September 1995

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Nr.14 onlineversion

50. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen

Am Sonntag, den 22. April fand in Sachsenhausen die Gedenkfeier zum 50. Jahrestag der Befreiung des KZs statt.

Für den Vortag des offiziellen Rummels hatten Antifas aus Berlin ein Treffen mit ehemaligen Häftlingen des KZ Sachsenhausen in Oranienburg organisiert. Beim Rundgang begegneten wir Gruppen "Ehemaliger", die zum Teil seit 45 das erste Mal wieder in der BRD waren. Vom Lager "erhalten" sind Bunker, Appellplatz mit der "Schuhsohlenteststrecke"* und Fundamente des Krematoriums. Wenn von uns oder den Alten der Mut aufgebracht wurde, war die Verständigung oft schwierig (russisch, holländisch, französisch).

Eine holländische Frau saß im Schatten und sprach uns an, daß sie so froh sei, daß sich so viele Jugendliche dafür interessierten: "50 Jahre haben wir die Geschichte erzählt, jetzt müßt ihr damit weitermachen" und "Wir sind der Baum. Ihr seid die Blätter."

Gegen den Protest (der Vertretung) der ehemaligen Häftlinge wurde die ständige Ausstellung "Widerstand der europäischen Völker" geschlossen. Diese war von den Komitees der verschiedenen Nationen und mit eigenen Dokumenten gestaltet.

In drei Gruppen trafen wir uns nach dem Rundgang mit ehemaligen Häftlingen. Emil Wieden erzählte von Sabotage-Aktionen in den Heinkel-Flugzeugwerken, Franz Primus, ein ehemaliger Spanienkämpfer, berichtete von seiner Flucht aus dem Lager und Adolf Burger berichtete über die Fälscherwerkstatt der SS.

Adolf Burger aus der Slowakei (inzwischen 78 Jahre alt) wurde mit seiner Frau aus politischen Gründen verhaftet. Er war im KZ Auschwitz an der Selektionsrampe, an der neue Häftlingstransporte für die Gaskammer ankamen, zur Arbeit eingeteilt. Bei seiner Verhaftung hatte er seinen Beruf "Buchdrucker" angegeben und wurde eines Tages mit anderen Häftlingen aus verschiedenen KZ nach Sachsenhausen gebracht. Dort kamen sie in eine Baracke, die zusätzlich mit Stacheldraht vom übrigen Lager abgetrennt war: Die Fälscherwerkstatt, ein Lager im Lager. Absolut "Geheime Reichssache". Nicht einmal alle in der SS-Führung durften davon wissen. Dort wurden im Auftrage Hitlers mehrere Millionen englische Pfund gefälscht, später auch andere Währungen, Briefmarken und Dokumente. Damit bezahlten die Nazis ihre Spione und versuchten die Währungen der feindlichen, alliierten Länder zu entwerten. Diese "Arbeitsstelle" war der Grund, warum Adolf Burger diese Zeit überlebte. Seine Frau wurde in Auschwitz-Birkenau umgebracht. Er betonte mehrmals, mit welcher Perfektion und Planung dieses Projekt, aber auch die gesamte Vernichtungsmaschinerie organisiert war: "Da waren nicht nur ein paar Verrückte am Werk! Das will ich Euch damit sagen: Das war ein durch und durch organisierter ökonomischer Plan!"

Allein die Zugpläne der Häftlingstransporte, aber auch die Rücktransporte aus den Vernichtungslagern mit Haaren, Goldzähnen oder Schuhen und Kleidungsstücken, die in Pakete verpackt, mit dem Etikett "Winterhilfe" versehen, zurück nach Deutschland geschickt wurden; alles von Menschen, die in der Gaskammer starben. Alles eiskalt geplant, perfekt organisiert und wirtschaftlich berechnet.

Über einhundert junge Antifas informierten sich gespannt einen langen Tag im Kontakt mit den Überlebenden am Schauplatz faschistischen Terrors. Einmalig war die Gelegenheit, soviele alte Antifas zu treffen, aber nicht das Interesse und die Notwendigkeit Geschichte und Geschichten zu begreifen.

Der staatsgetragene Teil

Die offizielle Feier am Sonntag nachmittag wurde organisiert vom Land Brandenburg zusammen mit dem internationalen Sachsenhausenkomitee.

Beeindruckend für mich war das würdevolle Auftreten der alten Antifaschisten: Ihr Dank an die Landesregierung für die Möglichkeit dieser Begegnung nach 50 Jahren, und gleichzeitig diesen "Appell" zu nutzen, um klare Worte an die Verantwortlichen zu richten. Beeindruckende Gesichter von Menschen, die 50 Jahre nach diesem Schrecken wieder hierher kamen, die Wirklichkeit dessen, was hier geschah, die strahlende Sonne, die alles fast unwirklich erscheinen ließ - eine unvergeßliche Atmosphäre.

Die Gedenkfeier eröffnete der Präsident des internationalen Sachsenhausenkomitees, Charles Desirat: Er betonte, daß die Gedenkstätte für alle Überlebenden als Zeichen der Solidarität untereinander und Vereinigung der Völker gegen die Nazibarbarei bestehen bleiben solle. Andrzej Szczypiorski erzählte: "Ich dachte, daß ich durch dieses verdammte Tor nie mehr freiwillig gehen werde." Doch er entschied sich anders: "Die, die am heutigen Appell im KZ Sachsenhausen teilnehmen, wurden durch das Schicksal bestimmt, die Abwesenden für immer zu vertreten."

Mark Tilevich, Vertreter der russischen Häftlingsverbände sprach darüber "was es war, was uns damals half die Kraft zu finden auszuhalten, zu überleben (...) In Sachsenhausen spürten wir eine unsichtbare Kraft, die uns stützte und vereinte. Sie hat einen Namen - antifaschistische Solidarität." Er überbrachte Grüße von denen, die am "22. April in der Früh, nach langen schweren Kämpfen das Lagertor aufmachten und uns zuriefen - 'Brüder ihr seid frei!'"

Provokationen und unwürdiges Verhalten unterlagen dem Staatsmonopol...

Ohne Beifall abtreten mußte Klaus Kinkel. Als er davon sprach, daß hier auch nach 1945 "neues Leid geschah", reihte er sich ein, Naziterror und Reaktion der Befreier zu vergleichen, um die Verantwortung für Verbrechen zu verwaschen. Viele KundgebungsteilnehmerInnen reagierten mit erheblicher Empörung.

Der Einsatzbefehl der Polizei gestattete nicht die Mitnahme von roten Fahnen zur Kundgebung. Dieser Hohn, angesichts Tausender von KommunistInnen, die allein in diesem KZ umgebracht wurden, gipfelte darin, daß es einem älteren Antifaschisten von der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) nur mit Mühe gelang, seine große rote VVN-Fahne mit zur Gedenkfeier zu nehmen. Schon am S-Bahnhof Oranienburg gab es massive Kontrollen, die nichts besseres zu tun hatten, als z.B. ein paar junge Leute mit Rastalocken festzuhalten und zurückzuweisen.

Es sprachen weiterhin Leo van Deene (Niederlande), Hugo Franz (Vertreter der Sinti und Roma), Jerzy Kanal (stellv. Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland) und Dr. Günther Grau (Vertreter des Bundesverbandes Homosexualität/Schwulenverbandes in Deutschland). Er betonte, daß bis heute so gut wie nichts bekannt sei über die Verbrechen an homosexuellen Männern und lesbischen Frauen, und daß sie bis heute nicht als Verfolgte des Naziregimes anerkannt seien.

Zum Abschluß wurde ein jüdisches Totengebet gesprochen und Blumenbebinde niedergelegt.

Leider wurden alle Redebeiträge nur in deutsch gehalten, bzw. aus anderen Sprachen nur ins Deutsche übersetzt. So wurde das Ganze von seinem internationalen Charakter zu einer fast nur deutschen Veranstaltung reduziert, und ich sah einige ehemalige Häftlinge, insbesondere russische Leute, von denen ich glaube, daß sie außer der russischen Rede, kein Wort verstanden haben.

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