September 1995

zurück zur titelseite/inhalt

Nr.14 onlineversion

Schwarzes Selbstbewußtsein in den USA

AutomobilarbeiterInnen aus Deutschland zu Besuch bei den "black workers for justice"

Ende April reisten wir, eine Gruppe von 25 ArbeiterInnen aus der Automobil- und Stahlindustrie, im Rahmen unseres Bildungsurlaubs in die USA. In der Autometropole Detroit trafen wir mit vielen GewerkschafterInnen verschiedener großer Autokonzerne zusammen.

Im Mittelpunkt der Diskussionen stand immer wieder der Kampf gegen Rationalisierung, schlanke Produktion und Verschärfung des Arbeitstempos.

In den vergangenen Jahren hatte sich in den USA innerhalb der Gewerkschaften Widerstand gegen die Zugeständnisse entwickelt, die die Gewerkschaftsführungen an die Konzerne machten, um deren Krise zu bewältigen. Grundlage für diesen Widerstand war die Organisierung an der Basis in den Fabriken. Die Idee von Gewerkschaften als einer sozialen Bewegung wurde wieder entwickelt und gab vielen KollegInnen gegenüber dem "business unionism", dem Comanagement, wieder eine Orientierung für den Widerstand.

"Organize the South"

Der zweite Teil der Reise führte uns in den gewerkschaftlich schlecht organisierten Süden. Auch deutsche Konzerne (BMW, Mercedes usw.) profitieren hier von dem niedrigen Lohnniveau und der fehlenden gewerkschaftlichen Vertretung in den Betrieben. In Rocky Mount, North Carolina, trafen wir eine Gruppe afro-amerikanischer ArbeiterInnen, die hier bereits seit über 10 Jahren arbeitet, um sich gegen die Willkür in den Betrieben zu wehren, aber auch um in den schwarzen "communities" den Kampf gegen rassistische Unterdrückung und für Selbstorganisation zu unterstützen. Sie nennen sich "black workers for justice", schwarze ArbeiterInnen für Gerechtigkeit. Die Organisation steht auch Weißen offen, die mitkämpfen wollen. Es wurde deshalb schon mal diskutiert einen anderen Namen zu wählen, aber die Hauptunterdrückung hier richtet sich gegen die schwarze Bevölkerung, und der Kampf hilft natürlich auch den armen weißen ArbeiterInnen, die ebenso unterdrückt sind.

Bei den "schwarzen ArbeiterInnen für Gerechtigkeit"

Der Empfang bei den afro-amerikanischen KollegInnen war überaus herzlich. In ihrem Zentrum, einem für die armen Gegenden des Südens typischen Holzhaus mit Veranda vor dem Eingang, versammelten sich nach unserer Ankunft immer mehr Menschen, um uns zu empfangen.

Ashaki ist die Sprecherin der Gruppe. Sie stellte die Arbeit der Gruppe vor: "Organize the south" - laßt uns den Süden organisieren - das ist die zentrale Aufgabenstellung für die Gruppe. Die Südstaaten der USA sind traditionell landwirtschaftliche Gebiete. Jahrhundertelang haben hier die Landbesitzer von der Sklavenarbeit profitiert, noch heute sind landwirtschaftliche Betriebe und die Agroindustrie vorherrschend. Die Menschen arbeiten in Sägewerken, Geflügelfarmen, in der Tabakindustrie oder Baumwollspinnereien. Gewerkschaftliche Organisierung war dort schon immer ein hartes Brot. Die "niedrige" und schwere Arbeit wurde meist von Schwarzen gemacht, während die Vorarbeiterjobs und das Management den Weißen vorbehalten blieb. Das Dilemma der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung ist, daß sie überwiegend weiß ist. Die Organisierung der ArbeiterInnen hier war für sie nicht besonders interessant, deshalb entstanden hier die "black workers for justice".

Der "Süden" als Billiglohnland

Anfang der achtziger Jahre begannen große Konzerne, sich in den Südstaaten niederzulassen, North Carolina hat mittlerweile die höchsten industriellen Zuwachsraten. Autoindustrie und Zulieferer, Chemie und Elektronikunternehmen verlassen die industriellen Kerngebiete wie Detroit oder Chicago, die Hochburgen der amerikanischen Arbeiterbewegung waren, und lassen sich hier nieder. Die Regierungen der Südstaaten locken mit Steuergeschenken und kostenloser Erschließung der Industriegebiete. Die Löhne liegen hier oft bei acht Dollar in der Stunde, während die KollegInnen im Norden oft das doppelte verdienen. Viele ArbeiterInnen können ihren Lebensunterhalt gar nicht ohne Überstunden bestreiten. Wo Überstunden nicht möglich sind, haben sie einen zweiten Job, wie z. B. Shafeah: Tagsüber arbeitet sie bei der Post, aber abends macht sie noch andere Aushilfsjobs. Sie hat nur 18 Tage Urlaub, die aber zum großen Teil durch betriebsbedingte Schließungszeiten verbraucht werden. Wenn sie krank ist, wird ihr die erste Woche nicht bezahlt. Standards, die durch eine gewerkschaftliche Arbeiterbewegung durchgesetzt wurden, fehlen hier schlicht und einfach.

Das Erbe der Sklaverei

Die Armut trifft hauptsächlich die afro-amerikanische Bevölkerung. Das Erbe der Sklavenhaltergesellschaft wirkt hier fort. Bis in die sechziger Jahre gab es hier ganz formell die Apartheid. Schwarze durften die öffentlichen Verkehrsmittel nicht benutzen, oder wenn, dann standen ihnen nur die hinteren Stehplätze zur Verfügung. Rosa Parks setzte sich damals demonstrativ auf einen "weißen" Sitzplatz im Bus - "Hier sitze ich und ich bleibe hier" - und gab damit einen wichtigen Anstoß für die Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre. Es gab getrennte Schulen, getrennte Kindergärten, die Infrastruktur in den schwarzen Wohngebieten wurde prinzipiell vernachlässigt. Auch heute noch wird mit vielen Tricks und Gewalt die Benachteiligung der Afro-AmerikanerInnen und die weiße Vorherrschaft durchgesetzt.

Auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung in einer Stadt schwarz ist, wird sie doch oft noch von Weißen regiert. In einer Nachbargemeinde von Rocky Mount beispielsweise wurde von den "Stadtvätern" die Stadtgrenze so gezogen, daß sie hauptsächlich die Stadtteile einschloß, in denen Weiße wohnen. So konnte sich eine weiße Wählerschaft ihren weißen Gemeinderat wählen. In einer anderen Stadt mit einer afro-amerikanischen Mehrheit gelang es, eine schwarze Stadtverwaltung zu wählen. Die Amtsübergabe dauerte jedoch drei Monate. In dieser Zeit legte die scheidende Verwaltung die Gelder so fest, daß das gesamte Budget bereits ausgegeben war. Die neue Verwaltung stand vor leeren Kassen und konnte keine Verbesserungen durchsetzen. Das wiederum wurde zur Propaganda benutzt, daß eine schwarze Regierung unfähig sei. Während unseres Besuches wurden uns sehr viele solcher Beispiele gezeigt, z.B. die beiden Friedhöfe der Stadt: Der Friedhof der Weißen - gepflegt mit grünem Rasen, kein(e) Afro-AmerikanerIn kann hier beerdigt werden. Der Friedhof der Schwarzen dagegen wird vernachlässigt, obwohl das Gartenbauamt dafür genauso zuständig ist.

Oft ist es ein Gebot des Überlebens, sich zu organisieren. Als in einer Gemeinde im "friendly family club", einem selbstorganisierten Club der schwarzen community, für uns ein kleines Fest organisiert wurde, patrouillierten die KollegInnen von black workers for justice mit großkalibrigen Waffen vor dem Lokal, weil mit Attacken des Ku-Klux-Klan gerechnet wurde.

Die Selbstorganisation, wie in diesem Club, spielt in der community eine große Rolle. Nicht nur das kulturelle Leben wird hier organisiert. Auch das politische Handeln wird hier diskutiert. Hier treffen die schwarzen Stadtverordneten mit ihren WählerInnen zusammen und diskutieren die Initiativen. In einer ehemaligen Schule, die nach der Aufhebung der Rassentrennung leer stand, wurde ein Gemeindezentrum eingerichtet, in dem u.a. ein kostenloser Gesundheitsdienst angeboten wird.

Black workers for justice unterstützen diese Selbstorganisation, ob es der Kampf um eine Wasserleitung oder die Veränderung von Stadtgrenzen ist: Im täglichen Kampf um ihre Rechte und die Verbesserung der Lebenssituation erreichen die Menschen das schwarze Selbstbewußtsein, das nötig ist, um ihre Benachteiligung und Unterdrückung zu durchbrechen. Dabei wird von black workers for justice großer Wert darauf gelegt, daß sich in den communities keine Privilegien, keine Benachteiligung und Ausbeutung herausbildet. Immer wieder weisen sie darauf hin, daß die Stärke in der Einheit, in der Solidarität besteht.

"In unity there is strength."

zurück zum seitenanfang