JW 28.9.95). Der Kollege Köhler sollte sich den Unterschied zwischen Opfern und Tätern klarmachen. Für Rassismus sind nicht diejenigen verantwortlich, die ihn erleiden müssen.

Verantwortlich sind in diesem Fall die lohndrückenden deutschen Bauunternehmen, die aus Profitinteresse möglichst billige Arbeitskräfte wollen. Wie auch die polnischen, britischen oder portugiesischen Subunternehmer, die Arbeitskräfte in ihrem Heimatland anwerben und äußerst profitträchtig in völlig rechtlosem Status als Billigarbeitskräfte hierher weitervermitteln. Warum bitteschön soll z.B. der polnische Bauarbeiter, der sich als Wanderarbeiter auf Berliner Baustellen verdingt, um über die Runden zu kommen, Schuld am Rassismus auf Baustellen sein.

Das "Entsendegesetz"

Dieses "Entsendegesetz" sollte ein Mittel sein, diese Entwicklung auf deutschen Baustellen zu stoppen. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß ausländische Arbeitskräfte, die in der BRD vorrübergehend auf Baustellen arbeiten (Subarbeitnehmer, Werkvertragsarbeitnehmer, Saisonarbeitnehmer etc.), nach hier geltenden Tarifverträgen zu entlohnen sind. Vorher muß jedoch von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden die "Allgemeingültigkeit" der Bautarifverträge festgestellt werden. Das "Entsendegesetz" ist also nicht als staatliches Mindestlohngesetz zu verstehen, sondern in einer Pressemitteilung des Bundesministerums für Arbeit heißt es: "Mit diesem Gesetzentwurf soll verhindert werden, daß im Bausektor ausländische Arbeitskräfte zu Billiglöhnen in Deutschland tätig werden und dadurch kleinere deutsche Unternehmen aus dem Markt gedrängt werden. Während schon über 150.000 EU-Arbeitnehmer im Bausektor tätig sind, ist die Arbeitslosigkeit der deutschen Bauarbeiter stark angestiegen..."

Eine solche Richtlinie an sich könnte Gewerkschaftsherzen höher schlagen lassen. Die Festlegung einer vernünftigen Mindestentlohnung kann sich günstig auf die Situation speziell der WanderarbeiterInnen auswirken. Eine Mindestlohn-Forderung ist aber nicht vorgesehen. Das jetzt vorgeschlagene Gesetz regelt ja nur die Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages - nicht die Lohngruppen.

Schauen wir genauer hin, was damit bezweckt wird, müssen wir folgendes feststellen: Das "Entsendegesetz" ist als Maßnahme zur Sicherung von Arbeitsplätzen für Deutsche gedacht. Darin stimmt auch die BSE mit Blüm überein. Die weitere Absenkung der Löhne für alle ArbeitnehmerInnen würde damit nicht wirklich verhindert werden. Denn als Mindestlohn soll im Baugewerbe der unterste Tariflohn für unqualifizierte Bauarbeit festgeschrieben werden.

BDA kippt das Entsendegesetz

Allerdings hat die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) den Gesetzentwurf ohnehin mit der Begründung abgelehnt, das Gesetz "unterlaufe die Tarifautonomie". Was ist der eigentliche Grund der Ablehnung? Die Bauarbeiter verdienen zuviel - der tarifliche Ecklohn in der Baubranche sei höher als in anderen Wirtschaftsbereichen. Verstehen wir das so, wie es gemeint ist: Das Lohndrücken für die im Baugewerbe Arbeitenden soll so weitergehen wie bisher! Und zwar mit Hilfe von rechtlosen Billigstarbeitskräften.

Wie aber sieht eigentlich die Situation eines polnischen Wanderarbeiters auf einer Berliner Baustelle aus? Die Abhängigkeit des polnischen Kollegen von seinem Arbeitgeber (meist polnische Subunternehmer) beginnt schon mit der Arbeitserlaubnis, die - wir können uns das kaum vorstellen - an den Arbeitsvertrag gekoppelt ist! Damit ist jeder Arbeitgeberwillkür Tür und Tor geöffnet. Schon die Beantragung der Arbeitserlaubnis wird durch den Arbeitgeber vorgenommen. D.h. keine Betreuung durch die Sachbearbeiter der Arbeitsämter, keine Information über Rechte und Möglichkeiten, kein Beistand zur Durchsetzung von Ansprüchen.

Der nur befristete Aufenthalt und die meist ungenügenden Sprachkenntnisse führen zu Desinformation und Unsicherheit. Solche ArbeitnehmerInnen werden durch fehlende Unterstützung und Vertretung erpressbar gemacht.

Besonders schwerwiegend ist die fehlende soziale Absicherung bei Arbeitsunfällen und Krankheit. So liegt dem Polnischen Sozialrat e.V. in Berlin die schriftliche Aussage eines legal beschäftigten Vertragsarbeitnehmers vor, dem von seinen Vorgesetzten nach einem schweren Arbeitsunfall die sofortige ärztliche Hilfe verweigert wurde. Statt ins nächste Krankenhaus, wurde der Verunglückte nach Polen transportiert, wo er erst nach mehreren Stunden ärztlich versorgt werden konnte.

Fazit dieser und noch zahlreicher ungenannter Erscheinungen eines solchen Arbeitsverhältnisses: Die Risiken der Beschäftigung tragen die ausländischen ArbeitnehmerInnen allein. Die Situation befristet beschäftigter polnischer ArbeitnehmerInnen in der BRD läßt sich wie folgt zusammenfassen: Sie werden ausgegrenzt, bleiben rechtlos, erpressbar, verletzlich und in der Regel konfliktunfähig.

Von entsandten ArbeitnehmerInnen aus den EU-Staaten sind im letzten Jahr spektakuläre Protestaktionen bekannt geworden: Baustellenblockaden, Kranbesetzungen, Hungerstreik. EU-ArbeitnehmerInnen haben inzwischen das "selbstverständliche Recht", hier zu arbeiten. Sie sind besser vertraut mit ihren Rechten und mit den Verhältnissen auf den Arbeitsmärkten. Doch auch hier mangelt es ganz dramatisch an Beratung und Betreuung durch die Gewerkschaften. Es scheint, daß die deutschen Gewerkschaften die ausländische Arbeitnehmerschaft vor allem als Konkurrenz wahrnehmen.

Wir begrüßen es, wenn die BSE, anstatt die staatlichen Maßnahmen gegen ArbeiterInnen zu unterstützen, tatsächlich Schritte gegen die Spaltung unter den ArbeitnehmerInnen auf dem Bau unternehmen würde: Bei der BSE in Berlin ist die Aufstellung und Einrichtung von Beratungs-Containern geplant, um erste Versuche zur Information der ausländischen KollegInnen über ihre rechtlichen Möglichkeiten zu starten. Zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung.

Der Teufelskreis von Abhängigkeit vom Arbeitgeber und der Desinformation, sowie jegliches Fehlen von Unterstützung durch andere - deutsche und ausländische - KollegInnen muß durchbrochen werden. Denn das Ziel von Gewerkschaften kann nicht sein, die Konkurrenz unter Beschäftigten festzuschreiben, sondern das Konkurrenzdenken zu bekämpfen.

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